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DER UNFALL MIT SCHWERER VERLETZUNG UND SEINE PSYCHOSOZIALEN FOLGEN

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Die posttraumatische Belastungsstörung im zivilen Alltag

Die seelischen und psychosozialen Folgen nach Extrembelastung, seien es Vergewaltigung, Geiselnahme, Terrorismus, Natur- oder technische Katastrophen sowie schwere körperliche Belastungen, sind so alt wie die Menschheit. Inzwischen aber versucht man sie wissenschaftlich besser zu erforschen und damit diagnostisch und therapeutisch gezielter zu mildern - soweit möglich. So etwas nennt man bei kurzfristigen Folgen eine posttraumatische Belastungsreaktion und bei mittel- und langfristigen Konsequenzen eine posttraumatische Belastungsstörung.

Nachfolgend deshalb eine Übersicht über die wichtigsten Erkenntnisse zu diesem Leidensbild im Allgemeinen sowie nach Verkehrsunfall im Speziellen. Denn mögen auch Krieg, Geiselnahme und Naturkatastrophen die größere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, der "banale" Unfall im Verkehr, während Sport, Freizeit oder zu Hause aber ist der Alltag - und oft nicht minder folgenschwer. Was muss man wissen und vor allem was kann man tun?


Erwähnte Fachbegriffe:

Posttraumatische Belastungsreaktion - posttraumatische Belastungsstörung - individuelle Gewalteinwirkung (sexueller Missbrauch, Vergewaltigung, Überfall, Entführung, Geiselnahme, Folterung u.a.) - kollektive Gewalt (Krieg, Bürgerkrieg, Terrorismus, Vertreibung, Flucht) - Naturkatastrophen (Erdbeben, Vulkanausbrüche, Großbrände, Blitzschlag, Dammbrüche, Überschwemmungen, Lawinen, Gebirgsunfälle u.a.) - technische Katastrophen (Verkehrsunfälle, Nuklearunfälle, Chemie- und Elektrounfälle usw.) - schwere körperliche und seelische Belastungen (Verbrennungen, Herzinfarkt, Hirnschlag, Schock, schwerste Schmerzzustände usw.) - shellshock - combat fatigue - psychotraumatologische Unfallmedizin - andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung - psychotraumatisches Beschwerdebild - psychosoziale Folgen - Traumatisierungs-Fragebogen - Unfall und posttraumatische Belastungsstörung - seelische und psychosoziale Reaktionen nach Unfallerfahrung - Bewältigungsstrategien - Geschlecht und Trauma-Verarbeitung - Vor-Erkrankung und Trauma-Verarbeitung - Rehabilitations-Erfahrungen - Rehabilitations-Fehler - u.a.m.

Ein "neues" Krankheitsbild beschäftigt die Wissenschaft sowie die Ärzte und Psychologen in Klinik und Praxis: die seelischen und psychosozialen Folgen nach Extrembelastung.

Neu ist das natürlich nicht. Belastungen jeglicher Art, einschließlich Extrembelastungen sind so alt wie die Menschheit. Und dies nicht nur während Krieg, Vertreibung, Flucht oder jetzt vermehrt Terrorismus, sondern auch im Alltag, unter "normalen" Bedingungen, bei denen aber Extrembelastungen ebenfalls nicht auszuschließen sind. So etwas nennt man dann bei kurzfristigen Folgen eine posttraumatische Belastungsreaktion (vom griechischen: trauma = Wunde, hier im übertragenen Sinne nicht nur körperlich, sondern auch seelisch zu verstehen) sowie bei mittel- und langfristigen Konsequenzen eine posttraumatische Belastungsstörungsstörung.

Was zählt zu solchen Extrembelastungen? Einzelheiten siehe Kasten.

Die posttraumatische Belastungsreaktion und -störung
  • Individuelle Gewalteinwirkung: sexueller Missbrauch, Vergewaltigung, Überfall, Entführung/Geiselnahme, Folterung, andere Gewalttaten, aber auch das Miterleben (oder Mitansehen) von Gewaltverbrechen oder schweren Unfällen u.a.
  • Kollektive Gewalt: Krieg, Bürgerkrieg, Terrorismus, Vertreibung, Flucht usw.
  • Naturkatastrophen: Erdbeben, Vulkanausbrüche, Großbrände, Blitzschlag, Dammbrüche, Überschwemmungen, Lawinen, Gebirgsunfälle u.a.
  • Technische Katastrophen: Verkehrsunfälle im Straßen-, Schiffs- und Bahnverkehr, Nuklearunfälle, Chemie- und Elektrounfälle usw.
  • Schwere körperliche und seelische Belastungen: Verbrennungen, Herzinfarkt, Herzstillstand, Hirnschlag, Schock, schwerste Schmerzustände u.a.

Während nun die Extrembelastungen nach Krieg, Bürgerkrieg und vergleichbaren Ereignissen vor allem von den Militärpsychiatern und -psychologen untersucht wurden, insbesondere in den USA (Korea- und Vietnamkrieg, später auch andere Einsätze in aller Welt), worauf auch die meisten der bisher vorliegenden Erfahrungen beruhen, ist dies bei den Extrembelastungen im Alltag anders. Dabei könnte gerade die Unfallmedizin entsprechende Erfahrungen und damit verwertbare Hinweise für Diagnose, Therapie und Rehabilitation gut gebrauchen.

Nachfolgend deshalb eine Übersicht zum Thema Psychotraumatologie in der Unfallmedizin, oder kurz: Mit was müssen schwerverletzte Unfallpatienten in seelischer und psychosozialer Hinsicht rechnen und was kann man tun? Zuvor aber eine Einführung in Begriffe, Definitionen, Klassifikationen und Beschwerdebild generell.

