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Hysterisch - Was heisst das?

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Wenn ein medizinische Fachbegriff zum Vorwurf oder gar Schimpfwort wird?

Haltlos, von wunschhaftem Denken bestimmt, ausgesprochenes Geltungsbedürfnis, planlos, chaotisch, krankhafte Selbstbezogenheit, Bewunderungsgier u .a. Das sind nur einige Wesenszüge, die man als "hysterisch" bezeichnet - übrigens auch in der Sprache der Ärzte und Psychologen. Aber ist das auch alles und vor allem: "Was steckt dahinter und kann man dagegen etwas tun?"

Nachfolgend eine kurzgefasste Übersicht zum Thema: hysterisch - was heißt das eigentlich?

Drei psychiatrische Fachbegriffe sind es vor allem, die in der Allgemeinheit abwertend, ja vorwurfsvoll oder diskriminierend missbraucht werden, nämlich

- schizophren ("das ist doch schizophren")
- hypochondrisch ("das ist ein Hypochonder")
- hysterisch ("die ist hysterisch").

Einzelheiten dazu in den jeweiligen Beiträgen (Schizophrenien, Hypochondrie und Hysterie aus der Serie Psychiatrie heute). Nachfolgend einige Überlegungen zu Hysterie und "hysterisch", damit diejenigen, die sich diesen Vorwurfs bedienen, auch wissen, was er im ursprünglichen Sinne, d. h. neurosen-psychologisch bedeutet.

Was heißt Hysterie?

Es dürfte kaum einen psychiatrischen oder neurosen-psychologischen Fachbegriff geben, der so häufig ge- bzw. missbraucht wird wie "Hysterie" und "hysterisch". Und die meisten werden auch ahnen, dass sich dahinter eine seelische Störung verbirgt, die sicher nicht ohne Beeinträchtigungen, Leid und psychosoziale Nachteile abgeht. Und so ist es auch. Nur: Ein einheitliche wissenschaftliche Definition gibt es deshalb noch lange nicht. Ja, inzwischen ist der Begriff "Hysterie" sogar aus dem offiziellen psychiatrischen Wortschatz gestrichen worden und die Amerikanische Psychiatrische Vereinigung (APA) versucht dafür einen neuen durchzusetzen, nämlich "histrionisch" (vom lateinischen: histrio = Schauspieler, Gaukler, also ein aufsehen-erregendes, theatralisches Auftreten provozierend).

Früher jedenfalls verstand man unter Hysterie eine neurotische Störung, also ein seelisches Leiden ohne krankhaften organischen Befund, der sich entweder in seelisch bedingten Lähmungen, Gefühlsstörungen, Ausfall der Sinnesorgane wie Blindheit, Taubheit u.a. äußerte oder in einer relativ charakteristischen Persönlichkeitsstruktur (siehe später).

Die hysterischen Bewegungs- und Sinnesausfälle nennt man heute dissoziative Störungen. Und dass diese ein ernstes Krankheitsbild darstellen, auch wenn man körperlich nichts findet, das bezweifelt wahrscheinlich niemand. Von dort kommt aber auch nicht der volkstümlich-abwertende Gebrauch von "hysterisch". Das hat mit der anderen Seite dieses Leidens zu tun, nämlich der "hysterischen Persönlichkeitsstruktur". Und die gilt - auf einige Kernbegriffe bracht - als "ich-bezogen, geltungsbedürftig, kindlich, unreif usw. Was heißt das im Einzelnen?

"Hysterisch" als Leidensbild und Vorwurf im Alltag

Wenn man die psychiatrischen Wörterbücher heranzieht, dann heißt es unter hysterischer Persönlichkeitsstruktur:

  • narzisstisch, d. h. übersteigertes Bedürfnis nach Bewunderung
  • egozentrisch, d. h. ich-bezogen und geltungsbedürftig mit Neigung zu überzogenen Selbst-Darstellungen
  • infantil, d. h. kindliches Bedürfnis nach ständiger Anerkennung.

