Prof. Dr. med. Volker Faust Psychosoziale Gesundheit von Angst bis Zwang Seelische Störungen erkennen, verstehen, verhindern, behandeln |
LÄRM – UMWELTPROBLEM NR. 1 und Geißel unserer ZeitSeelische, körperliche und psychosoziale Folgen
Es gibt viele Umweltprobleme in unserer Zeit und Gesellschaft. Und ihre Zahl wächst auch noch ständig. Viele haben sogar gesundheitliche Folgen, teils direkt, spätestens indirekt, und zwar körperlich, seelisch und psychosozial. Gegen die Mehrzahl hätte man sich wehren können, rechtzeitig. Aber das geschah nicht und geschieht auch heute noch heute oft genug nicht – aus vielerlei Gründen: Gleichgültigkeit, Unwissenheit, wirtschaftliche und damit finanzielle Interessen (einzelner Gruppen, die sich dann auch noch den drohenden Folgen am ehesten entziehen können), politische „Zwänge“ oder zumeist Absprachen (zu Lasten der kommenden Generationen, die sich noch nicht wehren können), ja, es gibt sogar religiöse, moralische und (pseudo-) gesundheitliche Ursachen für entsprechende Fehlentscheidungen, wie uns die Geschichte lehrt – und zwar bis heute. Kriegerische Auseinandersetzungen sind schrecklich, aber meist zeitlich begrenzt. Die Folgen der Umweltbelastung und schließlich Umweltzerstörung kommen „durch die Hintertür“: leise und „auf stillen Sohlen“, unverdächtig und oftmals auch noch unter der Maske des Fortschritts. Und dann belasten sie nicht einige Monate oder Jahre, sondern Jahrzehnte, mitunter auch auf absehbare Zeit nicht mehr umkehrbar. In manchen Fällen tragen einzelne die Schuld. Sie werden nur selten zur Rechenschaft gezogen. Einige gehen sogar mit Ruhm und Ehre ab (weil niemand über ihre folgenschweren Taten so recht Bescheid weiß). Einige verschwinden lautlos (oft auch noch mit stattlichen Abfindungen). Nur wenige müssen sich Vorhaltungen machen (lassen). Doch auch das tut nicht lange weh, denn die Halbwertszeit des Vergessens ist kurz und „das Leben geht weiter“. Manchmal sind es auch die erwähnten wirtschaftlichen, geographischen, politischen oder konkret städtebaulichen (dann aber oft auch wirtschaftlich orientierten) Zwänge, die zu einer Entwicklung führen, die „niemand wollte“, möglicherweise auch kaum einer kommen sah. Und am Schluss müssen alle darunter leiden, vor allem die Mehrzahl der Bevölkerung und insbesondere jene, denen am wenigsten Alternativen und Ausweichmöglichkeiten zur Verfügung stehen.
Auf jeden Fall nehmen Zahl und Belastung solcher negativer Umweltentwicklungen zu. Eine davon ist der Lärm. Er gilt inzwischen als Umweltproblem Nr. 1 in Deutschland. Mehr als zwei Drittel der Bundesbürger fühlen sich durch ihn belästigt. Doch es geschieht nichts – und wenn, dann meist nur „kosmetisch“ oder aus politischen Zwängen heraus, die erfahrungsgemäß den Vorschlägen der Experten nur halb(-herzig) folgen können („politisch derzeit nicht durchsetzbar“).
Der Lärm nimmt zu. Wir laufen in eine „Lärm-Falle“, die unbemerkt unser höchstes Gut, die Gesundheit zu ruinieren droht. Denn Lärm stört, ja beeinträchtigt von allen Seiten, von oben (Flugzeuge), auf gleicher Höhe (Nachbarn, Verkehr, Industrie), sogar von unten (z. B. U-Bahn). Lärm lässt sich offensichtlich nicht mehr zurückdämmen, nimmt trotz aller Lärmschutz-Maßnahmen mit ohnehin beschränktem Einfluss ständig zu, ruiniert heimlich, still und leise unsere Gesundheit und wird damit nicht nur zum Umweltproblem, sondern auch zur Geisel Nr. 1 in unserer Zeit und Gesellschaft. Dabei halten ihn vor allem junge Menschen für gar nicht so problematisch (im Gegenteil, sie tragen noch kräftig dazu bei – siehe später), hat die Masse der Bevölkerung in den „besten Jahren“ schon längst resigniert und werden die Älteren gar nicht mehr gefragt.