1. ALLGEMEINE ASPEKTE

Zur Geschichte der psychotraumatologischen Unfallmedizin

Wenn eingangs gesagt wurde, es seien vor allem die Wehrpsychiater und -psychologen, die sich mit Extrembelastungen beschäftigen mussten, so schließt das die zivile, vor allem die Unfallforschung nicht aus. Tatsächlich lagen erste wissenschaftliche Berichte bereits Mitte des 19. Jahrhunderts vor, vor allem über geistige, seelische und (psycho-)somatische Beeinträchtigungen nach Eisenbahnunfällen.

In der Folge aber waren es die gesundheitlichen Auswirkungen von Kampfeinsätzen im Krieg (Fachbegriffe: "shell shock", "combat fatigue"). Später dann auch die psychischen Auffälligkeiten bei den Überlebenden des Holocaust, d. h. der Massenvernichtung in den Konzentrationslagern des III. Reiches der Nationalsozialisten.

Dass die unfallbedingten seelischen "Verletzungen", insbesondere durch Verkehrsunfälle bisher so wenig Berücksichtigung fanden, hängt wahrscheinlich mit ihrer Zahl und damit "Alltäglichkeit" zusammen. Denn alles, was nicht außerhalb des üblichen menschlichen Rahmens liegt, geht in der Flut der Informationen durch die Massenmedien unter (nebenbei ein nicht selten sinnvoller Schutzmechanismus des "modernen" Menschen in unserer Zeit und Gesellschaft, den sonst gingen nicht nur die Informationen, sondern auch die Menschen selber unter ...).

Etwas anderes sind Groß-Ereignisse wie folgenschwere Zugunglücke, Flugzeug-Abstürze u.a., die inzwischen aber auch nur noch kurzfristig irritieren (die immer häufiger beklagte kurze "Halbwertszeit des Vergessens" in der modernen Gesellschaft).

Nachfolgend erst einmal die Definition dieser Ereignisse nach aktuellem wissenschaftlichen Stand, und zwar zum besseren Verständnis etwas ausführlicher. Zwei große Institutionen sind es, die bei psychologischen und psychiatrischen Fragen derzeit weltweit den Ton angeben:

  1. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit ihrer Internationalen Klassifikation psychischer Störungen - ICD-10.
  2. Die Amerikanische Psychiatrische Vereinigung (APA) mit ihrem Diagnostischen und Statistischen Manual Psychischer Störungen - DSM-IV.

Wie definieren nun diese beiden Institutionen die Folgen von Extrembelastungen (Fachbegriff: bio-psycho-soziale Auswirkungen traumatischer Erlebnisse)?

Sie unterscheiden die erwähnte posttraumatische Belastungsreaktion oder akute Belastungsreaktion und die posttraumatische Belastungsstörung. Außerdem bringt die Amerikanische Psychiatrische Vereinigung (APA) noch die andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung ins Gespräch. Im Einzelnen:

· Akute Belastungsreaktion

Definition der Weltgesundheitsorganisation:
Für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist die akute Belastungsreaktion eine vorübergehende Störung von beträchtlichem Schweregrad, die sich bei einem psychisch nicht manifest (offensichtlich) gestörten Menschen als Reaktion auf eine außergewöhnliche körperliche oder seelische Belastung entwickelt und im Allgemeinen innerhalb von Stunden oder Tagen abklingt (WHO 1992).

Der Betroffene muss ein überwältigendes traumatisches Erlebnis durchgemacht haben, das mit einer ernsthaften Bedrohung für seine eigene Sicherheit oder körperliche Unversehrtheit oder die einer geliebten Person einhergeht.

Die Reaktion entwickelt sich in der Regel innerhalb weniger Minuten nach dem Trauma und ist geprägt durch ein gemischtes und rasch wechselndes Zustandsbild: Nach anfänglicher Betäubung werden depressive Symptome, Angst, Ärger, Verzweiflung, Überaktivität oder sozialer Rückzug bis hin zum dissoziativen Stupor (seelisch-körperliche Regungslosigkeit) beobachtet. Häufig sind auch eine Einengung der Aufmerksamkeit sowie Desorientierung unterschiedlichen Ausmaßes.

Nicht selten bleibt eine teilweise oder vollständige psychogene Amnesie (seelisch bedingte Erinnerungslosigkeit) für diese Episode bestehen.

Und das Auftreten der Störung hängt sowohl von prätraumatischen Persönlichkeitsmerkmalen (Wesensart vor der Extrembelastung) als auch von der augenblicklichen Vulnerabilität (seelischen Verwundbarkeit) und den verfügbaren Coping-Strategien (Bewältigungs-Strategien) der betroffenen Person ab.

Körperliche Erschöpfung und Verletzungen erhöhen das Risiko, eine akute Belastungsreaktion zu entwickeln.

Das Beschwerdebild klingt meistens innerhalb weniger Stunden ab. Auch wenn der Stressor (das stressauslösende Ereignis) fortdauert, sollten die Symptome (Krankheitszeichen) in der Regel nach drei Tagen kaum mehr vorhanden sein (nach WHO, 1992, modifiziert durch Erklärungen der Fachbegriffe).

Amerikanische Psychiatrische Vereinigung (APA):
Das der akuten Belastungsreaktion der WHO entsprechende Beschwerdebild heißt im DSM-IV der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung (APA) "acute stress disorder". Das deutet bereits an, dass man für eine entsprechende Diagnose im aktuellen Belastungsfall noch mehr und vor allem schwerere Symptome fordert als bei der WHO.

So werden beispielsweise dissoziative Symptome (s.u.) zwingend verlangt. Auch ist die Dauer der Störung mit mindestens zwei Tagen und längstens einem Monat festgelegt.

