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SCHMERZ UND SEELISCHE STÖRUNGEN

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Der Schmerz bei Schizophrenien, Depressionen, Angst- und Somatisierungsstörungen u.a.

Schmerz und seelische Störungen scheinen wenig miteinander zu tun zu haben. Doch das ist ein Irrtum. Vor allem chronischer Schmerz führt zu Angst, depressiven Verstimmungen und psychosomatischen Reaktionen. Und umgekehrt spielen besonders bei Schizophrenien, Depressionen, Angst- und Somatisierungsstörungen Schmerzen eine große Rolle - wenngleich oft durch andere Symptome in den Hintergrund gedrängt. Doch das ändert sich offenbar. Der sogenannte "Gestaltwandel seelischer Störungen", d. h. die ständig wechselnden Symptom-Schwerpunkte scheinen für unsere Zeit und Gesellschaft den Schmerz zu favorisieren. Schmerzen nehmen auch als Teil-Symptome seelischer Krankheiten zu, bei denen sie früher keine Rolle zu spielen schienen.

Nachfolgend deshalb eine kurz gefasste Übersicht zu diesem Thema.


Erwähnte Fachbegriffe:

Psychose (Geisteskrankheit) - Schizophrenie - schizoaffektive Psychose - zoenästhetische Halluzinationen - Zoenästhesien - Sinnestäuschungen - Trugwahrnehmungen - Leib-Halluzinationen - Körper-Halluzinationen - leibliche Wahrnehmungstäuschungen - von außen gemachte körpereigene Störungen - Wortneubildungen - Neologismen - Berührungs-Halluzinationen - taktile Halluzinationen - vestibuläre Sinnestäuschungen - Trugwahrnehmungen des Gleichgewichtssinnes - wahnhafte Körperbeeinflussung - wahnhafte Körperentstellung - groteske Leibentstellungen - induzierte Psychose - Folie-à-deux - psychotische Zahnschmerzen - Depressionen - Manie - manische Hochstimmung - affektive Störungen - psychosomatische Symptome - algogenes Psychosyndrom - depressives Schmerzsyndrom - Suizidgefahr - chronisches Schmerzsyndrom - hypochondrische Befürchtungen - hypochondrische Operationswünsche - Workaholism - Suchtkrankheiten - hirnorganisches Psychosyndrom - primäre Angststörung - generalisiertes Angstsyndrom - Panikattacken - Phobien - Sozialphobie - spezifische Phobie - Zwangserkrankung - posttraumatische Belastungsstörung - Herz-Angst-Neurose - Angstneurose - Somatisierungsstörung - somatoforme Störungen - vegetative Labilität - vegetative Dystonie - funktionelle Störungen - Befindlichkeitsstörungen - doctor-hopping - doctor-shopping - Tagesmüdigkeit - Schlafstörungen - Kopfschmerzen - Erschöpfungsreaktionen - Herzbeschwerden - Atembeschwerden - Schwindel - Schweißausbrüche - Ohrensausen - Muskel-Gelenk- und Wirbelsäulen-Schmerzen - u.a.m.

Der Schmerz ist eines der wichtigsten Themen im Alltag geworden. Deshalb gehört auch die Schmerz-Literatur zum umfangreichsten, was die Medizin zu bieten hat. Seelische Störungen als spezieller Themenkreis sind allerdings nur selten vertreten, und zwar sowohl in reinen Schmerz-, als auch in psychiatrischen Lehrbüchern. Trotzdem spielt der Schmerz bei psychischen Störungen eine große Rolle, auch wenn er oft durch andere Krankheitszeichen überdeckt wird.

Als die wichtigsten psychiatrischen Krankheitsbilder mit entsprechenden Schmerz-Syndromen gelten:

- Psychose und Schmerz
- affektive Störung, vor allem Depression und Schmerz
- Angststörung und Schmerz
- Somatisierungsstörung und Schmerz

Was heißt das im Einzelnen?

