Prof. Dr. med. Volker Faust Psychosoziale Gesundheit von Angst bis Zwang Seelische Störungen erkennen, verstehen, verhindern, behandeln |
TERRORANSCHLÄGE: "NICHTS IST MEHR WIE ES WAR"Angst, Furcht, Panik - was alles zu Extrembelastungen beiträgt und wie sich die Opfer dagegen schützen
Angst, Furcht, Panik sind so alt wie die Menschheit. Das lässt sich schon im Alten Testament nachlesen. Angst gehört regelrecht zur Grundausstattung des Überlebens. Das gilt für alle Lebewesen. Angst ist die Grundlage des Selbsterhaltungstriebes. Oder wie die Psychologen es ausdrücken: Der Lohn oder die Frucht der Angst besteht gemäß der Logik der Evolution in der Vermeidung überall lauernder Gefahren - und damit im Überleben. Deshalb ist die Angst oder konkreter: die Furcht vor etwas Bestimmtem erst einmal etwas Positives. Deshalb eine Zusammenfassung der wichtigsten Diskussionspunkte zum Thema "Angst heute" - und was die Opfer zur Milderung der Folgen empfehlen. Gewiss: Der Kampf ums Überleben gehört in den modernen und hochtechnisierten Zivilisationen nicht mehr zum Alltag. Trotzdem (oder gerade deshalb?) ist die Angst ein weitverbreitetes Grundgefühl geblieben, ja, sie scheint seit einigen Jahrzehnten und vor allem Jahren zu wachsen - ständig. Das jedenfalls beweisen Längsschnittstudien in den Vereinigten Staaten seit Mitte des 20. Jahrhunderts. Die Ursachen sind bekannt und einleuchtend: Zum einem die Zerstörung sozialer Bindungen, wie sie sich beispielsweise in erhöhten Scheidungsraten, sinkenden Geburtszahlen und einer wachsenden Zahl von Single-Haushalten niederschlägt. Zum anderen im Gefühl zunehmender direkter körperlicher Bedrohung, die nur bedingt mit einer tatsächlich steigenden Rate der Gewaltkriminalität einhergeht. Problematischer scheint die sogenannte mediale Vermittlung zu sein, d. h. das was Zeitungen, Magazine, inzwischen auch Rundfunk und vor allem das Fernsehen unter Konkurrenzdruck produzieren (manchmal auch im wahrsten Sinn dieses Wortes). Treffen diese realen und medien-geschürten Informationen (Stichwort: "nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten") auf eine entsprechende Wesensart, kann aus reinen Befürchtungen, ggf. verstärkt durch eine erblich angelegte Ängstlichkeit, schließlich eine Angsterkrankung oder zuletzt eine mehrschichtige psychische Störung werden (am ausgeprägtesten wächst offenbar derzeit die kombinierte Angst-Depression). Fundierte Untersuchungen fehlen zwar, mit Ausnahme jüngster repräsentativer Erkenntnisse aus der Schweiz. Dort ist das Sicherheitsgefühl nicht nur durch die terroristischen Anschläge der letzten Zeit, sondern auch durch den Amoklauf von Zug (siehe später), die Swiss-Air-Krise, die Tunnelbrände und Flugzeugabstürze derart untergraben worden, dass man von einer allgemeinen Verunsicherung sprechen kann. So sollen sich rund 40 % der Bevölkerung (!) durch die jüngsten Ereignisse akut bedroht fühlen, ein gutes Viertel sogar regelrecht hilf- und schutzlos. Derzeit leide jeder vierte Erwachsene in der Schweiz an leichten bis mittelschweren depressiven Verstimmungen. Das sind knapp doppelt so viele wie vor einem Jahr, als eine ähnliche Untersuchung vor der Häufung dieser Katastrophen abgeschlossen wurde. Wer ist traumatisiert? So drängt sich erst einmal die Frage auf (die auch immer wieder gestellt wird): Werden wir uns zu einer psychisch labilen Angst- oder gar Depressions-Gesellschaft entwickeln? Und was heißt das für die Ärzte und Psychologen, auf was