Als erstes reagiert der Betroffene mit intensiver Furcht, mit Hilflosigkeit oder Entsetzen. Danach können folgende Symptome beeinträchtigen:

  • subjektives Gefühl von emotionaler (Gefühls-)Taubheit, von Losgelöstsein oder Fehlen emotionaler Reaktionsfähigkeit
  • Beeinträchtigung der bewussten Wahrnehmung der Umwelt ("wie betäubt")
  • Derealisationserleben ("alles ist so eigenartig und fremd um mich herum")
  • Depersonalisationserleben ("bin ich eigentlich noch ich selber?")
  • dissoziative Amnesie (z. B. Unfähigkeit, sich an einen wichtigen Aspekt des Traumas zu erinnern)

Außerdem wird das belastende Ereignis ständig durch (mindestens eine) der folgenden Beeinträchtigungen wieder erlebt:

Immer wiederkehrende Bilder, Gedanken, Träume, Flashback-Episoden, d.h. plötzliches Wiederauftreten von traumatischen Erlebnissen u.a. Ferner die Vermeidung von Reizen jeglicher Art, die an das Geschehen erinnern könnten (z. B. Gedanken, Gefühle, Gespräche, Aktivitäten, Orte oder Personen). Außerdem Symptome von Angst oder erhöhter Empfindlichkeit (z. B. Schlafstörungen, Reizbarkeit, Merk- und Konzentrationsstörungen, Überwachheit, übertriebene Schreckhaftigkeit, Bewegungs-Unruhe u.a.). Und dies alles mit entsprechenden psychosozialen Folgen in zwischenmenschlichen, d.h. partnerschaftlichen, familiären, aber auch beruflichen und anderen Funktionsbereichen und mit der Unfähigkeit, notwendige Aufgaben zu bewältigen, notwendige Unterstützung zu mobilisieren, zwischenmenschliche Hilfen zu erschließen u.a.

· Posttraumatische Belastungsstörung

Weltgesundheitsorganisation:
Bei der posttraumatischen Belastungsstörung entsteht nach der WHO-Definition "eine verzögerte oder protahierte (verlängerte) Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes ..., die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde".

Solche belastende Erlebnisse können durch Naturereignisse oder von Menschen verursachte Katastrophen, Kampfhandlungen oder schwere Unfälle ausgelöst sein. Weitere Beispiele sind Folter, Terrorismus, Vergewaltigung oder sonstige Gewaltverbrechen. Das Gleiche gilt, wenn man Zeuge eines gewaltsamen Todes anderer wird.

Typisch und nahezu pathognomonisch (für dieses Krankheitsbild charakteristisch), jedenfalls für die Diagnose, sind Symptome des Wiedererlebens, die sich dem Betroffenen tagsüber in Form von Erinnerungen und Tagträumen an das Trauma sowie nachts in Angstträumen aufdrängen.

Parallel zu den belastenden Wiedererinnerungs- und Erlebens-Phänomenen drohen emotionale (gemütsmäßige) Stumpfheit, Gleichgültigkeit und Teilnahmslosigkeit gegenüber der Umgebung und anderen Menschen. Und die aktive Vermeidung jener Aktivitäten und Situationen, die entsprechende Erinnerungen an das Trauma wachrufen können. Dazu ein mehr oder weniger ausgeprägtes Angst-Leidensbild.

Manchmal können wichtige Aspekte des traumatischen Erlebnisses nicht mehr vollständig oder gar nicht mehr erinnert werden. Häufig kommt ein Zustand vegetativer Übererregtheit dazu, der sich in Form von Schlafstörungen, Reizbarkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Hypervigilanz (angespannter Überwachheit) oder in einer erhöhten Schreckhaftigkeit äußern kann.

Die posttraumatische Belastungsstörung geht mit einer Dysregulation (Fehlsteuerung) einer ganzen Reihe von neurobiologischen Systemen (Funktionsbereichen des Organismus) einher (nach WHO, modifiziert - s.o.).

Amerikanische Psychiatrische Vereinigung:
Die APA legt ihrer Definition der posttraumatischen Belastungsstörung folgende Aspekte zugrunde (DSM-IV):

Zum einen müssen neben den ereignis-bezogenen auch opfer-bezogene Merkmale berücksichtigt werden: Die Extrembelastung muss beim Betroffenen eine Reaktion von Angst, Hilflosigkeit oder Grauen hervorrufen, um als traumatisch eingestuft zu werden.

Dieses subjektive Bewertungskriterium ist sicher sinnvoll, weil das gleiche Ereignis bei verschiedenen Menschen ganz unterschiedliche Reaktionen auslösen kann, je nach biographischem Hintergrund, vorbestehender Vulnerabilität (Verwundbarkeit), augenblicklicher Lebenssituation und aktuellem Bewältigungsvermögen. So ist beispielsweise die Amputation des linken Kleinfingers für einen Berufsmusiker eine Tragödie, während sie ein Schreiner zumindest psychisch eher verarbeiten kann.

Andererseits bringt dieser zusätzliche Aspekt auch Probleme, insbesondere in der Begutachtung mit sich (z. B. Minderung der Erwerbsfähigkeit).

Ein besonderes Problem bei der posttraumatischen Belastungsstörung ist das hohe Ko-Morbiditäts-Risiko. Das heißt, dass sich zwei oder mehrere Störungen zusammen in ihren seelischen und psychosozialen Folgen nicht nur addieren (1 + 1 = 2), sondern potenzieren (um ein Vielfaches verstärken). Dies gilt vor allem für zusätzliche Depressionen, somatoforme (körperbezogene) Störungen, für Substanzmissbrauch und -abhängigkeit (Alkohol, Medikamente, Rauschdrogen) u.a. Hier scheint das weibliche Geschlecht besonders gefährdet zu sein, insbesondere was Depressionen und sogar Suchtgefahr (als Selbstbehandlungsversuch?) anbelangt.

· Andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung

Schließlich führt die US-amerikanische Klassifikation noch eine weitere Folge nach Extrembelastung an, nämlich eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung. Sie kann sich nach dem DSM-IV der APA nach traumatischen Erlebnissen durch Konzentrationslagerhaft, nach Folter, Katastrophen oder andauernden lebensbedrohlichen Situationen wie Geiselhaft oder langer Gefangenschaft mit drohender Todesgefahr entwickeln.

Während eine posttraumatische Belastungsstörung immerhin nach einigen Monaten bis Jahren erträglich bis überwunden sein kann (allerdings nicht muss!), sind bei andauernder Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung die Heilungsaussichten gering.

