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KOPF-UNFALL UND SEELISCHE FOLGEN

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Kopf-Unfälle nehmen zu. Und mit ihnen die Gefahr seelischer, geistiger, körperlicher, psychosozialer, ggf. sogar existenz-bedrohender Folgen, je nach Schweregrad. Wie teilt man solche Schädel-Hirn-Traumen ein und mit was ist zu rechnen, vor allem was einen möglichen Dauer-Schaden anbelangt: Gedächtnis-Schwierigkeiten, Einbußen was Ausdauer, logisches Denken, Wahrnehmung, vor allem was Erleben und Verhalten betrifft? Und hier insbesondere Veränderungen der Grundstimmung bis hin zu depressiven Zustandsbildern, zwanghafter Angst, hypochondrischer Selbstbeobachtung, Verminderung oder krankhafte Steigerung des Antriebs u. a. Und natürlich die Veränderungen im zwischenmenschlichen Verhalten, was sich vor allem auf Partnerschaft, Familie, Freundeskreis, Nachbarschaft und Beruf auswirkt.

Nachfolgend deshalb eine kurz gefasste Übersicht über Schädel-Hirnverlet­zungen und mögliche Konsequenzen.

Kopf-Unfälle (Fachbegriffe: Schädel-Hirnverletzungen, Schädel-Hirntraumen - SHT, vom griech.: trauma = Verletzung, Wunde) und ihre seelischen und psychosozialen Folgen nehmen zu. Derzeit zwischen 300 und 400 Schädel-Hirn-Verletzte auf 100000 Einwohner pro Jahr in Deutschland (davon ein nicht geringer Teil intensiv-pflegebedürftig). Die Folgen werden – vor allem in ihrem definitiven und damit vollem Ausmaß – häufig unterschätzt. Schäden des Zentralen Nervensystems stehen in Mitteleuropa an erster Stelle der Invaliditäts-Ursachen.

Historische Aspekte: Charakter-Veränderungen nach Verletzung bestimmter Hirn-Anteile wurden bereits Mitte des 19. Jahrhunderts beschrieben. Die Erfahrungen vieler Kriege, insbesondere der zwei Weltkriege mit ihren zahlreichen Geschoß- und Splitterverletzungen des Gehirns zwangen dann zur intensiveren Erforschung. Diesen Kriegserfahrungen lagen jedoch vorwiegend offene Hirnverletzungen mit umschriebenen Schäden bestimmter Hirn-Regio­nen zugrunde. Heute sieht man meist gedeckte Schädel-Hirn-Verletzungen von Unfallopfern mit überwiegend diffusen Schäden der Gehirnsubstanz.

Einteilung nach Stadien: Eine pragmatische Darstellung traumatischer Hirnschäden legt folgende Einteilung nahe: 1. Akutstadium (Stadium der Bewusstseinsstörung), 2. Remissions-(Erholungs-)Stadium und 3. Stadium des Dauerschadens. Im Einzelnen:

Akutstadium: Stadium der Bewusstseinsstörung: Wichtigstes Syndrom (charakteristische Gruppe entsprechender Krankheitszeichen) in der Frühphase ist die Störung des Bewusstseins.

  • Dauer und Ausprägung der Bewusstseinsminderung sind bei gedeckten Schädel-Hirn-Verletzungen der beste klinische Maßstab für die Schwere der Schädigung. Dagegen können offene Schädel-Hirn-Verletzungen, selbst erheblichen Ausmaßes, ohne oder mit nur geringer Bewusstseinsminderung einhergehen.

Klinisch werden verschiedene Formen von Bewusstseinsminderung unterschieden, die durch eine kontinuierliche Abnahme der Vigilanz (Wachheit) gekennzeichnet sind:

  • - Somnolenz: leichteste Form der Bewusstseinsminderung. Patient schläft immer wieder ein, ist aber durch optische, akustische (Gehör-) oder sensible (Tastsinn) Reize erweckbar. Manchmal grenzt man hier noch die Benom­menheit ab, wenn der Patient zwar wieder spontan, jedoch verlangsamt und mit eingeengter Aufmerksamkeit handelt.

