Prof. Dr. med. Volker Faust Psychosoziale Gesundheit von Angst bis Zwang Seelische Störungen erkennen, verstehen, verhindern, behandeln |
CHRONISCHE DEPRESSIONENWas steht dahinter - was kann man tun?
Eine therapieresistente und damit chronische Depression ist eine Depression, die auf alle Behandlungsmaßnahmen in angemessener Frist nicht anspricht: Psychotherapie, soziotherapeutische Korrekturen und Unterstützungsmaßnahmen, Pharmakotherapie, sonstige Behandlungsmaßnahmen wie Lichttherapie, Schlafentzug, ferner ausreichend körperliche Aktivität u. a. Der Anteil solcher Depressionen, die schließlich in eine "Dauer-Schwermut" münden können, variiert je nach Untersuchung stark und liegt zwischen 15 und 30 %. Das kann zu einer gewaltigen Belastung für Betroffene und Angehörige werden. An was muss man denken? Chronische Depressionen zeigen in der Regel keine schwerere, sondern eine eher mildere Ausprägung des depressiven Beschwerdebildes (Einzelheiten siehe die ausführliche Depressions-Internetserie in drei Teilen). Was jedoch vor allem zermürbt, ist ein quälendes Gedankenkreisen um immer die gleichen - meist belanglosen - Themen. Ferner eine ängstlich-niedergedrückte oder gereizte Stimmung, dazu mittelstarke, in der Regel jedoch kaum zu beeinflussende Schlafstörungen sowie eine vermehrte Klagsamkeit, die vor allem das nähere und weitere Umfeld belastet. Obgleich das Beschwerdebild weniger intensiv zu sein scheint, ist das subjektive Krankheitsgefühl stärker ausgeprägt als bei einer akuten Depression. Deshalb drohen vermehrt suizidale Neigungen oder gar Selbsttötungshandlungen. Tragischerweise ist der zwischenmenschliche Kontakt - der gerade hier besonders wichtig wäre - meist auffällig beeinträchtigt. Chronisch Depressive können sich nicht nur weniger als andere anpassen, sie ziehen sich auch resigniert bis "stumm anklagend" zurück, zermürben ihre Angehörigen und Freunde, Pflegepersonal und Bekannte durch ihr fast schon nörgelndes Appellationsverhalten ("jammerige Hilferufe"). Und gelegentlich schockieren sie durch brüske Zurückweisung oder gar regelrechte Feindseligkeit ("feindselige Depression").
Was kann eine chronische Depression auslösen? Bringt man alle Risikofaktoren einer solch unglückseligen Entwicklung auf einen Nenner, so finden sich vor allem folgende Belastungen: Tod naher Bezugspersonen, körperliche Beeinträchtigung des Betroffenen selber oder des zu pflegenden Partners, zwischenmenschliche, insbesondere Partnerprobleme, eine schlechte soziale Anpassung und eine neurotische Wesensart, die man auch als sekundäre Neurotisierung bezeichnet. Neurosen sind seelische Störungen ohne nachweisbare organische Ursache. Meist basieren sie auf misslungenen Verarbeitungs- und Lösungsversuchen unbewusster Konflikte, die oft bis in die Kindheit zurückreichen (können) und durch bestimmte auslösende Situationen wiederbelebt werden. So etwas kann schließlich zu einer doppelten Belastung werden, nämlich Neurotisierung und (chronische) Depression zugleich. Tatsächlich wirken Patienten mit einer solchen Kombination ständig missmutig-gereizt, vermehrt irritierbar, mit Neigung zu Schuldgefühlen und erhöhter Empfindlichkeit auf Umwelteinflüsse (Wetter, Lärm usw.). Nicht selten irritiert eine hypochondrische Klagsamkeit sowie eine ängstlich-überbesorgte Einstellung, gelegentlich eine regelrechte Fixierung auf die Erkrankung. Die Beschwerden werden oft in monotoner Weise anklagend bis missgestimmt-querulatorisch vorgebracht. Bisweilen findet sich sogar ein sekundärer Krankheitsgewinn. Darunter versteht man gewisse Vorteile, die sich aus einem solchen Leiden ergeben und deshalb - unbewusst - unterhalten werden: zwischenmenschlich wie Partnerschaft, Kinder, Eltern, Nachbarn, Arbeitskollegen, aber auch beruflich, finanziell usw. Der Verlauf eines solchen Leidens ist also ungünstig, die Zukunftsaussichten problematisch. Besonders im höheren Lebensalter kann dies sogar die Persönlichkeit verändern: seelische Starrheit, negativistische Selbstunsicherheit, Selbstentwertungsneigung, Unfähigkeitsgefühle, mangelhafte Belastbarkeit, inneres Erkalten, bei alten Menschen sogar ein beschleunigter hirnorganischer Abbau. Was kann man tun? Neben einer Reihe medikamentöser Maßnahmen und zusätzlicher Behandlungsmöglichkeiten wie Schlafentzug, Lichttherapie, ggf. Elektrokrampfbehandlung usw. (siehe Kasten), gilt es vor allem die Diagnose noch einmal zu überdenken. Im Einzelnen: Handelt es sich wirklich um eine Depression? Oder liegen bestimmte Krankheitsbilder vor, die einen depressiven Zustand auslösen, verstärken oder verlängern können? Dafür gibt es Tabellen, bei denen erstaunlich viele organische Leiden und eine große Zahl von Arzneimitteln als Auslöser diskutiert werden. Möglich ist auch ein ungünstiges Arzt-Patient-Verhältnis oder Krankenhaus- bzw. Stationsmilieu, was die Genesung verzögern kann. Und - ganz wichtig und meist übersehen und vor allem schwer kontrollierbar: die Einnahmezuverlässigkeit des Patienten. Zwar sind Depressive im Allgemeinen von beflissener Wesensart, doch ältere und alleinlebende Patienten sind mit der regelmäßigen Einnahme ihrer (häufig auch noch zahlreichen) Arzneimittel oft überfordert. Die Folge ist ein Absinken des Wirkspiegels und damit ein unzureichender Behandlungserfolg. Weitere Einflüsse sind beruflicher Natur (mehr Männer), das Geschlecht (mehr Frauen) sowie Erbanlage und damit eine endogene bzw. biologische Komponente. Stets muss man aber bei einer therapieresistenten und damit chronischen Depression an die erwähnten zwischenmenschlichen Aspekte denken, insbesondere im partnerschaftlichen Bereich. Das ist ein Faktor, der erstaunlich ergiebig ist und häufig auch konkret weiterhilft - sofern man einen guten psychotherapeutischen Zugang zum Betroffenen (und seinen Angehörigen) findet. Ansonsten gilt die alte Nervenarzt-Regel: Geduld, Geduld, Durchhaltevermögen, Optimismus und die Gabe, sich nicht "anstecken" zu lassen (Prof. Dr. med. Volker Faust).
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Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise. |