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PANIK VON INNEN

Überfallartige Angstzustände nehmen zu, sind aber gut behandelbar

Unter Panik versteht man im Allgemeinen ein Massenphänomen mit realen Ursachen, z.B. Terroranschlag, Brand, Erdbeben usw., das sich rasch in einer Gruppe von Menschen ausbreitet und nicht selten mit "panischer" Flucht endet. Jetzt aber ist immer häufiger von Panikstörungen oder überfallartigen Angstattacken die Rede, die nur einen Menschen betreffen - und das gleichsam von innen. Was versteht man darunter und vor allem was kann man dagegen tun?

Seelische Störungen nehmen zu. Und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bestätigt: Betroffen ist inzwischen mindestens jeder Vierte in der westlichen Welt, also auch bei uns. Das ist unter den heutigen psychosozialen Bedingungen durchaus nachvollziehbar. Was aber mitunter erstaunt, ist das plötzliche Auftreten scheinbar ungewöhnlicher seelischer Störungen, z.B. sogenannte Panikattacken. Ist das real und vor allem wie erklärt man sich das?

Doch nichts ist neu, schon gar nicht in der Psychiatrie, der Seelenheilkunde. Und selbst das ungewöhnliche psychische Krankheitsbild der überfallartigen Angstzustände gab es schon immer. Allerdings viel seltener und natürlich unerforscht und damit unerklärbar für die Betroffenen und ihr Umfeld. Gelitten haben sie also sicher noch mehr als heute, wo man es ihnen sogar biologisch erklären und vor allem auch biologisch behandeln kann. Auf jeden Fall nehmen Panikstörungen drastisch zu, und zwar bei beiden Geschlechtern, auch wenn Frauen eher den Arzt aufsuchen, wie üblich.

Zuerst aber einmal die Definition: Panikzustände, auch als Panikattacken oder Angstattacken bezeichnet, sind plötzliche, schwere Angstanfälle ohne äußerlichen Anlass oder körperliche Ursache - und deshalb auch nicht vorhersehbar. Das macht sie so verunsichernd, zermürbend und beschämend. Und vor allem: Den meisten Panikkranken sieht man auf den ersten Blick gar nichts an, sie leiden "innerlich", aber deshalb keinesfalls weniger.

Die Hölle aus heiterem Himmel

Überfallartige Angstanfälle können also zu jeder Zeit und in jeder Situation auftreten, sogar in Stille, Ruhe und Entspannung, auch im Bett. Sie können sich aber auch an bestimmte Situationen binden, z.B. Menschenansammlungen wie Warteschlangen, Supermarkt, Kino, Theater, öffentliche Verkehrsmittel, auch an große Plätze, enge Räume wie Lift usw. Wer nicht weiß, wann und wo es ihn treffen kann, ist natürlich besonders schlecht dran. Wer hingegen ahnt, wo es ihn überfallen könnte, letztlich aber auch nicht besser. Denn jetzt meidet er solche Situationen und das heißt Rückzugsneigung und Isolationsgefahr.

Was macht nun aber eine Panikattacke so unerträglich? Wie äußert sie sich?

Am ehesten mit einem plötzlichen inneren Zittern und Beben, in Schweißausbrüchen, Hitzewallungen, aber auch Kälteschauern, in Schwindel bzw. konkreter in einem So-als-ob-Schwindel oder in einer Art schwindeliger Benommenheit, ferner in Herzrasen, ggf. Herzstolpern, "Herzschlag bis zum Hals", in Druck oder Schmerzen auf der Brust, in Enge-, Beklemmungs- oder gar Erstickungsgefühlen bis zur Atemnot, in trockenem Mund, Übelkeit, ggf. Brechreiz und anderen Magen-Darm-Beschwerden, in Muskelverspannungen oder Muskelschwäche, z.B. weichen Knien oder Beinen, "wie auf Watte", vielleicht auch in Taubheits- oder Kribbelgefühlen, sonstigen Missempfindungen u.a.

Je nach Intensität der Angstattacken kommt es dabei auch zu einem Gefühl der Unsicherheit, vielleicht sogar der Ohnmachtsnähe, wenn nicht zum Eindruck einer fast existentiellen Bedrohung. Und manche meinen sogar, jetzt drehen sie durch, verlieren den Verstand oder müssen sterben. Deshalb kommt es ja auch nicht selten zu Notfall-Aufnahmen in der nächsten Klinik, meist unter dem Verdacht eines "Herzanfalles" oder "Herzinfarktes".