  • - Sopor: weitgehend kontinuierlicher schlafähnlicher Zustand, aus dem der Patient nur durch starke Reize unvollständig erweckbar ist. Er reagiert mit diffusen oder gezielten Abwehrbewegungen oder motorischen (Bewegungs-)Unmuts-Äußerungen. Eine geordnete verbale (Sprach-)Kommunikation ist jedoch nicht mehr möglich.

  • - Bewusstlosigkeit (Koma): unerweckbarer Zustand. Keine gerichteten Bewegungen mehr auf Reize jeglicher Art. Die Augen sind geschlossen und werden weder auf Anruf noch auf Schmerzreize hin geöffnet. Ungerichtete Abwehrbewegungen jedoch möglich. Dieser Zustand lässt sich durch die begleitenden neurologischen Befunde in einzelne Stadien unterteilen, die für die Prognose (Krankheits-Vorhersage, Heilungsaussichten) bedeutsam sind (gemessen an Pupillen- und muskulärer Reaktion, an Augenbewegungen, Atmung, verbalen Äußerungen u. a.).

Zu den möglichen Folgen eines Schädel-Hirn-Traumas in dieser Phase zählen

  • - so genannte traumatische (symptomatische, organische) Psychosen: besonders nach verzögerter Rückbildung der Bewusstseinsminderung. Charakteristika: Veränderungen der Bewusstseins-Inhalte in Form von Verwirrtheit oder bestimmten (als krankhaft „produktiv" bezeichneten) Symptomen: Delirium, Dämmerzustand, wahnhafte Zustandsbilder mit oder ohne Sinnestäuschungen u. a.

  • - So genanntes apallisches Syndrom oder Coma vigile: charakterisiert durch erste Rückbildungszeichen im Sinne einer vegetativen Erholung. Beispiele: Augen wieder geöffnet, jedoch ohne erkennbare Kontaktaufnahme mit der Umgebung. Wieder normaler Schlaf-Wach-Rhythmus; jedoch weiterhin ausgeprägte Gehirn-Störungen (z. B. Temperaturregulation, erhöhte Muskelspannung aller vier Gliedmaßen usw.). Möglich als Zwischenstadium nach schwersten Hirnverletzungen. Kann Jahre dauern. Lebensgefahr durch zusätzliche Erkrankungen (z. B. Infektionen) bei erheblich geschwächtem Organismus.

  • - Locked-in-Syndrom: volles Bewusstsein, jedoch sprech- und bewegungsunfähig. Lid- und Augenbewegungen möglich. Ursache: Verletzungen in bestimmten Hirn-Regionen.

Untersuchung: Ausgeprägte Bewusstseinsminderung wird rasch erkannt, leichtere Grade dagegen häufig nicht. Deshalb auf folgende Untersuchungs-Aspekte achten

  • - Orientierung: zeitlich - kalendarisch (Jahr, Monat, Woche, Tag, Uhrzeit), situativ, örtlich, Person u.a. Als besonders anfällig erweist sich die zeitliche Orientierung. Desorientiertheit zur eigenen Person (wer bin ich?) beweist ausgeprägte Bewusstseinsminderung.

  • - Weitere Untersuchungs-Aspekte: Verlangsamung aller Bewegungsabläufe, Einengung der Aufmerksamkeit, verminderte und verzögerte Reaktion auf äußere und innere Reize, ggf. Veränderung von EEG (Gehirnströme) u. a.

Wichtig: Gerade die Erfassung von leichteren Bewusstseinsstörungen ist von großer Bedeutung (z.B. versicherungsrechtlich!) und beugt der Gefahr einer vorzeitigen Klinik-Entlassung mit nachfolgender Fehleinschätzung der Schwere des Traumas vor. Die Dauer von Bewusstlosigkeit, Bewusstseinsminderung bzw. von posttraumatischer Amnesie (= anterograde Amnesie: Zeitspanne vom Unfallereignis bis zum Wiedererlangen des Bewusstseins) sind der beste klinische Maßstab für die Beurteilung der Schwere einer gedeckten (also nicht offenen) Hirnschädigung und neben elektrophysiologischen Befunden (z. B. EEG) die wichtigsten Hinweise für den weiteren Heilungsverlauf.