  • Psychose und Schmerz

"Psychotische Schmerzsyndrome" im Rahmen einer schizophrenen Psychose sind - zahlenmäßig gesehen - kein Thema. Ihr Anteil an der Klientel einer Schmerzklinik wird mit etwa 1 bis 2 % angegeben. Und auch im Rahmen einer psychiatrischen Schmerzpopulation kommen sie nicht über 5 % hinaus.

Und doch gibt sie es, die sogenannten zoenästhetischen Halluzinationen (Sinnestäuschungen oder Trugwahrnehmungen), auch Leib- oder Körperhalluzinationen bzw. leibliche Wahrnehmungstäuschungen genannt.

Das sind eigenartige Leibgefühle, die zwar als körpereigene Störungen, jedoch als "von außen gemacht" empfunden werden. Manchmal anfallsweise, manchmal in raschem Wechsel oder auch chronisch. Oft sind sie so schwer zu schildern, dass sich manche Betroffene gezwungen sehen, fast schon groteske Vergleiche oder Bilder oder gar Wortneubildungen (Neologismen) zu bemühen.

Häufig gibt es auch fließende Übergänge zu den taktilen, also den Berührungs-Halluzinationen sowie zu den vestibulären Sinnestäuschungen, den Trugwahrnehmungen des Gleichgewichtssinns. Schwierig oder unmöglich ist bisweilen die Abgrenzung von wahnhaften Körperbeeinflussungen bzw. Körperentstellungen.

Geklagt wird - wenn man nur einmal die besonders schmerzhaften Varianten der Zoenästhesien heranzieht - über Bohren, Reißen, Brennen, Stechen, Elektrisieren sowie Temperaturbeeinflussungen wie Hitze und Kälte, schließlich diffuse oder umschriebenen Schmerzempfindungen, anfallsweise oder langsam an- und abschwellend.

Ist es etwa keine Ironie, dass nur das Gehirn des Menschen schmerzunempfindlich ist? (R. Malkowski).

Besonders qualvoll die unfassbaren Leibentstellungen: Der Körper wächst, wird verzerrt, dicker, schwerer, leichter, einzelne Körperteile wechseln ihre Größe und Form, sind aus Stein, Metall, Holz, Plastik. Noch grotesker sind Einschnürung oder Verfaulen der Leber, Heraus- oder Zerschneiden des Herzens, Verwesung des Darms, Verfaulen der Bauchspeicheldrüse, Zerfressen der Lungen, Verflüssigen des Gehirns oder "Würmer, Würmer, wohin man sieht - die bohren und bohren und bohren...".

Auch bizarre Bewegungs-, Zug- und Druckempfindungen im Körperinnern. Oder Reifen-, Band- und Ringgefühle bis zum panischen Empfinden, dass die entsprechenden Körperteile stranguliert werden. Die Verkleinerungen, Schrumpfungen oder das Sich-Zusammenziehen und Einschnüren vermögen bis zu Atemnot- und Erstickungsgefühlen zu gehen.

Zwei interessante Varianten sind es, die bei diesen psychotischen Schmerzbildern eine Rolle spielen können: Zum einen die Folie-à-deux, also die induzierte Psychose von einem Psychose-Kranken auf einen gleichsam infizierten nahe Angehörigen ("Schmerz zu zweit") sowie psychotische Zahnschmerzen mit allen Folgen für den bzw. die langsam verzweifelnden Zahnärzte.

Einzelheiten zu diesen ungewöhnlichen Schmerzbildern siehe die entsprechenden Kapitel über die Schizophrenien sowie Zähne und seelische Störungen.