Die Folgen

Die Frage lautet: Wie hält das ein Mensch aus, besonders da es immer wieder zu kommen droht?

Sind es "nur" einzelne Panikattacken, ist es schon schlimm genug. Wird es aber zu einer Panikstörung mit immer wiederkehrenden Angstanfällen, drohen erhebliche psychosoziale Konsequenzen. Das Schlimmste ist die sogenannte Erwartungsangst, die Angst vor der Angst: wann trifft es mich das nächste Mal - und vor allem wo?

Dann die erwähnte Vermeidung bestimmter Situationen und Orte, an denen man schon einmal eine Panikattacke erleiden musste.

Schließlich die verzweifelten Selbstbehandlungsversuche mit Alkohol, selbstverordneten Beruhigungs-, Schmerz- und Schlafmitteln, vielleicht sogar Rauschdrogen.

Zuletzt die depressive Resignation und Hoffnungslosigkeit, in verzweifelten Fällen sogar Selbsttötungsgefahr, von den partnerschaftlichen, familiären, beruflichen und anderen Konflikten bzw. Einbußen ganz zu schweigen.

Wie kann man sich als Nicht-Betroffener eine Panikattacke vorstellen?

Wie soll man aber als Nicht-Betroffener Verständnis aufbringen, wenn man sich unter einer überfallartigen Angstattacke einfach nichts vorstellen kann. Furcht vor etwas Bestimmten - ja, aber Panik ohne Grund, das fällt schwer. Außer plötzlichen Schweißausbrüchen, Zittern und vielleicht ängstlichem Gesichtsausdruck lässt sich ja bei den Patienten nichts erkennen. Wie bringt man also ein solches Angsterleben seiner Umgebung bei?

Relativ einfach, wenngleich weitgehend unbekannt - leider. Man stelle sich einfach eine sogenannte Beinahe-Katastrophe vor, die uns unser Leben lang begleiten können, wenngleich es bisher vielleicht nie zum Ernstfall gekommen ist. Das häufigste sind glücklich überstandene Unfälle zu Hause, im Garten, z.B. auf der Leiter, am Arbeitsplatz oder auf der Straße. Vielleicht auch ein Beinahe-Zusammenstoß, ein Beinahe-Absturz, ein noch einmal abgewendeter Gewaltakt.

Je nach "Nervenkostüm" und Intensität dieses Schrecks bleibt einem fast das Herz stehen, der kalte Schweiß bricht aus, die Knie zittern, man ist wie vor den Kopf geschlagen, wie weggetreten, benommen. Es braucht Zeit, bis man sich wieder erholt hat. Manchmal kann so eine "Schreckminute" noch lange nachwirken. Jetzt wird man in vergleichbaren Situationen übervorsichtig, vielleicht sogar furchtsam bis schreckhaft - zumindest eine gewissen Zeit.

Genauso drohen krankhafte Angstzustände im Allgemeinen und der geballte Angstzustand einer Panikstörung im Speziellen, nur mit einem Unterschied: Es gibt keine nachvollziehbare Ursache. Dagegen kann man ein reales Missgeschick bis zur Beinahe-Katastrophe jedermann erzählen - und vor allem mit Anteilnahme rechnen. So etwas kann schließlich jedem passieren. Man darf sich des Mitgefühls sicher sein. Vielleicht wird man sogar ein "interessanter Fall".

Ein Panik-Kranker aber nicht. Was soll er auch erzählen - außer von seinem bedauernswerten Zustand. Angst ohne Ursache ist schwer verständlich und damit demütigend und beschämend für das Opfer, das sich "offenbar alles einbildet". Es weiß ja selber nicht, wie es dazu kommt und was es davon zu halten hat.

Was ist zu tun?

Glücklicherweise führen Panikattacken relativ schnell zum Arzt - meist mit der Befürchtung, etwas am Herzen zu haben. Es folgt also eine ausführliche Untersuchung - ohne krankhaftes Ergebnis. Manchmal schließt sich daran auch ein endloser Untersuchungskreis an, teils durch gezielte spezielle Abklärungsversuche, teils durch verzweifeltes "doctor-hopping". Am Schluss kommt vielleicht der wenig tröstliche Satz: "Machen Sie sich nichts daraus, das ist nur seelisch...". Das klingt gleich nach hypochondrisch oder gar hysterisch (beides sind nebenbei konkrete psychische Krankheitsbilder, die nur in der Allgemeinheit ihren abwertenden Charakter haben) - und hilft überhaupt nicht weiter.