müssen sie sich einstellen? Die Wissenschaftler, die sich mit der Erforschung seelischer Erschütterungen und ihren Folgen beschäftigen (Stichwort: posttraumatische Belastungsreaktionen oder gar -störungen), bieten verschiedene Erklärungsmuster und Hilfsmöglichkeiten an, diskutieren verstärkt in Fachgremien und auf Tagungen - und sind sich uneins. Einige sprechen von einem weltweiten kollektiven Trauma, wenngleich auch "nur" via Fernsehen. Andere winken ab. Ein solcher "Schock", wie er weltweit angenommen werde, könne nur persönlich erlebt werden. Traumatisiert (vom lateinischen: trauma = Wunde, hier im übertragenen Sinne seelische Verwundung) seien nur die Betroffenen, die Angehörigen oder die Überlebenden. Sicher sei es für Menschen mit sensibler Wesensart oder vorbestehender seelischer, körperliche oder psychosozialer Beeinträchtigung folgenschwerer als für andere, die nicht vor-traumatisiert sind. Aber man müsse - so diese Experten - die "Kirche im Dorf lassen" und genau unterscheiden lernen zwischen echten Opfern und gleichsam "Opfer-Zuschauern". Denn auch bei Letzteren gäbe es - wie überhaupt im Leben - viel mehr "Trittbrettfahrer" als real Belastete. Nein, sagen die anderen: Das möge früher so gewesen sein, jetzt habe man es mit einer Medien-Gesellschaft zu tun, die auch in der "warmen Stube" und im Fernsehsessel so hautnah betroffen sein könne, wie (fast) im wirklichen Katastrophen-Augenblick. So sei am 11. September erstmals ein Massenmord über die Medien hinweggerollt, und zwar - ein besonders erschwerender Faktor - ständig wiederholt, bis heute. Denn ein Trauma entstehe auch dadurch, dass der Betroffene nicht nur die Spannung zwischen einer unerträglichen Situation und der Unfähigkeit, darauf zu reagieren, nicht mehr aushalte; wichtig sei auch die mangelnde Erholungspause, die unmögliche Regenerations-Fähigkeit durch ständige "Medien-Einschläge", was eine solche Wunde gleichsam am bluten halte. Und wenn sich erst einmal entsprechende Folgen einstellten wie affektive Störungen (depressive Verstimmungen, Angstbereitschaft, vielleicht sogar Reizbarkeit und Aggressionen), dazu eine abnehmende Beziehungsfähigkeit (Stichwort: emotionale Leere), kognitive Einbußen (Merk- und Konzentrationsstörungen, zunehmende Vergesslichkeit), psychosomatische Symptome (vor allem Schlafstörungen und entsprechende Reaktionen an den jeweiligen organischen Schwachpunkten, von der milden Beeinträchtigung bis zum ausgeprägten Schmerzbild), dann ist der Betreffende bereits so negativ "eingekreist", dass ein Entkommen ohne professionelle Hilfe (fast) nicht mehr möglich ist. Mit anderen Worten: Einige Wissenschaftler verlangen, dass für ein wirkliches Trauma (posttraumatische Belastungsreaktion) gleichsam ein eigener körperlicher Anteil am Geschehen unerlässlich ist, d. h. man muss persönlich betroffen sein. Anders jene Ärzte und Psychologen, die argumentieren: Früher ja, nach dem 11. September nicht mehr. Natürlich seien nicht alle Fernsehzuschauer dadurch traumatisiert worden, doch eine solche hautnahe und zugleich belastende, im Grunde einzigartige Berichtserstattung habe viele Menschen in einen seelischen Ausnahmezustand gebracht, der letztlich schon in Richtung "persönliches Trauma" gegangen sei. Auf jeden Fall hätten diese Attacken das Vertrauen in eine sichere Umwelt zerstört. Und auch das müsse erst einmal verarbeitet werden, selbst wenn man nicht direkt betroffen ist. Fernsehen und Angstbereitschaft Überhaupt