  • Depression und Schmerz

Schmerzsyndrome im Rahmen einer Depression sind zwar nicht das häufigste körperliche oder konkreter psychosomatische Phänomen (seelische Störungen äußern sich körperlich), dafür aber oft das intensivste und wohl auch das am meisten auf die falsche Fährte führende. Wahrscheinlich muss man drei Hauptgruppen unterscheiden, wobei zahlreiche Überschneidungen und Variationen möglich sind:

1. Depression und Schmerzleiden fallen zusammen und verstärken sich in ihrem jeweiligen Beschwerdebild. Häufigkeit: eher selten.

2. Eine Depression entwickelt auch eine psychosomatisch interpretierbare Schmerz-Symptomatik und - das wird gerne übersehen - verstärkt unterschwellige organische Schmerz-Schwachpunkte des jeweiligen Organismus, die jetzt zusätzlich belasten. Beispiele: Wirbelsäulen- und Gelenkschmerzen. Häufig!

3. Ein vor allem chronisches Schmerzleiden führt zu einer depressiven Reaktion und damit in einen entsprechenden Teufelskreis bis hin zum sogenannten "algogenen Psychosyndrom" (ein mehr oder weniger charakteristisches Beschwerdebild mit seelischen und psychosozialen Folgen, ausgelöst durch entsprechende Schmerzen). Auch das ist relativ häufig.

Das depressive Schmerzsyndrom

Zu den charakteristischen Krankheitszeichen einer Depression gehören vor allem die seelische (und körperliche) Herabgestimmtheit von abnormem Ausmaß, was Intensität und Dauer anbelangt. Ferner Verlust von Interesse und Freude, verminderter Antrieb, abnorme Ermüdbarkeit, mangelndes Selbstvertrauen, unbegründete Selbstvorwürfe, kognitive Einbußen (Merk- und Konzentrationsstörungen, Vergesslichkeit), seelisch-körperliche Verlangsamung oder Unruhe, Anspannung, wenn nicht gar Getriebenheit, dazu Schlaf- und Appetitstörungen sowie suizidale Gedanken.

Die Zahl der seelischen Symptome ist viel größer, als man gemeinhin annimmt. Dies vor allem deshalb, weil sie von den Patienten selber nur unzureichend geschildert werden kann (muss deshalb vom Arzt gezielt erfragt werden).

Die Zahl der körperlichen Beschwerden ist ebenfalls groß, wird aber in der Regel in den Vordergrund gestellt, weil sie sich zum einen mehr aufdrängen als die seelischen und zum anderen auch mehr Krankheitsgewinn versprechen. Bei den körperlichen Symptomen werden vor allem Beeinträchtigungen wie Schlafstörungen, Appetitmangel, Magen-Darm-, Herz-Kreislauf- und vegetative Störungen geklagt.

Wenn es sich um Symptome handelt, die Schmerzcharakter und -intensität erlangen, dann trifft es - je nach Untersuchung - jeden Vierten bis Zweiten. Bei den früher als psychogen (rein seelisch ausgelösten) klassifizierten Depressionen (reaktive, neurotische und Erschöpfungsdepression) dreimal soviel wie bei den biologisch interpretierbaren endogenen Depressionen.

Im Durchschnitt sollte man also bei etwa jedem dritten Depressiven ein ausgeprägteres Schmerz-Beschwerdebild erwarten. Manchmal sogar mono-symptomatisch, nämlich als alleiniges, zumindest aber alles andere dominierende oder gar verdrängende Leit-Symptom.

Von der Häufigkeit her überwiegen Kopfschmerzen (das häufigste unter den Leit-Symptomen), Brustschmerzen (ebenfalls oft anzutreffen), Bauchschmerzen, Rückenschmerzen (als Leit-Symptom möglich), Gelenkschmerzen, Muskelschmerzen, Zungenbrennen sowie Brennen im Hals (als alleiniges Depressions-Symptom eher selten).

Weitere Einzelheiten siehe die verschiedenen Depressions-Kapitel, insbesondere die drei-teilige Depressions-Serie.

