Prof. Dr. med. Volker Faust Psychosoziale Gesundheit von Angst bis Zwang Seelische Störungen erkennen, verstehen, verhindern, behandeln |
RAUCHENTabak-Abhängigkeit und Tabak-Entwöhnung aus psychiatrischer Sicht - eine Kurzfassung
Erwähnte Fachbegriffe:
Wer hätte das gedacht, wie sich die Zeiten ändern. Betrachtet man alte Fotos aus geselliger Runde, dann gehört der Tabakqualm dazu. Und dass dies seit der Einführung des Rauchens nicht anders war, weiß man aus zahlreichen Geschichten, Bildern und Liedern. Rauchen gehörte zur Männer-Welt (während rauchende Frauen sich eher negativer Aufmerksamkeit gewiss sein konnten). Und jetzt: Die Raucher sind nicht auf dem Rückzug, nein, sie sind förmlich auf der Flucht. Das Rauchen wird inzwischen nicht nur gesundheitlich, sondern auch gesellschaftlich missbilligt, jedenfalls in der Öffentlichkeit. Sogar der Staat wird einsichtig, wobei sich besonders die deutsche Regierung hartnäckig geweigert hat, durch einschränkende Maßnahmen auf die ergiebige Tabak-Steuer zu verzichten. Eine interessante Entwicklung, die allerdings ihre Zeit gebraucht hat. Denn wenn das Rauchen auch für die Raucher so manche Annehmlichkeit bot, für die Nicht-Raucher war es seit jeher eine Zumutung bis Belastung und der eigene Körper wurde ja ohnehin nicht gefragt, bis er seine Rechnung präsentierte. Aber dies soll hier nicht das Thema sein. Der Tabak und seine körperlichen Folgen sind eines der sonderbarsten Gesundheits-Themen: Die Belastungs-Beweise sind erdrückend und die Konsumenten unbeeindruckbar. Das war so, das ist so, das bleibt - zumindest für einen harten Kern - auch weiterhin so. Dabei zeichneten die meisten Raucher schon seit jeher eine gewisse Selbst-Ironie, ja eine tüchtige Portion Galgen-Humor aus. Der nachfolgende Kasten bietet einige Kostproben.
Hier - wie erwähnt - lediglich eine kurz gefasste Übersicht zum Thema: Die Tabak-Abhängigkeit - ein vernachlässigtes Thema aus psychiatrischer Sicht Seelische Störungen und ihre psychosozialen Folgen nehmen zu, am stärksten von allen Leiden, die die Menschheit heimsuchen. Dies betrifft vor allem die westlichen (Zivilisations-)Staaten, greift aber auch zunehmend auf andere Regionen dieser Erde über. Einzelheiten dazu, inhaltlich wie statistisch, siehe die entsprechenden Kapitel in dieser Serie (von Angst bis Zwang). Die Suchtkrankheiten (also Alkohol, Rauschdrogen, Medikamente) haben in diesem Zusammenhang eine relativ stabile Mittel-Position. Sie werden seit jeher von der Wissenschaft beforscht, von den Medien mahnend abgehandelt und von der Allgemeinheit besorgt respektiert. Letzteres nicht nur wegen der unabwendbaren körperlichen Folgen, sondern auch wegen der geistigen Einbußen, seelischen Veränderungen und - unausgesprochen aber unverändert negativ - wegen des drohenden gesellschaftlichen Einbruchs. Suchtkrankheiten gehören zu den psychischen Störungen mit dem bedenklichsten Image. Man redet nicht darüber, aber man zieht seine Konsequenzen. Wie sicher sogleich bemerkt wurde, fehlt in diesem folgenschweren Intoxikations-(Vergiftungs-)Kreis der Tabak, das Nikotin, und hier vor allem die Zigarette. Und dies, obgleich man ständig die gleichen Bemerkungen heraushören kann: Man zählt sie "irgendwie nicht dazu", obwohl sie "natürlich zu den Genussgiften gehören" und wahrscheinlich "mehr seelische, körperliche und sogar psychosoziale, d. h. beruflich, partnerschaftliche, gesellschaftliche Nachteile provozieren, als allgemein angenommen, akzeptiert oder gar von den Betreffenden mit einem Konsum-Stopp realisiert. Das Rauchen hat sich irgendwie "durchgemogelt", jedenfalls bis jetzt. Das gilt nicht nur für die Allgemeinheit (der man ohnehin oft mangelndes Gesundheits-Bewusstsein vorwirft), es gilt auch für die Wissenschaftler und sogar Ärzte, selbst diejenigen, die direkt oder zumindest indirekt mit solchen aktuellen oder zukünftigen Patienten (und ihren bisweilen traurigen Schicksalen) zu tun haben. Einzelheiten würden hier zu weit führen. Dieser Beitrag soll nur auf der Grundlage neuerer Erkenntnisse einige Aspekte aus psychiatrischer Sicht streifen. Dabei spielte auch in der Psychiatrie, zumindest