Prof. Dr. med. Volker Faust Psychosoziale Gesundheit von Angst bis Zwang Seelische Störungen erkennen, verstehen, verhindern, behandeln |
NEGATIV- ODER MINUS-SYMPTOME DER SCHIZOPHRENIEAufmerksamkeitsstörung - Sprachverarmung - Gemütsverflachung - Mangel an Energie, Schwung und Ausdauer - Antriebsminderung - Interessenschwund - Gleichgültigkeit - Willensschwäche - Unfähigkeit, Freude zu empfinden - Rückzug und Isolationsneigung
Wenn man von schizophrenen Erkrankungen spricht, ist immer öfter die Rede von positiven oder Plus-Symptomen, vor allem aber negativen oder Minus-Symptomen einer schizophrenen Psychose (Einzelheiten siehe die ausführlichen Kapitel über die Schizophrenien, wahnhaften Störungen u.a.). Diese negativen oder Minus-Symptome sind viel folgenreicher als die positiven oder Plus-Symptome, obgleich letztere weitaus spektakulärer erscheinen. Doch die negativen verunsichern, quälen oder diskriminieren oft viel länger als die positiven, sind schwieriger zu behandeln und führen eher in Pessimismus, Resignation, Ratlosigkeit, Depressivität, Scham, Hilflosigkeit, wenn nicht gar Hoffnungslosigkeit. Vor allem sind sie langfristig für Partnerschaft, Familie, Nachbarschaft, Freundeskreis, berufliche Entwicklung, Ansehen usw. viel belastender und damit verhängnisvoller als die Mehrzahl der übrigen schizophrenen Beschwerden. Früher blieb auch den Therapeuten nicht viel Trost zu vermitteln. Heute jedoch eröffnen neue antipsychotisch wirksame Arzneimittel (sogenannte atypische Neuroleptika) auch neue Behandlungsdimensionen und Erfolge. Damit sieht sich zwar nicht gleich jeder Betroffene in der selben glücklichen Lage, doch die Fortschritte der Pharmakotherapie, am besten kombiniert mit Psychotherapie und soziotherapeutischen Unterstützungsmaßnahmen sind unübersehbar. Man sollte sie nutzen. Nachfolgend deshalb ein eigenes Kapitel zum Thema negative oder Minus-Symptome der Schizophrenien. WAS SIND NEGATIVE UND POSITIVE SYMPTOME? Einzelheiten zum Beschwerdebild der Schizophrenien siehe das entsprechende Kapitel. Dort ist immer wieder von negativen und positiven Symptomen die Rede. Was versteht man darunter? Während die Begriffe negative oder Minus-Symptome die problematische Wertung des Beschwerdebildes ahnen lassen, ist die begriffliche Verwendung des Gegenpols, nämlich positive oder Plus-Symptome natürlich nicht als positiv im herkömmlichen Sinn zu interpretieren. Positiv ist ein sowohl allgemeinsprachlicher als auch fachlicher Begriff, entstanden aus dem französischen "positif", das sich wiederum aus dem spätlateinischen "positivus = gesetzt, gegeben" entlehnt. Im Alltag heißt es bejahend, zutreffend, wirklich, gegeben oder konkret, bestimmt, sicher und gewiß, günstig, vorteilhaft und gut. Das alles hat natürlich nichts mit den nachfolgenden - für den Betroffenen meist überaus ungünstigen - Beschwerden der positiven Symptome zu tun. Man muss es einfach als wissenschaftliche Begriffs-Nutzung verstehen, um zwei unterschiedliche Beschwerdebilder zu charakterisieren (wie das ja auch in anderen wissenschaftlichen Disziplinen der Fall ist, z. B. in der Physik, Mathematik u. a.). Negativ, hier als psychiatrischer Fachbegriff mit dem allgemeinen Eindruck dieser Negativ-Symptome nicht kollidierend, kommt vom lateinischen: negare = "Nein sagen, verneinen, bestreiten" und wird auch heute noch als verneinend, ergebnislos, ungünstig und schlecht verwendet. Fachsprachlich findet man aber auch hier in anderen wissenschaftlichen Disziplinen eine jeweils spezifische Verwendung, z. B. in der Physik elektrischer Ladungen, in der Fotographie usw. Was sind nun Negativ- und Positiv-Symptome in der Psychiatrie? · Als positive oder Plus-Symptome einer Schizophrenie bezeichnet man bestimmte Ausdrucks-, Erlebnis- und Verhaltensweisen, die im "normalen Menschen-Leben" nicht vorkommen. Dazu gehören: - Wahn · Als negative oder Minus-Symptome einer Schizophrenie bezeichnet man Beeinträchtigungen - des Denkens Beide Symptomgruppen sind auf unterschiedliche Weise beeinträchtigend, wobei die negativen Krankheitszeichen längerfristig, nachhaltiger und damit folgenschwerer belasten. - Die positiven Symptome sind schneller diagnostizierbar (z. B. Wahn und Sinnestäuschungen), sprechen in der Regel gut (d. h. besser als die negativen) auf eine gezielte Pharmakotherapie mit antipsychotisch wirkenden Neuroleptika an, bilden sich in der Mehrzahl der Fälle wieder völlig zurück (auch wenn sie immer wieder ausbrechen können), wirken zwar ebenfalls diskriminierend, vor allem in den akuten Zuständen (z. B. Verfolgungswahn), sind aber dafür langfristig weniger problematisch was Lebensqualität, Leistungsfähigkeit und soziales Ansehen anbelangt (da eher kurzfristig und danach scheint der Betroffene wieder "gesund" zu sein). - Die negativen Symptome lassen sich weniger konkret auf einzelne Krankheitszeichen reduzieren, sie sind diffuser, auf den ersten Blick weniger auffällig und damit schwerer fassbar und letztlich auch verstehbar. Zudem sind sie unspezifisch, d. h. nicht nur an schizophrene Psychosen gebunden, sondern auch bei Depressionen, Persönlichkeitsstörungen, hirnorganischen Psychosyndromen, neurotischen Entwicklungen u. a. möglich (Einzelheiten siehe diese). Und sie sind therapieresistenter, wie der Fachausdruck heißt. D. h. man kann sie nicht so erfolgreich behandeln, insbesonders mittel- und langfristig, wie die eher kurz "zuschlagenden" positiven Symptome. Auch sind sie nicht immer reversibel, d. h. gehen nicht völlig oder zumindest zufriedenstellend zurück. Deshalb greifen sie auch nachhaltiger in den Lebenslauf eines Menschen ein, was die erwähnten psychosozialen Aspekte von Partnerschaft, Familie, Beruf usw. anbelangt. Daher gelten sie auch als sogenannte ungünstige Prädiktoren (Vorhersage-Kriterien), was den Verlauf eines solchen Krankheitsbildes anbelangt. So lässt sich zusammenfassen:
Zur Geschichte der Negativ-Symptome Auch wenn die negativen und positiven Symptome erst in letzter Zeit wieder ins Gespräch gekommen sind (vor allem wegen der verbesserten therapeutischen Möglichkeiten), ist diese Unterteilung doch seit über hundert Jahren bekannt und schon im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts sehr genau beschrieben worden. Inzwischen gibt es auch neue Begriffe (z. B. Schizophrenie Typ I oder II), doch tut man gut daran, im Alltag bei den alten, aussagefähigeren Begriffen zu bleiben. Was sind positive Schizophrenie-Symptome? Doch wie so oft in der Seelenheilkunde (Psychiatrie) sind exakte Zuordnungen und Definitionen schwer zu realisieren, je nach Autor, psychiatrischer Schule oder heute Klassifikation nach den großen tonangebenden Institutionen (DSM-IV der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung - APA, ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation - WHO). Zu den positiven Symptomen einer Schizophrenie zählt man - wie erwähnt - vor allem Wahn, Halluzinationen und psychotische Ich-Erlebnis-Störungen (z. B. Gedankeneingebung, Gedankenentzug, Gedankenausbreitung, andere Beeinflussungserlebnisse, vor allem die von den Betroffenen als "von außen gemacht oder gelenkt" erscheinenden Symptome). Bisweilen werden auch bestimmte Denkstörungen (z. B. Denkzerfahrenheit, umständliches Denken) und Verhaltensstörungen (chaotisches, auf jeden Fall desorganisiertes Verhalten, meist im Sinne katatoner Phänomene) hinzugerechnet (Einzelheiten zu diesen Fachbegriffen siehe das spezielle Schizophrenie-Kapitel). Wie lassen sich negative Symptome am besten erfassen? Die zuverlässigste Methode zur Erfassung aller (!) seelischer Krankheitszeichen und natürlich der Negativ-Symptome ist der gute persönliche Kontakt zum Patienten. Durch ihn erfährt man vielleicht nicht sofort und sicher auch nicht am bequemsten, was man wissen will, aber am natürlichsten und letztlich auch ergiebigsten. Vor allem kann man damit das Gesamtbild in sein Urteil einbeziehen, das aus äußeren Aspekten (Mimik, Gestik), aus sprachlichen Äußerungen, aber auch Bemerkungen "zwischen den Zeilen" und sogar aus sogenannten non-verbalen Äußerungen besteht, ausgedrückt durch den Satz: "Was sagt der Patient, indem er es nicht sagt ...". Der wichtigste Weg zur Erfassung negativer Symptome ist also - medizinisch gesprochen - die sorgsame Exploration (Befragung), eine genaue Verhaltensbeobachtung, die Bewertung der biographischen (Lebensgeschichte), beruflichen und sonstigen sozialen Entwicklung des Patienten sowie eine Fremd-Anamnese (die Erhebung der Vorgeschichte durch Partner, weitere Angehörige u. a.). Natürlich gibt es auch sogenannte objektive Instrumente zur Erfassung der meisten seelischen Störungen im allgemeinen und der negativen Symptome im speziellen, in der Regel sogenannte operationalisierte Skalen (Rating-Skalen) und Fragebogen. Sie sind wichtig für eine objektive wissenschaftliche Erhebung und damit auch Vergleichbarkeit unter verschiedenen Untersuchergruppen. Doch Vorrang hat der persönliche Kontakt, weil er auch therapeutisch entscheidend ist. WELCHES SIND DIE WICHTIGSTEN NEGATIV-SYMPTOME? Gerade durch die wissenschaftliche Erarbeitung mittels Fragebogen