Prof. Dr. med. Volker Faust Psychosoziale Gesundheit von Angst bis Zwang Seelische Störungen erkennen, verstehen, verhindern, behandeln |
NATURKATASTROPHEN UND SEELISCHE FOLGENErdbeben – Seebeben – Tsunamis („Monsterwellen„) – Vulkanausbrüche – Schnee- und Schlammlawinen – Wirbelstürme – Buschfeuer – Blitzschlag – Großbrände – Dammbrüche – Überschwemmungen – Massenvergiftungen (Nahrungsmittel) – u.a.m.
Wie kann man das aushalten? Und vor allem: Wie wird man auf Dauer damit fertig? Wie lassen sich die verheerenden Folgen von Erd- und Seebeben mit Monsterwellen, Vulkanausbrüchen, Großbränden, Dammbrüchen, Blitzschlag, von Wirbelstürmen wie Hurrikans, Tornados oder Taifune, von Schlamm- und Schneelawinen, Buschfeuern, Gebirgsunfällen, von Massenvergiftungen (Nahrungsmittel) u. a. verarbeiten? Was bleibt, wenn man nicht nur die Beschädigung, Zerstörung oder Vernichtung von Haus und Hof, sondern die Verletzung oder gar den Tod von Angehörigen, Freunden, Nachbarn, Mitreisenden erleben musste – hilflos. Wie verarbeiten das die Opfer: Männer, Frauen, Kinder. Und – eine lange vernachlässigte Frage – wie verarbeiten das ihre Angehörigen. Und – gerne verdrängt – die Helfer? Die Katastrophenmedizin hat sich in der westlichen Welt zu einer erstaunlichen Effektivität, fast möchte man sagen Perfektion entwickelt, soweit es die meist erschwerten Bedingungen zulassen (was gerne vergessen wird: die Anspruchshaltung in unserer Zeit und Gesellschaft ist mitunter naiv bis unverfroren, selbst wenn jedermann klar sein müsste, hier darf man nur die notwendigsten Hilfsmaßnahmen erwarten). Das geht nicht zuletzt auf die technischen Möglichkeiten zurück – und den oft selbstlosen Einsatz der geschulten Fachkräfte (Feuerwehr, Sanität, Polizei, Technisches Hilfswerk, Spezialeinheiten, Ärzte, Schwestern, Pfleger, Seelsorger u. a.). Und wenn in den Ländern der Dritten Welt auch die technischen Voraussetzungen fehlen, die Wege oft weit, die Zufahrten verlegt und die Zugänge damit abgeschnitten sind, eines imponiert doch immer wieder, was so manche technischen Defizite wieder ausgleicht: die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung untereinander. Wie aber steht es nun mit der seelischen und psychosozialen Unterstützung? Gibt es dazu konkrete Anleitungen, zumindest Überlegungen und Forschungsansätze? Hier hat sich in der Tat einiges getan, vor allem was die Notfallpsychologie und psychiatrische Katastrophenforschung anbelangt. Allerdings noch nicht allzu lange, das muss man zugestehen. Und überwiegend aus militärischen Überlegungen heraus, die dann wenigstens später (verspätet?) der Allgemeinheit zugute gekommen sind. Was weiß man und vor allem: Was sollte man aus den bisherigen Tragödien lernen? Denn niemand kann darauf bauen, verschont zu bleiben. Niemand ist sicher, nicht schon morgen selber Opfer zu werden: unterwegs, am Arbeitsplatz, zu Hause und sogar in der Freizeit, im Urlaub – daheim oder in fernen Regionen. Was muss man wissen? Psychiatrische Katastrophenforschung Naturkatastrophen sind so alt wie die Menschheit, technische Katastrophen durch Industrie, Verkehr und im Zivilleben inzwischen an der Tagesordnung. Die seelischen, psychosozialen und körperlichen Folgen sind unterschiedlich, aber meist viel ausgeprägter als in der Regel bekannt wird. Dies betrifft vor allem die mittelfristigen bis Langzeit-Konsequenzen, an die niemand mehr denkt, außer die Opfer und ihr direktes Umfeld. Die „Halbwertszeit des Vergessens„ ist nirgends so groß wie bei fremdem Leid. Die aktuelle Hilfsbereitschaft war schon immer und ist auch heute noch (nicht zuletzt durch den Einfluss der Medien) unerwartet groß, erfreulich, tröstlich, staunenswert und mitunter geradezu rührend. Dann aber versucht jeder wieder seinen eigenen Weg zu gehen, Probleme, Sorgen und Belastungen gibt es genug. Das ist im Grunde normal und wohl auch naturgegeben so angelegt, darüber sollte man sich keine Illusionen machen. Was aber haben die zu erwarten, die direkt betroffen waren bzw. indirekt die Folgen aushalten müssen? Darüber weiß man letztlich wenig, vor allem Genaues. Und dies, obgleich wohl nichts länger zurückliegt als die Katastrophen-Erfahrung der Menschheit. Denn im Grunde gibt es eine wissenschaftlich fundierte Katastrophenforschung erst seit etwa einem Vierteljahrhundert. Zuvor beruhten entsprechende Erkenntnisse vorwiegend auf Einzelfällen oder Erhebungen kleiner Stichproben, meist von Katastrophenopfern, die Schadenersatz beanspruchten, von verletzten Personen, Klägern vor Gericht oder Helfern, die mit dem entsetzlichen Geschehen nicht mehr fertig wurden. Konkrete Untersuchungen über die zahlreichen Opfer über Jahrhunderte hinweg und aus aller Welt liegen nicht vor. Und das noch heute, vor allem dort, wo offenbar die meisten Katastrophen vorkommen, nämlich in den Entwicklungsländern (und nebenbei auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion mit ihren inzwischen selbständig gewordenen Teilrepubliken). Sie sind oftmals nicht einmal in der Lage, den Opfern die notwendigsten Überlebenshilfen zukommen zu lassen, von den seelischen und psychosozialen Folgen ganz zu schweigen. Und selbst dort, wo inzwischen eine fundierte Katastrophenforschung praktiziert wird, stehen die Wissenschaftler immer wieder vor unterschiedlichen