Und doch sollte man wissen, was uns hier droht. Nachfolgend deshalb eine ausführlichere Übersicht zum Thema: Der Lärm und seine psychosozialen Folgen auf der Grundlage des empfehlenswerten Taschenbuchs von Stephan Marks: Es ist zu laut! Ein Sachbuch über Lärm und Stille. Fischer-Taschenbuch, Verlag, Frankfurt 1999. Lärm, was ist das? Jeder kennt Lärm und die Wissenschaftler natürlich auch. Trotzdem definieren die Experten der einzelnen Fachbereiche Lärm ganz unterschiedlich. Das fängt im Übrigen schon mit der Diskussion um die Herkunft des Begriffes Lärm an (Einzelheiten siehe Kasten).
Das hat vor allem damit zu tun, dass jeder Lärm auch eine subjektive Komponente hat (schon durch den Volksmund bestätigt: „Laut, dass sind die anderen...“). Das heißt, Lärm wird zwar nicht unterschiedlich registriert, wohl aber unterschiedlich empfunden. So sagen die Arbeits-Psychologen mit Recht: Geräusche werden vor allem dann als Lärm bewertet, wenn sie als vermeidbar oder nicht sinnvoll erlebt werden. Es ist also ein Unterschied, ob ein Krankenwagen mit Sirene oder ein getuntes Motorrad durch das Viertel rast. Oder auf eine ganze Stadt bezogen: Fluglärm ärgert alle, aber als bei der Berliner „Luftbrücke“ alle Minute ein Versorgungs-Flugzeug landete, war das eher ein beruhigendes als störendes Geräusch. Deshalb geht das psychologische Lärmverständnis von der Erfahrung derjenigen aus, die Lärm ausgesetzt sind oder darunter leiden. Lärm wird also von den „Opfern“ als unerwünschter oder störender Schall verstanden, der vor allem subjektiv belästigt. Wissenschaftlich ist das aber nicht ausreichend, weil es kein objektives Kriterium für Lärm darstellt. Denn subjektiv kann sowohl Lärm als auch Nicht-Lärm (z. B. „bedrohliche Stille“, also Lautlosigkeit in einer kritischen Situation“) als störend empfunden werden.
Darüber hinaus gibt es noch zahlreiche zusätzliche Einflussfaktoren, die jeden Einzelnen die jeweilige Lärm-Belästigung ganz unterschiedlich empfinden lassen. Das hängt beispielsweise ab von Alter, Geschlecht, sozialer Schicht bzw. Milieu-Zugehörigkeit, von Situation bzw. Tageszeit, kultureller und vor allem subjektiver Einstellung des Hörers zur Geräuschquelle. Ganz zu schweigen von nationalen und damit die Mentalität betreffende Unterschiede, die übrigens jeder von seinen eigenen Reisen her kennt: Südeuropäer gegenüber Mittel- und Nordeuropäern, Lateinamerikaner gegenüber Nordamerikanern u. a. Die einen empfinden die jeweilige Lautstärke als Äußerung von Lebensfreude, die andern als unbeherrscht und störend. Allerdings sollten sich diejenigen, die mit einem lauten Geräuschpegel besser zurechtkommen oder ihn gar aufsuchen (Autorennen, Techno-Discos u. a.) wissen, dass sie ihr Gehör auch dann schädigen können, wenn es ihnen (erst einmal) Freude bereitet. Der Preis der Lärmschädigung ist also in Raten zu bezahlen (siehe später). Physikalisch wird Lärm als „lauter Schall“ bzw. „Schall mit hoher Schallenergie“ definiert. Dadurch soll Lärm objektiv messbar sein. Das leuchtet erst einmal ein, stimmt aber so nicht ganz. Zwar ist vor allem der laute Schall schädlich und provoziert Schreck- und Stressreaktionen. Inzwischen weiß man aber auch von leiseren und lang anhaltenden Lärmwerten, die durchaus schädigen können – unbemerkt. Zwar kann man sich beispielsweise an eine im Hintergrund nur dezent rauschende Autobahn, ständig laufende Lüfter usw. gewöhnen, doch das fordert auf Dauer trotzdem seinen Preis. Ob dies auch für natürlichen Dauer-Lärm zutrifft, zum Beispiel für einen Wasserfall oder Meeresrauschen, ist noch unklar. Ab einem gewissen Lärmniveau allerdings ebenfalls. So bleibt letztlich die juristische Erkenntnis: „Lärm ist ... nicht mit physikalischen Geräten messbar, weil die individuellen Empfindungen sich objektivierbaren Messverfahren entziehen.