und Skalen wird es auch möglich, eine Rangordnung der wichtigsten Symptome zu erstellen. Und das sind beispielsweise die sogenannten 6 A (jeweils auf einen Fachbegriff mit A gebracht, um es sich besser merken zu können), nämlich Alogie, Affektverflachung, Apathie, Anhedonie, Asozialität und Aufmerksamkeitsstörungen. Was heißt das? - Alogie: Unter alogisch versteht man im allgemeinen unlogisch. Doch das griechische Wort logos heißt Sprechen, Wort, Rede, und das ist auch hier so gemeint: Ein wichtiges Negativ-Symptom ist die Sprachverarmung, d. h. der Betroffene weiß nichts zu reden. Und eine sogenannte Erhöhung der Antwortlatenz, will heißen: Der Patient antwortet nicht nur sehr kurz (siehe Sprachverarmung), sondern es vergeht auch relativ lange Zeit, bis er auf eine gestellte Frage antwortet bzw. - wichtig - antworten kann. Ein solches Gespräch "verarmt" oder "versiegt" natürlich bald, weil der Betreffende wortkarg, einsilbig, ja fad, leer oder öd wirkt, wenn nicht gar gleichgültig oder arrogant. Doch das alles ist er nicht, im Gegenteil. Er registriert mit wachsender Verzweiflung, dass er nicht einmal zu einem halbwegs "ordentlichen" Gespräch fähig ist und deshalb bald ausgegrenzt, wenn nicht isoliert sein wird. Meist zieht er sich dann lieber gleich von selber zurück, bevor ihn diese schmerzliche Erfahrung trifft, die er ohnehin ahnt bzw. schon oft genug in seinem Leben bitter erfahren musste. Und warum kann er nichts dagegen tun? Weil dies keine Frage der Intelligenz ("Dummheit"), Gleichgültigkeit oder Arroganz, sondern eine Denk- und Ausdrucks- und damit kommunikative Störung ist. Einzelheiten siehe später. - Affektverflachung: Damit ist eine Verarmung der Affekte, also eine Einbuße von Stimmung, Befindlichkeit, Zumutesein usw. gemeint. Ganz besonders eine - wie der Fachausdruck lautet - immer flacher werdende Modulationsfähigkeit der Affekte, also die Variationsmöglichkeit der Gemüts-Reaktionen je nach Stimmung bzw. äußeren Gegebenheiten. Und hier fällt vor allem eine verringerte affektive Reagibilität auf, oder kurz: Der Betroffene kann auf die Ereignisse in seinem Umfeld nicht mehr gefühlsmäßig adäquat reagieren. Er wirkt uninteressiert, unbeteiligt, ungerührt, unterkühlt "wurstig", gleichgültig, gelangweilt, blasiert, ja arrogant, dabei leichtfertig, oberflächlich, seicht, lässig bis gemütsmäßig flach, wenn nicht gar regelrecht "versandet". Natürlich spürt er dies - und kann doch nichts dagegen tun. Ein gesunder Mensch kann gar nicht erfassen, was es heißt, emotional nicht mehr adäquat reagieren zu können, d. h. so, wie "man" es tut und deshalb auch erwartet. Der Betreffende sitzt wie unter einer Glasglocke gefangen, man sieht ihn, aber er reagiert nicht wie andere - und befremdet dadurch seine ahnungslose Umgebung. - Apathie: Damit ist der Mangel an Energie, Schwung, Ausdauer, Dynamik gemeint, in diesem Fall allerdings bis hin zur unkorrigierbaren (!) Antriebsminderung, ja Antriebslosigkeit, also Apathie. Und das meist verbunden mit einer Einengung des Interessenspektrums, ja mit Interessenschwund und damit nach außen Interesselosigkeit, Gleichgültigkeit, Unbeteiligtkeit, ja kränkender "Kaltherzigkeit". Manchmal fehlt auch der Wille (Fachausdruck: Abulie), aber nicht aus Mangel an willentlicher Entschlusskraft, sondern aus krankhafter Willenlosigkeit. - Anhedonie: Das ist ein griechisch-neulateinischer Ausdruck (Hedonismus = philosophische Lehre, deren höchstes Streben Sinneslust und Genuss ist) und bedeutet in seiner Negativ-Form, dass der Betroffene unfähig ist, Freude und Vergnügen zu empfinden (Freudlosigkeit). - Asozialität meint im Zusammenhang mit den Negativ-Symptomen nicht das gleiche wie im allgemeinen Sprachgebrauch, nämlich Asozialität oder Dissozialität als gesellschaftlich unterste Stufe bzw. moralische Abwertung, sondern einfach die Kontaktunfähigkeit, zumindest eine erschwerte Kontaktfähigkeit und den damit verbundenen Mangel an zwischenmenschlichem Interesse und persönlichen Verbindungen. - Aufmerksamkeitsstörung: Damit wird die Unfähigkeit des Betroffenen charakterisiert, in allen Lebensbezügen aufmerksam, konzentriert und aktiv zu sein. WO TRETEN NEGATIVE SYMPTOME AUF? Negative Symptome treten vor allem bei schizophren Erkrankten auf. Sie sind aber - entgegen der allgemeinen Meinung - nicht nur bei schizophrenen Psychosen zu finden. Negative Symptome sind auch möglich bei schizoaffektiven Erkrankungen, Depressionen, Angststörungen, Zwangsstörungen, bei Anorexie und somatoformen Störungen, bei organischen Psychosyndromen, Persönlichkeitsstörungen u. a. Nachfolgend eine kurze Übersicht zu den einzelnen Krankheitsbildern. - Schizophrenien: Hier finden sich Negativ- oder Minus-Symptome am häufigsten und möglicherweise im Zunehmen begriffen. Zur Frage, was sich dagegen tun lässt, siehe die späteren Ausführungen über die psycho- und pharmakotherapeutischen Möglichkeiten sowie das spezielle Kapitel über die Schizophrenien. - Schizoaffektive Störungen sind eine Mischung aus schizophrenen und affektiven Symptomen, d. h. meist depressiv, gelegentlich aber auch manisch hochgestimmt. Negative Symptome sind ebenfalls möglich, allerdings nicht so häufig wie bei den rein schizophren Erkrankten. Weitere Einzelheiten siehe das spezielle Kapitel über schizoaffektive Störungen. Depressionen: Auch hier finden sich praktisch alle negativen Symptome, wie oben erwähnt: Freudlosigkeit, Willenlosigkeit, Antriebslosigkeit, Merk- und Konzentrationsstörungen, ausgeprägte Vergesslichkeit ("Leere im Kopf") und damit Rückzug und Isolationsgefahr. Allerdings gilt es hier zwei Besonderheiten zu beachten: Zum einen sind diese Negativ-Symptome in ein depressives Beschwerdebild eingebettet, was sich mitunter leichter zu ertragen lässt als bei einer Schizophrenie. Zum zweiten vergeht ein depressives Syndrom in der Mehrzahl der Fälle wieder und es bleibt in der Regel nichts zurück, auch keine ausgeprägteren Negativ-Symptome (weitere Einzelheiten siehe das spezielle Kapitel über Depressionen). - Angststörungen: Bei den Angsterkrankungen, seien es die Generalisierte (Allgemeine) Angststörung oder die phobischen Angststörungen (Zwangsbefürchtungen) vor weiten Plätzen, engen Räumen, bestimmten Tieren, anderen Menschen usw. lassen sich mitunter folgende Negativ-Symptome registrieren: Freudlosigkeit, Aufmerksamkeitsstörungen (beides allerdings weniger ausgeprägt und meist vorübergehend) sowie Rückzugs- und Isolationsgefahr. Auch spürt selbst der Laie, dass diese Symptome den Betroffenen weniger von "innen" heraus bedrängen und unterdrücken, eher durch die äußeren Bedingungen der Angst (z. B. vor äußeren "Bedrohungen" wie enge Räume, weite Plätze, Menschenansammlungen, Türme, Spinnen) und ihren psychosozialen Folgen daraus. Weitere Einzelheiten siehe das spezielle Kapitel Angststörungen. - Zwangsstörungen: Das selbe gilt auch für Zwangsstörungen, die derzeit noch mit den Angststörungen zusammen aufgeführt werden (denn wenn der Zwangskranke versucht, gegen seine Zwänge willentlich anzugehen, muss er oft mit Angst bezahlen - und fällt resigniert in seine Zwangsrituale zurück). Die häufigsten Negativ-Symptome bei Zwangsstörungen sind verminderte Aufmerksamkeit und andere kognitive (geistige) Störungen sowie Rückzugsneigung und damit Isolationsgefahr. Sehr oft sind Zwangsstörungen nicht nur mit depressiven Verstimmungen, sondern auch mit Depressionen als eigenständiger Krankheit verbunden, so dass der Betroffene an mehreren Beschwerdebildern zugleich zu leiden hat. Dann können auch die depressions-bedingten Negativ-Symptome Freud-, Willens- und Antriebslosigkeit belasten. - Anorexie: Bei der Magersucht sind die häufigsten Negativ-Symptome die Freudlosigkeit, Aufmerksamkeitsstörungen, Rückzugs- und damit Isolationsgefahr. Kommt noch eine depressive Stimmung hinzu, verstärkt sich dieses Bild nach Intensität und Zahl der Beeinträchtigungen (siehe oben). - Somatoforme Störungen sind ein neuer Krankheitsbegriff für das, was man früher psychosomatische Störungen im weitesten Sinne nannte (unverarbeitete seelische Probleme äußern sich körperlich, aber ohne organisch nachweisbaren krankhaften Befund). Dazu zählen z. B. Somatisierungsstörungen (früher funktionelle oder Befindlichkeitsstörungen, auch vegetative Labilität u. a. genannt), hypochondrische Störungen (Krankheitsfurcht), die früheren psychosomatischen Störungen von Herz, Kreislauf, Atmung, Magen-Darm, Wirbelsäule und Gelenke u. a. Wenn sich bei diesen Krankheitsbildern auch depressive Verstimmungen einstellen, muss man mit dem gesamten Spektrum negativer Depressions-Symptome (siehe oben) rechnen. Weitere Einzelheiten siehe das spezielle Kapitel über funktionelle oder Befindlichkeitsstörungen. - Andere neurotische Störungen: Dazu gehören z. B. Konversionsstörungen, Hypochondrie, Dysmorphophobie u. a. Der früher gängige Begriff der "Neurose" wird in den neuen Klassifikationen aber nicht mehr genutzt und geht in anderen Bezeichnungen, z. B. den somatoformen Störungen auf. Unabhängig davon aber gilt auch hier: Es ist auch mit Negativ-Symptomen zu rechnen, vor allem wenn das Leiden in Richtung