bis heute, die Tabak- oder Nikotin-Abhängigkeit keine herausragende Rolle. Sie wurde zwar immer wieder beforscht und beschrieben, aber letztlich ohne größeres Echo, jedenfalls im Vergleich zu Alkohol, Rauschdrogen und sogar Medikamenten (wobei Letztere ein ähnliches "Schatten-Dasein" führen). Und dies, obgleich die Tabak-Abhängigkeit ein letztlich selbst-induziertes und damit "selbst-verschuldetes" Leiden ist, das für etwa 17% aller Todesfälle in Deutschland verantwortlich ist, beklagen die Wissenschaftler Drs. C.G. Schütz und J. Bludau von der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Bonn in der Fachzeitschrift Nervenheilkunde 6/2007 - mit Recht. Und sie gehen sogar soweit zu behaupten: Die Tabak-Abhängigkeit ist die häufigste seelische Störung überhaupt. Trotzdem fehlt diese Störung regelmäßig in der Auflistung von psychiatrischen Erkrankungen; d. h. die Tabak-Abhängigkeit wurde bis vor kurzem wissenschaftlich, diagnostisch und therapeutisch von den dafür zuständigen Ärzten und Psychologen (zu) wenig beachtet. Tabak- oder Nikotin-Abhängigkeit aus klassifikatorischer Sicht Dabei wurde schon vor rund dreißig Jahren dieses folgenreiche (Genuss-) Verhalten von den zwei wichtigsten medizinischen Institutionen in ihre "Lehrbücher" aufgenommen, nämlich von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in ihrer Internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD) und der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung (APA) in ihrem Diagnostischen und Statistischen Manual Psychischer Störungen (DSM). Aber dabei blieb es auch in der Mehrzahl der Fälle: klassifiziert, aber wissenschaftlich und klinisch nicht annähernd so intensiv beforscht und publizistisch berücksichtigt wie die anderen Suchtkrankheiten. Begrifflich spricht man übrigens "offiziell", wenn auch wenig gebraucht von einer Tabak-Abhängigkeit, während die Wissenschaftler mehr den "Hauptverantwortlichen" und damit die Nikotin-Abhängigkeit in ihren Publikationen erwähnen (denn es werden in den entsprechenden Untersuchungen ja auch Nikotin und nicht Tabak appliziert). Die diagnostischen Kennzeichen der Tabak- oder Nikotin-Abhängigkeit lauten nach der ICD-10 der WHO (s. o.) wie folgt: - starker Wunsch oder Zwang, Tabak zu konsumieren Diagnostischer Hinweis: Drei dieser sechs Kriterien müssen in den letzten zwölf Monaten gleichzeitig in Erscheinung getreten sein, um von einer Tabak- oder Nikotin-Abhängigkeit sprechen zu können. Konkret zur Sache, nämlich zum entscheidenden Beschwerdebild geht es dann, wenn die kennzeichnenden Merkmale für das Nikotin-Entzugssyndrom belasten bis quälen. Im Einzelnen (wieder nach ICD-10 der WHO): A) Die allgemeinen Kriterien für ein Entzugssyndrom sind erfüllt. B) Zwei der folgenden Symptome liegen vor: - Verlangen (englischer Fachbegriff: craving) nach Tabak (oder nach anderen Nikotin enthaltenden Produkten)- Krankheitsgefühl oder Schwäche Wie häufig ist der Tabak-Konsum in Deutschland? Es gibt immer wieder Häufigkeits-Hinweise, aber mit unterschiedlichen Untersuchungs-Methoden. Das führt bisweilen zur Verwirrung. Im Durchschnitt kann man aber derzeit davon ausgehen, dass noch immer fast jede dritte Frau und mehr als jeder dritte Mann zu den Rauchern gehören (eine Repräsentativ-Erhebung aus dem Jahr 2002 kommt auf 31% weibliche und 39% männliche Raucher in der deutschen Wohnbevölkerung). Das sind aber erst einmal alle Raucher und nicht etwa Tabak- oder Nikotin-Abhängige. Die Häufigkeit der "süchtigen Raucher" nimmt man mit rund jedem zehnten Deutschen an (11,4%). Damit ist die Tabak-Abhängigkeit eine der häufigsten, wenn nicht gar die häufigste psychiatrische Diagnose. Auf jedem Fall liegt sie im Bereich jener zahlenmäßig führenden psychischen Störungen, die inzwischen in aller Mundes sind: Depressionen, Phobien (bestimmte Angststörungen) und somatoforme Leiden (früher psychosomatisch genannt oder kurz: seelische Störungen, die sich körperlich äußern). Geschlechtsspezifisch führten früher die Männer. Das droht sich zu ändern, denn der Anteil der Raucherinnen hat leicht zugenommen, der der Raucher dagegen eher verringert.