Remissions-Stadium: Remission (vom lat.: remissio = zurücksenden, nachlassen) heißt Rückgang seelischer oder körperlicher Krankheitszeichen, jedoch noch keine vollständige Wiederherstellung der Gesundheit (Heilung). So tritt auch das Vollbild der psychischen Ausfälle erst nach Abklingen der Bewusstseins-Minderung nach traumatischem Hirnschaden so richtig zu Tage. Das Beschwerdebild gleicht dem des Dauerschadens (s. u.). Treten keine weiteren Komplikationen auf, so ist eine Besserung zu erwarten. Nach leichteren Schädigungen sieht man teilweise völlige Rückbildungen innerhalb weniger Monate. Doch bei den meisten schweren Hirnschäden ist eine völlige Restitution (Wiederherstellung) nicht zu erreichen. Die wesentlichsten Verbesserungen sind in den ersten zwei Jahren nach dem Unfall zu erwarten; weitere sind jedoch auch noch über Jahre hinweg möglich.

Die seelischen Symptome und ihre psychosozialen Konsequenzen bilden sich mit Erholung des Gehirns meist spontan zurück, auch im Erwachsenen­alter. Problematisch ist allerdings die beeinträchtigte Krankheits-Verarbeitung. Denn nach dem Erwachen aus der Bewusstseins-Minderung findet sich der Betroffene in einer subjektiv völlig veränderten Welt wieder. Das in der Regel akute Ereignis hat ihn unerwartet getroffen und aus seinem bisherigen Le­bensraum herausgerissen. Zurück liegen Wochen oder Monate weitgehender Erinnerungslosigkeit. Selbst hinsichtlich des Unfall-Ereignisses muss er sich auf fremde Informationen verlassen. Viele Fragen drängen sich auf, die zudem noch in fremder Umgebung (in der Regel die Überwachungs-Einheit einer Kli­nik) zu beantworten sind. Besonders bei Kindern und Jugendlichen kommt es hier mitunter zu erheblichen Störungen: Realitäts-Verkennung und -Verleug­nung bis hin zur psychotischen Dekompensation usw. Selbst augenscheinliche Unfallfolgen werden erst langsam realisiert, manche bleiben über Monate verborgen (z.B. Geruchsstörung).

Im rein seelischen Bereich kann das noch schwieriger werden und Jahre beanspruchen. Manche Veränderungen (besonders im Verhalten) bleiben der Eigen-Wahrnehmung für immer oder zumindest teilweise unzugänglich. Bisweilen dauert es Jahre, bis sich ein neues Gleichgewicht eingestellt hat und der bleibende Schaden fassbar wird. Dann ist aus der Krankheit eine Behinderung geworden. Jetzt drohen allseits eingreifende Veränderungen im sozialen Gefüge oder zusätzliche Leiden, die zu weiteren Belastungen führen.

Das Krankheitsbild des Remissions-Stadiums wird auch gerne als „Durchgangs-Syndrom" bezeichnet. Zum einen wird dieser Begriff aber klinisch häufig falsch eingesetzt, zum anderen sollte er genauer erläutert werden:

In vielen Untersuchungen heißt es lediglich: Bewusstseinsklar, voll orientiert, keine formalen oder inhaltlichen Denkstörungen (die bei neurologischen Krankheiten ohnehin kaum zu erwarten sind) und keine „Werkzeugstörungen“ (bildhafte Bezeichnung für körperliche Funktionsstörungen, vor allem Sprachstörungen). Hilfreicher wären dagegen anschauliche Hinweise auf das Verhalten (spontan, im Gespräch, während der Untersuchung) und die geistig-seelischen Kategorien: Bewusstsein, Orientierung, spontaner Antrieb, Anregbarkeit, Stimmung, affektive Resonanz, den mimischen, gestischen und sprachlichen Ausdruck sowie schließlich Aufmerksamkeit, Konzentration, begriffliche Schärfe des Denkens und Merkfähigkeit. Wichtig ist auch die Biographie des Patienten und seine derzeitige Lebenssituation, was für Kenntnis und Verständnis dieses vielschichtigen Aspektes unentbehrlich ist.