zusätzlicher Depression geht. - Persönlichkeitsstörungen: Bei den Persönlichkeitsstörungen (früher Psychopathie genannt) gibt es zahlreiche Untergruppen (schizoide, paranoide, emotional-instabile, anankastische, dependente, Borderline- u. a. Persönlichkeitsstörungen), bei denen eine nähere Schilderung zu weit führen würde (siehe das entsprechende Kapitel über Persönlichkeitsstörungen). Entscheidend ist aber auch hier: Negativ-Symptome sind möglich, vor allem in Zusammenhang mit depressiven, somatoformen und Angststörungen, die mit ihrem Beschwerdebild im allgemeinen und den jeweiligen negativen Krankheitszeichen im speziellen zusätzlich belasten. - Organisches Psychosyndrom: Hier handelt es sich um einen Sammelbegriff für seelische und psychosoziale Störungen, die auf organische Hirnveränderungen zurückgehen (z. B. Gehirngefäßsklerose, Vergiftung, Kopfunfall, Hirntumor). Unter diesem Aspekt nimmt es nicht Wunder, wenn auch Störungen der Aufmerksamkeit, des Antriebs, der Affektivität, des Denkens und der Sprache drohen - je nach Ursache und Verlauf. Und wenn noch andere Störungen hinzukommen, insbesondere depressive Zustände, verstärkt sich das Leidensbild entsprechend. Einzelheiten siehe auch das entsprechende Kapitel Gehirnschädigung und seelische Folgen. Sind alle Negativ-Symptome gleich? Im allgemeinen kann man davon ausgehen, dass ein Krankheitszeichen in einer ganz bestimmten Form aufgebaut ist, die gleiche Ursachen, einen zumindest ähnlichen Verlauf und eine entsprechende Heilungsaussicht (Prognose) hat. Bei den Negativ-Symptomen ist dies anders. Sie sind lediglich als eine Art Oberbegriff mit ähnlichem Beschwerdemuster, aber verschiedenen Ursachen, Verläufen und damit Prognosen zusammengefasst. Man kann sich gut vorstellen, dass verminderte Aufmerksamkeit, Gemütsverflachung, Freudlosigkeit u. a. unterschiedlich angelegt sind, je nach dem ob es sich um eine Schizophrenie, eine Depression, eine neurotische (also z. B. Angst- oder Zwangs-)Störung, eine hirnorganische Veränderung usw. handelt. Bei den einen kommt es mehr von "innen", bei den anderen liegt der Schwerpunkt auf der Reaktion gegenüber äußeren Belastungen. In beiden Fällen sind es die gleichen Symptome, zumindest auf den ersten Blick. In Wirklichkeit aber nur ganz allgemein, bei näherer Untersuchung gibt es große Unterschiede. Doch dies ist für die erste, allgemeine Erfassung dieser Symptome zweitrangig. Primär geht es um das Erkennen und Verstehen, dann um die Ätiopathogenese (Krankheitsursache und -verlauf) und zuletzt um die gezielte Therapie, die je nach zugrundeliegendem Leiden unterschiedlich ausfallen kann, z. B. hier Antidepressiva, dort Neuroleptika, da wiederum ausschließlich psychotherapeutische Maßnahmen u. a. Kurz: Negative Symptome sind ein Sammelbegriff für Krankheitszeichen, die auf den ersten Blick gleich erscheinen, aber unterschiedliche Ursachen und damit Therapiestrategien haben. Schizophrenie: primäre oder sekundäre negative Symptome Da bei den schizophrenen Psychosen die Negativ-Symptome oftmals am ausgeprägtesten, nachhaltigsten (Dauer), psychosozial schädlichsten (Partnerschaft, Familie, Freunde, Nachbarschaft, Beruf) und damit folgenreichsten belasten, soll noch einmal auf das zurückgegriffen werden, was bisher nur zwischen den Zeilen anklang: Es handelt sich um die Unterscheidung zwischen primären und sekundären negativen Symptomen. Was ist damit gemeint? - Primäre negative Symptome bei Schizophrenie, also Gemütsverflachung, Apathie, Freudlosigkeit, Sprachverarmung, Rückzug und Isolationsgefahr u. a. liegen dann vor, wenn diese Krankheitszeichen einzig und allein aus dem Leiden selber hervorgehen. Alleinige Ursache ist also die Krankheit Schizophrenie und nicht die Reaktion auf andere seelische, körperliche oder gesellschaftliche Beeinträchtigungen, auf Medikamente u. a. - Bei den sekundären negativen Symptomen einer Schizophrenie sind es nicht die Krankheit, sondern äußere Aspekte, die das ganze zusätzlich komplizieren. Beispiele: Wer aufgrund innerer Defizite keinen Schwung mehr hat, sich nicht mehr ausdrücken kann, seine Umgebung damit irritiert oder gar befremdet, zieht sich lieber zurück, isoliert sich. Jetzt sind schon mehrere Negativ-Symptome beisammen, innere wie äußere. Oder der Betreffende sieht sich kräftemäßig, sei es seelisch und/oder körperlich auf so dünnem Eis, dass er seine Reserven mit großer Vorsicht und damit Zurückhaltung einzusetzen beginnt, um den Alltag überhaupt durchzustehen. Die Folge sind wiederum Rückzug und damit Isolation, auf den ersten Blick vielleicht auch Gemütsverflachung und Apathie, in Wirklichkeit aber eine Art Ökonomisierung der verbliebenen Kräfte. Oder die Nebenwirkungen der Pharmakotherapie, in diesem Fall mit Neuroleptika: Da kann es bei der älteren Generation dieser Arzneimittel zu sogenannten extrapyramidal-motorischen Nebenwirkungen kommen, d. h. zu Bewegungseinschränkungen, Zuckungen usw. Aber auch zu anderen unerwünschten Begleiterscheinungen wie Antriebsminderung, depressive Zustände, Unruhe, Beeinträchtigung von Libido und Potenz. Wer hier mit so etwas zusätzlich (d. h. durch die Pharmakotherapie der älteren Arzneimittelgeneration) zu kämpfen hat, versucht sich möglichst zurückzunehmen, um "draußen" nicht noch weiter aufzufallen. Auch so kann ein Negativ-Symptom zum anderen kommen, zuerst exogen-medikamentös, dann als Nebenwirkungs-Reaktion. Auf den ersten Blick erscheint es nun unerheblich, zwischen primären und sekundären Negativ-Symptomen zu unterscheiden. Das Endergebnis ist ja das selbe - so könnte man meinen. Doch dem ist nicht so. Weder die Ursache noch das Endergebnis sind in Wirklichkeit gleich, sondern müssen in der Therapie unterschiedlich angegangen werden. Primäre negative Symptome durch die Krankheit an sich (z. B. schizophrene Psychose) brauchen vor allem eine gezielte Pharmakotherapie, wobei die neuen atypischen Neuroleptika die erwähnten diskriminierenden Nebenwirkungen weitgehend ausschließen. Sekundäre Negativ-Symptome müssen zum einen dosis-mäßig angepasst werden, wenn es sich um die Negativ-Folgen bestimmter Pharmaka handelt. Zum anderen aber greifen hier vor allem nicht-medikamentöse Behandlungsmaßnahmen, nämlich psychologische, sozialtherapeutische und vor allem psychoedukative Therapiemethoden. Wenn die "äußeren Bedingungen" beeinträchtigen, muss man ihnen durch entsprechende psychosoziale Unterstützungsmaßnahmen begegnen. Es ist also nicht unwichtig, bei den Negativ-Symptomen zwischen "innen-" und "außen-gelenkten" Ursachen zu unterscheiden. Können sich positive und negative Symptome gegenseitig verdecken? Zu Beginn dieses Kapitels wurde unterschieden in positive Symptome (z. B. Wahn, Halluzinationen, psychotische Ich-Erlebnisstörungen) und die verschiedenen Negativ-Symptome. Nun kann es sein, dass entweder die positiven oder negativen Symptome überwiegen, oder beides zusammen gleich intensiv auftritt, also ein Mischbild. - Dominieren die positiven Symptome Wahn, Sinnestäuschungen u. a., spricht man von einer positiven schizophrenen Krankheitsepisode. Negativ-Symptome können vorhanden sein, treten aber eher zurück, werden überdeckt oder durch die eindrucksvollen wahnhaften und sonstigen Reaktionen nicht voll registriert. - Dominieren die negativen Symptome, spricht man von einer negativen schizophrenen Krankheitsepisode. Hier können selbst so spektakuläre Symptome wie Wahn und Halluzinationen "untergehen", nämlich dann, wenn der Patient sie mit sich selber abmacht, d. h. durch nichts darauf hinweist oder z. B. durch Sprachverarmung, Rückzug und Isolation keine Gelegenheit gibt, darauf aufmerksam zu werden. - Von einer gemischten schizophrenen Krankheitsepisode spricht man dann, wenn sowohl positive als auch negative Symptome das Krankheitsbild (halbwegs gleichrangig) kennzeichnen. Wichtig bei dieser Unterscheidung ist nun wieder die alte Erkenntnis, dass nicht jeder Krankheits-Schwerpunkt die gleiche Behandlung braucht. Das bezieht sich nicht nur auf die Frage "Medikamente - nicht-medikamentöse Behandlungsverfahren", es bezieht sich sogar auf verschiedene Schwerpunkte in der Psycho- und Soziotherapie einerseits und die unterschiedlichen medikamentösen Möglichkeiten andererseits. Je besser also differenziert wird, desto effektiver kann die dafür gezielt ausgewählte Therapie greifen. Gibt es eine positive oder negative Schizophrenie als Gesamt-Krankheit? Wenn es positive oder negative Krankheitsepisoden gibt, zumindest schwerpunktmäßig, kann man dann auch von einer positiven oder negativen Schizophrenie als Gesamt-Krankheit sprechen? Schließlich wurde auch früher von paranoid-halluzinatorischen, von katatonen und hebephrenen Schizophrenie-Formen gesprochen, d. h. bei den einen überwiegen mehr Symptome der positiven Krankheitsepisode, bei den anderen die der negativen. Und später diskutierte man ja auch den Begriff der "positiven Schizophrenie" oder "Typ-I-Schizophrenie" sowie der "negativen Schizophrenie" oder "Typ-II-Schizophrenie". Gibt es das wirklich bzw. was ist in Klinik und Wissenschaft davon geblieben? Es ist vor allem die Langzeit-Verlaufsforschung