Der Beginn einer Tabak-Abhängigkeit Und so verwundert auch nicht die (im Übrigen alte) Erkenntnis, dass die meisten Betroffenen ihre Tabak-Abhängigkeit noch während der Jugend bzw. als Heranwachsende einleiten. Laut Statistischem Bundesamt ist seit einem halben Jahrhundert die Tendenz zum stetig früheren Beginn ungebrochen. So liegt das durchschnittliche Einstiegs-Alter beim Zigarettenkonsum laut Bundesministerium für Gesundheit heute bei etwa 13 Jahren. Und da die drohende Abhängigkeit beim Nikotin schneller verläuft als bei anderen sucht-gefährlichen Substanzen kann man schon bereits nach zwei Jahren davon ausgehen, dass die Betreffenden von ihren (zumeist) Zigaretten nicht mehr loskommen. Dass gerade diese Altersstufe besonders folgenschwer reagiert und auch später mit mehr Problemen rechnen muss, weiß man übrigens schon aus tier-experimentellen Untersuchungen. Aber das stört die Betroffenen natürlich am allerwenigsten. Wer wird überhaupt abhängig? Nun sollte man aber "die Kirche im Dorf lassen", wie die bekannte Mahnung lautet. Denn jeder kennt nicht wenige "Freunde eines guten Tropfens" und noch immer eine Reihe von regelmäßigen Rauchern ("Genuss-Raucher", wie sie sich zu bezeichnen pflegen), die ganz offensichtlich nicht zu den Süchtigen zählen. Und selbst Rauschdrogen (deren Konsumenten sich allerdings nur selten outen dürften) sollen in den entsprechenden (auch besseren) Kreisen häufiger sein, als offensichtlich erkennbar. Tatsächlich wird von den Konsumenten eines Suchtmittels nur ein bestimmter Teil diese Substanz regelmäßig einnehmen und ein noch geringerer Teil eine Abhängigkeit entwickeln. Das ist unbestritten. Für diejenigen aber, die es trifft, kann es dann schon eng werden. Und das sind offensichtlich nicht wenige. Die Autoren C.G. Schütz und J. Bludau zitieren eine amerikanische epidemiologische Studie, die besagt, dass von den Konsumenten von Heroin 25%, von Alkohol 17%, von Kokain 16% und von Haschisch/Marihuana 9% schließlich hängen bleiben, abhängig werden, sucht-krank sind. Das hört sich für einige - rein statistisch gesehen - erst einmal gar nicht so schrecklich bedrohlich an, muss aber - abgesehen vom tragischen Einzelschicksal - auch in Relation zur Konsumenten-Zahl generell gesehen werden. Und die ist bei den Rauschdrogen doch häufiger als man glaubt und beim Alkohol ganz erheblich (weshalb dann ein Fünftel Alkoholiker unter den Alkohol-Konsumenten nicht gerade wenig ist). Der Schock aber kommt noch: Bei den Tabak-Konsumenten trifft die Suchtgefahr fast jeden Dritten, rund 31%. Das ist dann allerdings mehr als bei allen anderen Sucht-Risiken, obgleich Alkohol und Rauschdrogen-Konsum wahrhaftig häufiger und leidenschaftlicher diskutiert werden als beispielsweise der Zigaretten-Konsum. Mit anderen Worten:
Co-Morbidität: wenn eine Krankheit zur anderen kommt "Ein Unglück kommt selten allein", heißt es. Und so ist es auch leider oft für Krankheiten, vor allem für psychische. Tatsächlich ist die Tabak-Abhängigkeit die häufigste Co-Morbidität zu anderen psychischen Erkrankungen, einschließlich Sucht-Leiden. Unter Co-Morbidität versteht man schlichtweg zwei oder mehr Krankheiten auf einmal, die es zu bewältigen gilt, was naturgemäß noch schwerer als eine einzelne zu ertragen ist. Warum aber rauchen manche psychisch Kranke noch so, dass sie zu allem hin noch als sucht-gefährdet gelten? Zuerst die Frage: welche psychisch Kranken rauchen am meisten? Nach entsprechenden Untersuchungen rauchen rund 80% aller Patienten mit einer