Ergebnissen und damit eher fragwürdigen Erkenntnissen. Einzelheiten dazu siehe die entsprechende Fachliteratur oder die komprimierte Zusammenfassung über Psychiatrische Katastrophenforschung in dieser Internet-Serie. Allgemeine Aspekte traumatischer Reaktionen Wie häufig sind seelische Folgen? Wenn man einmal von dem „akuten Entsetzen„ absieht, dass jedes Opfer trifft, dann aber im Verlaufe der kommenden Monate und Jahre zumindest halbwegs verarbeitet werden konnte, so bleibt doch die Frage: Wer wird sein ganzes Leben damit nicht mehr fertig, zumindest mit vereinzelten Langzeit-Folgen und ihren Konsequenzen im Alltag? Im Allgemeinen scheint zumindest jeder fünfte Betroffene unter langfristigen bis dauerhaften Krankheitszeichen zu leiden. Es liegen jedoch auch Studien vor, die bis zur Hälfte aller Opfer als beeinträchtigt erklären. Und natürlich gibt es Ereignisse von solch durchschlagender „Wucht„, dass nahezu keiner in überschaubarer Zeit damit fertig wird. Dabei scheinen so genannte „man-made-Ereignisse„ (z. B im Rahmen eines Kidnapping, durch Überfälle oder Kriegshandlungen mit nachfolgender Misshandlung u.a.) um ein Vielfaches folgenschwerer als Naturkatastrophen auszufallen. Bei Letzteren muss man sich halt in Gottes Namen damit abfinden, dass die Natur ihre eigenen Gesetze hat, die der Mensch nebenbei auch noch in vielen Fällen zu verschärfen droht (z. B. Umweltbelastung mit Langzeitfolgen). Bei technischen Katastrophen spielt schon eher eine menschliche Komponente mit herein (z. B. der Verdacht, hier könnte von den Behörden etwas verheimlicht oder die Kontrolle bzw. Überwachung schlampig durchgeführt worden sein). Bei „bösartigen Übergriffen durch menschliche Habgier, Niedertracht oder „entmenschlichte„ Wesensart wird es schon schwieriger, damit innerlich fertig zu werden, seinen Frieden zu finden. Nach allem, was man aber bisher weiß, scheint die durchschnittliche Krankheitsrate höher zu liegen als angenommen – und zwar beträchtlich (die Hälfte bis zwei Drittel?). Solche erschreckend hohen Zahlen ernsthaft seelisch Verwundeter dürften insbesondere abhängig sein von Art und Ausmaß der Katastrophe, von der untersuchten Bevölkerung, dem Zeitpunkt der Datenerhebung, den verwendeten psychologischen Messinstrumenten u. a. Gibt es einen Unterschied zwischen Natur- und technischen Katastrophen? Wie bereits erwähnt gibt es tatsächlich einen Unterschied zwischen Natur- und menschlich ausgelösten und dabei meist technischen Katastrophen – und zwar zu Lasten Letzterer. Dabei sprechen vor allem zwei Aspekte eine deutliche Sprache:
Dabei hilft es dann auch nicht, wenn die Behörden in ihrer Hilflosigkeit alles zu verheimlichen oder gar lächerlich zu machen versuchen (beispielsweise beim Reaktorunglück in Tschernobyl: „Radiophobie„). Das Beschwerdebild eines Katastrophen-Syndroms vor, während und nach dem Ereignis Die nach einer Natur- oder technischen Katastrophe am häufigsten berichteten Krankheitszeichen bei Erwachsenen sind erst einmal körperliche Beschwerden (je nach Beeinträchtigung durch Wasser, Feuer, Stürze, Einbrüche u. a.), dann aber seelische und psychosoziale Konsequenzen, meist depressive und Angststörungen sowie das heute sehr konkret fassbare Bild der posttraumatischen Belastungsreaktionen (siehe später). Um was handelt es sich (Fachliteratur siehe am Ende dieses Kapitels)?
Angesicht der Gefahr für Leib und Leben werden in der akuten Situation sämtliche psychophysiologischen (d.h. normalen seelisch-körperlichen) Stress- und Notfallmechanismen aktiviert. Dazu gehören zum Beispiel und auch am besten sofort erkennbar: erhöhter Blutdruck, beschleunigte Herzschlagfolge, verstärkte Muskelanspannung und schnelle oberflächliche Atmung. Dies geht nicht zuletzt auf die Freisetzung von Stress-Hormonen zurück. Auch werden jene Regionen von Gehirn und Gesamt-Organismus besonders aktiviert, die für das Überleben entscheidend sind, andere in ihrer Tätigkeit reduziert oder gar völlig blockiert. Beispiele in der Fachsprache: die rechte Hirnhälfte (mehr auf (Überlebens-)Instinkt und emotionale Reaktionen spezialisiert) wird aktiviert, die linke (eher vernunftgesteuerte) etwas zurückgenommen. Es dominieren die so genannten archaischen (entwicklungsgeschichtlich ältesten und damit am ehestens instinkt-gesteuerten) Regionen des Gehirns, in denen die hereinkommenden (Schreckens-)Informationen sofort in hormonelle Reaktionen umgewandelt werden. Auch die Wahrnehmungseindrücke (sehen, riechen, schmecken, hören, fühlen) werden auf „Gefahr„ geschaltet, alles andere wird ausgeblendet. Das Gleiche gilt für die höheren geistigen Leistungen (die für die entscheidenden Katastrophen-Sekunden bis -Minuten nicht gebraucht werden, aber auch für so manche Fehlleistung verantwortlich gemacht werden müssen – rückblickend). Interessant auch die kurzzeitige Ausschaltung des Sprachzentrums (viele Betroffene sind ja buchstäblich „sprachlos„). Wahrnehmung und Aufmerksamkeit sind auf die Quelle der Gefahr konzentriert, alles andere geht an den Opfern vorbei („ich weiß gar nicht mehr, was sonst um mich herum geschah„). Das Schmerzempfinden spielt erst einmal keine Rolle („Schock„). Angst und Trauer im ersten Moment auch nicht, werden aber später in vielen Fällen die Hauptrolle menschlicher Belastungen übernehmen.