in der Schizophrenie, die zu folgenden Erkenntnissen beigetragen hat: Reine positive und reine negative Krankheitsverläufe gibt es zwar, sie sind aber selten und damit praktisch vernachlässigbar. Die Trennung in zwei unterschiedliche Krankheitsformen (und nicht nur vorübergehende Krankheitsepisoden), in positive oder negative Schizophrenie ist also nicht (mehr) haltbar. Bei ein und demselben Patienten treten in der Regel alle drei Krankheitsverläufe auf: positiv, negativ und gemischt. Und irgendwann dazwischen kommt es zu einem Wechsel der Krankheitsepisoden (Fachausdruck: Syndromwechsel oder shift). Ein solcher Syndromwechsel ist abhängig von der Anzahl der durchlittenen Krankheitsepisoden und der Dauer des Verlaufs. Je mehr Episoden ein Krankheitsverlauf aufweist, umso wahrscheinlicher gibt es auch einen Episodenwechsel. In der Regel kommt es dazu schon nach der zweiten Krankheitsepisode. Spätestens nach der vierten kennen die meisten Betroffenen mehr als einen Krankheits-Typ, also positiv, negativ oder gemischt. Und wenn jemand mehr als zwei Jahrzehnte krank war, dann hat er so gut wie immer sämtliche Erfahrungen machen müssen (90 %). Je länger ein Patient unter einer schizophrenen Erkrankung leidet, desto eher kennt er Wahn, Halluzinationen, psychotische Ich-Erlebnisstörungen u. a. aus der positiven Symptomatik sowie Affektverflachung, Apathie, Freudlosigkeit, Sprachverarmung, Rückzugsneigung und Isolationsgefahr von der negativen Seite. Es ist ihm gleichsam nichts erspart geblieben. HYPOTHESEN ZU URSACHE UND VERLAUF Über Ursachen und Verlauf wurde schon mehrfach spekuliert. Für die sekundären negativen schizophrenen Symptome bieten sich vor allem psychologisch-soziologische Erklärungen an, also meist eine Reaktion auf das Krankheitsbild mit resigniertem Rückzug u. a. Anders bei den primären negativen Symptomen. Dort drängen sich vor allem biologische Erklärungsmodelle auf, insbesondere bei der Schizophrenie. Beispiele: strukturelle und deshalb auch objektiv fassbare Veränderungen in bestimmten Hirnregionen (durch moderne Untersuchungsverfahren wie Computertomographie, Kernspintomographie u. a. unterstützt), vor allem sogenannte Dysfunktionen (Funktionsstörungen) bestimmter Neurotransmitter (Botenstoffe), wiederum meist in bestimmten Regionen des Gehirns zentriert (dopaminerges, serotonerges, cholinerges, noradrenerges, glutamaterges System u. a.). Selbst der Umstand, dass die biologischen Befunde sehr uneinheitlich sind, spricht nicht dagegen. Zu viel spielt hier mit herein und zu unterschiedlich sind auch die einzelnen negativen Symptome. Es ist einleuchtend, dass die Freudlosigkeit biologisch anders begründet sein dürfte als Konzentrationsstörungen, Sprachverarmung, Gemütsverflachung usw. So erklären sich auch manche inkonstante und vor allem unterschiedliche biologische Untersuchungsbefunde. Vor allem beeinflussen, überlagern, verstärken und schwächen sich die einzelnen Krankheitszeichen bzw. ihre biologischen Ursachen derart, dass bei einem solchen mehrschichtigen Ergebnis wohl am ehesten auch ein Mischbild zu erwarten ist. Und schließlich kommt es darauf an, in welchem Stadium der Erkrankung negative Symptome auftreten: Im Vorfeld, in der Akutphase, im weiteren, aber doch noch floriden Verlauf (mit noch immer intensiven Symptomen) und im sogenannten Residual-Zustand (also jener Zeit, in der eine Rest-Symptomatik verbleibt). Deshalb ist man sich eigentlich sicher, dass z. B. ein chronisches Krankheitsbild auf andere biologische (morphologische = Gehirnsubstanz) und funktionelle (physiologische Abläufe) Veränderungen im Gehirn zurückgehen muss als im Vorfeld und im akuten Stadium. Der biologische Hintergrund der Negativ-Symptome ist also noch nicht definitiv aufgeklärt. Über Hypothesen ist man letztlich noch nicht hinaus. Wahrscheinlich haben auch die primären negativen Symptome eine multifaktorielle Genese (mehrschichtige Ursache). Die sekundären durch äußere Belastungen ohnehin. THERAPIE DER NEGATIVEN SYMPTOME EINER SCHIZOPHRENIE Positive Symptome einer Schizophrenie wie Wahn, Halluzinationen, Ich-Störungen u. a. gehen häufiger, schneller und auch spontaner zurück als negative Symptome - selbst ohne Behandlung. Aber auch die negativen Symptome einer Schizophrenie sind nicht irreversibel (umkehrbar, also letztlich ohne Genesungs-Chance). Sie benötigen aber eine geeignete Behandlungs-Kombination aus Pharmakotherapie (meist antipsychotisch wirkende Neuroleptika) und psychologisch orientierten Unterstützungs- und Korrekturmaßnahmen (sogenannte Soziotherapie). Allerdings sind negative Symptome - wie erwähnt - oftmals beharrlicher als die positiven. Sie brauchen länger, bis sie auf die medikamentös-psychologische Kombinationsbehandlung ansprechen. Und wenn, dann auch nicht so effektiv, wie das bei den z. T. spektakulären Therapieerfolgen positiver Symptome gelegentlich gesehen wird. Auch darf man nicht vergessen, dass die negativen Symptome sich ja viel hartnäckiger in ein Gemisch von biologischen Ursachen und psychologischen Reaktionen seitens Umfeld und Patienten verfangen. Das kompliziert die Situation - mit allen Konsequenzen. So sind die negativen Folgen einer Schizophrenie therapieresistenter als die positiven, d. h. sie können hartnäckiger bestehen bleiben, trotz aller therapeutischer Bemühungen. Warum sind negative Symptome so schwer behandelbar? Die Frage, warum negative Symptome bei der Schizophrenie so schwer zu behandeln sind, hat viele wissenschaftliche Diskussionen ausgelöst und eine ganze Reihe von Hypothesen geschaffen, von denen einige hier kurz angeführt werden sollen: - Die negativen Krankheitszeichen einer Schizophrenie scheinen viel ausgeprägter mit morphologischen Veränderungen der Gehirn-Substanz und damit auch seiner Funktion einherzugehen wie positive Symptome im Sinne von Wahn und Sinnestäuschungen. Und sie scheinen auf einer ausgeprägteren erblichen Belastung zu beruhen (Fachausdruck: genetische Determinierung). Das ist schon mal eine problematischere Grundlage, was psychosoziale Auswirkungen und Therapierbarkeit anbelangt. - Dazu kommen andere, mehr äußerliche Belastungs-Aspekte: Negative Symptome treten zwar relativ früh auf, werden aber lange nicht als krank erkannt und bleiben deshalb noch länger als alle anderen Warn- oder Vorposten-Symptome unbehandelt. Doch je länger sich so etwas "einschleift", desto eher droht eine Art "Verfestigung", und zwar von beiden Seiten: biologisch, was das Gehirn und seine Funktionen anbelangt sowie psychosozial, was das gesellschaftliche Umfeld betrifft. Das liegt aber nicht nur an den Patienten und ihrer Angst vor Diagnose oder Therapie, es liegt auch an der Art der negativen Symptome. Die "glimmen" nämlich in der Tat lange vor sich hin, wie ein unerkannter Schwelbrand, bis sie schließlich eine sogenannte "klinische Relevanz" erreichen. D. h. es wird jetzt so offenbar und häufig auch unerträglich, dass etwas geschehen muss, und zwar nicht nur innerhalb Familie, Freundeskreis oder Arbeitsplatz, sondern von Seiten des Arztes, am besten des Psychiaters. Doch bis dahin sind oft Jahre vergangen - unbehandelt und damit bezüglich der Heilungsaussichten immer ungünstiger. - Und schließlich ist das vielschichtige Beschwerdebild der Negativ-Symptomatik wahrscheinlich durch die Vielschichtigkeit der Ursachen bedingt. Und hier weiß man: Je mehr Ursachen beteiligt sind, desto schwieriger lassen sie sich ändern. Und wenn, dann eben auch nur mehrschichtig, d. h. psycho-, sozio- und pharmakotherapeutisch. Doch bis ein solcher Gesamt-Behandlungsplan konzipiert ist und letztendlich greift, vergeht wieder viel Zeit - falls so etwas überhaupt zustande kommt. Bis hierher sind es Entstehungs-Hypothesen für die schwierige Behandelbarkeit negativer Symptome, die mehr auf die Krankheit an sich abheben (Stichwort: autochthone bzw. primäre Therapieresistenz). Das gleiche gilt auch für eher psychosoziale Gründe (Stichwort: artefizielle oder sekundäre Therapieresistenz). Was versteht man darunter? - Negative Symptome können auch sekundäre Phänomene sein, d. h. die schon öfter erwähnte Reaktion auf eine bestimmte Form der Behinderung. Das eine kommt von "innen", das andere ist die Konsequenz. Beispiel: Geistige Leistungseinbußen aufgrund einer Funktionsstörung des Gehirns (primäre Ursache) führen sekundär und nachvollziehbar zu Rückzug und Isolationsneigung (sekundäre oder artefizielle = künstliche, d. h. von außen wesentlich mitbestimmte Therapieresistenz). Oder der Patient geht in Abwehr, weil er seine Kräfte schonen will, zumal ihn alles viel stärker zu verschleißen droht als den gesunden Mitbürger (Stichwort: psychomotorische Ökonomie). Nach außen wirkt er dann lahm und apathisch, in Wirklichkeit hält er sich nur halbwegs "über Wasser", weil er seine psycho-physischen Reserven streckt. - Und schließlich werden gerade negative Symptome auch von der Wissenschaft ganz verschieden definiert, klassifiziert und damit beforscht. Das führt zu unterschiedlichen Ergebnissen, die wiederum verunsichern und Diagnose und Therapie erschweren. Vor allem ist es mitunter schwierig, zwischen