Und das alles ohne die Fähigkeit, die aus dieser Wesensart letztlich drohenden partnerschaftlichen, familiären, nachbarschaftlichen, beruflichen u.a. Konflikte zu erkennen und daraus zu lernen. Das ist ein hartes Los.

Wie äußert sich dies im Alltag? Hier hilft beispielsweise eine treffende Schilderung weiter, wie sie die erwähnte Amerikanische Psychiatrische Vereinigung (APA) in ihrem Standardwerk, dem Diagnostischen und Statistischen Manual Psychischer Störung (DSM-IV) anbietet. Dort heißt es (für den Alltagsgebrauch übersetzt):

Hauptmerkmal einer hysterischen (oder jetzt histrionischen) Persönlichkeits-störung ist eine tiefgreifende und übertriebene Emotionalität (Gemütseinstellung) und ein übermäßiges Streben nach Aufmerksamkeit. Die Betroffenen fühlen sich nicht gebührend beachtet oder gar unwohl, wenn sie nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen. Beispiele:

Neigung zu dramatischen Auftritten, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Anfangs durchaus beeindruckend bis bezaubernd durch ihren Enthusiasmus, d.h. ihre Begeisterungsfähigkeit bis hin zur Schwärmerei. Und durch ihre scheinbare Offenheit, die sich aber eher in Richtung Koketterie bewegt, also eine eher eitel-selbstgefällige Aufmerksamkeits-Hascherei. Gerne schlüpfen solche Menschen deshalb auch in die Rolle einer "Stimmungskanone" - solange das Publikum dies aushält.

Wenn sie allerdings die Aufmerksamkeit zu verlieren drohen, können sie sich auch nicht eingestehen, dass die Zeit ihres "Auftritts" jetzt halt vorbei ist - was sie oft genug dazu zwingt, zu dramatischeren Mitteln zu greifen. Dann fangen sie an Geschichten zu erfinden, Szenen zu machen, Wirbel zu verbreiten u.a.

Bei Vorgesetzten, Persönlichkeiten oder dem Arzt schmeicheln sie sich gerne mit Geschenken ein oder ziehen die Aufmerksamkeit mit dramatischen Umschreibungen ihrer seelischen oder körperlichen Beschwerden auf sich.

In sexueller Hinsicht wirkt ihr Auftreten und Verhalten oft unangepasst bis provozierend. Dabei fallen sie nicht nur durch die Unangemessenheit ihres Verhaltens, sondern auch durch generell oberflächliche und rasch wechselnde Gemütseinstellungen und damit Partnerschaften auf.

Wenn man sich auf Grund seiner Wesensart ständig dazu gezwungen sieht, unaufhaltsam durch entsprechendes Auftreten zu beeindrucken, dann muss man viel investieren, nämlich Zeit, Geld und Energie für Kleidung, Körperpflege, Schmuck und exquisite Besonderheiten. Und dann ist man auch besonders anfällig für entsprechende Reaktionen des Umfelds, d. h. Komplimente werden schnell und fast unersättlich aufgegriffen, ja regelrecht "aufgesogen". Kritische Bemerkungen hingegen werden genauso rasch verdrossen, verärgert, gereizt oder aggressiv zurückgewiesen.

Charakteristisch ist auf jeden Fall die mehrfach erwähnte Neigung zur Dramatisierung, d. h. zu theatralischem Auftreten mit übertriebenem Gefühlsausdruck. So ist auch der Sprachstil schwülstig, aber wenig detailliert. Alles bleibt irgendwie diffus, vage, nicht beweisbar (im Guten wie im Schlechten), ohne Sorgfalt, Tiefgang, vor allem schnell austauschbar, je nach Bedarf und Situation.