Schmerz und depressive Reaktion

Eine noch größere, offensichtlich zunehmende und im wachsenden Maße auch schwierige Gruppe von Betroffenen sind die chronischen Schmerzpatienten. Ihnen wird in mancher Untersuchung eine Depression unterstellt, obgleich man zuvor besser zwischen eigenständiger depressiver Erkrankung und depressiver Reaktion hätte unterscheiden sollen. Selbst wenn es sich um Schmerzpatienten ohne organische Ursache handelt, muss noch lange keine Depression vorliegen. Entsprechend differenziert angelegte und ausgewertete Studien sprechen deshalb von einer depressiven Variante und kommen zu ganz anderen Schwerpunkten:

So dominieren dort offenbar nicht selten hypochondrische Befürchtungen, bis hin zu mehr oder weniger ausgeprägten Operationswünschen. Man sieht sich zwar - wie es in einer solchen Studie heißt - grundsätzlich als "solider Bürger", verleugnet demzufolge jegliche Konflikte, idealisiert sich selber und seine Familie (Fleiß, ja Arbeitssucht bis hin zum Workaholism) - bis eben "diese Schmerzen einsetzten, die von nichts und niemanden linderbaren Schmerzen" (Zitat). Hier lassen sich auch depressive Symptome erfragen, aber eher verdeckt, durch einen Mangel an Energie und vor allem die wachsende Unfähigkeit charakterisiert, soziale Kontakte, Freizeit und Sexualität zu genießen.

Vordergründig also der Wunsch nach Unabhängigkeit, Aktivität und Altruismus ("ich muss ständig für andere da sein..."), dahinter aber das Gegenteil, nämlich der Wunsch nach Abhängigkeit, Passivität und Versorgung, wenn auch lange Zeit durch Überaktivität und Übergenauigkeit kompensiert. Das Schmerzsyndrom dient dann der Legitimierung passiver Abhängigkeitswünsche. Dadurch kann das hochgesteckte Ich-Ideal aufrechterhalten werden. Schließlich ist man ja durch lähmende Schmerzen "ausgebremst", und nicht durch ehrenrührige Passivität und Abhängigkeitswünsche.

  • Angststörung und Schmerz

Das Beschwerdebild der krankhaften Angst hängt von der jeweiligen Angststörung ab. Hier unterscheidet man erst einmal Angststörungen auf organischer Grundlage. Beispiele: endokrine, metabolische Angstzustände (Stoffwechsel), epileptische, herz-kreislauf-bedingte, traumatische (Unfall) und andere körperlich begründbare Angststörungen. Ferner krankhafte Angstzustände auf seelischer bzw. psychosozialer Grundlage. Beispiele: schizophrene und schizoaffektive Psychosen (bei denen Depressionen, manische Hochstimmung und schizophrene Krankheitszeichen zusammen auftreten), Depressionen, Suchtkrankheiten, hirnorganische Psychosyndrome (seelische und psychosoziale Störungen durch Beeinträchtigungen des Gehirns u.a.).

Und die sogenannten primären Angststörungen. Beispiele: Generalisiertes Angstsyndrom, Panikattacken, Phobien wie Sozial- und spezifische Phobien sowie im erweiterten Sinne Zwangserkrankungen und posttraumatische Belastungsstörungen nach Extrembelastung.

Das Beschwerdebild ist ähnlich breit und für die Betroffenen schwer nachvollziehbar wie bei der Depression, insbesondere was die zugrunde liegende Angststörung anbelangt. Angstsyndrome führen - sofern sie überhaupt zum Arzt kommen - zuerst einmal zu den Internisten, insbesondere zu den Kardiologen, Gastroenterologen sowie zu den Orthopäden - aber nur selten zu den Psychiatern. Dabei ist eine organische Vor-Abklärung durchaus sinnvoll (vor allem Herz-Kreislauf sowie Schilddrüse). Danach aber wäre der Psychiater bzw. Psychotherapeut gefragt - meist jedoch nicht.