Schizophrenie, manisch-depressiven Erkrankung oder einem weiteren Suchtleiden so, dass sie als abhängig gelten müssen. Etwa 60% sind es bei rein Depressiven sowie Angststörungen. Insgesamt sollen mehr als 40% aller Zigaretten von Personen mit einer seelischen Erkrankung geraucht werden, so entsprechende US-amerikanische Studien. Deutsche Untersuchungen bringen es auf nicht ganz so hohe, aber doch noch überaus bedenkliche Zahlen. Das Ganze gipfelt in der Überlegung: Bei abhängigen Rauchern (grundsätzlich!) auf eine zusätzliche psychische Erkrankung achten - jetzt oder später. Der Grund könnte in biochemischen Ursachen liegen, also einer gleichsam biologisch begründeten Gefährdung auf mehreren Krankheits-Ebenen oder dann Diagnosen. Denn das betrifft übrigens nicht nur die erwähnten Leiden, sondern offenbar auch die Alzheimer-Erkrankung und das Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS). Bei Letztem fällt auf, dass erwachsene "Zappelphilipps" mit Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen schon in jungen Jahren zu den Rauchern gehören. Warum? Es muss biochemische Zusammenhänge geben, die sogar von einer Art Selbstbehandlungs-Strategie mittels Nikotin sprechen (Stimulation des zu wenig verfügbaren Botenstoffs Dopamin im Gehirnstoffwechsel?). Einzelheiten siehe die entsprechende Fachliteratur. Die Tabak-Abhängigkeit: ein Stiefkind der psychiatrischen Forschung und Therapie? Nach all dem muss man sich fragen: Warum wurde die Tabak-Abhängigkeit bisher weitgehend ignoriert, auch von der Psychiatrie? Die Autoren C. G. Schütz und J. Bludau von der Psychiatrischen Universitäts-Klinik Bonn stellen folgende Begründung zur Diskussion: - Rauchen war bisher sozial akzeptiert. Der Tabak-Konsum ist mit relativ wenigen sozialen Auffälligkeiten und Einschränkungen verbunden, zumindest gemessen an den übrigen Suchtkrankheiten und einer Reihe sonstiger psychischer Störungen. - Die Erkrankung, nämlich die "Nikotin-Sucht", ist so weit verbreitet (und letztlich so wenig besorgnis-erregend, wenigstens in der meisten Zeit, das Ende hat dann allerdings andere Leidens-Dimensionen), dass sie als "normativ", d.h. die Norm, den Maßstab, die Regel oder Richtung vorgebend, kurz: als maßgebend angesehen wurde. Jedenfalls lange Zeit. Rauchen = tun, was "man" tut - bzw. was man (Mann) früher tat… - Und was die Psychiater und ihr Aufgabengebiet im engeren Sinne anbelangt, so sind die verkürzte Lebenserwartung und drohenden körperlichen Folgekrankheiten (z. B. Lungen-Carcinom) keine psychiatrischen Leiden. Aus diesem Grunde waren es bisher vor allem die Onkologen, Kardiologen und Pulmologen (Experten für Krebserkrankungen, Herz-Kreislauf und Lungenkrankheiten), die gefordert und im Übrigen auch wissenschafts-politisch (Forschungsgelder) gefördert worden sind. - Und schließlich darf man nicht die marktwirtschaftlichen Kräfte vergessen, die am Tabak-Umsatz interessiert waren und noch immer sind (und vor allem sein werden, da gibt es keinen Zweifel). Allein in Deutschland wurden im Jahr 2004 111,7 Milliarden Zigaretten geraucht. Pro Tag(!) werden bei uns ca. 60 Millionen Euro für Zigaretten ausgegeben - noch immer. Bei den Kosten ist es ähnlich wie beim Benzin: Die Tabak-Steuer stellt nach der Mineralöl-Steuer die zweitwichtigste Einnahmequelle unter den Verbrauchssteuern für den Bundeshaushalt dar. Beim Benzin gibt es Argumente, die man akzeptieren muss - aber beim krebs-bedrohlichen Tabak...? Nun scheint sich aber eine Wende anzubahnen, mit Ausnahme der erwähnten