Das Stadium des Dauerschadens lässt sich in seelischer und psychosozialer Hinsicht wie folgt unterteilen:

  • Bei den kognitiven Ausfällen geht es bei allgemeinen Störungen der Informations-Verarbeitung um
  • - eine allgemeine Verlangsamung mit einer insgesamt geringeren Aufnahme-Kapazität: der Patient kann sich z.B. im Gespräch nur noch auf seinen Partner einstellen.

  • - Störungen im Konzentrationsbereich: Viele Verletzte können ihre Aufmerksamkeil nur über eine begrenzte Zeit aufrechterhalten. Oftmals drohen auch kurzfristige Konzentrations-Einbrüche; außerdem eine mitunter erhebliche Ablenkbarkeit sowie Schwierigkeiten, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Häufig auch allgemeine Umstellungs-Erschwernis. Dies ist gerade in unserer schnelllebigen und hektischen Zeit ein fast unüberwindbares Hindernis. Das verbliebene Leistungsniveau ist nur noch unter günstigen Rahmenbedingungen aufrechtzuerhalten. Die üblichen Störfaktoren (z. B. Lärm, Spannungen, Stress) führen rasch zur Dekompensation. Auch die zunehmende Komplexität der Aufgaben, selbst im privaten, zwischenmenschlichen Bereich, kann verhängnisvoll werden. So werden schwierige Zusammenhänge teilweise nicht mehr verstanden, was zu erheblichen Missverständnissen führen kann, ganz zu schweigen von der krankhaften Verarbeitung bis hin zur wahnhaften Interpretation.

  • - Gedächtnis-Schwierigkeiten sind meist Ausdruck einer allgemeinen Beeinträchtigung der geistigen Funktionen. Sie können aber auch den Lernvorgang sowie die Fähigkeit des Behaltens oder Abrufens von Gedächtnisinhalten betreffen.

  • - Das logische Denken (wichtiger Aspekt der Intelligenz) ist nur nach sehr schweren Schädel-Hirn-Verletzungen beeinträchtigt.

  • - Die Ausdauer ist jedoch häufig vermindert. Nach längerer Belastung kommt es meist zu ausgeprägten Erschöpfungszuständen mit depressiven Stimmungseinbrüchen und ausgeprägten vegetativen Folgen. Die Erholungspausen werden immer häufiger und länger (was auch der Gesetzgeber durch die regelmäßige Kurberechtigung von Hirnverletzten berücksichtigt hat).

  • - Aphasien sind Sprachstörungen bei erhaltener Funktion der zum Sprechen benötigten Organteile. Sie finden sich vorwiegend nach Schädigung bestimmter Hirnregionen (z. B. Stirn-, Schläfen- und Scheitellappen). Dabei können Sprachproduktion und Sprachverständnis getrennt oder zusammen betroffen sein.

  • - Störungen der Wahrnehmung, die die gesamte Krankheit betreffen, finden sich meist nur in der Frühphase. Häufiger werden einzelne Krankheitszeichen nicht oder nur verzögert wahrgenommen (z. B. Geruchsverlust). Besonders nach Verletzungen der Stirnhirnbasis (also in Nähe der Augenhöhlen) können die Ausfälle nicht adäquat realisiert werden. Nach Beeinträchtigung der rechten Scheitellappen-Region kann es zur Nicht-Wahrnehmung oder Vernachlässigung der anderen Körperseite kommen. Auch die Wahrnehmung der räumlichen Beziehungen zwischen verschiedenen Objekten oder ihren einzelnen Teilen oder deren graphische Reproduktion („zeichnen oder schreiben sie auf!") können vorübergehend oder dauernd gestört sein.