normalen, grenzwertigen und eindeutig krankhaften Reaktionen zu unterscheiden, wobei in jedem Einzelfall noch Charakterstruktur, Erziehung, letztlich alle mitentscheidenden Umweltbedingungen einbezogen werden müssen, bevor man sich für "krank" und damit behandlungsbedürftig entscheidet. Auf was muss man bei einer Pharmakotherapie der negativen Symptome achten? Als erstes gilt es das richtige Psychopharmakon zu wählen. Wenn man weiß, dass negative Symptome bei verschiedenen Krankheitsbildern vorkommen können, liegt die entsprechende Schlussfolgerung nahe. Einzelheiten siehe unten. Dann muss man die individuelle Dosis herauszufinden suchen. Vor allem darf man nicht durch eine Überdosierung weitere Negativ-Symptome provozieren (z. B. extrapyramidal-motorische Nebenwirkungen, die den Betreffenden "einmauern" und damit sekundär zu Rückzug und Isolation zwingen können). Sehr wichtig ist auch die Behandlungsdauer. Sie erfordert bei den meisten Negativ-Symptomen ohnehin eine längere Zeit als sonst. Bei schizophren Erkrankten braucht es besonders viel Ausdauer und Geduld. Negativ-Symptome müssen deutlich länger behandelt werden als beispielsweise positive Symptome wie Wahn, Halluzinationen u. a. Wichtig sind auch die sogenannten Zusatz-Therapien, meist im Rahmen einer Soziotherapie (Einzelheiten siehe später). WELCHES SIND DIE GEEIGNETEN ARZNEIMITTEL? Bei der Behandlung primär negativer Symptome der Schizophrenie kommen bestimmte Arzneimittel im allgemeinen und Psychopharmaka im speziellen in Betracht. Nachfolgend eine etwas ausführlichere Darstellung, beginnend mit den in dieser Hinsicht wahrscheinlich am häufigsten verordneten Psychopharmaka, den Neuroleptika. Die Behandlung von negativen Symptomen mit Neuroleptika Bei den antipsychotisch wirkenden Neuroleptika können einerseits so gut wie alle Substanzen genutzt werden. Am günstigsten scheinen sich aber die neuen, die sogenannten "atypischen Neuroleptika" zu bewähren (z. B. Clozapin, Risperidon, Zotepin, Sulpirid sowie die neue Generation Olanzapin, Sertindol, Amisulprid, Quetiapin, Ziprasidon - Einzelheiten siehe das ausführliche Kapitel über Neuroleptika). Die neuen atypischen Neuroleptika werden aber gerade im deutschsprachigen Bereich - im Gegensatz zu den angelsächsischen Ländern, insbesondere den USA - noch sehr zurückhaltend verordnet. Das hängt weniger mit ihrer Wirkung und ihren Nebenwirkungen zusammen. Hier sind sie in doppelter Hinsicht oftmals günstiger als die älteren, "klassischen" oder "typischen" Neuroleptika (effektiver und nebenwirkungsärmer). Dies hängt mit ihrem hohen Preis zusammen, der besonders den niedergelassenen Psychiater/Nervenarzt (von Allgemeinarzt, Internist u. a. ganz zu schweigen) in erhebliche Schwierigkeiten bringen kann (enge Finanzierungsgrenzen). Dies wird sich jedoch im Laufe der Zeit ändern, da es sich auch bei den zuständigen Stellen herumspricht, dass man mit einem medikamentös gut eingestellten Patienten eher ambulant durchkommt und damit eine teure Krankenhausbehandlung umgehen kann (denn dort kann ein Tag so viel kosten wie ärztlich für mehrere Wochen zu Hause betreut). Bei der Wahl des "richtigen" Neuroleptikums gilt es aber auch bei der neuen Generation zu beachten: Entscheidend ist die individuelle Reaktion des Patienten. Man kann also auch mit einem älteren Neuroleptikum den gleichen oder mehr Erfolg haben, wenn der Patient gerade darauf gut anspricht (oder schon früher entsprechend positiv reagiert hat). Die atypischen Neuroleptika machen es zwar leichter und werden in der Regel bei erstmaliger Erkrankung öfter genutzt, doch auch die klassischen Neuroleptika sind deshalb nicht zu vernachlässigen. Die Entscheidung trifft der Arzt je nach Patient bzw. seiner medikamentösen Strategie, d. h. letztlich dem individuellen Therapieerfolg. Welche Faktoren entscheiden über Erfolg oder Misserfolg? Wie schon mehrfach erwähnt, ist die Behandlung von negativen Symptomen bei schizophrenen Erkrankungen ein besonders schwieriges Kapitel. Wenn der Therapieerfolg also auf sich warten lässt und Patient und Angehörige langsam zu resignieren drohen, dann sollte man sich (am besten natürlich schon zu Beginn der Behandlung) folgende Fragen stellen: - Wie lange besteht das Beschwerdebild schon? Je länger, insbesondere unbehandelt, desto größer die Gefahr der "chronischen Verfestigung negativer Symptome. Es ist nachvollziehbar, dass lang dauernde Beeinträchtigungen mit ihren Konsequenzen im Alltag schwerer zu behandeln sind als eine rechtzeitige Therapie, die vor allem die psychosozialen Folgen vermeiden hilft (Familie, Partnerschaft, Freundeskreis, Nachbarschaft, Beruf usw.). - In diesem Zusammenhang steht auch die Erkenntnis, dass negative Symptome, die zusammen mit akuten Beschwerdebildern (Wahn, Sinnestäuschungen) auftreten, günstiger zu beeinflussen sind als diejenigen, die für sich alleine und möglicherweise schon längere Zeit beeinträchtigen (sogenannte Residual- oder Restzustände). - Auch scheinen einige negative Symptome weniger gut behandelbar (Fachbegriff: therapieresistenter) zu sein als andere. Dazu gehört vor allem die sogenannte Affektverflachung, d. h. eine "gemütsmäßige Versandung", wie man das früher nannte. - Nicht zu vergessen: die Intensität des Beschwerdebildes. Je stärker die negative Symptomatik, desto schwieriger ist sie zu behandeln. Oder kurz: Dezente Symptome sind schneller zu überwinden als ausgeprägtere. - Eine große Rolle spielen auch die Therapietreue im allgemeinen und Einnahmezuverlässigkeit im speziellen (Fachbegriff: Compliance). Wer seine Medikamente nicht regelmäßig einnimmt, erreicht auch keinen stabilen Plasmaspiegel, d. h. das Medikament ist solchen Schwankungen ausgesetzt (weil die Tablette einmal genommen und einmal weggelassen wird), dass es am Zielort (dem Gehirn) nicht so gut oder überhaupt nicht mehr greifen kann. Da diese (im Grunde selbstverschuldete) Wirkungslosigkeit den Patienten und seine Angehörigen frustriert, ist ein unseliger Teufelskreis programmiert: unzuverlässige Tabletten-Einnahme > unzureichende Wirkung > Enttäuschung > noch geringere Einnahmezuverlässigkeit. Dabei brauchen vor allem die negativen Symptome mit ihrer langen Beeinträchtigung und psychosozial besonders negativen Auswirkung am allermeisten zuverlässige Patienten (und Angehörige, die notfalls mit aller Konsequenz dahinterstehen). - Außerdem muss immer wieder darauf hingewiesen werden, dass der Behandlungserfolg gerade bei negativen Symptomen von der Dauer der Therapie abhängig ist. Viele negative Symptome lassen sich erst nach mehrmonatiger Behandlung beeinflussen. Und auch dann sind die Erfolge leider nicht immer so beeindruckend wie bei Wahn und Halluzinationen. Und dennoch gibt es keine andere Wahl, man muss auch mit einer geringeren Zustandsbesserung zufrieden sein. Vor allem ist eine Entscheidung oft erst nach vielen Monaten möglich. Das muss man dann aber auch durchstehen. Wer unregelmäßig einnimmt (siehe oben) oder gar vor der Zeit aufhört, hat nicht nur keinen Therapieerfolg, sondern auch noch mit Frustration, Enttäuschung und Resignation zu kämpfen. Und das sind gerade bei schizophren Erkrankten besonders ungünstige Zusatzbelastungen. - Neben der Pharmakotherapie mit Neuroleptika sind aber auch die beiden anderen Behandlungssäulen, nämlich Psychotherapie und soziotherapeutische Korrekturen und Hilfestellungen unerlässlich. Ein solcher Gesamt-Behandlungsplan garantiert die besten Langzeit-Erfolge. Dabei gilt es vor allem Überforderungs- oder Überstimulations-Situationen zu vermeiden. Dies betrifft sowohl die Therapeuten als auch die Angehörigen, Freunde, Nachbarn, Berufskollegen, Vorgesetzten usw. Ein schizophren Erkrankter steht in vielerlei Hinsicht auf "dünnem Eis", nicht nur was Lebensqualität, sondern auch was Leistung anbelangt. Und hier sind es vor allem die kognitiven, also geistigen Voraussetzungen, die störanfälliger und damit labiler ausfallen als bei Gesunden. Auch in emotionaler (gemütsmäßiger) Hinsicht muss man genau wissen, wie weit man gehen kann, um nicht die Gefahr einer seelischen, psychosozialen, ja sogar körperlichen Dekompensation zu provozieren. Einzelheiten siehe später. Das gleiche gilt für Unterforderungs- oder Unterstimulations-Situationen. Wie in vielen anderen Fällen gilt auch hier: Fördern durch Fordern - wenngleich behutsam. - Schließlich gibt es gerade bei schizophren Erkrankten noch zahlreiche weitere Beeinträchtigungs-, aber auch Aktivierungsmöglichkeiten, die man nicht aus dem Alltagsleben der Gesunden entlehnen kann. Viele (wenngleich nicht alle) psychisch Hilfsbedürftige leben nun einmal während ihres Leidens in einer anderen Welt, was zwischenmenschliche, geistige, körperliche und vor allem Leistungsaspekte anbelangt. Hier kann man selbst bei gutem Willen viel mehr falsch machen, als sich die meisten vorzustellen vermögen. Deshalb gilt es einen engen Kontakt zu halten zwischen dem Therapeuten und dem näherem Umfeld des Patienten. Die Behandlung von negativen Symptomen mit Antidepressiva Mitunter wirkt eine Negativ-Symptomatik bei schizophren Erkrankten wie eine Depression. Manchmal ist