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DER DERMATOZOENWAHN

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Die wahnhafte Einbildung, von Ungeziefer befallen zu sein

Der Dermatozoenwahn ist die wahnhafte, d. h. subjektive, aber unkorrigierbare Gewissheit, dass auf, in oder unter der Haut Ungeziefer kriecht, krabbelt, hüpft, sich durchbohrt usw. - und damit durch Jucken, Stechen usw. belästigt. Und dies, obgleich sich aus medizinischer Sicht keinerlei Hinweis dafür finden lässt, auch wenn ständig neue Untersuchungen gefordert werden. Manche Patienten behaupten sogar, das Ungeziefer zu sehen und legen die "Beweise" in Döschen, Schachteln oder Röhrchen vor. Und wenn die anderen sagen: Aber das sind doch nur Hautschuppen, Staubkörner, Textilfasern u.a., dann wenden sie sich ob dieses Unverständnisses verzweifelt ab - und versuchen es bei anderen Ärzten oder Bekannten.

Um was handelt es sich bei diesem sowohl qualvollen, als auch natürlich gesellschaftlich diskriminierenden Leiden und vor allem: was kann man dagegen tun?

Ein Wahn ist die krankhafte Fehlbeurteilung der Wirklichkeit. Weder persönliche Erfahrung, noch Logik oder noch so intensive Überzeugungsarbeit der Angehörigen, Freunde, Nachbarn, Mitarbeiter u.a. kann diesen Irrtum korrigieren. Der Wahnkranke, vor allem im fortgeschrittenen Stadium seines Leidens, beharrt unerschütterlich auf "seiner" Sicht der Dinge. Für ihn ist sie unanfechtbar.

Wer diese Wahn-Realität in Frage stellt, gerät in Gefahr, von dem Betroffenen, der ja in seiner Wahnwelt unkorrigierbar gefangen ist, nicht mehr ernst genommen, nicht mehr akzeptiert werden.

Man unterscheidet verschiedene Erscheinungsformen des Wahns: Verfolgungswahn, Bestehlungswahn, Beziehungswahn, Heilswahn, Verarmungswahn, Größenwahn, Liebenswahn, Eifersuchtswahn u.a.m. Einzelheiten siehe das entsprechende Kapitel in Psychiatrie heute.

Ein Wahn kann im Rahmen einer seelischen oder körperlichen Erkrankung auftreten z. B. Schizophrenie, Schädelhirn-Unfall, Delirium nach Rauschdrogen oder Alkoholismus u. a. Oder als Einzel-Symptom im Rahmen der unterschiedlichsten Leiden, wiederum entweder seelischer oder körperlicher Natur. Das kann dann besonders schwierig werden, weil der Wahnkranke in seinem übrigen Denken durchaus nach gesunden Maßstäben zu urteilen und zu handeln vermag. So weiß man lange Zeit nicht, was ist nun krankhaft oder Wirklichkeit, wenngleich auch ein wenig ungewöhnlich bis verschroben.

Der Ungezieferwahn - häufiger als man glaubt

Zu dieser Gruppe gehört der sogenannte Dermatozoenwahn, mit dem sich vor allem die Dermatologen, die Hautärzte beschäftigen müssen. Psychiater werden hier nur selten zu Rate gezogen (siehe später).

Der Dermatozoenwahn, auch als Ungezieferwahn oder wahnhafter Ungezieferbefall bezeichnet (Fachbegriffe: Acarophobie, Dermatophobie, chronische taktile Halluzinose, Ekbom-Syndrom, Parasitophobie, Entomophobia u.a.) ist so alt wie die Menschheit und wurde zum ersten Mal im 19. Jahrhundert beschrieben.

Dabei handelt es sich um die unkorrigierbare subjektive Gewissheit, auf, in oder unter der Haut von Parasiten befallen zu sein. Und dies, obgleich sich sowohl aus dermatologischer als auch entomologischer Sicht (Insektenlehre) keinerlei Hinweis dafür finden lässt.

