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CHRONISCHE DEPRESSIONEN

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Was steht dahinter - was kann man tun?

Eine Depression vergeht wieder - und es bleibt nichts zurück. Diese tröstliche Botschaft stimmt, aber leider nicht in jedem Fall. Auch bei der Depression gibt es Verlaufsformen, die jeder Behandlung trotzen und dann chronisch zu werden drohen. Was steckt dahinter, was kann man tun?

Eine therapieresistente und damit chronische Depression ist eine Depression, die auf alle Behandlungsmaßnahmen in angemessener Frist nicht anspricht: Psychotherapie, soziotherapeutische Korrekturen und Unterstützungsmaßnahmen, Pharmakotherapie, sonstige Behandlungsmaßnahmen wie Lichttherapie, Schlafentzug, ferner ausreichend körperliche Aktivität u. a.

Der Anteil solcher Depressionen, die schließlich in eine "Dauer-Schwermut" münden können, variiert je nach Untersuchung stark und liegt zwischen 15 und 30 %. Das kann zu einer gewaltigen Belastung für Betroffene und Angehörige werden. An was muss man denken?

Chronische Depressionen zeigen in der Regel keine schwerere, sondern eine eher mildere Ausprägung des depressiven Beschwerdebildes (Einzelheiten siehe die ausführliche Depressions-Internetserie in drei Teilen). Was jedoch vor allem zermürbt, ist ein quälendes Gedankenkreisen um immer die gleichen - meist belanglosen - Themen. Ferner eine ängstlich-niedergedrückte oder gereizte Stimmung, dazu mittelstarke, in der Regel jedoch kaum zu beeinflussende Schlafstörungen sowie eine vermehrte Klagsamkeit, die vor allem das nähere und weitere Umfeld belastet.

Obgleich das Beschwerdebild weniger intensiv zu sein scheint, ist das subjektive Krankheitsgefühl stärker ausgeprägt als bei einer akuten Depression. Deshalb drohen vermehrt suizidale Neigungen oder gar Selbsttötungshandlungen.

Tragischerweise ist der zwischenmenschliche Kontakt - der gerade hier besonders wichtig wäre - meist auffällig beeinträchtigt. Chronisch Depressive können sich nicht nur weniger als andere anpassen, sie ziehen sich auch resigniert bis "stumm anklagend" zurück, zermürben ihre Angehörigen und Freunde, Pflegepersonal und Bekannte durch ihr fast schon nörgelndes Appellationsverhalten ("jammerige Hilferufe"). Und gelegentlich schockieren sie durch brüske Zurückweisung oder gar regelrechte Feindseligkeit ("feindselige Depression").

Häufig - und das ist der entscheidende Punkt - besteht eine gespannte zwischenmenschliche Situation, insbesondere im Partnerschafts- und Sexualbereich, in der der chronisch Depressive in fast schon feindseliger Abhängigkeit sich selber und seine nahen Angehörigen belastet.

Was kann eine chronische Depression auslösen?

Bringt man alle Risikofaktoren einer solch unglückseligen Entwicklung auf einen Nenner, so finden sich vor allem folgende Belastungen: Tod naher Bezugspersonen, körperliche Beeinträchtigung des Betroffenen selber oder des zu pflegenden Partners, zwischenmenschliche, insbesondere Partnerprobleme, eine schlechte soziale Anpassung und eine neurotische Wesensart, die man auch als sekundäre Neurotisierung bezeichnet.

Neurosen sind seelische Störungen ohne nachweisbare organische Ursache. Meist basieren sie auf misslungenen Verarbeitungs- und Lösungsversuchen unbewusster Konflikte, die oft bis in die Kindheit zurückreichen (können) und durch bestimmte auslösende Situationen wiederbelebt werden. So etwas kann schließlich zu einer doppelten Belastung werden, nämlich Neurotisierung und (chronische) Depression zugleich.

Tatsächlich wirken Patienten mit einer solchen Kombination ständig missmutig-gereizt, vermehrt irritierbar, mit Neigung zu Schuldgefühlen und erhöhter Empfindlichkeit auf Umwelteinflüsse (Wetter, Lärm usw.).

Nicht selten irritiert eine hypochondrische Klagsamkeit sowie eine ängstlich-überbesorgte Einstellung, gelegentlich eine regelrechte Fixierung auf die Erkrankung. Die Beschwerden werden oft in monotoner Weise anklagend bis missgestimmt-querulatorisch vorgebracht.

Bisweilen findet sich sogar ein sekundärer Krankheitsgewinn. Darunter versteht man gewisse Vorteile, die sich aus einem solchen Leiden ergeben und deshalb - unbewusst - unterhalten werden: zwischenmenschlich wie Partnerschaft, Kinder, Eltern, Nachbarn, Arbeitskollegen, aber auch beruflich, finanziell usw.

Der Verlauf eines solchen Leidens ist also ungünstig, die Zukunftsaussichten problematisch. Besonders im höheren Lebensalter kann dies sogar die Persönlichkeit verändern: seelische Starrheit, negativistische Selbstunsicherheit, Selbstentwertungsneigung, Unfähigkeitsgefühle, mangelhafte Belastbarkeit, inneres Erkalten, bei alten Menschen sogar ein beschleunigter hirnorganischer Abbau.