Angst-Beschwerdebild

Wie bei den meisten anderen seelischen Störungen dominiert auch bei den Angsterkrankungen ein körperliches Beschwerdebild und drängt seelische und psychosoziale Krankheitszeichen oft in den Hintergrund. Bei der Angst kann man sogar davon ausgehen, dass erst die organischen Beschwerden das Leiden so richtig unerträglich machen. Vor allem so diffuse, aber überaus hinderliche Symptome wie weiche Knie oder Beine, schwindelige Benommenheit, innere Unruhe und Anspannung, allgemeines Schwächegefühl sowie bei Panikattacken überfallartige Herzbeschwerden, Atemnot, Würgegefühl im Hals, Schmerzen oder Unwohlsein in der Brust, Schweißausbrüche u. a.

In puncto Schmerz- oder zumindest vergleichbarem Leidensbild sind es bei Angststörungen vor allem Brustschmerz, Herzrasen, Herzstolpern und Herzklopfen, Kopfschmerzen und Atembeschwerden, die schließlich zum Arzt führen. Manchmal auch Magen-Darm-Krämpfe (häufiger aber "Schmetterlinge im Bauch" oder "als senke sich der Magen"), schmerzhafte Störungen der Monatsblutung und muskuläre Verspannungen, besonders im Nacken- und Schulterbereich, aber auch in Finger- und Beinmuskeln sowie - an der Schmerzgrenze - diffuse Missempfindungen wie Kribbeln, Brennen oder Reißen an Stamm, Armen, Beinen und im Gesicht.

Psychologisch am besten untersucht ist die Angst-Schmerz-Symptomatik bei der früher so genannten Herz-(Angst-) Neurose. Hier findet sich fast immer ein heftiger retrosternaler Schmerz (hinter dem Brustbein), der zwar nicht an den "Vernichtungsschmerz" eines Herzinfarktes heranreicht, aber trotzdem überaus panik-fördernd sein kann. Auch weichteil-rheumatische Lendenwir-bel-, Kopf- und atypische Gesichtsschmerzen sind auf dieser psychodynamischen Grundlage erklärbar.

Weitere Einzelheiten siehe die verschiedenen Beiträge über Angst- und posttraumatische Belastungsstörung sowie Zwangserkrankungen.

Die Angst als Folge von chronischen Schmerzen

Die Angst als Folge von chronischen Schmerzen, insbesondere in Form einer resigniert-deprimierten Zukunftsangst ist ein häufiges Phänomen, zahlenmäßig aber offenbar nicht exakt festlegbar. Therapeutisch ist sie als Teufelskreis auf jeden Fall ein großes Hindernis, verschlechtert die Prognose (Heilungsaussichten), bahnt am Anfang und zementiert im schlechtesten Falle am Ende die Gefahr eines langwierigen bis lebenslangen Verlaufs.

  • Somatisierungsstörung und Schmerz

Mit dem neuen Fachbegriff Somatisierungsstörungen im Rahmen der - klassifikatorisch ebenfalls neuen - somatoformen Störungen konnten, wenn auch nur rein begrifflich, die früheren Verlegenheitsdiagnosen der vegetativen Labilität bzw. vegetativen Dystonie oder die ebenfalls als wenig seriös bezeichneten funktionellen bzw. Befindlichkeitsstörungen abgelöst werden.

Geblieben ist aber ein nach wie vor schwer konkretisierbares bis diffuses, oft wanderndes Beschwerdebild, das man gerne in Abrede stellen oder gar lächerlich machen würde, wenn es nicht so viele Betroffene peinigen würde: Je nach Verständnis des Hausarztes bis zu 4 von 10 Patienten (wer solche Patienten - verbal oder non-verbal - gleich ablehnt, hat davon weniger) und etwa jeder Zehnte in der Allgemeinbevölkerung. Frauen mehr als Männer (die allerdings auch eher den Arzt aufsuchen, was die Statistik verschieben kann). Meist zwischen 20 und 40, also den sogenannten "besten Jahren". Schwerpunkte in den unteren Sozialschichten, eher bei Ledigen, getrennt Lebenden und Geschiedenen.