müsse man sich klar werden, dass vor allem das Fernsehen in unserem Leben künftig mehr denn je eine existenzielle Rolle (im wahrsten Sinne des Wortes) einnehmen wird. Denn die Bürger in den westlichen industrialisierten Gesellschaften erlebten nun einmal die meisten Gefahren als Fernsehzuschauer. Und die Massenmedien, insbesondere das Fernsehen in seiner beinharten Konkurrenz-Situation (in den angelsächsischen Medien mehr als noch bei uns) fütterten mit ihren Katastrophen-Bildern eine Art biologisch verankerten Angstapparat in unseren Köpfen, der - jenseits der realen Gefahren in der bei uns nicht mehr drohenden freien Wildbahn - letztlich leer läuft und sich deshalb seine Bedrohungen förmlich "suchen muss". Viele Medienkonsumenten seien auch unfähig, die tatsächlichen Risiken für die eigene Person abzuschätzen oder gar zu beeinflussen. Das verstärkt den biologischen Mechanismus der Angstentstehung. Dies und die gesellschaftliche Unsicherheit unserer hochkomplexen technischen und administrativen Gesellschaftsstrukturen, die von vielen als zerbrechlich oder gar unzuverlässig eingestuft werde, trage zu dieser dauerhaften Unsicherheit bei, die bei tatsächlichen oder vermeintlichen Belastungen schnell in reale Furcht, ja krankhafte Angst münden könne. Oder auf einen Satz gebracht: Der zivilisatorische Fortschritt geht mit einer gesteigerten Traumatisierbarkeit einher (J. P. Reemtsmar). Die Gesellschaft wird zur Gemeinschaft Nun zählt aber nicht nur die Wissenschaftler-Meinung, sondern auch die statistische Erhebung, z. B. die schon erwähnte Untersuchung aus der Schweiz. Und von dort hört man Tröstliches: Erstaunlich ausgeprägt seien die natürlichen Gesundungsmechanismen, selbst nach heftiger Traumatisierung. Die Gesellschaft als Ganzes breche keinesfalls ein, und wenn noch so viele Anschläge (Terrorakte und Unglücksfälle) sich häuften. Im Gegenteil, es wiederhole sich das, was schon in früheren Katastrophenzeiten Erstaunen und Hoffnung hervorrief: Die Widerstandskraft der Gesellschaft bzw. jetzt Gemeinschaft als Ganzes werde eher gestärkt (Fachausdruck: Resilienz). Was vorrübergehend vorherrsche, sind zwar Gefühle des Kontrollverlustes und vielleicht sogar der Hilflosigkeit. Zugleich entwickle sich aber eine fast schon vergessene Wertschätzung der sozialen Bindungen. Oder kurz: Die sogenannte "kollektive Psyche" gehe eher gestärkt als geschwächt aus einer Katastrophenzeit hervor. Psychische Stabilität gewährt vor allem der enge soziale Zusammenhalt (eine Grundvoraussetzung des erfolgreichen Zusammenlebens, wie man schon aus Untersuchungen sogenannter "primitiver" Gesellschaften weiß, die in Wirklichkeit vielleicht sogar humaner und damit fortschrittlicher sind, als unsere eigene...). Was tun? Was lässt sich deshalb den professionellen Helfern (z. B. Ärzten, Psychologen, Sozialarbeitern, Schwestern, Pflegern u. a.) empfehlen (nach Margraf)? Als erstes die erwähnten natürlichen Regenerationsfaktoren respektieren und von sich aus "greifen" lassen. Die Opfer entsprechender Traumata sollen vor allem ermutigt werden, ihre natürliche Stützen in Anspruch zu nehmen, und zwar in ihrem eigenen Tempo. Sie sollen besonders mit jenen Kontakt und eine Aussprache suchen, mit denen ihnen dies selber angenehm ist (und nicht erzwungen durch diese oder jene professionelle Empfehlung). Sie sollten nach ihren natürlichen Neigungen entscheiden dürfen, mit wem und wie lange sie sprechen, wie oft - und wenn es denn sein muss auch