In der Phase des „psychologischen Schocks„ ist eigentlich alles schon vorbei, durchgestanden, ausgelitten, jedenfalls die akute Bedrohung. Trotzdem kann sich das Ganze als so genannte „Als-ob-Situation„ weiter hinziehen, die gefährliche Situation also scheinbar noch andauern, auch wenn sie längst überwunden ist. In einem solchen Zustand kann sich die Erde unter den Füßen immer noch bewegen (Erdbeben), riecht man Verbranntes, hört die Schreie und Hilferufe, ja sieht manchmal sogar Dinge, die es – Gott sei Dank – nicht mehr gibt. Das kann Stunden, aber auch Tage, in Einzelfällen bis zu zwei Wochen und mehr andauern (mitunter auch noch verzögert auftreten, d. h. „gesunde Zwischenzeiten„ und plötzlich geht es wieder von vorne los – „wenn auch nur im Kopf „). In dieser Phase findet man folgende charakteristischen Phänomene:
„Die Zeit heilt alle Wunden„, heißt das bekannte Sprichwort. Das stimmt in gewisser Hinsicht – aber nicht immer. Wenn das Ereignis zu schmerzlich oder gar unfassbar war, bleibt etwas übrig – beim einen mehr, beim anderen weniger, selbst bei vergleichbaren Katastrophen. Das hängt von vielerlei Einflüssen ab (siehe später) und kann auf jeden Fall Wochen, Monate, Jahre andauern und in Einzelfällen das gesamte Leben überschatten. Einzelheiten dazu siehe die spezielle Literatur zum Thema „Posttraumatische Belastungsreaktionen„ (kurzfristig) bzw. „Posttraumatische Belastungsstörung„ (mittel- bis langfristig). Nachfolgend nur eine komprimierte Übersicht zu Beschwerdebild und besonderen Belastungsfaktoren. Das Beschwerdebild der posttraumatischen Belastungsstörung Hauptmerkmal der posttraumatischen Belastungsreaktion bzw. -störung ist die Entwicklung charakteristischer Symptome, nachdem man mit einem extremen traumatischen Ereignis konfrontiert wurde (vom griechischen: trauma = Verletzung, Wunde, d. h. im übertragenen Sinne starke seelische Erschütterung). Dies sind vor allem intensive Angst, Hilflosigkeit oder Entsetzen, bei Kindern auch verwirrtes oder unruhig-getriebenes Verhalten. Ein besonderes Problem ist das anhaltende Wiedererleben des dramatischen Ereignisses, die konsequente Vermeidung von Reizen, die damit assoziiert (verknüpft) werden, eine „Verflachung des Gemütslebens„ sowie eine erhöhte seelisch-körperliche Anspannung. Im Einzelnen: Spezielle Aspekte traumatischer Reaktionen Unter dem Kapitel „Spezielle Aspekte„ geht es vor allem um unverständliche, zumindest „gewöhnungsbedürftige„ Reaktionen einzelner Opfer und Gruppen von Betroffenen. Außerdem um die Reaktion von Angehörigen, um die sich – erst einmal nachvollziehbar – in der Regel niemand kümmert. Von den Helfern ganz zu schweigen. Im Einzelnen:
Das Beschwerdebild im Akutfall, wie es die Opfer selber empfinden, wurde bereits stichwortartig beschrieben. Was aber registriert die Umgebung, also Notfallhelfer, hilfswillige Laien und bald auch Angehörige? Natürlich reagiert jeder anders und Extrem-Reaktionen sind eher selten, aber nicht auszuschließen. Und vor allem nicht dort, wo man sie am ehesten erwartet. Deshalb ist es sinnvoll, sich hier mit den wichtigsten Reaktionen vertraut zu machen – ob möglich und erwartet oder nicht. Reaktionen, die dem Umfeld als zumindest „nicht normal„ erscheinen und dadurch die Situation erheblich belasten bis komplizieren sind beispielsweise (Zusammenfassung in G. Gschwend: Notfallpsychologie und Trauma-Akuttherapie, 2004):
Rückzug nach innen: z. B. „eigenartig ruhig und gelassen„ (siehe unten), wenngleich teilnahmslos wirkend, innerlich leer („gemütsmäßig entleert„), traurig-blockiert, ja regelrecht seelisch-körperlich erstarrt. Das kann fälschlicherweise als mangelnde Anzeichen von Gefühlen interpretiert werden, ist aber eine den Experten vertraute seelische Reaktion mit dem erwähnten Rückzug nach innen (was besonders dann auffällt, wenn alle anderen Betroffenen klagen, weinen, Vorwürfe machen u. a.).