“ Schließlich sei noch kurz auf den Begriff der „akustischen Umweltverschmutzung“ eingegangen („Lärm ist akustischer Abfall“, sagen Musiker und Arbeitsmediziner). Der lehnt sich an die Definition der Luftverschmutzung an und wird sogar auf die „optische Umweltverschmutzung“ ausgedehnt, z. B. durch ein Übermaß an irritierenden Leuchtreklamen. Hier wird vor allem die zu einfache Unterteilung in Natur- und Technikgeräusche kritisiert. Dabei können selbstverständlich auch Naturgeräusche stören, objektiv, d. h. von der Schall-Intensität her und selbstverständlich subjektiv. Entsprechende Einwände berufen sich sogar auf frühe Entdeckungen, nämlich die ungewöhnliche Schwerhörigkeit bei Anwohnern der Nil-Wasserfälle, wie sie bereits im 17. Jahrhundert festgestellt wurde. Zusammenfassend bleibt aber die eingangs erwähnte Erkenntnis: Lärm hat eine objektivierbare (mehr oder weniger messbare) und vor allem subjektive Komponente. Ein Kompromiss, der beides in sich vereint, ist nicht in Sicht. Wichtig ist und bleibt vor allem eines: Lärm kann schädigen, und zwar seelisch, körperlich und psychosozial. Nachfolgend eine Übersicht.
Dass Lärm ein Stressfaktor eigener Art ist, wussten schon die Menschen in früheren Kulturen.
Im Extremfall missbrauchte man Lärm sogar als Foltermethode – und zwar mit überaus „wirkungsvollen„ bis verheerenden seelischen, körperlichen und schließlich psychosozialen Konsequenzen. Das wird übrigens heute noch so gehalten, schließlich ist der Mensch im Verlaufe der Jahrtausende nicht besser geworden. Einzelheiten dazu siehe das spezielle Kapitel über die Folter und ihre Folgen. Es bedarf aber gar nicht der menschlichen Niedertracht, um Lärm als Stressfaktor zu entlarven. Abhängig von den bereits erwähnten Faktoren, nämlich
weiß man inzwischen, dass der Lärm zu folgenden Konsequenzen führen kann:
Vieles davon hat nämlich mit Alarm-Reaktionen zu tun (siehe die Worterklärung von Lärm zu Beginn dieses Beitrags), wie sie früher, vor allem in freier Natur (Flucht oder Angriff) durchaus sinnvoll waren. In solchen Situationen mussten Blutdruck, Herzschlagfolge, die notwendigen „Lebensgrund-Stoffe„ wie Blutfette, Blutzucker, die Nebennieren-Stresshormone wie Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol den Organismus sofort zur „Höchstleistung peitschen„, sonst war das Überleben in Frage gestellt. Heute hat sich dies weitgehend verändert, d. h. solch lebensbedrohlichen Gefahren sind nur noch selten zu überwinden und damit die lebenserhaltenden (Extrem-)Reaktionen kaum mehr notwendig. Nur der Organismus hat sich nicht umgestellt (was durchaus sinnvoll ist, denn lebensgefährliche Augenblicke drohen natürlich nach wie vor). Dafür gibt es jetzt mehr sinnlosen (Dauer-)Stress, der die früher zweckmäßigen Reaktionen des Organismus (Kampf- oder Fluchtgeist für kurze Phasen) nunmehr ins Leere laufen lässt – bzw. sinnlos anheizt und dann nicht weiß, wie er diese Überreaktion wieder abbauen soll (z. B. die Fett-Ablagerungen an den Gefäß-Innenwänden, die später zu Verkalkungen und damit zur Einengung der Gefäßdurchmesser führen). Besonders belastende, wenn nicht gar bei ständiger Wiederholung gefährliche „Zivilisationseinflüsse„ sind ständige Stress-Spitzen durch Lärm, und zwar sowohl kurzfristig (am ehesten nachvollziehbar: der Knall), aber