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KURZE GEDÄCHTNISSTÖRUNGEN MIT SEELISCHEN FOLGEN

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Erschreckend, wenn man plötzlich aus (scheinbar) völliger Gesundheit heraus nicht mehr weiß, wo man sich befindet, wie spät es ist usw. Und das in gewohnter Umgebung, z. B. zu Hause, aber natürlich auch am Arbeitsplatz, beim Einkaufen u. a. Solche plötzlichen und glücklicherweise kurzen Gedächtnisstörungen nennen die Ärzte eine transiente globale Amnesie.

Was spielt sich hier im Gehirn ab? Wer ist betroffen und warum? Kommt das wieder und hat das langfristige Folgen? Vor allem: was kann man tun?

Nachfolgend deshalb eine kurz gefasste Übersicht zu diesem Phänomen, was die meisten kaum interessieren dürfte – mit Ausnahme derer, die es betrifft.

Von einem erschreckenden, ja bedrohlichen Krankheits-Phänomen ist in letzter Zeit öfters die Rede: Die Betroffenen erleiden eine plötzliche Gedächtnisstörung – und zwar scheinbar ohne Grund und aus völliger Gesundheit heraus. Über ihre eigene Person wissen sie zwar noch Bescheid, nicht aber um Ort und Zeit, in dem sie sich befinden. Das macht natürlich ratlos, unsicher, unruhig und führt schließlich zu Angst und zu ständig furchtsam wiederholten Fragen wie: Wo bin ich hier? Wie sind wir hier hergekommen? Was machen wir hier? Und dies in vertrauter Umgebung, zu Hause, im Freundeskreis oder am Arbeitsplatz.

Die Unsicherheit, Ratlosigkeit und die ängstlichen Fragen gehen vor allem auf die Unfähigkeit zurück, keinen Zugriff mehr auf Gedächtnis-Inhalte vor dem Erlebnis zu haben (Fachbegriff: retrograde Amnesie). Das kann natürlich zu fehlender Orientierung führen, da die Betroffenen nicht mehr in der Lage sind, die vorausgegangenen Tage, ja Stunden zu rekonstruieren. Die Fähigkeit zu komplexen Tätigkeiten bis hin zu Fahrrad- oder gar Autofahren bleibt jedoch meist erhalten - wenn auch durch die zusätzliche Verunsicherung beeinträchtigt. Auch die Persönlichkeit des Patienten ist während der Attacke und später nicht verändert.

Nachdem die Episode abgeklungen ist, geht die retrograde Amnesie wieder zurück. Es bleibt aber eine Gedächtnislücke für den Zeitraum des akuten Ereignisses selber. Mitunter kann es zusätzlich auch zu leichteren Befindlichkeitsstörungen, vor allem zu Kopfdruck und Übelkeit kommen.

Die Neurologen nennen das eine transiente globale Amnesie (TGA). Und weiter in ihrer Fachsprache: eine amnestische Episode im Sinne einer vorübergehenden isolierten Störung des retro- und anterograden Gedächtnisses für frische Informationen, jedoch ohne sonstige neurologische Symptome. Was heißt das?

Eine Amnesie ist die teilweise und völlige Unfähigkeit, vergangene Erfahrungen wieder ins Gedächtnis zurückzurufen. Sie kann durch traumatische Hirnverletzungen (z. B. Unfall), Degeneration (Zell-Abbau), metabolische Störungen (z. B. Schilddrüse, Zuckerhaushalt u. a.), Durchblutungsstörungen, Vergiftungen durch Alkohol, Rauschdrogen oder Medikamente, ja sogar durch seelische Beeinträchtigungen hervorgerufen werden. So ist die Amnesie ein ernstes Symptom mit ggf. nachhaltigen Konsequenzen und bedarf der umgehenden fachärztlichen Abklärung und gezielten Therapie.

In diesem Rahmen tritt auch die erwähnte transiente globale Amnesie auf. Dabei handelt es sich um eine akut einsetzende, jedoch zeitlich rasch vorübergehende Störung der Gedächtnisfunktion für praktisch alle Inhaltsformen (also Sehen, Spüren, Riechen u. a.). Da auch die Erinnerung für die Zeit vor dem Ereignis gestört ist, ist der Patient natürlich ratlos, und deshalb die Fragen zu Wer – Wie – Wo – Warum?

Häufigkeit – Geschlecht – Alter – Dauer

Die Dauer solcher „Attacken“ ist glücklicherweise begrenzt und beträgt etwa 30 bis 60 Minuten, manchmal weniger, manchmal mehr, aber so gut wie nie über 12 Stunden hinaus. Deshalb der Begriff „transiente“ (= vorübergehende) Amnesie.

Die zeitliche Limitierung ist auch der Grund dafür, dass der zuständige Facharzt, nämlich der Neurologe, den Patienten meist nicht zu sehen bekommt. Die Mehrzahl der Betroffenen wartet ab – und es bessert sich ja auch alles relativ rasch wieder. Wird der Hausarzt konsultiert, dürfte auch er erst einmal zum „beobachtenden Abwarten“ raten.

Das erklärt auch, dass sich die statistisch erfasste(!) Häufigkeit in Grenzen hält, nämlich bei etwa 5 bis 10 pro 100.000 Einwohner/Jahr. Manche Experten sind aber der Meinung, das liege deutlich unter dem, was sich vermutlich im Alltag wirklich abspiele. Auf jeden Fall scheinen Frauen und Männer ungefähr gleich häufig betroffen zu sein. Am ehesten finden sich solche Attacken zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr, selten vor 40. Ob nun seltener oder nicht, etwa jeder fünfte Betroffene muss mit einem erneuten Auftreten der transienten globalen Amnesie rechnen.