Es ist offenbar ein Unterschied, ob Einzelpersonen oder ganze Gruppen betroffen sind. Dazu folgende Kurz-Information zum Thema: „Typische Reaktionen und Verlaufsphasen bei Gruppen„ (nach G. Gschwend. 2004):
Der leider weitgehend unbekannte und noch weniger praktisch respektierte Lehrsatz: „Patienten haben auch Angehörige„ gilt natürlich auch für die Verwandten und nahen Freunde traumatisierter Menschen. Sie sind die „unsichtbaren„ oder „indirekten„ Opfer der Katastrophe, die so gut wie nie beachtet, geschweige denn betreut oder gezielt behandelt werden („warum, die hat es doch nicht getroffen…„). Das ist aber zu kurz gedacht. Zum einen können auch sie so beeinträchtigt sein wie die Opfer selber und deshalb unter den belastenden Bedingungen leiden, von mittel- bis langfristigen Auswirkungen für sich selber ganz zu schweigen. Zum anderen weiß jeder erfahrene Helfer (und vor allem Arzt und Psychologe), dass hilfreiche und belastbare Angehörige und Freunde unerlässliche Co-Therapeuten sein oder werden können, auf die man eines Tages noch einmal sehr angewiesen sein dürfte. Wer sich also dieser Gruppe stützend annimmt, leistet nicht nur etwas für deren seelisch-körperliche Stabilität, sondern auch für die direkt Betroffenen – und zwar weit länger, als alle anderen helfenden Institutionen verfügbar sind. Was das Beschwerdebild der Angehörigen und Freunde anbelangt, so können auch sie ratlos, verwirrt, desorientiert, ja voller Angst, mit Ohnmacht, Hilflosigkeit und Zorn reagieren, auf jeden Fall hin- und hergeschüttelt durch widersprüchliche und damit belastende Gefühle. Selbst wütende Vorwürfe, ja Neid und Eifersucht sind möglich – je nach Situation und Folgen („wie oft haben wir ihm gesagt, er soll…„). Andererseits sind Angehörige oft selber anfällig für Schuldgefühle („haben wir nicht alles getan?„), bisweilen verstärkt durch versteckte Vorwürfe von Helfern, Ärzten, Psychologen, Nachbarn und Freunden („haben Sie den nicht gemerkt, dass…„). Manchmal werden solche Schuldgefühle auch einfach zu Vorwürfen „umgearbeitet„ (Fachbegriff: Projektion, d. h. Verlagerung eines gefürchteten, peinlichen oder unangenehmen Umstands auf die anderen, um dort kritisiert oder gar bekämpft zu werden, ohne zu wissen, dass man eigentlich selber gemeint ist; diese Reaktion betrifft übrigens auch so manche Opfer, wenn sie sich selber in eine kritische Situation gebracht haben und später lauthals die „verspätete Hilfe„ anprangern). Die meisten Angehörigen sind aber mit ihren eigenen Gefühlen recht allein – und sollen dabei noch allseits stark, ruhig, souverän und verfügbar sein, um angemessen helfen zu können. Gleichzeitig wissen sie aber selber nicht, wie sie mit dem Ereignis und vor allem den Betroffenen umgehen sollen. Sie stehen also unter großem Druck und haben trotzdem kaum Raum für ihre eigenen Gefühle, ihre Unsicherheit, Ängste, Trauer und Hilflosigkeit. Eine schwierige, belastende und – darauf sein noch einmal hingewiesen – vom Umfeld nur selten erkannte und hilfreich unterstützte Situation. Deshalb werden die Notfallhelfer inzwischen geschult, den Angehörigen nicht nur beratend, sondern auch unterstützend entgegenzukommen. Und sie werden darauf sensibilisiert, solche „stillen Betroffenen„ außerhalb des engeren Katastrophen-Kreises aufzuspüren und ihnen mit einigen ermunternden Worten zu versichern, dass man sie nicht völlig vergessen hat, ja, dass man sogar ihre Unterstützung gezielt braucht, um gemeinsam voranzukommen.
In diesem Zusammenhang sei wenigstens kurz auf ein Phänomen eingegangen, das erst seit einiger Zeit die Wissenschaftler beschäftigt und damit wohl auch über kurz oder lang in die Medien und damit den Alltag Eingang findet. Gemeint ist die so genannte Sekundär-Traumatisierung, oder auf Deutsch: Die Traumatisierung (seelische Verwundung) der Helfer. „Das Leben von Menschen, die andauernd in extrem belastenden Situationen und mit Opfern von Traumatisierung zu tun haben, verändert sich, manchmal fast unmerklich und manchmal sehr plötzlich und deutlich. Wiederholte starke Stress- und Belastungserfahrungen und die häufige Zeugenschaft von Leid, Grausamkeit, Verletzung, Tod und Zerstörung bringen persönliche Krisen und Grenzerfahrungen mit sich, die nicht einfach „in den Kleidern hängen bleiben, sondern die inneren und zwischenmenschlichen Erfahrungen der Helfer, ihr Leben, ihre Weltsicht und ihre Persönlichkeit verändern„. So in treffender Kürze die Psychologin und Psychotherapeutin Gaby Gschwend, die die Erfahrungen ihrer praktischen Arbeit in verschiedenen Büchern (siehe Literaturverzeichnis) zusammengetragen hat. Und weiter: „Befragt man Helfer traumatisierter Menschen, ob sie schon einmal, seit sie auf diesem Gebiet tätig sind, irgendwelche Veränderungen in ihrem Leben feststellen konnten, so hört man – nachdem erstaunlich viele überrascht von dieser Frage sind – im Allgemeinen Zustimmung, gefolgt von einem ganzen Katalog psychischer und körperlicher Folgeerscheinungen.„
Die Gründe sind nachvollziehbar: andauernd extreme körperliche und seelische Belastungssituationen, konstant hoher körperlicher und seelischer Energieverbrauch, Gefahr von Erschöpfungs- und Burnout-Symptomen. Ferner allein mit der Verarbeitung belastender Erfahrungen (mit wem soll man sich auch austauschen, ohne in Gefahr zu geraten, als „der Sache nicht gewachsen zu gelten„). Höchste Anforderungen an präzises, schnelles, professionelles und vor allem „kühles„ Handeln und Reagieren. Dazu nicht selten intensive gemütsmäßige Reaktionen wie Angst, Ekel, Wut, Schuld, Ohnmachtgefühle u. a. Schwer belastend auch die Unüberschaubarkeit der chaotischen Situationen, gleichzeitig aber auch immer wieder eine erstaunliche Intensität, ja Intimität der Rettungs- und Betreuungssituationen. Oder kurz: unerwartet, unüberschaubar, unstrukturierbar, chaotisch bis katastrophal. Dabei vielleicht eigene (unverarbeitete) biographische Probleme (von seelischen und psychosozialen Schwierigkeiten über die individuelle Verletzlichkeit bis zu unbewussten Bedürfnissen oder Ansprüchen als Helfer u. a.). Die Sekundär-Traumatisierung wird glücklicherweise als wachsendes Problem erkannt und vermehrt berücksichtigt (sofern genügend Therapeuten mit entsprechenden Kenntnissen verfügbar sind). In diesem Rahmen sollte nur gestreift werden, dass es nicht nur Opfer unter den Opfern, sondern ggf. auch unter Angehörigen und sogar Helfern geben kann.
