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FRÜHDYSKINESIEN

Frühdyskinesien sind rasch nach Therapiebeginn auftretende, spontane, unwillkürliche, willentlich nicht beeinflussbare Muskelbewegungen, die in der Regel durch hochpotente Neuroleptika (Psychopharmaka mit antipsychotischer Wirkung) ausgelöst werden.

Frühdyskinesien sind früh auftretende Bewegungsstörungen, in der Regel durch (hochpotente, stark potente) Neuroleptika (Antipsychotika).

Einzelheiten zum Thema Neuroleptika (Antipsychotika) siehe das spezielle Kapitel dieser Serie unter "Neuroleptika" (Word-Datei).

Bedeutungsgleiche Begriffe sind extrapyramidale Frühsymptome, paroxysmale Dyskinesien, akutes hyperkinetisches Syndrom, akute Hyperkinesen, akutes dyskinetisches Syndrom, akute dystone Reaktion, akute Dyskinesie, akute Dystonie u. a.

Es handelt sich um meist rasch nach Therapiebeginn auftretende, spontane, unwillkürliche, willentlich nicht beeinflussbare Muskelbewegungen, die - zumindest bei der älteren Generation der Neuroleptika (Antipsychotika) - fast jeden Patienten bei dieser Behandlung betreffen sollen. Sie finden sich vor allem im Gesicht, insbesondere im Augen- und Mundbereich, aber auch an Zunge, Schlund, Hals, Nacken, Rücken, Schulter, Rumpf, Armen und Beinen.

· Als Vorboten gelten:

kloßige Zunge, Pelzigkeits- oder Spannungsgefühl an Lippen, Wangen und Hals-muskulatur, ferner veränderte Wahrnehmung der eigenen Stimme bis hin zu deutlichen Aussprachestörungen, ggf. Zahn-, Rücken- und Muskelschmerzen, Druck auf den Augen u. a.

· Das ausgeprägte Beschwerdebild kann sich wie folgt äußern:

- mimische Muskulatur: unwillkürliche Bewegungen der Stirn, der Augenbrauen, der Region um die Augen sowie der Wangen; Beispiele: Stirnrunzeln, Blinzeln, Grimmassieren. Ggf. Lidkrampf, d. h. unwillkürliches Zukneifen der Augen. Der Gesichtsausdruck kann ängstlich, schmerzhaft-verzerrt und blass sein.
- Augen: meist kurz-dauernde Starre der Augenbewegungen. Unwillentliche Drehung der Augen nach seitwärts und oben, ggf. Fixierung in dieser Stellung (Blickkrampf). Erschwerte Augenbewegung in vertikaler Richtung (oben/unten). Bisweilen Verschwommensehen (Randunschärfe), Doppelbilder oder Augenmuskelkrampf.
- Lippen- und Mundregion: Lippenspitzen, Schmollen, Schmatzen, Mümmeln, auch in leichter oder nur angedeuteter Form. Ggf. rüsselförmig nach vorne gestülpte Lippen.
- Unterkiefer: Ziehen/Spannen der Kaumuskulatur. Ständiges Kauen und Mundöffnen sowie Beißbewegungen (vor allem Querbewegungen des Unterkiefers mit Knirschen). U. U. Kiefer- und Mundsperre.
- Zunge/Schlund: vermehrte Bewegungen sowohl innerhalb als auch außerhalb des Mundes. Ggf. krampfartiges Herausstrecken der Zunge, die mitunter nicht sofort zurückgezogen werden kann. Unmöglichkeit, den Speichel zu schlucken, dadurch "Sabbern". Im Extremfall Atemnot durch Schlundkrampf, ggf. Blauwerden. Nicht selten Sprachstörungen - zumeist nur dezente Hin-weise: schleifende, nuschelnde, kloßige Aussprache, meist so, als ob der Betroffene die Zähne nicht auseinander bringt.
- Arme/Hände/Finger: Bewegungen, die entweder unregelmäßig schnell-spontan oder unregelmäßig langsam-schneckenförmig ablaufen. Steifigkeit der Arm-Muskulatur mit leichter Beugung in den Ellenbogengelenken. Einschränkung der Geschicklichkeit. Ggf. wurfartiges Schleudern der Arme.
- Beine/Füße/Zehen: Außenrollen, Innenrollen, Fersenklopfen, Fußtippen, Fußwinden u. a. Erhöhte Spannung in den Beinmuskeln mit bizarr anmutendem Gangbild. Schließlich quälende Sitz-, Steh- und Gehunruhe (Akathisie - s. diese) bis hin zu nicht mehr steuerbarem Bewegungsdrang
- mit unruhig-getriebenem Hin- und Herlaufen.
- Halsmuskulatur: Drehung von Kopf/Hals nach der Seite bzw. nach hinten (Schiefhals).
- Schultergürtel/Hüfte: Verziehen der Schultermuskulatur. Hüftendrehen, bisweilen einseitig betont. - Rumpf/Rücken: Schaukeln, Wiegen, Wippen, Verdrehen oder Verrenken des Rumpfes. Extreme Rückwärtsbewegung von Kopf/Rumpf mit Hohlkreuzbildung u. a.