Wie erklärt man sich nun eine transiente globale Amnesie?

Um es gleich vorwegzunehmen: Genaues weiß man auch heute noch nicht. Offenbar sind verschiedene funktionelle Mechanismen im Gehirn beteiligt. Worüber man sich einig ist, ist die Lokalisation, d. h. in welchen Gehirnformationen sich das Ereignis abspielen könnte (Fachbegriffe: medio-basaler Temporallappen, beide Hippocampi; letztere zuständig für die geistige Festigung des Gedächtnisses, also auch für den Abruf von Gedächtnis-Inhalten, was ja hier - zumindest zeitlich begrenzt - gestört ist).

Was ebenfalls häufig berichtet wird, sind vorausgegangene Belastungen, also physische (körperliche) und emotionale (Gemüts-)Belastungssituationen. Relativ häufig hört man auch von Ereignissen, die den Gehirndruck vergrößern können, z. B. Schmerzen, kaltes Wasser, Geschlechtsverkehr, Toilettengang, Hustenanfälle, Kopfsprung ins Wasser, leichter Kopfunfall, bisweilen auch nach ängstlich registrierten ärztlichen Eingriffen usw. Auch seelische Faktoren, vor allem mit psychosozialen Folgen wurden schon als Auslöser diskutiert. Was hingegen auffallend oft vorliegt, sind Migräne-Anfälle in der Vorgeschichte.

Bei einem solchen Ereignis fragt sich der vielleicht doch noch hinzugezogene Neurologe (meist kommen die Patienten erst später zur rückwirkenden Abklärung zum Facharzt, falls überhaupt), was es außer einer transienten globalen Amnesie sonst noch sein könnte (Differentialdiagnose genannt). Deshalb wird er auf eine verlässliche Fremd-Anamnese bestehen (also die Beobachtung von Angehörigen, Freunden u. ä. während der Attacke), einen neurologischen Befund erheben (der in der Regel unauffällig ist) und bestimmte Zusatz-Untersuchungen erwägen (in Fachbegriffen: Elektroenzephalogramm (EEG), Dopplersonographie, ggf. CT, MRT, SPECT, u. U. Herz-Kreislauf-Untersuchun­gen usw.). Dabei will er vor allem wissen: Handelt es sich hier um eine Intoxikation (Vergiftung), z. B. durch Alkohol, Medikamente, Rauschdrogen? Oder um einen ischämischen Insult (Hirnschlag), möglicherweise bestimmte epileptische Anfälle (früher Temporallappen-Epilepsie, heute komplex-fokale Anfälle genannt); vielleicht sogar um psychogene (seelisch ausgelöste) Zustände wie zielloses, wahnhaftes Wegdrängen mit nachfolgender Erinnerungslosigkeit (Fugue oder Poriomanie genannt)?

Und wenn die Diagnose feststeht, nämlich transiente globale Amnesie, dann muss er sich mit Hypothesen zufrieden geben, weil man – wie erwähnt – bis heute noch nicht recht weiß, was sich wirklich in den erwähnten Hirnstrukturen abspielt.

Diskutiert werden dabei komplizierte Mechanismen, auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann, wobei in letzter Zeit wieder die alte Überlegung an Bedeutung gewinnt: Vermutlich handelt es sich um eine Durchblutungsstörung bestimmter Hirnstrukturen, durch unterschiedliche Ursachen ausgelöst, z. B. durch ein möglicherweise reversibles, also sich wieder zurückbildendes ischämisches (thrombo-embolisches) Ereignis, d. h. eine Blutpfropfbildung mit Durchblutungs-Unterbrechung. Erleichternd aber die bisherige Erfahrung, dass Patienten mit einer transienten globalen Amnesie kein erhöhtes Schlaganfall-Risiko aufweisen sollen, und auch bei anderen zerebro-vaskulären (Gehirngefäß-)Erkrankungen nicht häufiger betroffen sind, so die Experten derzeit.

Auslöser – Heilungsaussichten – Therapie – Vorbeugung

So bleibt die Frage: Was kann man tun, während des Anfalls und danach bzw. zuvor. Und natürlich im Hinblick auf das erwähnte Rückfall-Risiko von fast einem Fünftel der Betroffenen?

Das Wichtigste: Die Prognose, d. h. die Heilungsaussichten sind gut. Die Amnesie klingt ab, wenn auch die Erinnerungslücke für das Ereignis selber bestehen bleibt. Eine neurologische (und ggf. internistische) Abklärung und Verlaufskontrolle vermittelt zusätzliche Sicherheit. Eine spezifische Therapie ist nicht bekannt. Leider auch keine Prophylaxe (konkrete Rückfall-Vorbeugung), wenn alle erhobenen Befunde unauffällig sind.

Die erwähnten Auslöser(s. o.), vor allem was die körperlichen und seelischen Belastungssituationen anbelangt, sollte man aber im Auge behalten. Manche Experten sind der Meinung, dass es sich hier bevorzugt um Personen handelt, die besonderem Stress ausgesetzt sind, auch wenn sie das selber nicht so empfinden (offenbar aber die organischen Funktionsträger sehr wohl, insbesondere bestimmte Gehirnstrukturen unter funktioneller Belastung).

Typischerweise ist das Ereignis einer transienten globalen Amnesie aber für nicht wenige Betroffene erst einmal so bedrohlich und zum Nachdenken über den eigenen Aktivitäts-Stil anregend, dass dann doch langfristig eine Korrektur in Bezug auf Lebensweise und damit Lebensqualität folgt. Also ein nicht nur gutartiger, sondern sogar sinnvoller Warnhinweis?

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
Beachten Sie deshalb bitte auch unseren Haftungsausschluss (s. Impressum).