Mädchen, die den Altersvorsprung des weiblichen Geschlechts zunichte machen werden, wenn es so weiter geht (in der Tat: Frauen werden rund sieben Jahre älter als Männer und können derzeit diesen Vorsprung noch etwas ausbauen, allerdings langsamer als früher; Männer hingegen holen leicht auf). Epidemiologische Warnungen Für diejenigen, die sich nicht schon in jungen oder späteren Jahren in den Nikotin-Sog hineinziehen lassen konnten oder wollten, sieht es am günstigsten aus. Aber auch diejenigen, die sich zu einer Tabak-Entwöhnung entschließen können, vor allem konsequent, haben offensichtlich noch viele (wenn auch nicht alle) Chancen, die ihnen ihr gesundheitsbewussterer Lebenslauf schicksalhaft zugewiesen hätte. Denn die Zahlen, die nackten Daten, die Mortalitäts-Statistik der Epidemiologen, sie sind hart: - Auf Grund US-amerikanischer Untersuchungen und vergleichbarer Studien in Deutschland wird geschätzt, dass jeden Tag(!) über 300 Menschen an den Folgen ihres Tabak-Konsums sterben. - Die durchschnittlich verminderte Lebens-Erwartung beträgt ca. sieben bis acht Lebensjahre (das hört sich in jungen Jahren nicht so dringlich an, später allerdings ist das eine respektable Zeit von "haben oder nicht"). - Schätzungsweise 1,2 Millionen Sterbefälle (17% aller Todesfälle) werden jährlich allein in Deutschland auf den Konsum von Tabak-Produkten zurückgeführt. Weltweit schätzt man sogar, dass etwa jeder zweite Raucher an den tabak-induzierten Folgeschäden stirbt. - Dabei treffen die Risiken nicht nur den Raucher selber. Etwa 55% der Nichtraucher geben an, dass sie unfreiwillig Tabakrauch einatmen müssen (passive Berauchung, ein früher sogar strittiger Diskussionspunkt, heute wenigstens weitgehend anerkannt, die Forschung kam hier endlich einmal auch den Nichtrauchern konkret zu Hilfe). 21% fühlen sich dabei am Arbeitsplatz, 13% zu Hause und 43% an anderen Orten belästigt, beeinträchtigt, gefährdet. Zwei Drittel der passiv rauchenden Nichtraucher fühlen sich auf jeden Fall durch den Tabakrauch gestört. Letzteres mag ja noch angehen, aber man schätzt, dass allein in Deutschland mehr als 3.200 Personen pro Jahr an den Folgen des unfreiwilligen Passiv-Rauchens sterben müssen. - Die volkswirtschaftlichen Kosten infolge tabak-bedingter Krankheiten und Todesfälle wurden für 2.003 auf 21,0 Milliarden Euro berechnet. Davon entfielen 7,5 Milliarden für Therapien und rehabilitative Maßnahmen, 4,7 für indirekte Kosten der Erkrankung und 8,8 für Arbeitsausfall und Berentung an. Mangelndes Problem-Bewusstsein - Scharlatanerie - Rückfallrisiken Wenn man dies alles hört, fragt man sich natürlich unweigerlich: Warum geschieht so wenig, was denken sich die Raucher und wo liegen Möglichkeiten und Grenzen einer erfolgreichen Raucher-Entwöhnung? Als Erstes muss man feststellen: An nüchternen bis "gnadenlosen" Informationen, an fachlich (wenn auch psychologisch nicht immer geschickter) fundierter Aufklärung hat es nicht gemangelt, zumindest nicht in den letzten Jahrzehnten. Auch die steigenden Tabak-, vor allem Zigaretten-Preise müssen ja irgendwie verkraftet werden. Kurz: das, was einem als Erstes einfällt, ist eigentlich geschehen. Das Gleiche gilt für eine wachsende, ja eine Vielzahl unterschiedlicher Angebote zur Raucher-Entwöhnung: von der Akupunktur über die Hypnose bis zu Selbsthilfebüchern, die ganze Regale in den Buchläden füllen. Das alles ist übrigens nicht falsch, es fehlt nur so gut wie regelmäßig der empirische Nachweis einer dauerhaften Wirkung, wie die