Die Betroffenen sind - typisch für den Wahn (siehe oben) - durch nichts zu überzeugen. Im Gegenteil, die ständigen Kontrolluntersuchungen ohne krankhaften Befund machen sie nur noch unglücklicher und verzweifelter, weil sie sich für hoffungslose Fälle halten, spüren sie doch mit subjektiver Gewissheit, "was mit ihnen Schreckliches geschieht". Und dies, ohne dass die Medizin ihnen offensichtlich zu helfen vermag.

Ein quälendes Beschwerdebild

Das kann nun in der Tat eine furchtbare Pein werden. Denn nahezu alle Patienten mit einem Dermatozoenwahn klagen über vermeintliche Parasiten in Form von Jucken, Stechen, Brennen usw. Viele berichten auch über Kriechen, Krabbeln, Hüpfen sowie Durchbohren u.a.m.

Manche behaupten sogar, das Ungeziefer zu sehen. Und sie treten dafür auch Beweise an, wenigstens in ihren Augen beweiskräftig: Meist sind es Hautschuppen, Staubkörner, Textilfasern oder Hautteilchen u.a., die in Döschen, Schachteln oder Röhrchen gesammelt und Arzt, Angehörigen und allen, die sich dafür interessieren (müssen) pausenlos demonstriert werden. Je nach Kenntnis bzw. Unkenntnis werden diese "Beweise" dann als kleine Tierchen, Parasiten, Insekten, Läuse, Flöhe, Milben, Zecken, Würmer usw. bezeichnet.

Reagieren die anderen dann mit Unverständnis, Skepsis oder gar Ironie, wenden sich die "unverstandenen Opfer" verzweifelt ab und suchen an anderer Stelle das erhoffte Verständnis.

Ältere und Frauen häufiger betroffen

Niemand weiß, wie häufig ein solcher Wahn auftritt. Die wissenschaftlichen Daten streuen breit. Das hängt damit zusammen, dass sich diese Patienten vor allem bei Hautärzten, ggf. auch bei Entomologen (Insektenkunde), Zoologen (Tierkunde) u.a. vorstellen - nur nicht bei Nervenärzten und Psychiatern, die für einen Wahn im Allgemeinen und einen Dermatozoenwahn im Speziellen zuständig wären. So finden sich also in den psychiatrischen Schriften nur relativ wenige, in zoologischen und dermatologischen Publikationen dafür häufigere Hinweise, allerdings dann ohne die notwendigen psychologischen und psychopathologischen Fachkenntnisse über die krankhaften Hintergründe, Ursachen und damit diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten.

Frauen leiden offenbar häufiger daran als Männer. Und dies vor allem im 5. bis 7. Lebensjahrzehnt. Man wird also besonders beim weiblichen Geschlecht im mittleren und höheren Lebensalter darauf achten müssen.

Ein besonderes Problem ist die Übertragung des Dermatozoenwahns auf andere Menschen, als eine Art "seelische Infektion" ohne jeglichen krankhaften Organbefund bei beiden. Jetzt trifft es also bereits zwei oder gar mehr Personen. So etwas nennt man dann einen induzierten Dermatozoenwahn (siehe dazu auch das spezielle Kapitel über den induzierten Wahn oder die Folie à deux in der Serie Psychiatrie heute).

Wie kommt ein Dermatozoenwahn zustande?

Ein Dermatozoenwahn kann sowohl im Rahmen einer körperlich begründbaren Psychose (organisch ausgelöste Geisteskrankheit, z. B. durch Altersvorgänge im Gehirn) wie auch bei sogenannten endogenen Psychosen vorkommen (z. B. Schizophrenie, ja sogar bisweilen Depressionen). Er ist aber auch rein psychogen (ausschließlich seelisch bedingt) bzw. psychosozial auslösbar.

