Prof. Dr. med. Volker Faust Psychosoziale Gesundheit von Angst bis Zwang Seelische Störungen erkennen, verstehen, verhindern, behandeln |
Versprecher im AlltagPeinlich, köstlich und entlarvend
Wer kennt sie nicht, die Versprecher im Alltag. Am durchschlagendsten natürlich bei einem öffentlichen Auftritt, z.B. einer Rede. Je nach Brisanz des entschlüpften und entlarvenden Satzes oder Wortes reagiert erst alles verdutzt, dann schmunzelnd, vielleicht sogar Gelächter, Hohn, Spott und zynische Bemerkungen. Jetzt muss das Opfer schauen, wie es sich aus der Affäre zieht. Da zeigen sich dann Routine, aber auch "innere Größe". In Rhetorik-Kursen versucht man so etwas "wegzutrainieren". Aber so kommt es dann auch an: Ggf. zu souverän, clever, glatt. Besser ist eine gewisse Gelassenheit, d.h. man darf den innerseelischen Konflikt, der sich in dem Versprecher ausdrückt, auch einmal zugeben. Das bringt Sympathie. Manche merken aber nicht einmal, was ihnen das entschlüpft ist. Einige Versprecher tauchen immer wieder auf (die sollte man sich einmal genauer unter die Lupe nehmen). Und nicht wenige sind sogar in der hohen Politik angesiedelt (wo man allerdings gnadenlos auseinandergenommen wird). Nachfolgend einige Gedanken zur Psychologie des Versprechers einschließlich einer Reihe von besonders köstlichen Beispielen. Versprecher sind natürlich so alt wie die Menschheit. Aber erst der Wiener Psychoanalytiker Sigmund Freud nahm sie in seiner vor genau hundert Jahren erschienen "Psychopathologie des Alltagslebens" wissenschaftlich unter die Lupe. Es ist sicher nicht sein wichtigstes Werk, aber - zumindest damals - sein erfolgreichstes. Und es bewahrt seinen Ruhm, denn eine solche psychologische Fehlleistung nennt man heute bekanntlich einen "Freud´schen Versprecher". Versprecher, so wird gerne angeführt, sind harmlose Ereignisse. Sie passieren jedem und überall. Das ist richtig. Die meisten sind kein Aufhebens wert. Aber eben nicht alle. Und vor allem nicht jene, die mit hohem Anspruch antreten - und ganz andere, nämlich "wahre" Motive verbergen sollen ("was da nicht alles zum Vorschwein kommt..." oder: "...sollten wir pfleglicher mit einander untergehen"). Das Charakteristische der "Freud´schen Versprecher", in Fachkreisen "Freud´sche Fehlleistungen" genannt, ist die einfache Erkenntnis: Hier hat sich jemand verraten. Hier hat sich ein ganz schlauer selbst überlistet. Hier wollte einer nicht nur etwas verbergen (das steht jedem Menschen zu), nein, hier sollte etwas anderes formuliert werden, als der Betreffende denkt, meint, wünscht, plant. Sicherlich darf man das nicht in jedem Falle so hoch hängen. Die meisten Versprecher sind wahrscheinlich einfach Versprecher. Aber auch im harmlosen Falle sind es oft aus dem Bewusstsein verdrängte Konflikte, die sich durch ein einziges Wort oder einen halben Satz Luft machen ("zum Beispiel der Eröffnungssatz des lustlosen Vorsitzenden: "Hiermit schließe ich die Sitzung"). Es ist eben auch ein Unterschied, ob man sich im Alltag verspricht, oder ob man unter öffentlichem Druck steht. Insofern machen uns die "Freud´schen Versprecher" besonders dann Vergnügen, wenn es "die da oben" trifft. Zur Psychopathologie des Alltagslebens gehört eben auch die Schadenfreude. Aber Vorsicht: Niemand ist unfehlbar. Und - lieber Leser - passen Sie einmal auf: Gerade nach diesen Zeilen wird es ihnen sicher selber passieren. Denn es unterlaufen einem nicht nur mehr Fehlleistungen, wenn man unsicher ist oder etwas vertuschen will, es ist auch eine Frage des Wissens, der Kenntnisse von den psychologischen Hintergründen des Alltags. Viele Menschen merken gar nicht, was sich hier abspielt: "Seelenfrieden durch Unbedarftheit". Wer mehr weiß, steht zwar auch unter mehr Druck, aber dafür ist das Leben bunter, anregender - und ein wenig prickelnd-riskanter, zum Beispiel durch Freud´sche Versprecher. LITERATUR Bastian, T.: "Was da alles zum Vorschwein kommt!". Psychologie heute 5 (2001) 60 Freud, S.: Zur Psychologie des Alltagslebens. Über Vergessen, Versprechen, Vergreifen, Aberglaube und Irrtum. S. Karger-Verlag, Basel 1904 Leuninger, H.: "Reden ist Schweigen, Silber ist Gold". Gesammelte Versprecher. Amann-Verlag, Zürich 1993 Leuninger, H.: Neurolinguistik. Probleme, Paradigmen, Perspektiven. Opladen 1989
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Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise. |