Sie äußert sich z.B. in unflexiblem und unangepasstem Verhalten, wie sich die Experten ausdrücken, so dass die zwischenmenschlichen, privaten und beruflichen Beziehungen erheblich beeinträchtigt sind und bleiben - mit allen Endfolgen.

Typisch sind Gefühle der Leere oder Hoffnungslosigkeit sowie Rückzug und Isolationsgefahr und sogar eine misstrauische bis feindliche Grundhaltung jedermann bzw. "der ganzen Welt gegenüber".

Häufig berichten die Betroffenen über ein chronisches Gefühl von Unruhe, Anspannung und Nervosität, so als ob sie ständig bedroht wären. Und nicht wenige leiden unter einer dauerhaften Entfremdung gegenüber sich (Fachbegriff: Depersonalisation) sowie der Umwelt (Derealisation). Einzelheiten siehe oben.

Außerdem wird hier eine besonders tragische Verkettung deutlich: Denn es droht nicht nur eine negative Persönlichkeitsentwicklung mit entsprechend gestörtem Beziehungsverhalten, sondern auch eine ungewöhnliche Anfälligkeit, immer wieder Opfer (manchmal auch Täter) von Traumatisierungen zu werden.

Weitere Einzelheiten siehe das spezielle Kapitel über die Folter und ihre Folgen.

Wer ist betroffen?

Es scheint inzwischen eine Minderheit zu sein, die im Laufe ihres Lebens nicht in irgendeiner Form von einem entsprechenden Trauma heimgesucht wurde. Groß angelegte Untersuchungen aus den USA behaupten sogar, dass nicht nur mehr als 50 %, möglicherweise sogar fast 90 % aller Menschen in der westlichen Welt im Verlaufe ihres Lebens mindestens einmal mit einem ernsteren belastenden Ereignis konfrontiert werden. Ob das wirklich der Realität entspricht, wird von anderen Experten bezweifelt. Letztlich ist dies auch eine Frage der Definition: Was versteht man unter einem Trauma, wie weit fasst man diesen Begriff, d.h. einen Schicksalsschlag und seine Folgen?

Auch heißt das natürlich noch lange nicht, dass aus jeder (Extrem-)Belastung auch eine posttraumatische Belastungsreaktion entstehen muss - wenngleich die Bedingungen zumindest theoretisch - erfüllt sein mögen.

Frauen sind offenbar einem doppelt so großen Risiko ausgesetzt wie Männer. Da man nicht annehmen kann, dass sie so viel häufiger schweren Belastungen ausgesetzt sind, diskutiert man eine größere Empfindlichkeit gegenüber solchen Beeinträchtigungen (siehe der schon mehrfach erwähnte Fachbegriff: Vulnerabilität, d. h. Verwundbarkeit). Das weibliche Geschlecht muss auch längere Krankheitsverläufe ertragen.

Andererseits werden auch nicht alle, die von einer posttraumatischen Belastungsstörung heimgesucht sind, in vollem Ausmaß getroffen. Man spricht von etwa jedem Vierten, der die gesamte Last eines solchen Leidens zu ertragen hat (was selbst in diesem, weniger erstaunlichen Ausmaß aber ebenfalls nicht von allen Forschern akzeptiert wird).

Letztlich bleibt jedoch der wahrscheinlich begründete Verdacht, dass nicht wenige, die von einer Extrembelastung heimgesucht wurden, auch mit kurz- bis mittelfristigen, wenn nicht langwierigen Konsequenzen auf seelischem, psychosozialem und psychosomatischem Gebiet rechnen müssen - wenn auch nicht extrem, so doch in irgendeiner Form beeinträchtigend bis belastend.

Die Art der Extrembelastung und ihre Folgen

Natürlich hängen die Auswirkungen einer Extrembelastung von deren Art und wohl auch Einwirkungsdauer ab.

Wie man von den Vietnam-Veteranen der US-Armee weiß, war danach jeder Dritte deutlich, zusätzlich jeder Fünfte zumindest teilweise durch eine posttraumatische Belastungsstörung beeinträchtigt, was 15 Jahre nach dem Kampfeinsatz noch fast jeden Siebten belastete.

Eine besonders schwerwiegende Form der Traumatisierung ist die Folter. Denn sie stellt nicht nur eine Verletzung der körperlichen, sondern auch der seelischen und sogar geistigen Integrität dar, eine unglückselige Kombination mit besonders ungünstiger Prognose (Heilungsaussichten). So vermutet man bei gefolterten Flüchtlingen und Asylbewerbern jeden Dritten bis Zweiten als geschädigt - oft lebenslang. Einzelheiten siehe das spezielle Kapitel über die Folter.

Ein ähnliches Bild findet man offenbar bei sexuellen Traumatisierungen: Die meisten Vergewaltigungsopfer zeigen in den ersten zwei Wochen nach dem Ereignis Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung, was im weiteren Verlauf fast ein Drittel nicht mehr loslässt.

Das Beschwerdebild

Einige Hinweise, wie man sich das Beschwerdebild einer posttraumatischen Belastungsreaktion oder gar -störung vorzustellen hat, sind bereits bei den Definitionen und Klassifikationen von WHO und APA angeklungen. Nachfolgend eine etwas ausführlichere und vor allem verständlichere Darstellung. Im Einzelnen:

  • Ständiges, fast zwanghaftes, überwältigendes, jedenfalls nicht abschüttelbares Wiedererinnern mit ängstlicher Erregung, Anspannung, mit Albträumen, starker Furcht oder gar Panikanfällen
  • Gelegentliches Gefühl, als ob sich das belastende Ereignis gerade wiederholt hätte - mit allen (früheren) Reaktionen. Manchmal nur auf Grund eines belanglosen Auslöse-Reizes aus der Umgebung oder durch reine Vorstellung, bisweilen auch plötzlich und ohne nachvollziehbare Ursache ("Flashback")
  • Verlust an Lebensfreude, Interesse, Aktivität, Initiative, Kreativität, Schwung, Dynamik usw.
  • Zunahme von Resignation, unbestimmter Angstbereitschaft, Unlust und Gleichgültigkeit bis zur Teilnahmslosigkeit
  • Nachlassende Schwingungsfähigkeit im Gemütsleben. Zunehmende Unfähigkeit, die früheren Gefühle zu empfinden und zu äußern ("psychische Abgestumpftheit", "emotionale Ertaubung"). Dadurch Eindruck der Ablösung oder Entfremdung von den anderen. Zuletzt resigniert, hoffnungslos, ja wie betäubt, mit dem Ausdruck einer dauernden Gefühlsabstumpfung
  • Meiden von Aktivitäten und Situationen, sogar Vermeidung aller Gedanken und Gefühle, die an das erlittene Ereignis erinnern könnten, selbst im weitesten Sinne. Schließlich Furcht vor entsprechenden Stichworten. Trotzdem Unfähigkeit, sich von Ursache, Schrecknissen und Ängsten willentlich zu distanzieren oder gar zu befreien
  • Schwindende Anteilnahme an aktuellen Ereignissen bzw. an der Umwelt schlechthin, damit Rückzugs- und Isolationsgefahr
  • Durch die emotionale Ertaubung und damit reduzierte Fähigkeit, Gefühle zu empfinden, Einbußen im Intim- und Sexualbereich, beginnend mit der Unfähigkeit, Zärtlichkeit zu empfinden und endend mit Libido- und Potenzstörungen
  • Vegetative Übererregbarkeit mit übersteigerter Wachsamkeit, Anspannung, dadurch zunehmend nervös, fahrig und vermehrt schreckhaft
  • Ein- und Durchschlafstörungen sowie Früherwachen. Im Schlaf immer wieder aufdringliche, belastende Träume, in denen das Erlebnis nachgespielt wird (s.o.)
  • Bisweilen dramatische Ausbrüche von Angst oder Aggressionen, ausgelöst durch entsprechende Erinnerungen (z. B. Jahrestagreaktionen) oder ähnliche Situation. Verstärkung der Beschwerden, die dem Ereignis auch nur von Ferne gleichen oder es symbolisieren könnten: bestimmte Witterungslagen (Hitze, Schnee), Uniformen, Böllerschüsse, Umzüge, Stacheldraht-Einfriedungen, kasernenähnliche Gebäude, Baracken, Wald, enge Räume und dunkle Ecken, Aufzüge, Fahrzeuge, aber auch (für den unbelasteten Laien) belanglose Aspekte wie Brücken, Schienenstrang, Autobahn, Kreuzung, Hochhaus, ja öffentliche Gebäude, Schulen u.a. (z. B. durch einen Amok-Lauf, siehe das entsprechende Kapitel)
  • Zwangsgedanken, ggf. Zwangshandlungen
  • Merk- und Konzentrationsstörungen, die zuletzt fast organisch anmuten (z. B. wie nach einem Kopfunfall oder wie bei einer Hirngefäßverkalkung), dadurch zunehmende Leistungsminderung
  • Versuch, die eigene missliche Lage gegenüber den Mitmenschen zu verbergen (die ja in den seltensten Fällen wissen, was den Betreffenden quält). In bestimmten Situationen allerdings (z. B. Gedenktage, symbolische Geschehnisse - s.o.) manchmal heftige, anklagende, wütende, aber auch resigniert-deprimierte Reaktionen, ggf. sogar Selbsttötungsgedanken (z. B. wegen Schuldgefühlen als Überlebender)
  • Bisweilen eigentümliche Phänomene, besonders nach plötzlichen Todeskonfrontationen, die mit "Todesnähe-Erfahrungen" (Nahtod-Erlebnisse), Empfindungen der "Außer-Körperlichkeit", "Rückblick- oder Panorama-Erlebnisse" usw. umschrieben werden.

Zur Frage, wie man in der Wissenschaft ein entsprechendes Ereignis nachträglich "misst", d. h. erfragt, siehe im Kasten einen entsprechenden Fragebogen (PTSD).

Wie misst man eine posttraumatische Belastungsstörung?

Wichtige Fragen zur Beurteilung einer posttraumatischen Belastungsstörung, wie sie beispielsweise in der Wissenschaft, aber auch im klinischen Alltag genutzt werden, sind:

  1. Erinnerungen an das Ereignis
  2. Leid bei (erneuter) Konfrontation
  3. Handeln oder Fühlen wie während des Ereignisses
  4. belastende Träume über das Ereignis
  5. bestimmte Gedanken oder Gefühle vermeiden
  6. Anstrengungen, Aktivitäten oder Situationen vermeiden
  7. Unfähigkeit sich zu erinnern (psychogene Amnesie)
  8. vermindertes Interesse an Aktivitäten
  9. Gefühl der Isolierung bzw. Entfremdung
  10. eingeschränkter Affekt
  11. Gefühl verkürzter Zukunftsperspektiven
  12. Ein- oder Durchschlafstörungen
  13. Reizbarkeit oder Wutausbrüche
  14. Konzentrationsschwierigkeiten
  15. Hypervigilanz (Überwachheit)
  16. übertriebene Schreckreaktionen
  17. physiologische Reaktion bei erneuter Konfrontation

(Clinician-Administered PTSD Scale)

2. UNFALL UND POSTTRAUMATISCHE BELASTUNGSSTÖRUNG

Wie bereits erwähnt, werden über die Hälfte aller Menschen (anderen Schätzungen fast 9 von 10) im Verlaufe ihres Lebens mindestens einmal mit einer traumatischen Erfahrung konfrontiert. Neben Naturkatastrophen (vor allem in den immer wieder betroffenen Katastrophengebieten, z. B. Asien, Afrika, Russland, Mittel- und Südamerika) und dem Miterleben, wie eine andere Person schwer verletzt oder getötet wird, gehören zu den häufigsten Ursachen entsprechende Unfälle.