Typisch ist auch die überschwängliche bis überspannte Art generell, was sich vor allem bei alltäglichen Begrüßungen äußert. Und die hohe Beeinflussbarkeit durch andere oder auch nur durch Modeerscheinungen. Dazu die Neigung zur Gefühlslabilität mit unkontrollierten Weinkrämpfen bei selbst banalen Anlässen, aber auch entsprechenden Wutausbrüchen. Und alles irgendwie ungewöhnlich rasch, gleichsam wie an- und ausschaltbar, so dass bald der Verdacht aufkommt, alle Gefühle seien nur strategisch eingesetzt, wenn nicht gar vorgetäuscht.

Und über oder hinter diesem ganzen Gebaren eine eigenartige Infantilität, also (scheinbar) kindliche Vertrauensseligkeit bis hin zur "Gefühlsduselei", besonders gegenüber wichtigen Persönlichkeiten, Autoritäten oder dem Arzt. Das kann aber schnell umschlagen, nämlich in Frustration (vom Lateinischen: frustra = vergeblich), in Enttäuschungen, Kränkungen oder abrupte, nicht vorhersehbare hysterische Reaktionen, wenn man seine überzogenen Ansprüche nicht erfüllt sieht.

Die Hysterie und ihre psychosozialen Folgen

So nimmt es nicht wunder, dass sich aus dieser Wesensart zahlreiche Probleme im Alltag ergeben: Am meisten beklagt wird die mangelnde gemütsmäßige Tiefe im zwischenmenschlichen und vor allem sexuellen Bereich. Negativ vermerkt wird auch die Neigung zu Extrem-Positionen, d. h. entweder "Opfer" oder "Prinzessin" bzw. "Macho".

Gleichgeschlechtliche Freunde, Bekannte oder Arbeitskollegen gehen deshalb als Erste auf Distanz, da sie sich in ihrer eigenen Position provoziert, wenn nicht gar bedroht sehen (z. B. berufliche Stellung, eigene Partnerschaft).

Außerdem ermüdet die ständige Erwartungshaltung nach überzogener Aufmerksamkeit und vor allem die Degradierung des Umfeldes zur Bühne bzw. zum staunenden Publikum sehr rasch. Wenn der "Hysteriker" aber keinen Erfolg mehr sieht, reagiert er ja schnell gekränkt, wenn nicht deprimiert oder gar reizbar bis aggressiv. Auch das belastet. Deshalb zieht sich das Umfeld nach und nach zurück, um sich nicht zu "ständigem Applaus verdammt zu sehen" (Zitat).

Andererseits sind Menschen mit einer hysterischen Persönlichkeitsstruktur ständig auf der Suche nach Neuigkeiten und Aufregung, auf jeden Fall nach Anregung. Alltägliches wird rasch langweilig. Zwischenmenschlich sind sie eher intolerant, auf jeden Fall schnell frustriert, wenn sie sich nicht sofort bestätigt fühlen. Ihr Handeln ist gleichsam auf unmittelbare Befriedigung programmiert. Neue Aufgaben oder Projekte können sie mit großen Enthusiasmus beginnen, doch kann das Interesse schnell erlahmen. Länger bestehende Freundschaften werden gerne vernachlässigt, um Platz für neue Beziehungen zu schaffen.

Wenn man sich noch einmal die Kurzfassung einer "hysterischen Neurose" vor Augen führt, wie sie früher (und auch heute noch) zur Charakterisierung dieser Menschen angeführt wird, dann kann man sich denken, was das schon mittelfristig für Konsequenzen hat, von längeren zwischenmenschlichen Beziehungen ganz zu schweigen.

Hysterische Neurosen-Struktur - Kurzfassung

Mittelpunktlos, haltlos, ohne innere Orientierung, von äußeren Einflüssen bestimmbar, ohne Kontinuität, stets neue Anfänge suchend, können sich nicht festlegen, sind durch wunschhaftes Denken bestimmt, lernen nicht, sondern probieren immer neu aus, ausgesprochenes Geltungsbedürfnis, Lebensführung voller Sprünge, planlos, chaotisch, Tagträumereien, Neigung zu Rivalität mit anderen, kindliche Note im Gebaren, in Haltung, Kleidung und Lebensführung, krankhafte Selbstbezogenheit und Bewunderungsgier u.a.