einmal nicht. Für die Professionellen gilt es vor allem aktiv und stützend zugleich zuzuhören, nicht jedoch nach Details und emotionalen Reaktionen "bohren". Das Opfer sagen lassen, wozu es sich in der Lage fühlt, ohne es zu mehr zu drängen. Natürliche Erholungsmuster nutzen, und wenn sie noch so banal, unangebracht oder scheinbar "unmöglich" erscheinen. Nun können akute traumatische Erfahrungen aber auch alte, unverarbeitete Negativ-Erinnerungen aufwühlen oder bereits bestehende Symptome verschlechtern. Dass ist nichts Ungewöhnliches. Vor allem klingen auch diese Affekte mit der Zeit meist auf natürliche Weise ab. Und auch hier soll man die Betroffenen wiederum zu jenen Strategien ermutigen, die ihnen in der Vergangenheit schon einmal geholfen haben (jeder Mensch verfügt über eine ansehnliche Palette von kleineren oder größeren Traumata, die er letztlich selber überwinden musste). Wer allerdings nach drei Monaten mit den ursprünglich nachvollziehbaren Beeinträchtigungen und Funktionseinschränkungen immer noch nicht fertig geworden ist, muss mit einem erhöhten Risiko für mittel- bis langfristige Störungen rechnen. Hier sollte man dann doch professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Was empfehlen uns die Opfer selber? Um noch einmal in der Schweiz zu bleiben, die in letzter Zeit tatsächlich massiven Belastungen ausgesetzt war, so brachte die Neue Zürcher Zeitung vom 27.10.2001 einen Bericht mit dem Titel: "Versuche, den Schmerz und das Unfassbare zu bewältigen. Einen Monat nach dem Anschlag auf den Kantonsrat von Zug." Man erinnere sich: Beim Amoklauf im Zuger Kantonsrat am 27.09.2001 verloren neben drei Regierungsmitgliedern neun Kantonsräte und zwei Rätinnen ihr Leben. 15 weitere Parlamentarier wurden zum Teil schwer verletzt. Die Zeitung interviewte drei überlebende Politiker, die mit ansehen mussten, wie Freunde und Bekannte getötet wurden - direkt neben ihnen. Was empfinden sie bis heute und was raten sie damit indirekt anderen Betroffenen? Normale Folgen eines anormalen Ereignisses Ein Kantonsrat sprach von einem immer wieder auftretenden "Nachbeben". Das Geschehen lasse ihn seither nicht mehr los. Es trete ihm immer wieder vor Augen, wie er selber unter seinen Schreibtisch gekrochen war und sich so hinkauerte, dass Kopf und Herz halbwegs geschützt schienen. Nach dem Blutbad besuchte er noch einmal den Ratssaal und zählte die tiefen Löcher des wild um sich schießenden Amokläufers in der Wand. Er wollte genau wissen, wie es abgelaufen sei. Für ihn sei es wichtig zu wissen, wie die anderen um ihn herum umgekommen seien. Ja, er habe Schlaf- und Konzentrationsstörungen zu beklagen, die Erinnerungen kehrten immer wieder zurück. Das seien eben normale Folgen eines anormalen Ereignisses. Vor allem die Stimme des nicht nur wild um sich schießenden, sondern auch brüllenden Täters könne er nicht loswerden. Immer wieder glaube er einen der Toten zu sehen, weil er auf der Straße Menschen begegne, die ihm äußerlich glichen. In den ersten zwei Wochen nach dem Attentat war er eher ängstlich und schreckhaft. Pakete und Briefe, die er erhielt, öffnete er vor der Haustüre. Häufig sei es ihm zudem passiert, dass er beim Anblick einer Säule gedacht habe: Wäre dies ein guter Schutz, wenn jemand schießen würde? Solidarität schafft Trost Geholfen hätte ihm - selbst als nicht gerade gläubigen Menschen - die verschiedenen Beerdigungen in der Trauerwoche danach. Nach fast jeder Beerdigung habe man sich