auch mittel- und langfristig. Sie beeinträchtigen vor allem das Immunsystem, die körpereigene Abwehr. Ständiger Lärm führt also auch zur verstärkten Infekt-Anfälligkeit. Manche Wissenschaftler glauben sogar feststellen zu können, dass der Lärm in Discotheken (wie einige Rauschdrogen auch) Potenzstörungen verursache. Oder dass andauernde bzw. wiederholte Stressbelastung durch Lärm auf Magen und Darm wirke und schließlich zu einem regelrechten „Reizdarm-Syndrom„ führe (dieses Colon irritabile, wie der Fachausdruck heißt, wurde bisher als ausschließlich seelisch ausgelöst interpretiert, möglicherweise muss man hier umdenken). Lärm-Stress soll auch schon das Kind im Mutterleib beeinträchtigen und später im Kindesalter den Grundstein für so manche Gesundheitsprobleme legen (Wachstum, Hörsinn, schließlich Reaktionsfähigkeit u. a.). Dabei kann man offenbar von einer gewissen Gewöhnung ausgehen, die aber rasch ihre Grenze erreicht hat. So nimmt die Reaktionsstärke einiger Körperfunktionen auf längere Lärmbelastung etwas ab, d. h. man reagiert nicht mehr überschießend um das physiologische Gleichgewicht zu wahren, doch Belastung bleibt Belastung, vor allem wenn sie so unsinnig ist wie der Lärm. In einigen Fällen scheint sogar eine Überreaktion zu drohen, d. h. selbst leisester Lärm wird dann mit einer überschießenden Funktion bestimmter Organe beantwortet. Am häufigsten scheint man Blutdruck-Entgleisungen zu registrieren, und zwar sowohl an Arbeitsplätzen mit entsprechendem Lärm als auch in verkehrsintensiven Wohnregionen. Das schädigt dann die Blutgefäße und beschleunigt den Alterungsprozess, vor allem über das Herz- und Kreislaufsystem. Lärm wird deshalb inzwischen neben den klassischen Risikofaktoren (Bluthochdruck, Rauchen und erhöhte Blutfette) zu den problematischsten Herzinfarkt-Risiken gezählt. Die Geschwindigkeits-Begrenzungen in stark frequentierten Ausfallstraßen sind inzwischen erste behördliche Reaktionen. Sie gehen vor allem auf die Lebenserwartungsstudien jener Stadtbewohner zurück, die verkehrsbedingt ungünstiger wohnen als andere in ruhigen Vierteln. Natürlich wird Lärm nicht nur als störend erlebt, sondern auch als Droge regelrecht begehrt (Fachausdruck: Schall-Appetenz).Dies hat man sich schon in der Kriegsführung vor Tausenden von Jahren zu Nutze gemacht: anfeuernde Befehle, „blutrünstige Drohungen„ oder entsprechendes Geschrei, das Schlagen der Schwerter gegen die Schilder, später die Musik der Regimentskapellen, die nicht nur zu Paraden, sondern auch in der heißesten Schlacht spielen mussten, all das sollte einen Kampf-Rausch erregen und die Todesfurcht vergessen lassen. Heute ist das alles subtiler geworden. Doch die Lautstärke in Discotheken oder bei Rock-Konzerten will ähnliches, den Alltag mit Sorgen, Ärger und Kummer vergessen machen und durch musikalische Durchdringung, vor allem aber durch Rhythmus (Bässe!) ein verbindendes Element von Spaß, Freude, Glück oder vielleicht sogar Rausch schaffen, indem möglichst viele auf diese Lärmschiene eingestimmt, ja regelrecht synchronisiert werden. Diese Musik soll aufpeitschen, euphorisch machen und alle Sorgen des Alltags verdrängen. Das hat unbestreitbare Vorteile – kann aber auch negative Konsequenzen auslösen. So hat man beispielsweise festgestellt, dass die Disco-Besucher auf ihrer Heimfahrt auch ohne Alkohol aufgedrehter, von einem inhaltslosen Glücksgefühl überrollt und damit realitätsferner reagieren – auch im Verkehr. So wird es gewünscht, so wird es geliefert, so kann es aber auch entsprechende Folgen nach sich ziehen.