Die Frage, was die Folgen einer Katastrophe (sei es von Natur oder Menschenhand) besonders riskant macht, hat zu verschiedenen psychosozialen Erkenntnissen geführt, von denen nachfolgend einige diskutiert werden sollen (denn, wie erwähnt, exakte und vor allem für alle Situationen und Nationen in aller Welt zutreffende Untersuchungs-Ergebnisse sind bisher nicht verfügbar): Zu den Risikofaktoren, die bereits vor der Katastrophe bestanden, gehören das weibliche Geschlecht, vorbestehende seelische Störungen sowie frühere traumatische (seelisch verwundende) Erfahrungen in jeglicher Form. Im Einzelnen: - Frauen sollen auf Katastrophen-Ereignisse empfindlicher reagieren als Männer. Das geht aus verschiedenen Studien nach Vulkanausbrüchen, Hurrikans u. a. hervor. Allerdings finden sich nicht in allen Katastrophenberichten solche Geschlechtsunterschiede. Auch sind bei posttraumatischen Belastungsstörungen, Depressionen und Angsterkrankungen Frauen in der Regel ohnehin häufiger betroffen (bzw. reagieren weniger schambesetzt und damit aufrichtiger und therapiewilliger als Männer, weshalb sie dann auch eher in die Statistik eingehen). Manchmal lassen sich auch unterschiedliche Katastrophen-Reaktionen feststellen: So häufen sich beim weiblichen Geschlecht mehr konkrete Krankheitszeichen wie depressive und Furcht-Reaktionen, bei Männern eher entgleisungsgefährliche Selbstbehandlungsversuche (zumeist mit Alkohol). Das unterstreicht die alte Erkenntnis: Frauen stehen eher zu ihren (auch aufgewühlten) Gefühlen, Männern versuchen sie mehr mit spannungslösenden Mitteln zu überspielen (vor allem Alkohol, gelegentlich auch Rauschdrogen, seltener Medikamente). - Dass seelische Störungen in der Vorgeschichte eine spätere Traumatisierung noch folgenschwerer machen können, ist nachvollziehbar. Dies bezieht sich auf praktisch alle Reaktionsformen. Bei einigen Untersuchungen ließ sich noch Jahre nach dem belastenden Ereignis nachweisen, dass die psychische Gesundheit vor der Gefährdung bedeutsamer ist als die Intensität des Katastrophen-Ereignisses selber. Ob das wirklich stimmt, ist wohl nur individuell zu klären. Eines aber scheint sicher: Selbst extreme Belastungen werden besser verkraftet, wenn der Betreffende zuvor über eine stabile psychische Gesundheit verfügt. Musste er allerdings schon früher mit entsprechenden seelischen, psychosomatisch interpretierbaren und psychosozialen Beeinträchtigungen kämpfen, reichen ggf. schon leichtere Unannehmlichkeiten, und der Betreffenden droht zu dekompensieren. - Das Gleiche gilt für frühere Konfrontationen mit traumatischen Lebensereignissen, und zwar sowohl was Einzel- als auch Dauer-Belastungen anbelangt. Hier geht es schlichtweg um die Summe oder noch treffender die Potenzierung solcher Belastungsfaktoren. Und um die Frage: Hatte das Opfer ausreichend lange Zeit, sich durch zwischengeschaltete Erholungsmöglichkeiten wieder zu fangen? Wenn nicht, dann steht es ungünstiger um die seelische und sogar körperliche Gesundheit, je nach psycho-physischer Konstitution, Vorbelastung und weiteren (Umfeld-)Bedingungen. Denn eine seelische Wunde heilt u. U. viel langsamer als eine körperliche, kann aber auch über das Immunsystem (Stichwort: Psycho-Neuro-Immunologie) die Genesung organischer Beeinträchtigungen verzögern, in Extremfällen sogar unmöglich machen. In diesem Zusammenhang wurde allerdings auch schon behauptet, frühere Belastungen könnten ein so genannter protektiver, also die innere Stabilität erhöhender Faktor sein (Theorie der Immunisierung gegen Belastungen). Doch die Mehrzahl der Forscher ist anderer Meinung und favorisiert die so genannte Vulnerabilitäts-Theorie, die man mit drei Wörtern umschreiben kann: Zuviel ist zuviel.