getroffen, ausgetauscht, der halbe (überlebende) Kantonsrat. Am Morgen sei man todtraurig zur Beerdigung gegangen, am Abend sei man traurig, aber irgendwie gelöst nach Hause gekommen. Hilfreich sei auch die große Anteilnahme der Bevölkerung, etwa ein spontan organisierter Sternmarsch. Nie zuvor sei eine solche Solidarität empfunden worden. Vieles geschah spontan. Plötzlich begann jemand vor dem Regierungsgebäude Kerzen aufzustellen und Blumen hinzulegen. Dann kamen Lieder und pazifistisch geprägte Texte. Die kleine Kantons-Hauptstadt habe einen Solidaritätsschub erlebt, der trotz des Grauens auch dankbar mache. Der Schrecken habe die Menschlichkeit wieder freigelegt. Plötzlich sei die Tiefe eines Gemeinwesens deutlich geworden. Auch wenn die Regierung des Kantons fast nicht mehr handlungsfähig war, die Bürgerinnen und Bürger hätte diese Lücke gefüllt, wie um sich zu vergewissern, dass ihr Gemeinwesen doch noch vorhanden sei. Gleichzeitig hätten sie es durch ihren politischen Akt der Selbstvergewisserung auch selber als gesichert und stabil empfunden. "Es war fast so, als ob unser Gemeinwesen neu gegründet worden sei". Lange Wanderungen "Ich habe eine Woche lang im eigentlichen Sinne nur noch funktioniert", erklärte eine überlebende Kantonsrätin. Erst in der zweiten Wochen nach dem Anschlag habe sie richtig realisiert, was geschehen sei. Sie hätte einfach keinen laufenden Motor mehr gehabt. Sie war unfähig, Kondolenzschreiben zu verfassen, litt vor allem an ihren Konzentrationsstörungen. Nichts habe sie zu Ende führen können. Dann sei es nur noch möglich gewesen, mit dem Ehemann lange Wanderungen zu machen. Das hätte gut getan. Interessant auch die Erkenntnis, dass während einer solchen seelischen Verwundung Negatives, Schlechtes, Ungerechtes besonders hart ankommt und geradezu zu Aggression in einem führe. Wenn das Innere eine notdürftig verbundene Wunde sei, bedürfe es nur eines kleinen Schlags, dann blute es halt wieder. Außerdem seien jetzt plötzlich Ängste da, die sie zuvor nie gekannt habe. So habe sie Mühe, mit dem Rücken zur Tür zu sitzen. Öfters zucke sie auch wegen banaler Geräusche zusammen. Sie schlafe miserabel, wolle aber keine Schlaftabletten. Es seien vor allem die Geräusche, die sie immer wieder irritierten. Und kleine Details, die niemand für wichtig halten würde; in ihrem Falle beispielsweise die Schuhe des Täters, die sie nicht aus der Erinnerung löschen könne. Aber wir müssen halt auch mit diesen Bildern fertig werden, sagte sie. Nach und nach falle es ihr wieder leichter, ins Arbeitsleben zurückzukehren. Sie finde auch wieder die notwendigen Worte, könne strukturierten denken. Jetzt könne sie auch erstmals wieder dort hingehen, wo sie sich schon lange für die Solidarität bedanken wolle. Die Gemeinde hätte großartig reagiert und sie wolle allen sagen, wie wichtig für die Überlebenden diese Zuwendung war - auch im Auftrag der Verstorbenen. Bleibt etwas zurück? Ja, man habe erst einmal nur funktioniert, sagte jener Kantonsrat, der die Verwaltungsarbeit einer dezimierten Regierungsmannschaft übernehmen musste. Man habe die Notwendigkeit gesehen und seine Arbeit gemacht - wenn auch irgendwie nur mechanisch. Zuerst habe er sich den immer häufigeren Interview-Wünschen der Medien gestellt, dann aber nach und nach Abstand genommen. Vor allem um nicht in halb Europa an Talkshows teilnehmen zu müssen, nicht zuletzt aus Pietät den Angehörigen der Verstorbenen und Verwundeten gegenüber. Im Übrigen