Im dritten "Lebensalter" geht die Zahl deutlich zurück, wobei der übliche Ärztekommentar alles sagt: "Dort braucht es keine funktionellen Störungen mehr (um seine unverarbeiteten Konflikte psychosomatisch zu artikulieren), dort gibt es dann genügend echte (Alters-)Leiden".

Wie immer man dazu steht, wie scharf man die Grenze zur Hypochondrie zu ziehen versucht, das Beschwerdebild wird eindrücklich geschildert, die Not ist groß, der Patient erhofft Hilfe (in der Regel von mehreren Ärzten, teils wegen der Spezialisierung, teils als "doctor-hopping bis -shopping"), die wirtschaftlichen Kosten steigen bedrohlich.

Beschwerdebild als Ärgernis?

Das Beschwerdebild der Somatisierungsstörung ist nun in der Tat so vielgestaltig, dass man es kaum auf einen Nenner zu bringen vermag. Bei den körperlichen Beschwerden belasten vor allem sogenannte unspezifische Allgemeinsymptome: vom generellen Unwohlsein über Tagesmüdigkeit, rasche Erschöpfbarkeit, "unfreier Kopf", schwindelige Benommenheit, "Kollapsgefahr" bis "Ohnmachtsnähe", Beeinträchtigungen praktisch aller Sinnesorgane (vor allem Ohrensausen und Augenflimmern) bis zu Herzbeschwerden jeglicher Art (Herzschlag bis zum Hals, Herzrasen, -klopfen und -stolpern) sowie Magen-Darm-Störungen, sexuelle Beeinträchtigungen, vegetative Entgleisungen (z. B. Hitzewallungen oder Kälteschauer), Schlafstörungen, muskuläre Verspannungen u.a.m.

Am häufigsten finden sich derzeit Kopfschmerzen, Oberbauchbeschwerden, Erschöpfungsreaktionen, zunehmend auch Schmerzen im Bereich von Muskeln, Wirbelsäule und Gelenken. Dazu Herzbeschwerden, Atemenge, Schwindel, Schweißausbrüche u.a.

Zugenommen haben vor allem Tagesmüdigkeit sowie Beschwerden bzw. Schmerzen im Bereich von Muskeln, Gelenken und Wirbelsäule.

Ähnliches findet sich nebenbei auch bei anderen seelischen Störungen mit psychosomatischem Beschwerdebild, z. B. Depressionen und Angststörungen.

Zahlreich und nicht immer sehr respektvoll formuliert sind die psychodynamischen Erklärungsversuche, wobei erfahrene Therapeuten immer wieder ihre alten Erkenntnisse bestätigt finden: Es gibt so viele psychologische Hintergründe wie Patienten. Eines scheinen aber viele (wenngleich nicht alle) gemeinsam zu haben: das Leiden als psychologische Notwendigkeit. Denn Krankheit heißt Hilfe, auch wenn die ersehnte Zuwendung nur durch ständige dramatische Demonstrationen gesichert werden kann.

Tatsächlich erscheint die Lebensgeschichte vieler dieser Patienten - zumindest auf den ersten Blick - als eine ununterbrochene Folge von unerfüllten Wünschen, Frustrationen, Kränkungen, Demütigungen, Niederlagen, kurz: Tragödien. Das zieht sich von den Eltern über Partnerschaften bis hin zum Beruf. Und man kann den Unwillen eines manchen Hausarztes verstehen, der auf sein volles Wartezimmer pocht (mit "echten" Patienten), wenn nach kurzer Zeit klar wird: Viele dieser "tragischen Situationen" sind gar nicht so tragisch, sondern gehen auf eine "irgendwie unglückliche Wesensart und Lebensbewältigung" der Betroffenen zurück, werden gleichsam ständig ausgelöst und unterhalten, wenn nicht gar provoziert (deshalb auch von manchen Fachleuten auf den ironischen Begriff reduziert: "ständige Lebens-Verunstaltung").