es auch eine Depression, haben doch viele dieser Patienten nicht nur eine biologische Disposition (Neigung) zu depressiven Zuständen, sondern auch allen Grund, auf ihr Leiden und seine Folgen resigniert, hoffnungslos und depressiv zu reagieren. Deshalb stellt sich die Frage: Antidepressiva statt Neuroleptika oder zumindest zusätzlich eine antidepressive Medikation? Eine alleinige Therapie mit einem Antidepressivum (sogenannte Monotherapie) sollte aber bei schizophren Erkrankten vermieden werden, selbst wenn die Negativ-Symptomatik ein überwiegend depressiv getöntes Zustandsbild nahe legt. Zum einen ist die Wirksamkeit von Antidepressiva allein bei schizophrenen Psychosen nicht nachgewiesen, im Gegenteil. Es kann sogar - zumindest bei bestimmten antidepressiven Substanzen - zu einer Verstärkung der sogenannten produktiv-psychotischen Symptomatik kommen, also Wahn, Halluzinationen u. a. Wenn allerdings die Neuroleptika, die bekanntlich auch depressiogen (also depressionsfördernd bzw. -auslösend) wirken können, ein solches Stimmungstief nachweisbar mit verursacht haben, dann kann eine zusätzliche stimmungsaufhellende Behandlung mit Antidepressiva sinnvoll sein. Vor allem wird man versuchen herauszufinden, ob eine Dosisreduktion der Neuroleptika diese sogenannte "pharmakogene Depression" (medikamentenbedingte Schwermut) nicht von selber regelt. Auf jeden Fall sinnvoll ist die Kombination aus Neuroleptikum und Antidepressivum bei den schizoaffektiven Psychosen, d. h. wenn es sich um eine gleichzeitige Belastung durch depressive und schizophrene Krankheitszeichen handelt (siehe das entsprechende Kapitel über schizoaffektive Störungen). Wenn man ein Antidepressivum zum Neuroleptikum hinzugibt, dann sollte man die gleiche Dosis wie bei reiner Depressions-Behandlung versuchen, sofern dies die Nebenwirkungen zulassen. Und die können sich natürlich verstärken, denn jetzt kommen nicht nur eine doppelte Wirkung (antipsychotisch und antidepressiv), sondern auch unter Umständen doppelte Nebenwirkungen zusammen, die sich manchmal sogar noch potenzieren (also um ein vielfaches verstärken) können. Deshalb pflegt es sinnvoll zu sein, in der Auswahl der Neuroleptika und Antidepressiva auf die eher neuen Arzneimittelprodukte zurückzugreifen, die zwar nicht unbedingt mehr Wirkeffekt erreichen, in der Regel aber weniger Nebenwirkungsbelastung aufweisen. Therapie der negativen Symptome mit anderen Arzneimitteln Neben den bei Negativ-Symptomen entscheidenden Neuroleptika und ggf. zusätzlich unterstützenden Antidepressiva werden gelegentlich auch andere Arzneimittel empfohlen. Einzelheiten würden hier zu weit führen, zumal die Untersuchungen dazu noch nicht abgeschlossen sind. - Möglich sind aber vor allem Benzodiazepin-Tranquilizer, wenn es sich um sehr unruhig-gespannte und ängstlich-verunsicherte Patienten handelt, zumal die mild-beruhigende und angstlösende Wirkung der Beruhigungsmittel auch heute noch von keiner anderen Substanzgruppe übertroffen wird - wenngleich mit den bekannten Risiken (z. B. Abhängigkeitsgefahr und "chemische Gleichgültigkeit" bei mittel- bis langfristigem Einsatz). - Diskutiert werden auch die sogenannten Phasen-Prophylaktika, die sich beim Rückfallschutz manischer und depressiver Phasen bewährt haben, nämlich Lithiumsalze, Carbamazepin und Valproinsäure. Doch auch sie bedürfen noch abschließender Untersuchungen und müssen ohnehin in der Hand des psychiatrischen Facharztes bleiben. NICHT-MEDIKAMENTÖSE BEHANDLUNGSMETHODEN Angesichts der allgemeinen Zurückhaltung gegenüber Medikamenten im allgemeinen und Psychopharmaka im speziellen (Schlagworte: "chemische Zwangsjacke", "Pillenkeule") ist es verständlich, dass man selbst bei der Negativ-Symptomatik von schizophren Erkrankten gerne nicht-medikamentöse (nicht-biologische) Behandlungs-Methoden ins Gespräch bringt. Manchmal heißt es sogar: Eine gute psychologische (psychotherapeutische) oder zumindest mitmenschliche Betreuung könnte das gleiche bewirken - wenn sie nur zustande käme. Aber zum einen ist letzteres selten genug (und scheitert nicht nur an der begrenzten Zahl von Experten, die in der Schizophrenie-Psychotherapie auch kompetent sind, von der geschulten Unterstützung durch Nicht-Fachleute ganz zu schweigen), zum anderen darf man nicht vergessen: Bei der Schizophrenie handelt es sich um eine biologische Erkrankung, und diese verlangt als Basis-Therapie eine biologische Behandlung. Es führt also meist kein Weg an entsprechenden Medikamenten, in diesem Fall bestimmten Neuroleptika vorbei. Andererseits ist es unbestritten, dass vier Säulen besser tragen als drei, zwei oder gar nur eine. Und so ist es auch in der Therapie. Je umfassender ein sogenannter Gesamt-Behandlungsplan, desto erfolgreicher die Therapie. Denn hier greift eines ins andere und stabilisiert damit das therapeutische Angebot, was vor allem bei sogenannten Langzeit-Erkrankungen wie einer schizophrenen Psychose unerlässlich ist. Oder kurz: Nicht-medikamentöse Therapieverfahren sind auch bei schizophrenen Erkrankungen unerlässlich. Sie sind allerdings ohne medikamentöse Unterstützung im allgemeinen und bei einer Negativ-Symptomatik im speziellen meist nicht ausreichend wirksam, um den Betroffenen vor allem aus seiner drohenden psychosozialen Sackgasse herauszuführen. Eine Kombination im Rahmen eines Gesamt-Behandlungsplanes ist der erfolgreichste Weg. Die wichtigsten nicht-medikamentösen Zusatztherapien bei der negativen Symptomatik einer Schizophrenie sind (unter Benutzung der jeweiligen fachlichen Überbegriffe) folgende Verfahren: Bewältigungsorientierte Therapien; Training von sozialer Kompetenz, Wahrnehmung und Fertigkeiten; Training der verbalen Kommunikation und kognitiven Leistungsfähigkeit; interpersonelles Problemlösen; Maßnahmen im Arbeits-, Wohn- und Freizeitbereich; andere Behandlungsverfahren wie Ergotherapie, Physiotherapie, Musik- und Tanztherapie, sozialtherapeutische Korrekturen und Unterstützungsmaßnahmen u. a. Einzelheiten würden hier zu weit führen, weshalb auf die entsprechende Spezialliteratur verwiesen werden muss. Eines aber gilt für alle Therapieverfahren: Jede dieser therapeutischen Maßnahmen - ob allgemein-psychotherapeutisch, verhaltenstherapeutisch oder, wie der Fachausdruck heißt: interaktionstherapeutisch - muss sich an den Möglichkeiten und Grenzen (!) des jeweiligen Kranken orientieren. Es gilt nicht zu unterfordern, vor allem aber nicht zu überfordern. Letzteres ist ein besonderes Problem, weil man sich gerne am Leistungsspektrum gesunder Mitmenschen orientiert. Aber genau das ist bei seelisch Kranken im allgemeinen und schizophren Erkrankten im speziellen ein Trugschluss, der bei Nichtbeachtung schnell zu Versagen und damit Minderwertigkeitsgefühlen, reizbaren Reaktionen bis hin zur verzweifelten Aggressivität, vor allem aber zu Rückzug und Isolation führt. Was kann man, was muss man beachten? Zwar wirkt eine Negativ- oder Minus-Symptomatik auf Lebensqualität, Leistungsfähigkeit und allgemein zwischenmenschlich so, wie es der Name sagt: negativ. Doch setzt sich dieses ungünstige Gesamt-Bild aus verschiedenen Komponenten zusammen. Und die gilt es auch unterschiedlich zu bearbeiten. - So werden Mangel an Energie, Schwung, Initiative, Dynamik, d. h. Antriebsminderung oder gar Antriebslosigkeit, verbunden mit Interesselosigkeit und Willensschwäche (Fachausdrücke: Apathie, Abulie und Antriebsminderung) am ehesten durch eine geeignete Gestaltung des näheren Lebensumfeldes bekämpft. Das heißt: Die regelmäßigen (!) Aktivitäten sind nicht im luftleeren (oder klinisch-zurückgezogenen) Schonrahmen durchzuführen, sondern in den Alltag einzubinden, so wie es der Gesunde auch muss oder darf. Und es geht um ein ständig ausbalanciertes Gleichgewicht zwischen Unter- und Überstimulation und das fortlaufende Training von sozialen Kompetenzen bzw. Fertigkeiten im Alltag. Dafür gibt es ganz bestimmte Therapieprogramme (z. B. Brenner). - Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen können durch Training der sogenannten kognitiven Fähigkeiten angegangen werden, d. h . mit ergotherapeutischen Maßnahmen, Gruppentherapieprogrammen, speziell entwickelten integrierten Programmen wie etwa das kognitive Training bzw. das integrierte psychologische Therapieprogramm (IPT). Hier gilt es vor allem die schizophrenie-typischen Störungen der Informationsverarbeitung zu verbessern. - Zur Milderung der Beziehungs- und Kontaktstörungen gibt es ebenfalls spezielle Unterprogramme. Dazu gehören beispielsweise Rollenspiele, Gruppentherapie und -aktivitäten sowie Teil-Konzepte der Ergo-, Musik- und Tanztherapie.