Experten die wissenschaftlich unzureichende Begründung der meisten Entwöhnungs-Angebote bezeichnen. Leider nehmen deshalb auch völlig unhaltbare therapeutische Erfolgsversprechungen zu. Deshalb wird der Raucher-Entwöhnungsmarkt von den Fachleuten auch verbittert als "Jahrmarkt für Scharlatane" gegeißelt. Aber man schlägt auch an seine eigene Brust. Die Grundausbildung der Gesundheitsberufe, und hier nicht zuletzt die Ausbildung der Studenten, später die Weiterbildung der Assistenzärzte und die Fortbildung der Fachärzte lassen in puncto Tabak-Gefährdung überaus zu wünschen übrig. Selbst beim Hausarzt wird dieses Thema offenbar nur selten angesprochen, ob aus Resignation, problematischer Toleranz oder Stress im Praxisalltag sei dahin gestellt. Auf jeden Fall stand Deutschland im Jahre 2000 an drittletzter Stelle der ernsthaften Raucher-Aufhörversuche innerhalb Europas. Da fragt man sich natürlich: Warum? Das hat viele Ursachen, einige aber betreffen den Raucher sehr persönlich, direkt, und hier natürlich negativ, wenn er aufhören will. An erster Stelle steht das Problem: Nikotin und Stress bzw. konkreter: weniger Stress durch Nikotin-Versorgung. Viele Raucher erleben nämlich ihren Tabak-Konsum als in der Tat stress-mindernd. Das ist allerdings eine fast schon tragische Selbsttäuschung. Denn Nikotin erhöht ja das individuelle Stress-Niveau (nachweisbar durch einen höheren Puls, steigende Stress-Werte in bestimmten Funktionsbereichen des Organismus u. a.). Woher also der Irrtum von der Stress-Reduktion? Eine der möglichen Antworten: Rauchen wirkt sehr schnell (der Tabak wird über die Lunge inhaliert und entwickelt seine zentral-nervöse (Gehirn-)Wirkung ähnlich schnell wie eine intravenöse Injektion in die Vene, das muss man sich einmal vorstellen); gleichzeitig aber verflüchtigt sich dieser Wirkeffekt auch fast genau so schnell. Dann aber drohen ziemlich rasch auftretende Entzugs-Erscheinungen (siehe Kasten). Und die lassen sich nur durch erneuten Konsum eindämmen. Unter Stress könnte es dann noch schneller zu Abstinenz-Symptomen kommen, die dann wenigstens durch erneuten Konsum gemildert werden. Eine echte Aktivierung lässt sich damit allerdings nicht feststellen. Insgesamt aber müssen auch die Experten zugeben: Obgleich viel über das Thema "Rauchen und Stress" bzw. "Stress und Rauchen" diskutiert wird, hat man bisher wenig erstaunlich Fundiertes erarbeitet. Was aber vor allem in der Allgemeinheit bleibt, ist die zumindest subjektiv stress-reduzierende Wirkung der Zigarette, auch wenn objektiv alles dagegen spricht. Was empfehlen nun die Experten? Es muss also etwas geschehen und in der Tat: die professionellen Fortbildungen zur Tabak-Entwöhnung werden immer häufiger angeboten und auch von den Ärzten, Psychologen u. a. genutzt. Einzelheiten würden hier zu weit führen, einige Stichworte seien aber auf der Grundlage der Publikation von C. G. Schütz und J. Bludau erläutert: - Auf der medikamentösen Ebene zur Beeinflussung des Rauchverhaltens haben sich tatsächlich die Nikotin-Ersatz-Präparate bewährt, zumindest im realistischen Rahmen (d. h. die Wahrscheinlichkeit, einen Entzug erfolgreich zu meistern, ließe sich um mehr als 50% steigern). Die Anwendung ist einfach und ungefährlich. Konkret handelt es sich um Nikotin-Pflaster, Nikotin-Kaugummi, Nikotin-Lutschtabletten und Nikotin-Sublingual-Tabletten (unter der Zunge). - Wer sich allerdings ausschließlich auf ein Nikotin-Ersatz-Präparat verlässt, wird weniger Erfolg haben. Eine zusätzliche Beratung und vor