In den USA spricht man davon, dass jeder 4. Mann und mehr als jede 10. Frau im Laufe ihres Lebens Opfer eines lebensbedrohlichen (!) Unfalls wird. In anderen Untersuchungen geht man sogar darüber hinaus, besonders was das weibliche Geschlecht anbelangt. Das muss dann nicht unbedingt direkte Folgen für den Betroffenen haben, es ist auch das erwähnte Miterleben in unmittelbarer Nähe zu berücksichtigen.

Sicher haben gewisse Trauma-Erlebnisse (z. B. Zeuge tragischer Todesunfälle oder die Vergewaltigung) besonders ernste Auswirkungen. Doch auch Unfälle am Arbeitsplatz, zu Hause oder im Verkehr bleiben nicht ohne Konsequenzen, besonders Letztere.

Man nimmt an, dass rund ein Drittel aller Unfälle Berufsunfälle sind. Diese gehen durch entsprechende Schutz- und Vorsichtsmaßnahmen offenbar etwas zurück. Zwei Drittel hingegen sind Nicht-Berufsunfälle. Das betrifft vor allem Haushalt, Garten und Freizeit, insbesondere Sport. Diese Unfälle scheinen gleichbleibend häufig zu sein. Das hat offenbar mit strukturellen Veränderungen der Wohnbevölkerung und einer Zunahme der verfügbaren Freizeit einschließlich verändertem Risikoverhalten zu tun.

Unfallrisiko Nummer 1: Freizeit und Haushalt

Mehr als sieben Millionen Menschen verunglücken allein in Deutschland jedes Jahr bei Unfällen. Diese gliedern sich wie folgt auf:

  • Freizeit: 58 %
  • Beruf: 29 %
  • Verkehr: 10 %
  • Ausland: 3 %

Nach ADAC motorwelt 5/2002

Psychische Reaktionen nach Unfallerfahrung

Es ist leicht nachvollziehbar, dass die meisten Patienten nach einer unfallbedingten Verletzung in den ersten Stunden und Tagen zumindest phasenweise aufgewühlt, ängstlich und besorgt sind. Auch treten gelegentlich so genannte dissoziative Symptome auf (sind aber meist von kurzer Dauer).

Unter dissoziativen oder Konversions-Störungen versteht man z. B. Erinnerungsverlust, seelisch-körperliche Blockierung, psychische Lähmungen einschließlich Ausfall der Sinnesorgane, also Sensibilitäts- und Empfindungsstörungen u.a. Oder ein Beispiel, das nicht so selten beklagt wird: die so genannte Derealisation, nämlich das Empfinden, nach dem Ereignis sei alles so sonderbar, komisch, abgerückt, unwirklich um einen herum.

Gleichzeitig versuchen aber auch die meisten Unfallopfer ihr Unfallereignis geistig wieder irgendwie einzuordnen. Viele befassen sich vor allem mit der Schuldfrage und denken darüber nach, ob sie etwas zur Verhinderung des Unfalls hätten beitragen können. Die meisten stellen sich vor allem die bekannte Frage: warum gerade ich? (in der englischen Fachliteratur: als "why me? - Frage bekannt).

Man vermutet, dass solche frühzeitigen emotionalen (gemütsmäßigen) Reaktionen und kognitiven Prozesse (gedanklichen, intellektuellen, geistigen Verarbeitungsversuche) einen Einfluss auf den weiteren Verlauf der Bewältigung von Unfallereignissen haben.

In einigen Untersuchungen, z. B. bei Unfallopfern mit Querschnittslähmung (also in der Regel einer Schwäche oder Lähmung der Beine) ging man auch den so genannten Bewältigungsstrategien der Betroffenen nach:

- Ungünstig scheint dabei ein eher vermeidendes Verhalten, Grübeln und Wunschdenken zu sein. Oder auf deutsch: Man will nicht darüber nachdenken, sinniert über alles Mögliche, vor allem wie es positiv weitergehen soll, ohne die Realität einzubeziehen.

- Auch das ständige Gedankenkreisen um die Frage, wie das Ereignis hätte verhindert werden können, scheint sich nicht positiv auszuwirken, enthält es ja meist keine konkreten Zukunfts-Strategien.

- Unklar - ob sinnvoll oder negativ - ist das Problem der Schuldzuschreibung (wer war schuld?).

- Selbstbeschuldigungen hingegen werden in den entsprechenden Untersuchungen sowohl als sinnvoll (was kann ich daraus lernen?) als auch hinderlich (Resignation, Niedergeschlagenheit) bewertet.

Doch nicht alle Unfallopfer reagieren gleich. Nicht wenige psychologisch interpretierbare Reaktionen werden erst nach einer gewissen Zeit deutlich, manche sogar erst nach Monaten oder gar Jahren.

Häufigkeit posttraumatischer psychischer Störungen nach Unfällen

Die Häufigkeit seelischer Störungen nach Unfällen lässt sich aufgrund bisher vorliegender Untersuchungen wie folgt zusammenfassen:

In den ersten Wochen nach einem Unfall unterschiedlicher Art und Schwere ist die Häufigkeit psychischer Störungen relativ hoch: 20 % bis 50 % der Patienten leiden an depressiven und/oder Angst-Symptomen im Sinne einer akuten Belastungsreaktion bzw. posttraumatischen Belastungsstörung.

Im mittelfristigen Verlauf klingen viele dieser unmittelbaren seelischen Reaktionen wieder ab. Nach sechs Monaten werden noch in 10 bis 25 % posttraumatische Belastungsstörungen beobachtet. Fünf Jahre nach einem Unfall scheinen immerhin noch 8 % eine chronische posttraumatische Belastungsstörung zu haben.