Was kann man tun?

Neben einer Reihe medikamentöser Maßnahmen und zusätzlicher Behandlungsmöglichkeiten wie Schlafentzug, Lichttherapie, ggf. Elektrokrampfbehandlung usw. (siehe Kasten), gilt es vor allem die Diagnose noch einmal zu überdenken. Im Einzelnen:

Handelt es sich wirklich um eine Depression? Oder liegen bestimmte Krankheitsbilder vor, die einen depressiven Zustand auslösen, verstärken oder verlängern können? Dafür gibt es Tabellen, bei denen erstaunlich viele organische Leiden und eine große Zahl von Arzneimitteln als Auslöser diskutiert werden.

Möglich ist auch ein ungünstiges Arzt-Patient-Verhältnis oder Krankenhaus- bzw. Stationsmilieu, was die Genesung verzögern kann.

Und - ganz wichtig und meist übersehen und vor allem schwer kontrollierbar: die Einnahmezuverlässigkeit des Patienten. Zwar sind Depressive im Allgemeinen von beflissener Wesensart, doch ältere und alleinlebende Patienten sind mit der regelmäßigen Einnahme ihrer (häufig auch noch zahlreichen) Arzneimittel oft überfordert. Die Folge ist ein Absinken des Wirkspiegels und damit ein unzureichender Behandlungserfolg.

Weitere Einflüsse sind beruflicher Natur (mehr Männer), das Geschlecht (mehr Frauen) sowie Erbanlage und damit eine endogene bzw. biologische Komponente.

Stets muss man aber bei einer therapieresistenten und damit chronischen Depression an die erwähnten zwischenmenschlichen Aspekte denken, insbesondere im partnerschaftlichen Bereich. Das ist ein Faktor, der erstaunlich ergiebig ist und häufig auch konkret weiterhilft - sofern man einen guten psychotherapeutischen Zugang zum Betroffenen (und seinen Angehörigen) findet.

Ansonsten gilt die alte Nervenarzt-Regel: Geduld, Geduld, Durchhaltevermögen, Optimismus und die Gabe, sich nicht "anstecken" zu lassen (Prof. Dr. med. Volker Faust).

Therapieversuche bei chronischer Depression

- Wirklatenz beachten: Wurde die Stimmungsaufhellung zu früh erwartet? Zwei bis drei Wochen braucht ein Antidepressivum, bis es greift. In manchen Fällen sogar länger, vor allem im höheren Lebensalter.

- Einnahmedauer zu kurz: Vor allem bei mangelnder Therapietreue wird das Medikament gerne eigenständig reduziert oder abgesetzt, sobald man den Eindruck hat, es gehe einem besser. Das kann zu unnötigen Rückfällen führen, zumindest aber zu einer vermeidbaren Verschlechterung.

- Individuelle Dosierung verfehlt: Bei therapieresistenten depressiven Zustandsbildern sollen zwischen einem Drittel und drei Viertel aller Patienten unterdosiert sein. Dies gilt vor allem für das höhere Lebensalter, wo man naturgemäß vorsichtiger ist, eine sogenannte "geriatrische Unterdosierung" aber vermeiden muss. Also das Antidepressivum individuell aufdosieren.

- Arzneimittel-Wechselwirkungen beachten: Nicht wenige Medikamente blockieren sich gegenseitig, verstärken ihre Nebenwirkungen und schwächen den erhofften Wirkeffekt ab. Entsprechende Hinweise in Zusammenarbeit mit dem Arzt in den Fachinformationen und Beipackzetteln beachten.

- "Falsches" Antidepressivum gewählt: "Falsch" ist unzutreffend, besser wäre: "optimal" nicht getroffen. Verschiedene Substanzen laufen auf verschiedenen biologischen Schienen (Fachbegriffe für die entsprechenden Botenstoffe im Zentralen Nervensystem: Serotonin, Dopamin, Noradrenalin usw.). Manche Patienten sprechen auf das eine besser, das andere weniger gut an. Das muss man ausprobieren (manchmal hilft auch eine Kombination aus mehreren Substanzen mit verschiedenen biologischen Angriffspunkten weiter - sofern die damit verbundene erhöhte Nebenwirkungsbelastung vertragen wird).

- Kein Antidepressivum sondern ein Beruhigungsmittel genommen: Eine solche Lösung wird gerne versucht, da Tranquilizer (Beruhigungsmittel) weniger Nebenwirkungen zu haben scheinen und offenbar raschere Entlastung bringen. Doch kein Beruhigungsmittel wirkt antidepressiv, das ist ausschließlich den Antidepressiva vorbehalten.

- Neuroleptikum statt Antidepressivum: Einige niederpotente Neuroleptika haben eine milde antidepressive Wirkung, aber nicht vergleichbar mit einem echten Antidepressivum. Vor allem früher, aber auch heute noch wird gerne erst einmal ein hochpotentes Neuroleptikum in niederer Dosierung als "Wochenspritze" versucht. Das hat bei manchen funktionellen und Befindlichkeitsstörungen durchaus Erfolg, wenngleich zeitlich begrenzt, in keinem Falle aber bei Depressionen. Hier helfen nur Antidepressiva.

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
Beachten Sie deshalb bitte auch unseren Haftungsausschluss (s. Impressum).