allem Begleitung durch den Hausarzt oder eine entsprechend verhaltenstherapeutisch ausgerichtete Entwöhnungsbehandlung ist effektiver. Das ist nachvollziehbar. Denn die alleinige Nikotin-Substitution (Nikotin-Ersatz) vermag zwar Entzugs-Symptome, zumindest Befürchtungen und Sorgen vor dem Entzug reduzieren, die eingespielten Verhaltensweisen, Gewohnheiten, die Belohnungsprozesse und Gegenmaßnahmen gegen auslösende Konflikt- und Stresssituationen, all das entscheidende "Drumherum" wird natürlich nicht bearbeitet. - Die besten Aussichten für einen erfolgreichen Rauchstopp bieten deshalb fachlich geleitete Einzel- oder Gruppentherapie-Sitzungen in Verbindung mit Nikotin-Ersatz-Substanzen (s. u.). - Außerdem gibt es neben den Nikotin-Substitutionsprodukten noch zwei weitere in Deutschland zur Tabak-Entwöhnung zugelassene Medikamente, nämlich Bupropion und Vareniclin. Die Handelsnamen, Therapie-Schemata mit Dosierung, Neben- und Wechselwirkungen bitte beim Hausarzt erfragen. Vor allem die Kontraindikationen (Gegenanzeigen) müssen sehr genau erläutert und besprochen werden. Die Erfolge sprechen allerdings für sich (bis zu einer Verdoppelung der erfolgreichen Raucher-Entwöhnung), aber - wie erwähnt - stets unter ärztlicher Kontrolle. Dies gilt auch für weitere Substanzen wie Nortriptylin und Clonidin, die allerdings in Deutschland nicht für die Raucher-Entwöhnung zugelassen sind (wohl aber für andere Heilanzeigen). - Sehr viel einfacher, praktikabler, in seinem End-Effekt aber auch begrenzter ist das, was die Experten eine ärztliche Kurz-Intervention oder Minimal-Intervention nennen. Das ist eine mündliche Instruktion des Arztes, das Rauchen aufzugeben, der aber auch eine regelmäßige Nachfrage folgt sowie die Unterstützung bei eigenständiger Tabak-Entziehung. Im Kasten finden sich die fünf A's und die fünf R's der ärztlichen Kurz-Intervention beim Raucher, wie sie die Deutschen Leitlinien der Tabak-Entwöhnung formulieren.
- Schließlich muss auch auf die positive Entwicklung einer verhaltenstherapeutisch orientierten Tabak-Entwöhnung hingewiesen werden, nicht zuletzt mit Unterstützung der Krankenkassen. Dabei gibt es verschiedene Gruppenkonzepte und dazu gehörige Manuale (z. B. A. Batra: Tabakentwöhnung. Ein Leitfaden für Therapeuten. Oder: C. Kröger: Rauchfrei in zehn Schritten). Einzelheiten siehe die entsprechenden Angebote einschließlich Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. - Zuletzt sei noch an die unermüdlichen Public Health-Projekte erinnert, die immer wieder versuchen schon den Einstieg zu verhindern, vor Passivrauchen zu schützen und die Raucher beim Aufhören zu unterstützen (z. B. die "Rauchfrei-Kampagne": www.rauchfrei-info.de). Vor allem das Internet bietet hier gut sortierte Informationen und ein sogar individuelles E-Mail-Programm zur Unterstützung des persönlichen Rauchstopps. LITERATUR Aufgrund des fachlich hervorragenden und inhaltlich anregend aufgemachten Informations-Materials, das kostengünstig oder gar kostenlos von den entsprechenden Institutionen zur Verfügung gestellt wird, folgt bei dieser Kurzfassung keine Literaturempfehlungen wie üblich, sondern der Hinweis auf weiterführende Hilfestellungen durch ausgewiesene Fach-Institutionen, bei denen man sich über Telefon, persönliche Beratung, Broschüren, Faltblätter, Internet u. a. die notwendigen Informationen einholen kann (siehe nachfolgender Kasten).
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Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise. |