In einer neueren schweizerischen Studie über schwerverletzte Unfallpatienten war die Häufigkeit voll ausgebildeter posttraumatischer Belastungsstörungen allerdings deutlich niedriger als aufgrund der bisherigen Forschungsliteratur zu erwarten. Der Grund war eine wahrscheinlich ungewöhnlich saubere bzw. konsequent durchgehaltene homogene (in sich einheitliche) Stichprobe von prätraumatisch (vor dem Unfall) in körperlicher wie psychischer Hinsicht weitgehend gesunder, jedenfalls bis dahin nicht auffälliger Personen. Durch diese bisher wohl selten mögliche Stichproben-Auswahl wurde es möglich, den Einfluss vorangegangener psychosozialer Beeinträchtigungen auf die Traumaverarbeitung möglichst gering zu halten. Damit konnte man vor allem die Effekte des Unfallereignisses selber besser studieren.

In diesem Zusammenhang muss man nämlich folgendes wissen: In manchen Fällen wurden die Untersuchungskollektive zusammengestellt durch Zuweisungen durch praktizierende Ärzte oder gar durch Medien-Aufrufe. Da kann es nicht verwundern, dass bei dieser Negativ-Auswahl entsprechend hohe Belastungszahlen herauskommen. Außerdem spielt das Geschlecht eine Rolle. Je höher der Frauenanteil, desto größer die Zahl posttraumatischer Belastungsstörungen (siehe später).

In einigen Fällen wurden in solchen Studien auch nicht nur Unfallopfer, sondern auch Opfer von Gewalttaten erfasst. Nun ist aber bekannt, dass die krankmachende Wirkung eines Traumas besonders hoch ist, wenn es von Menschen in aktiver und destruktiver Absicht an anderen Menschen ausgeübt wird. Will man den reinen Unfall-Vorgang untersuchen, müssen aber Opfer von Gewalttaten (genauso wie Patienten, bei denen Suizidversuche eine Rolle spielen könnten) von solchen Untersuchungen ausgeschlossen werden. Schließlich läuft die psychische Verarbeitung eines Überfalls oder eines Suizidversuchs nach anderen Gesetzen ab wie die Bewältigung eines reinen (Verkehrs-)Unfalls.

So kommt man auch in neueren US-amerikanischen Untersuchungen zu dem Schluss, dass die Häufigkeit der posttraumatischen Belastungsstörungen im Zivilbereich bisher wahrscheinlich zu hoch eingeschätzt wurde. Man reduziert neuerdings das relative Risiko auf 9 %, wenn man jene Patienten aus diesen Unfall-Untersuchungen herausnimmt, die schon früher entsprechende Belastungen zu ertragen hatten (seelische Störungen oder alte Unfälle u.a.).

Geschlecht und Trauma-Verarbeitung

Die Verarbeitung eines schweren Unfalls scheint - wie mehrfach erwähnt - geschlechtsspezifisch unterschiedlich zu verlaufen:

Frauen sollen generell ein etwa doppelt so hohes Risiko tragen, an einer posttraumatischen Belastungsstörung zu erkranken. Es spricht einiges dafür, dass dieser Unterschied mit einer geschlechtstypischen Vulnerabilität (Verwundbarkeit) im Hinblick auf die Entwicklung posttraumatischer Belastungen zusammenhängen. Detaillierte Untersuchungen dazu liegen bisher nicht vor.

Posttraumatische Belastungsstörungen und weitere seelische Beeinträchtigungen

Es ist bekannt, dass die posttraumatische Belastungsstörung mit einem so genannten hohen psychiatrischen Ko-Morbiditätsrisiko verbunden ist. Das heißt, dass bei nicht wenigen Unfallopfern neben ihrer posttraumatischen Störung andere, zum Teil unspezifische seelische Beeinträchtigungen auftreten.

Das sind am häufigsten depressive sowie Angststörungen. Bei den Angststörungen sind es vor allem bei den Straßenverkehrsopfern eine so genannte Verkehrs-Phobie (also zwanghafte Befürchtungen vor allem, was mit Straßenverkehr u.ä. zu tun hat), und dies mit langsamem Rückzug aus dem Alltag und damit Isolationsgefahr.

Wichtige Schlussfolgerungen für eine erfolgreiche Rehabilitation

Letztlich aber gilt die doch tröstliche Erkenntnis neuerer Studien: Körperlich und psychisch gesunde, mit guten psychosozialen Ressourcen (zwischenmenschlichen, beruflichen, nachbarschaftlichen u.a. Reserven und Hilfsmöglichkeiten) ausgestattete Personen können auch einen schweren Unfall und seine Folgen in der Regel ohne größere psychische Probleme verarbeiten.

Bei entsprechender Vorbelastung allerdings reduzieren sich diese an sich günstigen Heilungsaussichten, entsprechend der individuellen seelisch-körperlichen Ausgangslage. Das ist die persönliche, schicksalhafte Komponente eines solchen Ereignisses. Darüber hinaus aber konnte man - besonders in der erwähnten schweizerischen Untersuchung - interessante klinische, oder treffender rehabilitative Erkenntnisse gewinnen. Und die besagen:

Sehr wichtig ist in dieser Hinsicht eine banale Überlegung, die aber im Stress des Alltags nicht immer Berücksichtigung findet: Selbst auf einer unfallchirurgischen Intensivstation mit entsprechender Belastung für alle Beteiligten sollte im ärztlichen und pflegerischen Umgang mit den Patienten großer Wert auf deren persönliche Autonomie gelegt werden. Es ist sorgfältig darauf zu achten, dass die Patienten in jeder Phase ihrer Behandlung ein möglichst hohes Maß an Handlungsspielraum und Kontrollmöglichkeiten behalten bzw. wiedererlangen können.

Das heißt konkret:

- Sobald die Betroffenen irgendwie in der Lage sind, sollten sie - wenn auch mit größerem Aufwand als sonst - für ihre Grundaktivitäten wie Essen und Körperpflege zumindest teilweise wieder selber verantwortlich sein.

- Viele Patienten können mit einer speziellen Einrichtung den Zeitpunkt und die Dosierung ihrer schmerzlindernden Behandlung innerhalb eines vorgegebenen Rahmens durch Knopfdruck selber bestimmen.