- Zu den entscheidenden Risikofaktoren während der Katastrophe gehören zum einen die Exponiertheit (inwieweit ist man dem Ereignis mehr oder weniger hilflos ausgeliefert), ferner der Tod einer nahestehenden Person sowie schließlich die körperliche Bedrohung und der subjektive Kontrollverlust. Was heißt das im Einzelnen? Dass die Schwere der Gefährdung der wahrscheinlich wichtigste Risikofaktor für die Entwicklung seelischer Folgen ist, leuchtet ein. Diese Belastung hängt wiederum ab von
- Risikofaktoren nach der Katastrophe machen sich vor allem an der Frage der Unterstützung durch das Umfeld bzw. einer gezielten Intervention durch Fachleute fest. Dabei müsste die schlichte Erkenntnis erst einmal bestätigt werden: je mehr Unterstützung, desto besser die seelische, psychosoziale, körperliche und wirtschaftliche Regeneration. Seltsamerweise ist man sich allerdings darin nicht einig, insbesondere was Art, Zeitpunkt, Dauer und zusätzliche Aspekte der sozialen Unterstützung anbelangt. Vor allem scheinen auch die Art der Katastrophe und unterschiedliche demographische (bevölkerungstypische) Erkenntnisse eine Rolle zu spielen. Grundsätzlich sind aber Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörungen einem teilweise unfassbaren Wechselbad der Gefühle ausgesetzt, bestehend aus den erwähnten Symptomen: Scham, Resignation, Angst, Deprimiertheit, Hoffnungslosigkeit, Wut, Verzweiflung, Aggressivität (sogar mitunter Feindseligkeit), Nervosität, gemütsmäßige Erstarrung, Schreckhaftigkeit, zahlreiche psychosomatisch interpretierbare Beschwerden, mangelhafte Belastbarkeit, sozialer Rückzug, ständiges Gefühl der Bedrohtheit, beeinträchtigte Beziehungen zu anderen, ggf. Zusammenbruch sozialer, religiöser und sonstiger Einstellungen und Überzeugungen, kurz: eine folgenschwere Wesensänderung, die zwangsläufig zu entsprechenden psychosozialen Konsequenzen führen muss. Dies sind u. a. Partnerkonflikte, familiäre Auseinandersetzungen, Trennung, Scheidung, Arbeitsplatzbedrohung oder gar -verlust durch Leistungseinbruch, ggf. sozialer Abstieg mit oder ohne verhängnisvolle Selbstbehandlungsversuche durch Alkohol, Rauschdrogen, Medikamente und Nikotin. So wundert es auch nicht, dass schließlich sogar ein erhöhtes Risiko für andere seelischen Störungen droht, vor allem (früher ggf. kompensierte) Angststörungen bis hin zu Panikattacken, zu sozialen und spezifischen Phobien (Zwangsbefürchtungen), zu Depressionen, Zwangs- und Somatisierungsstörungen (früher vegetative Labilität genannt) sowie somatoformen Störungen (ehemals psychosomatische Beschwerden).
Mögen alle diese seelischen, körperlichen und psychosozialen Störungen irgendwann einmal zurückgehen, eines kann zur dauerhaften Belastung werden, wenn die sozialen Bedingungen es erzwingen. Und dies weitgehend unbeachtet. Gemeint sind die Folgen von Evakuierung und Umsiedlung. Besonders nach entsprechenden Natur-, aber auch langfristig gefährlichen technischen Katastrophen (Erdbeben, Vulkanausbrüche, Überschwemmungen, in technischer Hinsicht vor allem Reaktorunfälle) ist eine notfallmäßige Evakuierung und später mittelfristige Umsiedlung mitunter nicht zu vermeiden.
Und das alles – zumindest in manchen Regionen dieser Erde – Tag für Tag zusammengepfercht und/oder ohne angemessene sanitäre Einrichtungen, vielleicht sogar Ernährung, wenn nicht mit riskanten Sicherheitsmängeln für das Wenige an Besitz, was noch übrig geblieben ist, wenn nicht gar Gesundheit, Leib und Leben. Allein eine solche Internierung kann nicht ohne seelische und psychosoziale Folgen bleiben. Und wenn die Betroffenen noch aus „verseuchten Gebieten„ kommen, was nicht nur Radioaktivität, sondern auch infektiöse Krankheiten anbelangt (zuerst Salmonellen u. a., später vielleicht sogar Typhus oder Cholera), die in solchen Situationen rasch ausbrechen und sich vor allem ausbreiten können, dann kommt zur allgemeinen Not noch ein soziales Stigma hinzu, also eine Diskriminierung, die unter den gegebenen Umständen besonders weh tut. Interessanterweise wurden diese Konsequenzen bisher noch nicht adäquat diskutiert, geschweige denn untersucht. Für so etwas herrscht offenbar weder wissenschaftliches Interesse, noch gibt es dafür ausreichende finanzielle Unterstützung. Man kann sich aber denken, dass solche Katastrophen-Folgen das eigentliche, das auslösende Desaster noch um ein mehrfaches zu übersteigen vermag. Und dass sich das Ganze zu einem langfristig unglücklichen Endzustand aufsummieren kann, der zuletzt auch durch professionelle Hilfe kaum mehr in den Griff zu bekommen ist. Und dies über Jahre, Jahrzehnte oder ein ganzes Menschenleben lang.
Machen solche Katastrophen schon Erwachsenen zu schaffen, um wie viel mehr Kindern und Jugendlichen, denn die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Folgen einer solchen Traumatisierung prägen ihre gesamte weitere Entwicklung. Dabei ist es offenbar entscheidend, ob es sich um ein einmaliges Erlebnis, um mehrfache, möglichst noch regenerationslos hintereinander gestaffelte Schocktraumata oder eine Belastung ohne Aussicht auf Entlastung handelt, ob Eltern oder sonstige nahe Bezugspersonen selbst betroffen sind, wie lange, wie intensiv, ob mit oder ohne Unterstützung u. a. Allerdings weiß man darüber noch recht wenig, auch wenn man sich gut vorstellen kann: je jünger, desto nachhaltiger die Langzeit-Konsequenzen. Entsprechende Studien sprechen sowohl dafür als auch dagegen. So glaubt man beispielsweise herausgefunden zu haben, dass die seelischen und psychosozialen Folgeschäden bei Kindern mit zunehmendem Alter wachsen, d. h. je älter, desto nachhaltiger (weil die Katastrophe in ihrem Ausmaß besser überschaut werden könne). Das wurde aber auch wieder bestritten, insbesondere weil Kleinkinder zwar „alles mitbekommen„, aber wenig darüber berichten können, vor allem wenn es um ihren eigenen Seelenzustand geht. Dafür weiß man von Berichten von Erwachsenen, dass solche erschreckenden Erinnerungen bisweilen nie mehr vergessen werden und speziell im Rückbildungsalter wieder „gnadenlos nacherlebt werden müssen„ (z. B. in Albträumen). Außerdem gibt es eine zweite, schon für Erwachsene bekannte Belastungs-Komponente: Je mehr bestimmte seelische, psychosoziale und körperliche sowie wirtschaftliche Probleme bereits vor dem Ereignis durchgestanden werden mussten, desto nachhaltiger entsprechende Langzeit-Traumatisierungen durch erneute Extrembelastungen. Und Drittens und dies zwar nachvollziehbar, aber sicher nicht allseits bekannt: Je beeinträchtigter der Gesundheitszustand der Eltern vor der z. B gemeinsam erlebten Katastrophe, desto empfindlicher reagieren auch deren Kinder. Dabei soll es vor allem die Reaktion der Mutter sein, die die seelischen und psychosozialen Folgen entscheidend (mit-)bestimmt. Manche Wissenschaftlicher sind sogar der Meinung, die Reaktion der Mütter lasse Rückschlüsse auf die Heilungsaussichten der Kinder zu, die mit der gleichen Katastrophe konfrontiert waren.