Ständig alltagnah trainieren Ein spezifisches Problem ergibt sich aber noch aus zwei weiteren Schwierigkeiten: Zum einen ist es in der Tat mühsam, das in den speziellen Trainingsprogrammen und hier meist im klinischen Schon-Rahmen Erlernte in den Alltag umzusetzen. Denn dort nimmt man keine Rücksicht auf individuelle Schwächen, dort geht es zu wie "im richtigen Leben", d. h. mehr oder weniger direkt bis rücksichtslos. Aus diesem Grunde versuchen alle Therapieprogramme den Schritt von der reinen Behandlung in den Alltag zu erleichtern, indem nicht nur die dortigen Bedingungen nachgestellt, sondern auch die direkte Konfrontation gesucht werden (Behörden, Geschäfte, Verkehrsmittel usw.). Und es muss klar werden, dass ein solches Trainingsprogramm einen leider oft nur zeitlich begrenzten Therapieeffekt entwickelt. Es gilt also das Gelernte immer wieder aufzufrischen bzw. im Einzelfall durch mehr oder weniger lockere, aber wohl mittel- bis langfristige Betreuung zu sichern. Schizophren Erkrankte, vor allem mit negativer Symptomatik, fallen leicht wieder in das alte Negativ-Beschwerdebild zurück - mit allen Konsequenzen bis hin zu Rückzug und Vereinsamung. Das besagt: Trainingsbeginn auf der Krankenstation, allerdings nur dann, wenn es der Patient auch leisten kann und will. Ständige Erklärung des Verfahrens mit allen Möglichkeiten und Grenzen, um den Patienten nicht nur zur Mitarbeit zu animieren, sondern auch langfristig davon zu überzeugen. Meist kleine Gruppen, da somit gezielter auf den einzelnen eingegangen werden kann (4 bis 8 Personen). Fortsetzung im sogenannten teilstationären bzw. ambulanten Bereich (der Patient ist inzwischen zu Hause oder zumindest außerhalb der Klinik untergebracht). Relativ lange Dauer (1 bis 1 ½ Jahre, in der Regel mehr). Ständige Therapie-Auffrischung (natürlich in Abhängigkeit von Krankheitsbild und psychosozialer Situation: Alleinlebende brauchen mehr Betreuung als solche, die in ihren Familien integriert sind). Fortlaufende Lebens- bzw. alltags-nahe Konfrontation mit den eigenen Symptomen, d. h. Schwächen und damit psychosozialen Gefahren. Und das erwähnte Gesamt-Behandlungskonzept nicht vernachlässigen, d. h. nicht nur Psycho- und Soziotherapie, sondern auch lückenlose Pharmakotherapie (Einnahmezuverlässigkeit!). Natürlich hängt die Betreuungs-Intensität auch vom Ausmaß der Erkrankung und ihrer psychosozialen Folgen ab. Bei leichter oder mittelgradiger Beeinträchtigung reichen in der Regel die pharmakotherapeutische Basisbehandlung und bestimmte Aktivierungsmaßnahmen, die der Alltagsorientierung und -bewältigung dienen. Kommt dazu noch der verstärkte Einsatz von nicht nur willigen, sondern auch mittel- bis langfristig belastbaren (!) Angehörigen, sind die Aussichten am günstigsten. So etwas auszuhalten, ist allerdings nicht jedem gegeben, weshalb erfahrene Ärzte einen nicht geringen Teil ihren therapeutischen Einsatzes auch der Betreuung der nahen Angehörigen widmen (siehe später). Bei schwererer Beeinträchtigung, ggf. vielleicht sogar Chronifizierung (Dauerzustand) der negativen Symptome müssen auch mehr psychosoziale und rehabilitative Maßnahmen eingesetzt werden, bis hin zur Gestaltung bzw. Umgestaltung des sozialen Milieus. Engagierten Angehörigen, zumindest aber Freunde und Bekannte erleichtern auch hier den gewünschten Entwicklungsgang. Fehlen diese, was gerade bei chronischen Patienten nicht selten ist, muss der therapeutische Rahmen durch die jeweiligen Spezialisten verstärkt werden. Welches sind die wichtigsten psychosozialen Therapiebereiche? Die wichtigsten psychosozialen Schwerpunkte in der Betreuung von schizophren Erkrankten generell sowie solchen mit Negativ-Symptomatik im speziellen sind Arbeitsplatz, Wohnbereich, Freizeit und Angehörigen-Einbindung. Im einzelnen: - Im Arbeitsbereich geht es vor allem um Aufklärung, d. h. gezielte Information aller Beteiligten (Vorgesetzte, Kollegen, Untergebene), wobei der Nutzen einer solchen allgemeinen Aufklärung in der Regel positiv ist. Die meisten Menschen sind hilfsbereiter sind als man anzunehmen gewillt ist, vor allem aus Angst, selber einmal in Not und ohne Hilfe dazustehen. Doch ist es für die Erkrankten nicht einfach, besonders aus Scham, Resignation und Minderwertigkeitsgefühlen heraus, vor allem aus psycho-strategischen Gründen (gesellschaftliche Position, Aufstieg, Partnersuche) hier die "Karten auf den Tisch zu legen". Letztlich entscheidet also jeder Patient selber, wie weit er hier gehen will, mit und ohne Unterstützung von Angehörigen, Freunden oder Therapeuten. Dies betrifft insbesondere leichtere und wohl auch noch mittelschwere Fälle mit gelegentlichen Rückfällen, die sich zwar letztlich auch nicht verheimlichen lassen, doch versuchen die Betroffenen hier so viel "Normalität" zu bewahren wie irgend möglich. Und deshalb ist die Aufklärung über den wahren Sachverhalt manchmal nur schwer durchzusetzen. Bei chronisch Erkrankten sieht dies schon anders aus. Hier sollte man vermehrt auf die für psychisch kranke Menschen entwickelten Arbeitsplätze, sogenannte geschützte Werkstätten oder alternative Modelle zurückgreifen, um zumindest die stufenweise Wiedereingliederung am Arbeitsplatz wieder voranzutreiben. Dafür gibt es inzwischen eine (wachsende) Reihe von Institutionen, insbesondere die ambulant tätigen Sozialpsychiatrischen Dienste, sowie der Sozialdienst jeder psychiatrischen Klinik. Einzelheiten siehe diese. - Das gleiche gilt für den Wohnbereich. Auch hier ist es in leichteren und mittelschweren Fällen kein Problem, besonders wenn noch kooperationsfähige bzw. -willige Angehörige, ganze Familien und dies vielleicht noch im eigenen Haus zur Verfügung stehen. In fortgeschrittenen, schwereren und chronischen Fällen gibt es dann das betreute Wohnen mit diversen Abstufungen, die bei Bedarf in Anspruch genommen werden können. Auskunft dazu siehe die Sozialdienste. - Auch die Freizeitgestaltung sollte nicht unterschätzt werden. Sie ist nicht nur für Gesunde da, sie hat auch für seelisch Kranke einen großen, vielleicht sogar noch größeren Stellenwert. Auch hier stehen für ernster Erkrankte entsprechende Angebote zur Verfügung, z. B. Treffpunkte, Patientenclubs, Selbsthilfegruppen u. a. Wichtig sind in allen Fällen nicht nur die breit gefächerten, sondern auch auf die jeweiligen individuellen Bedürfnisse fein abgestimmten psychosozialen Angebote. Ist schon für gesunde Menschen nicht alles gleich, so wird dies besonders bedeutsam für seelisch Kranke im allgemeine und schizophrene Menschen im besonderen, vor allem mit einer Negativ-Symptomatik, die den Betreffenden besonders auszugrenzen und abzukapseln droht. - Und weil immer wieder von Angehörigen die Rede ist, muss auch diese - ja besonders schwer belastete - Gruppe von Mitmenschen entsprechend gestützt, vor allem aber aufgeklärt und bisweilen regelrecht trainiert werden. Die "Angehörigenarbeit" spielt also eine große Rolle. Das nähere Umfeld von seelisch Kranken ist nachvollziehbarer Weise härter belastet und oft überfordert als bei körperlichen Leiden (wo es schon schwer genug werden kann) - und bei schizophren Erkrankten doppelt. In der Regel fehlt es vor allem an Informationen über das Leiden und seine Folgen sowie die psychosozialen Konsequenzen im Alltag, ausgelöst durch das mitunter schwer verständliche Verhalten der Kranken. Neben der reinen Aufklärung gibt es auch die nächst höhere Stufe des sogenannten psychoedukativen Konzeptes, bei dem die Angehörigen mit einbezogen und schwerpunktmäßig informiert und konkret angeleitet werden (siehe der Therapieteil in dem ausführlichen Kapitel über die Schizophrenien). Wenn es aber trotz allem zu einer kritischen Zuspitzung des Verhältnisses kommt, bedarf es einer therapeutischen Intervention bis hin zur Familientherapie. Dabei hat sich jedoch herausgestellt, dass sich die Arbeit mit Angehörigen am besten in Gruppen realisieren lässt. Da hilft zum einen die Erkenntnis, dass auch andere von einem solchen Schicksal betroffen sind - und es gemeistert haben. Und die Möglichkeit eines entlastenden Erfahrungsaustauschs unter den Verwandten bis hin zu Verhaltenstipps in konkreten Alltagssituationen. Alle diese Angebote, vom Arbeitsplatz bis zur Familie, sind zusammen mit einer konsequenten Pharmakotherapie die wichtigsten Maßnahmen, um den sonst drohenden Rückfall hinauszuschieben, abzumildern oder ganz zu verhindern. Denn mit einem solchen Rückfall (Fachausdruck: Rezidiv) ist zu rechnen, besonders wenn die Medikamente unregelmäßig eingenommen oder gar weggelassen werden (siehe das ausführliche Kapitel über die Neuroleptika). Da hilft dann in der Regel auch keine noch so intensive nicht-medikamentöse Zusatz-Betreuung. Doch beides zusammen, zuverlässig praktiziert, wird mit einem hohen Rezidiv-Schutz belohnt.