Die Erfolge sind erstaunlich. Denn auf diese Weise werden die Betroffenen besser mit den Belastungen eines so genannten Sekundär-Stresses fertig, wie er durch den Aufenthalt auf der Intensiv-Station unweigerlich droht. Kontrollverlust ("ich kann nicht mehr über mich und meine Bedürfnisse, Möglichkeiten und Grenzen selber bestimmen") ist bekanntlich eines der Schlüssel-Elemente in der Ursache der posttraumatischen Belastungsstörung. Das Unfallerlebnis ist für viele Patienten eine Erfahrung totalen Kontrollverlusts. Auf der Intensiv-Station müssen sie nun diese mangelnde Regulierbarkeit, wenn auch in abgeschwächter Form, immer und immer wieder neu erleben. So sind sie allen möglichen, teilweise schmerzhaften oder zumindest unangenehmen medizinischen und pflegerischen Maßnahmen ausgesetzt, müssen mit einem gestörten Tag-Nacht-Rhythmus und länger dauerndem Schlafentzug, mit Monotonie und gleichzeitiger Überstimulation ("Notfallstation") zurechtkommen.

Die Ungewissheit über den Verlauf, die oft ungenügende Information über bevorstehende Eingriffe oder Änderungen der Behandlung und schließlich das Fehlen von konstanten Bezugspersonen durch häufigen Schichtwechsel des Behandlungsteams sind weitere Faktoren, die dazu beitragen, dass sich ein Patient auf der Intensivstation nicht nur kompetent behandelt, sondern (sinnvollerweise, leider aber auch die gewünschte Aktivierung ausbremsend) überwacht und damit letztlich hilflos und ausgeliefert fühlt.

Auf diese Weise, nämlich durch die ständig erneuerte Erfahrung mangelnder Kontrollierbarkeit, können sich bei traumatisierten Menschen die posttraumatischen psychischen Probleme unnötig ausdehnen oder gar verfestigen.

Wenn den Patienten auf der anderen Seite geholfen wird, möglichst rasch wieder eine gewisse Selbst-Regulierbarkeit über einzelne Lebensbereiche zu erlangen, wird dadurch auch der psychische Genesungsprozess und die Verarbeitungsfähigkeit traumatische Folgen gefördert. Ein angemessener Behandlungsplan, der die Autonomie-Bedürfnisse berücksichtigt und den Patienten in seinen Bemühungen um Eigenverantwortung unterstützt, könnte also auch zur Vorbeugung posttraumatischer Belastungsstörungen beitragen.

Möglicherweise hat das Personal der Intensivstation Zürich mit seinen autonomie-fördernden Behandlungsstrategien einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass die Häufigkeit posttraumatischer Belastungsstörungen in dieser Studie niedriger ausfiel als in anderen Untersuchungen.

Wenn man die modernen Stressmodelle als Erklärung heranzieht (siehe oben), dann wird das Ganze auch gut nachvollziehbar: Denn hier wird der so genannte Disstress als ein Zustand definiert, in dem ein Missverhältnis besteht zwischen den psychosozialen Anforderungen auf der einen und einer mangelhaften Kontrollmöglichkeit und Regulierbarkeit auf der andere Seite einschließlich unzureichender sozialer Unterstützung.

Die Wahrscheinlichkeit, durch so einen Disstress krank zu werden, ist vor allem dann gegeben, wenn sich folgende Konstellationen nicht ändern lassen:

- anhaltend hohe Anforderungen

- geringe soziale Unterstützung und Anerkennung

- unzureichende Möglichkeit der Kontrolle und Regulierbarkeit durch den Betroffenen selber

Gut und nützlich hingegen sind:

- Maximum an fachlicher und persönlicher Unterstützung, aber auch

- größtmögliches Maß an Selbstkontrolle und Regulierbarkeit

Das heißt konkret den Unfallpatienten während seiner intensivmedizinischen und auch späteren klinischen Behandlung

- kontinuierlich über seinen Zustand und die vorgesehenen diagnostischen, therapeutischen und pflegerischen Maßnahmen informieren,

- so weit wie möglich von Belastungen der Station (Geräusche, Hektik) abschirmen,

- für regelmäßige Besuche von Angehörigen, Freunden und Kollegen sorgen,

- so früh wie möglich wieder ein gewisses Maß an Kontrolle und Regulierbarkeit der eigenen Situation zu vermitteln.

LITERATUR

Wichtiges und in Forschung und Lehre inzwischen immer konsequenter berücksichtigtes Aufgabengebiet, an dem mehrere Disziplinen beteiligt sind (allein unter den Medizinern, Chirurgen, Psychiater, Neurologen, Internisten, Anästhesisten, Notfallmediziner u.a.), aber auch Psychologen, Kriminologen, die Vertreter von Sanität, Feuerwehr, Technischem Hilfswerk, Bundeswehr u.a.). Auch zur "Unfall-Psychotraumatologie gibt es inzwischen immer mehr konkrete Studien und hilfreiche Publikationen.

Grundlage vorliegender Ausführungen ist die Monographie

U. Schnyder: Die psychosozialen Folgen schwerer Unfälle. Steinkopff-Verlag, Darmstadt 2000

Weitere deutschsprachige Fachbücher (mit jeweils ausführlichen, wenngleich zumeist englischsprachigen Literaturhinweisen):

Fischer, G., P. Riedesser: Lehrbuch der Psychotraumatologie. Ernst-Reinhardt-Verlag, München-Basel 1998

Maercker, A. (Hrsg.): Therapie der posttraumatischen Belastungsstörungen. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 1997

Saigh, P. A. (Hrsg.): Posttraumatische Belastungsstörung. Verlag Hans Huber, Bern-Göttingen-Toronto-Seattle 1995

Wurzer, W.: Das posttraumatische organische Psychosyndrom. WUF-Universitätsverlag, Wien 1992

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
Beachten Sie deshalb bitte auch unseren Haftungsausschluss (s. Impressum).