Und natürlich: Diese Patienten meiden die zuständigen Fachleute, also Psychiater und Psychologen, wo ihnen die psychodynamischen Hintergründe rasch vor Augen geführt würden. Dafür "klappern" sie viele Haus- und Fachärzte ab, fühlen sich aber auch bald unverstanden und "schlecht bedient" - und werden zu chronischen und schließlich chronisch schmerzgepeinigten Patienten (weil das den höchsten Stellenwert hat?).

Zuhören reicht oftmals aus

Was die mitunter unwilligen, frustrierten oder verzweifelten Ärzte anbelangt, sollte man sich eine Erkenntnis immer wieder vor Augen halten: Die meisten Patienten mit einer Somatisierungsstörung sind sich trotz körperlicher Symptomatik ihrer psychologischen Ausgangslage durchaus bewusst, weshalb sie sich einerseits schämen, andererseits Angst davor haben, diese Art der Zuwendungs-Sicherung in Frage zu stellen. Vieles bleibt auch unbewusst, bis eine "Krisensituation" die Fassade zum Einsturz bringt.

Bei den Patienten mit chronischen Schmerzen in dieser Gruppe beginnt das Leidensbild oft erst, wenn die ansonsten schwierige Lebenslage sich gerade bessert. Dann stellt sich heraus: Es kommt weniger auf die Belastung an, mehr auf den individuellen Bedeutungsgehalt, der der irritierten Umgebung natürlich nicht bekannt ist.

Daraus ergibt sich dann die einfachste Diagnose- und Therapiestrategie bei diesen Kranken: Man höre einfach einmal zu, was die Betroffenen zu sagen bzw. zu klagen haben. Nirgends ist das reine Zuhören ein so entscheidender Behandlungsbeitrag wie hier. Für den Augenblick erscheint er unergiebig, mittelfristig aber dient er als Ventil.

Patienten mit chronischen Befindlichkeitsstörungen haben meist einen langen Leidensweg hinter sich - und einen mitunter noch längeren vor sich. Da bringt auch eine kurzfristige Entlastung durch "rein menschliche Zuwendung" bereits viel.

Schlussfolgerungen

Schmerz und seelische Störungen ist ein überaus komplexes Kapitel, das immer mehr Opfer betrifft und immer mehr Ärzte vor große Probleme stellt.

Das drückt auch der bekannte Sinnspruch aus: "Der Schmerz ist der große Lehrer der Menschen". Zweifellos richtig, was den akuten Schmerz anbelangt, denn der ist ja ein Warnsignal, auf das der Betroffene entsprechend reagieren soll. Schwieriger wird es schon beim chronischen Schmerz, dem keine sinnvolle Funktion mehr zugestanden werden kann. Und problematisch wird es vor allem dort, wo bereits seelische Störungen beeinträchtigen und der Schmerz das ohnehin zermürbende Beschwerdebild noch qualvoller werden lässt - besonders dann, wenn keine organische Ursache gefunden werden kann. Dann ist es gut, wenn man weiß, dass es auch "seelische Schmerzen" gibt, vor allem im Rahmen psychischer Störungen.

Die aber - das zum Trost - können inzwischen so gut behandelt werden wie noch nie zuvor - vorausgesetzt, sie werden rechtzeitig erkannt und gezielt therapiert.

Literatur

Wichtiges, vor allem zukunftsträchtiges Thema, das immer besser erforscht und dem immer mehr wissenschaftliche Publikationen gewidmet werden, neuerdings auch fachlich fundiert und zugleich allgemein verständlich. Nachfolgend eine begrenzte Übersicht entsprechender Standardwerke:

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Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
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