Kann man eine Hysterie behandeln?

Das alles legt die Vermutung nahe: Eine Hysterie ist nicht einfach zu ertragen und wahrscheinlich noch schwerer zu behandeln. Allerdings stellt sich diese Frage im Alltag nicht sehr oft. Die meisten hysterischen (jetzt histrionischen) Persönlichkeiten haben gar kein Bedürfnis, ihre Wesensart zu ändern. Das wäre nämlich mit einer überaus schmerzlichen Selbsterkenntnis verbunden. Und mit erheblichen Anstrengungen, wenn man dies wirklich und konsequent ändern wollte.

Manche Betroffene können allerdings diese Wesensart auch ganz gut in ihren Beruf integrieren, was vor allem für Positionen mit der notwendigen Gabe zur Selbstdarstellung verbunden ist. Klassisches Beispiel ist der Schauspieler, aber auch entsprechende Positionen in Politik, Kultur und Wirtschaft. Wenn sich mit der hysterischen Wesensart eine hohe Intelligenz und vielleicht noch hilfreiche Beziehungen paaren, dann muss das ganze nicht nur negativ enden. Vor allem aber sind extreme hysterische Züge eher selten, in mittlerer oder leichterer Ausprägung dafür häufiger und gar nicht uninteressant und erfolglos, wie jeder aus seinem Umfeld zu bestätigen weiß.

Wenn es im übrigen zu einem Behandlungswunsch kommt, dann sind die Betroffenen zumeist durch mehrere Krankheitsbilder belastet (Fachausdruck: Komorbidität). Zur Therapie nötigen dann vor allem Depressionen, Angsterkrankungen, sogenannte Somatisierungsstörungen (auch als funktionelle oder Befindlichkeitsstörungen bezeichnet), das Borderline-Syndrom, manchmal auch Persönlichkeitsstörungen (früher Psychopathien genannt). Unter diesen Umständen richtet sich dann die Behandlung eher nach dem Grundleiden. Und dies in der Hoffnung, der hysterische Anteil möge dadurch auch etwas mehr "Realitätsbezug im Alltag" erfahren.

Schlussfolgerung

So gesehen ist also die vorwurfsvolle Bemerkung: "Du bist hysterisch!" teils richtig, teils überzogen. Denn zum einen handelt es sich zwar um die erwähnte "exaltierte", d. h. etwas überschwängliche bis überspannte, mitunter zu dramatischen Reaktionen neigende Wesensart, die mit diesem Vorwurf "abgemahnt" werden soll.

Zum anderen würden sich die meisten schon sehr wundern, wenn ihnen einmal einem wirklich "hysterisch" Erkrankten begegnen würde. Doch das kommt immer seltener vor, vor allem was die hysterischen Lähmungen, Gefühls- und Sinnesausfälle anbelangt. Und selbst eine ausgeprägtere hysterische Wesensart findet sich letztlich nur selten. Zumeist wird sie nämlich - wie erwähnt - von ihrem Umfeld rasch ausgegrenzt und befindet sich dann meist auf der Flucht, gleichsam "von einer Bühne zur anderen". Und das ist nebenbei gesehen kein beneidenswertes Los und macht die Betroffenen meist recht unzufrieden bis unglücklich. Es ist nebenbei kein beneidenswertes Lob und macht die Betroffenen zu ihrem Leiden ziemlich unglücklich.

Und was die leichteren hysterischen Regungen und damit Reaktionen in diesem oder jenem Mitmenschen anbelangt, so gilt im übertragenen Sinne: "Salz, gut dosiert, würzt die Nahrung - Salz pur ist ungenießbar…" (Prof. Dr. med. Volker Faust).

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
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