Wie äußern sich aber nun posttraumatische Belastungsstörungen in diesem Alter? Das Leidensbild im Kindesalter ähnelt zwar dem der Erwachsenen, hat aber auch spezifische Schwerpunkte. Zum einen die allseits quälenden Träume, die sich ständig um das belastende Ereignis drehen. Nach und nach werden sie zwar zu so genannten Generalisierten Albträumen, d. h. der spezifische Schock verblasst und macht allgemeinen Kinderängsten Platz (z. B. neue Bedrohungen der eigenen Person oder von Familienmitgliedern und Freunden: Monster, sonstige Traum-Attacken). Dazu gehören dann auch Ein- und Durchschlafstörungen. Im Weiteren Angstzustände mit und ohne konkreten Grund, regressive Symptome (z. B. wieder Daumenlutschen oder ängstlicher Rückzug in ein „behütetes Nest mit heftigen Anklammerungstendenzen„, aber auch aggressives Verhalten). Ferner Passivität bis hin zur Hilflosigkeit. Und Furchtsamkeit bzw. ängstliche Unfähigkeit, Gefahren konkret einzuschätzen (entweder übertrieben oder unterschätzt). Und schließlich immer wiederkehrende, sich gnadenlos aufdrängende Erinnerungen, die sich an bestimmten Situationen oder Personen festmachen können (siehe das allgemeine Beschwerdebild). Oftmals werden die belastenden Ereignisse auch nachgespielt, manchmal mit erläuternder Erklärung (Opfer, Täter, Naturkatastrophe), manchmal ohne dass sich ein direkter Bezug herstellen ließe („weshalb machst Du das eigentlich immer?„ – „Weiß nicht!„). Auch wird immer wieder von sonderbaren Einstellungen berichtet, und zwar sowohl einzelnen Menschen als auch dem Leben oder der Zukunft gegenüber. Besonders Letzteres ist kaum ohne entsprechende Kenntnis nachvollziehbar: Gefühl, keine Zukunft mehr zu haben, dass das Leben zu kurz sei, um erwachsen zu werden; oder dass man gar nicht die Fähigkeit habe, mit zukünftig drohenden unangenehmen Ereignissen selber fertig zu werden. Im Bereich der psychosomatischen Störungen (unverarbeitete seelische Probleme äußern sich körperlich, aber ohne organischen Grund) wird vor allem von Kopf- und Bauchweh berichtet. Diese Resignation, dass das Leben eigentlich vorbei und die Zukunft verbaut sei, kann man auch bei jungen Erwachsenen finden: Was soll man sich noch anstrengen, lernen, ausbilden lassen; alles ist zu Ende, bevor es begonnen hat, es ist nichts mehr vom Leben zu erwarten. Schlussfolgerung Dieser Beitrag beschäftigt sich ausschließlich mit dem Erkennen und Verstehen seelischer und psychosozialer Katastrophen-Folgen: Häufigkeit, Beschwerdebild, Alter, Geschlecht, Risikofaktoren u. a. Die Therapie wird nur gestreift. Sie gilt bei den posttraumatischen Belastungsstörungen als besonders schwierig. Wichtig ist auf jeden Fall die Erkenntnis, dass es sich offenbar um ein seelisch regelrecht „eingebranntes„ Ereignis handelt, das nicht mehr ohne weiteres aus den Gehirnstrukturen und damit dem seelischen Erleben gelöscht werden kann – und dies ggf. bis ans Ende seiner Tage. Die meisten Betroffenen haben keine Aussicht auf Behandlung. Dies gilt übrigens nicht nur für die Länder der Dritten Welt. Nur wenige können derzeit von dem fachlichen Angebot notfallmäßig ausgebildeter Psychologen und Psychiater, ggf. Allgemeinmediziner, Sozialarbeiter, Schwestern und Pfleger mit Kenntnissen in Trauma-(Akut-)Therapie profitieren. Für alle anderen und die hilfswillige Umgebung aber seien wenigstens die wichtigsten Stichworte vermittelt, nämlich
Literatur Die Notfallpsychologie mit Schwerpunkt Trauma-Therapie und vor allem die psychiatrische Katastrophenhilfe sind relativ junge Teilgebiete der Seelen(heil)kunde. Die Fachliteratur kommt überwiegend aus den USA und ist meist englischsprachig. Doch auch in Deutschland entwickelt sich langsam eine „Psychiatrie bzw. Psychologie spezieller Lebenssituationen„, in der man sich gezielt mit seelischer Katastrophenhilfe zu beschäftigen beginnt. Nachfolgend eine Auswahl deutschsprachiger Bücher zu diesem Thema im erweiterten Sinn: American Psychiatric Association (APA): Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen – DSM-IV-TR. Hogrefe-Verlag für Psychologie, Göttingen-Bern-Tornoto-Seattle 2003 Arbeitsgruppe Stolzenbachhilfe (Hrsg.): Nach der Katastrophe. Das Grubenunglück von Borken. Verlag Vandenhoek & Ruprecht, Göttingen 1992 Baeyer, W. v. u. Mitarb.: Psychiatrie der Verfolgten. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 1964 Bengel, J. (Hrsg.): Psychologie in Notfallmedizin und Rettungsdienst. Springer-Verlag, Heidelberg-New York 1997 Bromet ,E. J.: Psychiatrische Probleme infolge von Naturkatastrophen und von Menschen ausgelösten Katastrophen. In: H. Helmchen u. Mitarb. (Hrsg.): Psychiatrie der Gegenwart. Band 3: Psychiatrie spezieller Lebenssituationen. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 2000 Butollo, W. u. Mitarb.: Leben nach dem Trauma. Pfeiffer-Verlag, München 1998 Butollo, W., M. Hagl: Trauma, Selbst und Therapie. Verlag Hans Huber, Bern-Göttingen-Toronto-Seattle 2003 Dutton, M.A.: Gewalt gegen Frauen. Verlag Hans Huber, Bern-Göttingen-Toronto-Seattle 2002 Egle, U.T. u. Mitarb. (Hrsg.): Sexuelle Missbrauch, Misshandlung, Vernachlässigung. Schattauer-Verlag, Stuttgart-New York 2000 Ehlers, A.: Posttraumatische Belastungsstörungen. Hogrefe-Verlag, Göttingen 1999 Faust, V.: Seelische Störungen heute. Verlag C.H. Beck, München 2000 Fischer, G., P. Riedesser: Lehrbuch der Psychotraumatologie. Reinhardt-Verlag, München 1998 Fischer, G.: Neue Wege nach dem Trauma. Vesalius-Verlag, Konstanz 2001 Flatten, G. u. Mitarb.: Posttraumatische Belastungsstörung. Leitlinie und Quellentext. Schattauer-Verlag, Stuttgart-New York 2004 Gschwend, G.: Diagnostische Kriterien der Posttraumatischen Belastungsstörung und Konsequenzen für die therapeutische Praxis. Springer-Verlag, Wien 1999 Gschwend, G.: Notfallpsychologie und Trauma-Akuttherapie. Verlag Hans Huber, Bern-Göttingen-Toronto-Seattle 2003 Gschwend, G.: Trauma-Psychotherapie. Verlag Hans Huber, Bern-Göttingen-Toronto-Seattle 2004 Hecht, K., H.-U. Balzer (Hrsg.): Stressmanagement, Katastrophenmedizin, Regulationsmedizin, Prävention. Pabst-Verlag, Lengerich 2000 Herman, J.L.: Die Narben der Gewalt. Traumatische Erfahrungen verstehen und überwinden. Kindler-Verlag, München 1993 Hirsch, M.: Psychoanalytische Traumatologie – das Trauma in der Familie. Schattauer-Verlag, Stuttgart 2004 Kingston, J., D. Lambert: Katastrophen und Krisen. Verlag Kaiser, Klagenfurt 1980 Lambrecht, F.: Praxis der Traumatherapie. Pfeiffer-Verlag, München 2000 Lasogga, F., B. Gasch: Psychische Erste Hilfe bei Unfällen. Verlag Stumpf und Kossendy, Wien 1997 Maercker, A. (Hrsg.): Therapie der Posttraumatische Belastungsstörungen. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 2003 Maercker, A, U. Ehlert (Hrsg.): Psychotraumatologie. Jahrbuch der Medizinischen Psychologie. Hogrefe-Verlag, Göttingen 2001 Mitchell, J. T. u. Mitarb.: Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen. Ein Handbuch. Verlag Stumpf und Kossendy, Wien 1996 Nussbaumer, J.: Tragödien. Katastrophen in Industrie, Verkehr und Zivilleben. Teil I: Ausgewählte Beispiele. Teil II: Chroniken. Sandkorn-Science, Buchverlag Franz Steinmaßl, Grünbach/Österreich 1999 Nussbaumer, J.: Die Gewalt der Natur. Eine Chronik der Naturkatastrophen von 1500 bis heute. Sandkorn-Science. Buchverlag Franz Steinmaßl, Grünbach/Österreich 1998 Perren, G.: Debriefing – Erste Hilfe durch das Wort. Haupt-Verlag, Bern 2001 Oppenheim, H.: Die traumatischen Neurosen. Hirschwald-Verlag, Berlin 1889 Resick, P.: Stress und Trauma. Verlag Hans Huber, Bern-Göttingen-Toronto-Seattle 2003 Sachsse, U.: Traumazentrierte Psychotherapie. Schattauer-Verlag, Stuttgart 2004 Saigh, P.A. (Hrsg.): Posttraumatische Belastungsstörung. Verlag Hans Huber, Bern-Göttingen-Toronto-Seattle 1995 Seidler, G. u. Mitarb. (Hrsg.): Aktuelle Entwicklung in der Psychotraumatologie. Psychosozial-Verlag, Gießen 2003 Schlösser, A.M., K. Höhfeld (Hrsg.): Trauma und Konflikt. Psychosozial-Verlag, Gießen 1998 Schnyder, U.: Die psychosozialen Folgen schwerer Unfälle. Steinkopff-Verlag, Darmstadt 2000 Schwarzer, R.: Stress, Angst und Hilflosigkeit. Kohlhammer-Verlag, Stuttgart 1987 Sporner, T. (Hrsg.): Stressbewältigung und Psychotraumatologie im humanitären Hilfseinsatz. Betan-Verlag, Bonn 1997 Teegen, F.: Posttraumatische Belastungsstörungen bei gefährdeten Berufsgruppen. Verlag Hans Huber, Bern-Göttingen-Toronto-Seattle 2003 Weltgesundheitsorganisation (WHO): Internationale Klassifikation psychischer Störungen – ICD-10. Verlag Hans Huber, Bern-Göttingen-Toronto 2005 Wurzer, W.: Das posttraumatische organische Psychosyndrom. Universitätsverlag, Wien 1992 Zielke, M., R. Meermann, W. Hackhausen (Hrsg.): Das Ende der Geborgenheit. Pabst Science Publishers, Lengerich 2003 |
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Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise. |