  • - Apraxie ist die Unfähigkeit zum zweckmäßigen Einsatz der dafür zuständigen (und vor allem intakt gebliebenen) Körperteile für Einzelbewegungen, Bewegungs- und Handlungsfolgen (besonders Hände). Solche apraktische Störungen treten vorwiegend nach Schädigung jener Hirnhälfte auf, in der das Sprachzentrum liegt.

  • Störungen des Erlebens und Verhaltens: Folgenschwere Ausfälle können sich nach entsprechenden Hirnschäden auch im affektiven Bereich (Erleben) und in Verhaltensauffälligkeiten (Antrieb, Sozialverhalten) äußern. Im Einzelnen:
  • - Veränderungen der Grundstimmung, die sich weder aus dem entsprechenden Lebensablauf noch durch die Verarbeitungs-Vorgänge des Unfalls erklären lassen. Sie pflegen unmittelbar auf die organische Hirnschädigung zurückzugehen. Dabei kann es sowohl um eine gemütsmäßige „Herabstimmung“ (bis zur Depression), als auch um eine krankhafte „Heraufstimmung“ (bis zur so genannten symptomatischen oder organischen Manie) kommen.

  • - Bei den depressiven Zustandsbildern handelt es sich meist um unerklärliche und auf keine äußeren Beeinträchtigungen zurückgehende Verstimmungen (vor allem nach Schädigung des rechten Schläfenlappens). Viele Patienten klagen über Veränderungen ihrer gemütsmäßigen Schwingungsfähigkeit. Sie sind nach dem Unfall „dünnhäutiger“ geworden. Lachen und Weinen sind näher zusammengerückt. Es kommt zu einer so genannten Affekt-(Gemüts-)labilität. Schon bei kleinsten Anlässen (z. B. Musik oder belastende Gespräche) reagieren sie emotional überschießend. Das ist ihnen peinlich und führt nicht selten zu Rückzug und damit Isolationsgefahr. Umgekehrt kann es aber auch zu einer Verminderung der zwischenmenschlichen Schwingungsfähigkeit kommen, so dass die Betroffenen durch eine emotionale Ansprache überhaupt nicht mehr erreichbar sind.

  • - Am häufigsten findet sich eine vermehrte Erregbarkeit. Das kann bis zu immer wiederkehrenden verbalen und sogar körperlich aggressiven Durchbrüchen führen. Die Konsequenzen sind meist folgenschwer. Die Patienten sind zwar krankheitseinsichtig, aber in der jeweiligen Situation völlig unfähig, danach zu handeln. Sie sind oft sehr verletzlich und fühlen sich schnell benachteiligt. Ein falsches oder missverstandenes Wort kann sie rasch, tief und tagelang beschäftigen. Manchmal erwächst daraus auch eine paranoide (wahnhafte), wenn nicht gar querulatorische Fehlentwicklung. Bisweilen zeigt sich eine gewisse Periodizität solcher Überempfindlichkeiten („an manchen Tagen stört mich die Fliege an der Wand“).

  • - Daneben schildern einige Patienten eine diffuse, bisweilen auch konkrete zwanghafte Angst (Phobie) oder werden durch eine zwanghafte Neigung zur hypochondrischen Selbstbeobachtung gequält.

  • - Eine Verminderung des Antriebs äußert sich im Allgemeinen durch Nachlassen von Initiative, Interesse, Aktivität, Kreativität u. a. In schweren Fällen sitzen die Patienten nur noch untätig herum, sind wortkarg und spontan kaum zu einer sinnvollen Tätigkeit fähig. Bei noch bestehender Fremd-Anregbarkeit können sie wenigstens noch zu einem halbwegs strukturierten Tagesablauf angeleitet werden. Antriebsminderungen finden sich vorwiegend nach beidseitigen Schädigungen im Stirnhirnbereich.

  • - Eine Steigerung des Antriebs äußert sich meist in einer unproduktiven Umtriebigkeit mit Ideenflucht und Redeschwall. Sie geht vorwiegend auf eine Schädigung des hirnbasis-nahen Stirnhirns (in der Nähe der Augenhöhlen) sowie der damit funktionell verbundenen Gehirnregionen zurück.