habe auch er es überaus geschätzt, wie man in der Not getragen werde. Besonders wichtig seien für ihn die Wanderungen mit seiner Frau gewesen, die er nach diesem Ereignis als gute Therapie empfunden habe. Mit dem Schlafen gehe es nach und nach besser. Aber nachts würden halt doch noch immer Bilder aufbrechen, die ihn nicht los ließen. Und er sei erschrocken über sich, als er anlässlich eines Jahrmarktes mit schussähnlichen Geräuschen zusammengezuckt sei. Es sei halt ein bisschen schwierig, den Menschen klar zu machen, dass man mit Dingen zu kämpfen habe, die die anderen kaum nachempfinden könnten. Aber er sei sicher, er würde es schaffen. Ob etwas übrig bliebe? Wohl schon... Ausblick Der Kampf ums Überleben war früher Alltag. Heute, in den hochtechnisierten und scheinbar hoch zivilisierten Kulturen gehört er der Vergangenheit an - scheinbar. In Wirklichkeit hat er sich nur verschoben, auf andere Ebenen, weniger direkt oder gar brutal, eher mit den verfeinerten Methoden unserer Zeit, aber nicht minder belastend, zermürbend, bedrohlich oder gar zerstörerisch wie früher. Deshalb ist die Angst ein weit verbreitetes Grundgefühl geblieben. Ja, sie wächst sogar ständig. Die Ursachen sind jedem bekannt. Es gibt kaum einen Menschen, der nicht entsprechende Beispiele aufzählen könnte. Verstärkt wird dies durch die Massenmedien. Denn noch nie saß eine Generation so nah am Geschehen dieser Welt, einschließlich Not, Gewalt, Terror. Das kann nicht ohne Folgen bleiben, gleichgültig, ob jemand nun von Natur aus ängstlich ist oder nicht. Auch robuste Menschen bedrängen immer mehr Befürchtungen, was noch keine krankhafte Angst ist. Da aber auch eine normale Besorgnis, die ja von der Lebenstüchtigkeit geradezu verlangt wird, ebenfalls prägend wirkt, wenn sie nur lang und intensiv genug einwirken kann, haben wir jetzt ein Problem von mehreren Seiten. Und wenn dann noch Terrorakte - überraschend, fürchterlich und gnadenlos - über diese unsere Welt hinwegziehen und durch direkte, wenngleich "nur" mediale Konfrontation "unter die Haut gehen", dann darf man sich nicht wundern, dass sich immer mehr Menschen bedroht, ja hilf- und schutzlos fühlen. Glücklicherweise liegt aber in allem Elend auch der Keim neuer Hoffnungen. Schließlich ist die Geschichte der Menschheit eine einzige Serie von Katastrophen, Leid, Unglück und Elend - irgendwo zu jeder Zeit. Und dabei wird deutlich, dass Belastungen auch die gesunden Widerstandskräfte mobilisieren können, selbst nach heftigster Traumatisierung. Und dass die moderne Gesellschaft, die sich im Grunde immer mehr auseinander lebt, in der Not wieder zusammenfinden kann. Die Gesellschaft wird wieder zur Gemeinschaft. Und es zeigt sich, dass es im Grunde vor allem einige wenige Maßnahmen gibt, die dem Einzelnen und der Gesamtheit hilfreiche Unterstützung versprechen. Deshalb ist es wichtig, die Genesungs-Strategien der Opfer zu studieren. Denn es versucht jeder "wieder auf die Beine zu kommen", und es ist erstaunlich, wie sich die offenbar erfolgreichen Strategien ähneln. Nachfolgend deshalb eine Zusammenfassung von Kommentaren zum Thema: Was belastet und was hilft? Darin zeigt sich: Es braucht wenig, um dem Opfer eine Stütze zu sein. Man sollte allerdings die richtige Art der Hilfe wählen. Man muss sich nur informieren - von den Betroffenen selber (Prof. Dr. med. Volker Faust).
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Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise. |