ANHANG: NEGATIVE SYMPTOME BEI SCHIZOAFFEKTIVEN STÖRUNGEN Schizoaffektive Störungen oder Psychosen sind Erkrankungen, bei denen depressive oder manische Zustände zusammen oder kurz hintereinander mit schizophrenen Symptomen auftreten. Einzelheiten siehe das entsprechende Kapitel über schizoaffektive Störungen. Nun können negative Symptome auch bei diesen mehrschichtigen Krankheitsbildern auftreten, vor allem im Rahmen des schizophrenen Anteils, gelegentlich aber auch durch depressive Zustände (siehe oben). Handelt es sich um Negativ- oder Minus-Symptome durch den depressiven Anteil, werden diese nur zeitlich begrenzt sein, nämlich so lange die Depression anhält. Bestehen sie weiter, sieht es eher nach schizophrenem Ursprung aus. Diese Entscheidung bestimmt den Behandlungs-Schwerpunkt, nämlich mehr antidepressiv oder mehr antipsychotisch, d. h. durch Neuroleptika. Ein besonderes Problem der schizoaffektiven Erkrankung sind die zum Teil völlig unterschiedlichen Symptom-Schwerpunkte. Beispiel: schizodepressive Krankheitsepisode (schizophrene und depressive Symptome treten gemeinsam auf), schizomanische Zustände (schizophrene und manische Hochstimmungs-Symptome), rein depressive, rein manische, rein schizophrene oder manisch-depressiv gemischte Phasen, wenn nicht gar schizophren-manisch-depressiv gemischte Krankheitsepisoden. Diese Aufzählung zeigt auch, welcher Belastung gerade diese Patienten mit mehrschichtigem Leidensbild ausgesetzt sind und in welches "Wechselbad der Gefühle" die Angehörigen getaucht werden können (vor allem wenn sie nicht ausreichend informiert und ggf. begleitet und gestützt werden). Negative Symptome können nun bei praktisch allen Kombinationen auftreten. Am seltensten sind sie bei manischen und schizomanischen Zuständen, eine Mittelstellung und dabei zeitlich noch befristet nehmen rein depressive Episoden ein, am häufigsten sind sie bei schizodepressiven oder rein schizophrenen Episoden einer schizoaffektiven Störung. Die Therapie ist auf jeden Fall schwieriger als bei reinen Krankheitsverläufen. Beispiel: Neuroleptika sind unerlässlich für den schizophrenen Anteil und zeitlich befristet sinnvoll für manische Zustände. Bei depressiven Phasen bringen sie wenig, können im Gegenteil noch die Depression verstärken. Antidepressiva bringen wenig bei rein schizophrenen Krankheitsepisoden und können sich bei manischen Zuständen sogar negativ auswirken. So gesehen sind die Patienten (und natürlich auch ihre Therapeuten und Angehörigen) nicht zu beneiden. Der Kompromiss ist eine Kombinationstherapie aus Neuroleptika und Antidepressiva. Er wird auch am ehesten angewandt. Allerdings muss man mit mehr Nebenwirkungen rechnen. Denn bei schizoaffektiven Psychosen soll man sowohl die Neuroleptika als auch die Antidepressiva nicht zu gering, sondern wie bei Einzelbehandlung ausreichend hoch dosieren. Bisweilen wird auch die Kombination aus einem Neuroleptikum und einem Phasenprophylaktikum (z. B. Lithiumsalz, Carbamazepin oder Valproinsäure) diskutiert. Eindeutige Empfehlungen gibt es aber (noch) nicht. Letztlich ist es der Erfahrung und dem Gespür des jeweiligen Therapeuten überlassen. HEILUNGSAUSSICHTEN (PROGNOSE) BEI NEGATIV-SYMPTOMEN DER SCHIZOPHRENIE Die Lektüre dieser Übersicht könnte dazu verleiten, die Heilungsaussichten für schizophrene Erkrankungen mit negativer Symptomatik grundsätzlich als schlecht zu betrachten (ungünstige Prognose). Das stimmt nicht bzw. stimmt nicht mehr. Negative Symptome dürfen nur dann zur Resignation verleiten, wenn "praktisch alles nicht stimmt". Was heißt das? Schwere erbliche Belastung. Ungünstige familiäre Bedingungen. Lange Zeit nicht erkannt und vor allem anerkannt und damit konsequent behandelt. Zunehmende Verschlechterung, was das nähere und weitere Umfeld anbelangt, vor allem durch Therapieverweigerung, Therapieabbruch oder mangelnder Therapietreue (Fachausdruck: Compliance). Teufelskreis durch psychosoziale Konsequenzen im Alltag. Dann sind Negativ-Symptome in der Tat eine noch schwerere Bürde als die schizophrene Erkrankung an sich. Doch heute stimmt auch das nicht mehr. Heute ist die Prognose das Produkt unterschiedlicher Faktoren, die berücksichtigt werden - oder eben nicht. Auf was ist zu achten? - Krankheitsbeginn: Je früher das Leiden den Betroffenen "aus der Bahn drängt", desto nachteiliger sind (vor allem die psychosozialen) Folgen. Oder kurz: früher Beginn schlechter, später Beginn günstiger. - Ausgangslage: Damit hängt vor allem die Frage zusammen, wie gut der Betreffende vor Ausbruch der Krankheit sozial integriert, angepasst, ausgebildet, zwischenmenschlich unauffällig und aktiv sein durfte. Trifft ihn das Leiden erst später, ist dies meist garantiert. Trifft es ihn früher, ist die "normale" Entwicklung vor der Zeit unterbrochen. - Krankheitsentwicklung: Ein akuter Beginn ist - so irritierend er zuerst sein mag - günstiger. Man wird schneller und unzweideutiger mit dem Leiden konfrontiert - und tut dann auch etwas dagegen (Arztbesuch, Diagnose und Therapie). Ein schleichender Beginn, möglicherweise noch über Jahre, und alles ohne eindeutige schizophrene Symptome, die gleich auf die richtige Spur helfen könnten, ist dagegen erfahrungsgemäß nachteiliger. Man wundert sich und hofft und hofft - und verliert wertvolle Zeit. - Geschlecht: Männer scheinen schlechtere Heilungsaussichten zu haben als Frauen, was vor allem mit psychosozialen Bedingungen zu tun hat (Partnerschaft, Familie, Beruf, Krankheitsbeginn, gesellschaftliche Anforderung u. a.). - Medikamentöse Therapierbarkeit: Nicht jeder Mensch spricht gleich gut auf Arzneimittel im allgemeinen, Psychopharmaka im speziellen und hier insbesondere Neuroleptika an. Einzelheiten siehe das ausführliche Kapitel über Neuroleptika. Es ist aber keine Frage: Wer rasch und effektiv reagiert (rein biologisch gesehen), hat größere Genesungschancen als jemand, der sich schon physiologisch schwer tut (von der persönlichen Einnahmezuverlässigkeit der Tabletten ganz zu schweigen). - Nicht-medikamentöse Zusatztherapie: Die Pharmakotherapie, insbesondere die Neuroleptika, sind als Basis-Behandlung meist unerlässlich. Die nicht-medikamentösen Behandlungsverfahren (siehe oben), die ja erst den gemeinsamen Gesamt-Behandlungsplan ergeben, der auch die besten Enderfolge hat, sind aber ebenfalls unerlässlich. Wer also in den Genuss von allen kommt, hat die größten Genesungschancen. - Affektive Störungen: Negativ-Symptome durch Depressionen, manische Zustände oder schizoaffektive Störungen, bei denen also die affektiven Anteile (Gemütsstörungen wie Depression und Manie) eine wichtige Zusatzrolle spielen, scheinen günstigere Heilungsaussichten zu haben als Negativ-Symptome durch rein schizophrene Krankheitsverläufe. - Überforderungs- und Unterforderungssituationen sollten vermieden werden (siehe oben). Sowohl das eine als auch das andere beeinflusst die Prognose nachteilig. - Sofort Negativ-Symptomatik oder später: Eine schizophrene Psychose, die sofort mit einer Negativ-Symptomatik beginnt, scheint ungünstiger zu verlaufen, als wenn zuerst eine Positiv-Symptomatik (Wahn, Halluzinationen u. a.) einsetzt und erst später negative Krankheitszeichen dazukommen. AUSBLICK Negativ- oder Minus-Symptome einer Schizophrenie sind eine schwere Bürde, und zwar sowohl für den Patienten als auch sein näheres und weiteres Umfeld. Erst in letzter Zeit beginnt man sich intensiver damit zu beschäftigen, schafft Verständnis und damit die Möglichkeit zur rechtzeitigen Diagnose und konsequenten Therapie. Und dann sind auch drohende Gemütsverflachung, verminderte Aufmerksamkeit, Interessenschwund, Mangel an Schwung, Energie und Ausdauer sowie willentlicher Entschlusskraft einschließlich Sprachverarmung keine Krankheitszeichen mehr, denen man hilflos ausgeliefert wäre. Die heutigen Therapiemöglichkeiten geben gerade auf diesem Gebiet zu berechtigten Hoffnungen Anlass - sofern man sie nutzt. LITERATUR Sehr schwieriges Thema, das schon in der Psychiatrie selber zu bisweilen kontroversen Diskussionen führt. Andererseits auch sehr wichtig, was Verständnis, Belastung, Heilungsaussichten und psychosoziale Integrationen der Betroffenen anbelangt, von den Angehörigen, Freunden, Nachbarn und Arbeitskollegen ganz zu schweigen. Wachsende Zahl von Fachliteratur (wobei dieses Thema schon vor hundert Jahren in Fachartikeln und -büchern erörtert wurde), relativ wenig in allgemeinverständlicher Form. Grundlage vorliegender Ausführungen ist das Fachbuch: Weitere (auch durchaus ergiebige ältere) Fachbücher zum Thema: Bleuler, E.: Dementia praecox oder die Gruppe der Schizophrenien. Deuticke-Verlag, Leipzig 1911 Bleuler, M.: Die schizophrenen Geistesstörungen im Lichte langjähriger Kranken- und Familiengeschichten. Thieme-Verlag, Stuttgart 1992 Bleuler, M.: Die schizophrenen Geistesstörungen. Thieme-Verlag, Stuttgart 1972 Bleuler, M.: Lehrbuch der Psychiatrie. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 1994 Huber, G.: Psychiatrie. F. K. Schattauer-Verlag, Stuttgart-New York 1999 Kisker, K. P. u. Mitarb. (Hrsg.): Psychiatrie der Gegenwart 4: Schizophrenien. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 1987 Kraepelin, E.: Psychiatrie. Barth-Verlag, Leipzig 1899 Marneros, A. u. Mitarb.: Affektive, schizoaffektive und schizophrene Psychosen. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 1991 Marneros, A.: Schizoaffektive Erkrankungen. Thieme-Verlag, Stuttgart - New York 1995 Möller, H. J., E. Pelzer: Neuere Ansätze zur Diagnostik und Therapie schizophrener Minussymptomatik. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 1990 Möller, H. J., G. Laux: Fortschritte in der Diagnostik und Therapie schizophrener Minussymptomatik. Springer-Verlag, Wien 1994 Müller-Spahn, F.: Diagnostik und Therapie schizophrener Minus-Symptomatik. Schnetztor-Verlag, Konstanz 1991 |
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Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise. |