  • Veränderungen im zwischenmenschlichen Verhalten sind somit nach Schädel-Hirn-Verletzungen häufig. Sie sind teils organischer Natur, haben aber auch oft psychoreaktive Ursachen. Die Folgen äußern sich entweder in einem Verlust zwischenmenschlicher Schwingungsfähigkeit (s. o.) und/oder in der Schwierigkeit, eine adäquate zwischenmenschliche Distanz zu wahren.

Vor allem dieses Gemisch aus organischen und zwischenmenschlich bedingten psychoreaktiven Faktoren kann eine Reihe schwer fassbarer und scheinbar unvereinbarer Krankheitszeichen nach sich ziehen: resigniert, verzagt, ratlos, hilflos, Minderwertigkeitsgefühle, Angstzustände, Zwänge, Überempfindlichkeit, rasche Kränkbarkeit, Unzufriedenheit, Vorwurfshaltung, Reizbarkeit, Missmut, aufbrausend bis aggressiv, unschlüssig, Schuldgefühle, Beziehungsstörungen, Lebensüberdruss u.a.m.

Besondere Probleme ergeben sich in folgenden Bereichen:

  • - Partnerschaft/Familie: Schädel-Hirn-Verletzte haben eine deutlich höhere Scheidungsrate, nicht zuletzt durch seelische Veränderungen sowie sexuelle Störungen. Die familiäre Stabilität hängt vor allem von der Dauer der Beziehung ab. Partnerbeziehungen bei jungen schwer Hirngeschädigten zerbrechen am ehesten. Dann drohen Rückgang sozialer Außenkontakte und Gefahr des Einzelgängertums, im Extremfall die soziale Isolation oder gar Abstieg. Manchmal werden ganze Familien in diesen Niedergang herein gerissen.

  • - Beruf: Häufig scheitert die berufliche Wiedereingliederung von schwer Schädel-Hirn-Verletzten an deren Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen. Große Probleme werfen auch Einschränkungen im geistigen Bereich auf. So lauten die häufigsten Klagen der Arbeitgeber: Minderung des Gedächtnisses und der Umstellungsfähigkeit, allgemeine Verlangsamung und Leistungseinbußen, zunehmende Ermüdbarkeit, vermehrte Stimmungsschwankungen, erhöhte Streit-Neigung, ggf. Einzelgängertum. Deshalb sollte sowohl im Interesse des Betroffenen als auch unter sozio-ökonomischen Gesichtspunkten die Rehabilitation absoluten Vorrang vor allen übrigen sozialen Hilfen haben.

Therapie/Rehabilitation: Im Akut-Stadium geht es vorwiegend um die Erhaltung des Lebens und die Vorbeugung von Folge-Schäden, im Remissions-Stadium um gezielte Diagnose und Therapie, vor allem aber um eine Hilfestellung bei der Krankheitsbewältigung und gesellschaftlichen Reintegration. Im Grunde sollte die Rehabilitation deshalb schon auf der Intensivstation beginnen.

Möglich ist sie durch ein interdisziplinäres Team: Ärzte, Ergotherapeuten, Krankengymnasten, Logopäden, Sozialarbeiter, Physiotherapeuten, Psychothera­peuten, Psychologen u. a., am besten in neurologischen Rehabilitations-Einrichtungen, und zwar wohnortnah (Angehörige!).

Die Erfolge einer Rehabilitation werden von folgenden Faktoren bestimmt:

Intelligenz und körperliche Verfassung vor dem Unfall; berufliche und soziale Situation; Ausmaß und Lokalisation der Hirnschädigung; Lebensalter (bei jungen Unfallopfern günstigere organische Ausgangslage, aber ungünstigerer sozialer Rahmen = öfter keine abgeschlossene Ausbildung und feste Partnerbeziehung); familiäre und soziale Integration; versicherungsrechtliche Absicherung sowie allgemeine soziale Stützung.

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
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