Wichtig: Frühe neuroleptikabedingte Bewegungsstörungen sind beunruhigende, behindernde und quälende Nebenwirkungen, die der Patient aber rasch selber bemerkt. Sie können sich bereits innerhalb der ersten Behandlungstage äußern (nach einer Injektion sogar noch früher); aber auch zu einem späteren Zeitpunkt, vor allem nach (abrupter) Dosissteigerung (gelegentlich sogar Dosisreduktion) meist hochpotenter Neuroleptika. Ähnliches droht bei psychischen oder körperlichen Anstrengungen oder wenn der Medikamentengehalt im Blutplasma stark schwankt.

Die Bewegungsstörungen gehen jedoch nach Dosisreduktion bzw. entsprechenden "Gegenmitteln" (Akineton®) völlig zurück.

· Als Risikofaktoren gelten:

- hochpotente Neuroleptika (Antipsychotika) mehr als mittel- und niederpotente, was bei entsprechender Empfindlichkeit aber auch bei letzteren nicht auszuschließen ist.
- Rasche Dosissteigerung.
- Intravenöse bzw. intramuskuläre Gabe (wie sie etwa durch eine Akut- oder Notfalltherapie erzwungen werden kann).
- Jüngere Patienten, vor allem Kinder und Jugendliche, öfter als ältere.
- Männer eher als Frauen. Besonders häufig betroffen sind junge Männer.

Therapie/Vorbeugung

Vor allem die Dosis individuell anpassen, d. h. entsprechend reduzieren. Die Empfindlichkeit auf (besonders hochpotente) Neuroleptika kann um den Faktor 15 variieren, was man dem Patienten zuvor nicht anzusehen vermag. Wenn die Dosisanpassung nicht befriedigend ausfällt, Umstellung auf ein Neuroleptikum einer anderen Stoffklasse. Ggf. "Gegenmittel", die aber nicht nur die Frühdyskinesien mildern, sondern auch die erwünschte antipsychotische Wirkung unterlaufen können (einschließlich möglicher Suchtgefahr). Am günstigsten bleibt deshalb die individuelle Dosisanpassung. Dabei kann die persönliche "neuroleptische Schwelle", ab der die Nebenwirkungen nicht mehr tolerierbar sind, durch eine einfache Schriftprobe erfasst werden (Schrift wird dann kleiner, steiler, enger, ggf. krakeliger).

Bei der neuen Generation von Neuroleptika (Antipsychotika) sind Frühdyskinesien und alle anderen sogenannten extrapyramidalen Nebenwirkungen jedoch deutlich seltener. Einzelheiten siehe das Kapitel Neuroleptika (WORD-Datei).

Literatur

Inzwischen unüberschaubare Fülle wissenschaftlicher Publikationen und Fach-bücher sowie zunehmend auch verständliche Beiträge und Sachbücher. Manche allerdings nicht immer mit der wünschenswerten Objektivität.

Grundlage vorliegender Ausführungen sind die

Allgemeinverständlichen Sachbücher:

Faust, V.: Psychopharmaka. Arzneimittel mit Wirkung auf das Seelenleben. Trias, Stuttgart 1994

Faust, V.: Medikament und Psyche. Neuroleptika - Antidepressiva - Beruhigungsmittel - Lithiumsalze. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1995

Fachbücher:

Faust, V., H. Baumhauer: Psychopharmaka. ecomed, Landsberg 1990

Faust, V., H. Baumhauer: Psychopharmaka. Lose-Blatt-Sammlung 1990 bis 2000. ecomed, Landsberg 1990-2000

Faust, V., H. Baumhauer: Psychopharmaka in Stichworten. ecomed, Landsberg 1992

Faust, V. (Hrsg.): Psychiatrie. G.Fischer-Verlag, Stuttgart, Jena, New York 1996

unter Mitarbeit von Apothekerin Helga Baumhauer

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
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