Deshalb sollten wir uns daran gewöhnen, die Panikstörung, sofern sie nach organischer Abklärung und psychiatrischer Diagnose als solche gesichert ist, als ernste und durchaus bedrohliche seelische Erkrankung zu akzeptieren, auch wenn das körperliche Beschwerdebild dominiert und damit lange auf die falsche Fährte führt, zumal es ja ein eindeutiges seelisches Leiden ist.

Dabei stehen - wie bei den meisten seelischen Störungen - gleich mehrere Therapiesäulen zur Verfügung:

- Psychotherapie, also die Behandlung mit psychologischen Mitteln, hier in der Regel verhaltenstherapeutisch orientiert.

- Soziotherapeutische Hilfen und Korrekturen (d.h. partnerschaftliche, familiäre, nachbarschaftliche und berufliche Probleme).

- Viel körperliche Aktivität (besonders der Gesundmarsch bei Tageslicht führt Angst ab und hilft Depressionen verhüten).

- Und die Pharmakotherapie, also die Behandlung mit bestimmten Arzneimitteln, in diesem Fall vor allem Psychopharmaka.

Letzteres hört sich zwar sonderbar an, handelt es sich doch um ein rein seelisches Leiden was auch psychologisch behandelt gehört. Doch die meisten seelischen Erkrankungen haben - wie wir heute wissen - einen biologischen Hintergrund, meist eine "Stoffwechselstörung" in bestimmten Gehirnstrukturen, Stichwort: Neurotransmitter-Dysbalance. Darauf baut sich dann ein psychosozialer Teufelskreis auf. Der braucht dann auch die psychotherapeutische Unterstützung. Aber die therapeutische Basis ist häufig ein Arzneimittel, im Falle der Panikattacken bestimmte Antidepressiva mit stimmungsaufhellender Wirkung, die man in der Regel gegen Depressionen einsetzt. Und hier besonders aus der Reihe der sogenannten Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, einer neuen Generation von antidepressiven Psychopharmaka.

Während der Angstattacken kann man auch zusätzlich mit Beruhigungsmitteln (Tranquilizer vom Typ der Benzodiazepine) eingreifen, am besten in flüssiger Form und damit schnellwirkend und vor allem niedrig dosierbar (wenige Tropfen). Aber nur anlässlich nicht anders zu bewältigender überfallartiger Ängste im Moment der Panik, während das Antidepressivum über mehrere Monate hinweg laufen sollte.

Ermutigende Therapieerfolge

Der Erfolg ist ermutigend. Viele Psychiater wären froh, sie wären bei allen seelischen Störungen therapeutisch so gut gerüstet wie bei den ja an sich erst einmal erschreckenden Panikattacken. Natürlich kann nach Ausschleichen des Antidepressivums dieses Leiden wieder zurückkommen. Dies zu verhindern ist dann vor allem Aufgabe der Psychotherapie sowie der soziotherapeutischen Unterstützungsmaßnahmen. Und des erwähnten Gesundmarsches. Er wird zwar gerne belächelt, wie so manches, was man gesundheitlich soll, aber nicht will, ist aber ein wirkungsvoller seelischer und körperlicher Stabilisator in eigener Initiative.

Und man tut gut daran, seinen eigenen Einsatz zu erhöhen - auch in der bisher nicht betroffenen Allgemeinheit. Denn seelische Störungen werden noch weiter zunehmen. Und einige davon ganz besonders. Dazu gehören beispielsweise Depressionen (die oft mit Panikattacken beginnen können) und Angsterkrankungen. Die meisten dieser Leiden schleichen sich heimlich ein und zermürben den Betroffenen, ohne dass sein Umfeld lange etwas bemerkt.

Panikattacken, so peinigend sie sein mögen, haben jedoch einen Vorteil: Sie schrecken auf, den Patienten und seine Angehörigen, Freunde und Mitarbeiter, führen rasch zum Arzt und - nach der organischen Abklärung - hoffentlich auch immer schneller zum dafür zuständigen Psychiater.

Alles andere ist ein sinnloser, für den Patienten zusätzlich noch beschämender und für die Angehörigen zermürbender Leidensweg, der bei den heutigen therapeutischen Möglichkeiten nun wirklich unnötig ist (Prof. Dr. med. Volker Faust).

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
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