Als erstes muss der Patient selbstverständlich körperlich sorgfältig untersucht werden. Schließlich gibt es in der Tat genügend Ungezieferbefall, vor allem bei den heutigen touristischen Möglichkeiten. Ist aber nichts zu finden, sollte man schließlich den Psychiater hinzuziehen, wenn sich dieses Leiden nicht nur quälend, sondern auch irgendwie sonderbar, verschroben, auf jeden Fall nicht nachvollziehbar hinzieht und verstärkt. Doch das wird von den meisten Betroffenen instinktiv abgelehnt, manchmal sogar verärgert oder empört zurückgewiesen. Man ist schließlich nicht "blöd", bildet sich so etwas nicht einfach ein, leidet ohnehin schon genügend und muss sich deshalb nicht noch eine "Verrücktheit" oder gar Geisteskrankheit unterstellen lassen. Also zuckt alles zurück - und das Ganze nimmt seinen verhängnisvollen Lauf.

Bisweilen gibt es aber auch fließende Übergänge zwischen körperlich begründbaren Ursachen und seelischen Störungen, besonders im höheren Lebensalter. Das ist nicht selten, lässt sich aber von der organischen Seite meist sauber diagnostizieren, macht aber dann von der seelischen her die gleichen Schwierigkeiten wie oben dargestellt.

Doch letztlich geht alles in eine Richtung: Dem Opfer muss geholfen werden, d. h. man muss eine Therapie finden, die es von dieser Qual befreit - und zwar gleichgültig, ob der Patient jetzt glaubt, er sei von einer körperlichen Plage befreit worden oder irgendwann auch die Erlösung von der seelischen Krankheit ahnt bzw. (halbwegs) akzeptiert.

Therapeutische Möglichkeiten

Leider wird gerade der Dermatozoenwahn als therapeutisch kaum beeinflussbar beschrieben. In manchen Fällen ist die Verzweiflung so groß, dass die Betroffenen schließlich Hand an sich legen. Dabei ist die Behandlungschance - zumindest bei eindeutigem Dermatozoenwahn - günstig. Meist verordnet man bestimmte Neuroleptika (antipsychotisch wirkende Psychopharmaka), die schon nach kurzer Zeit von diesem Wahn befreien können. Liegt der Schwerpunkt des Krankheitsbildes auf der mehr depressiven Seite, kann man das Gleiche mit Antidepressiva (stimmungsaufhellenden Psychopharmaka) erreichen.

In der Regel verschwindet der Wahn damit, kann allerdings wieder auftreten, wenn man nach einiger Zeit das Medikament absetzt (was die Patienten - verständlicherweise - irgendwann einmal fordern oder offen bzw. heimlich tun). Dann muss man eben mit dieser Behandlung von vorne beginnen und diesmal mit etwas mehr Geduld zuwarten.

Es soll aber auch nicht verschwiegen werden, dass manche Wahnformen, nicht zuletzt der Dermatozoenwahn, mitunter ein halbes Leben überschatten. Dies vor allem im höheren Lebensalter und bei langer Leidenszeit ohne entsprechende psychopharmakologische Behandlung.

Doch in der Regel ist irgendwann das risikolose Ausschleichen dieser antipsychotischen Neuroleptika oder stimmungsaufhellenden Antidepressiva dann doch noch möglich. Und wenn nicht ganz, so ist eine minimale Erhaltungsdosis dieser Arzneimittel sicher leichter zu ertragen als die ständige Beeinträchtigung durch scheinbar krabbelndes, kriechendes oder bohrendes Ungeziefer, das - so der häufige Kommentar - "bald zum Wahnsinn treibt".

Nur ist es eben in Wirklichkeit gerade umgekehrt: Es ist meist ein Wahn, also eine seelische Störung, die das Krabbeln und Bohren auslöst. Und das ist gut so, denn mit den heutigen medikamentösen Möglichkeiten muss kein Mensch mehr unter einem wahnhaften Ungezieferbefall ohne Ende leiden - vorausgesetzt er sucht nach dem Hautarzt dann jenen Spezialisten auf, der für diese Art von Krankheit zuständig ist, nämlich der Psychiater (Prof. Dr. med. Volker Faust).

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
Beachten Sie deshalb bitte auch unseren Haftungsausschluss (s. Impressum).