Lärmbedingte Gehörschäden Lärm macht Gehörschäden. Die folgenschwersten Konsequenzen sind Lärmschwerhörigkeit, Tinnitus (Ohrgeräusche) oder gar Hörsturz (wobei bei Letzteren auch psychosoziale Faktoren, z. B. Stress eine Rolle spielen – siehe später). Was die lärmbedingten Hörschäden anbelangt, so muss man sich etwas vor Augen halten, was zwar selbstverständlich, aber kaum allgemein registriert wird: Man kann die Augen schließen, die Nase zuhalten (und dann durch den Mund atmen) und ist gegen optische und Geruchs-Reize erst einmal geschützt. Und was den Geschmack anbelangt: Niemand zwingt einen, etwas widerliches zu kosten. Anders bei den zwei übrigen Sinnesorganen: Gehör und Haut. Die Ohren kann man nicht verschließen (bei der Haut gibt es wenigstens bestimmte Abwehr-Kompromisse, z. B. durch die Kleidung, doch bei krankhafter Überempfindlichkeit hilft das auch nicht). Eine Erkenntnis bleibt also: Schall sind wir weitgehend hilflos ausgeliefert, es sei denn wir verstopfen unsere Gehörgänge durch Finger (kurzfristig), Watte, Kunststoffröllchen oder Wachskügelchen. Das hilft, wenngleich zeitlich begrenzt (und ist auch nicht für jedermann problemlos ertragbar). Also ist der Mensch vor allem einer akustischen Überforderung mehr oder weniger hilflos ausgeliefert. Er kann das zwar durch seine subjektive Einschätzung etwas variieren, bleibt aber letztlich ein Lärm-Opfer ohne ausreichende Möglichkeit zur wirkungsvollen Abschottung bzw. Gegenwehr. Dabei ist vor allem eines besonders schädlich, wie im übrigen bei den meisten Sinnesorganen und seelischen Belastungen auch: Dauer-Beschallung ohne ausreichende zwischengeschaltete Erholungszeit. Wer also mit Lärm am Arbeitsplatz zu kämpfen hat und sich in seiner Freizeit weiter „volldröhnt„, gibt seinen Hörzellen keine Chance und wird bald mit entsprechenden Folgen rechnen müssen (Faustregel: Auf eine Belastungsphase sollte die doppelte Zeit an Erholung bzw. Ruhe folgen). Vielleicht sollte man hier noch eine wissenschaftliche Bemerkung anfügen, die den Untergang der Hörzellen noch eindrücklicher deutlich macht: Lärmbelastung zerstört nach und nach die Hörzellen, das ist bekannt. Weniger bekannt ist die bedenkliche Erkenntnis, dass sie auch nicht mehr nachwachsen können (wie beispielsweise Nägel oder Haare). Da sie überaus spezialisiert sind, können auch keine anderen Zellen ihre Funktion übernehmen. Das Ende, d. h. die Schwerhörigkeit ist programmiert. Lärmschwerhörigkeit – nicht nur arbeitsplatz-bedingt Dass die Hörzellen altern wie alle anderen Zellen des Organismus auch, ist jedem klar. Daraus resultiert die Altersschwerhörigkeit. Sie kann bis zu einem gewissen Grad durch die heute verfügbaren technischen Möglichkeiten ausgeglichen werden. Allerdings nicht bei jedem und nicht immer zur vollen Zufriedenheit. Daneben gibt es die arbeitsplatzbedingte Lärmschwerhörigkeit und – neue Errungenschaft unserer Freizeit-Welt – die „Disco-Schwerhörigkeit„, natürlich auch durch andere freizeitbedingte Lärmquellen möglich. Und die machen sich – heimtückisch – erst nach Jahren bemerkbar. So glaubt man beispielsweise, dass 3 bis 4 Stunden Walkman-Musik schon nach etwa 5 Jahren mit einem deutlichen Gehörverlust zu bezahlen ist. Ein laut eingestellter Walkman kann immerhin einen Schallpegel von 110 Dezibel erreichen (dem Lärmniveau einer Kreissäge – aber dieser Vergleich erscheint den meisten Menschen so abwegig, dass er ihnen nicht einmal im Gedächtnis bleibt, wenn sie darüber informiert sind, von den Konsequenzen ganz zu schweigen). Lärmschwerhörigkeit aber ist die häufigste Berufskrankheit in Mitteleuropa geworden. Jährlich kommen neue Fälle in vierstelliger Höhe hinzu, die dann auch entschädigungspflichtig sind. Meist handelt es sich um die Erzeugung und Bearbeitung von Metallen, aber auch Holz, Glas oder Keramik sowie Verkehr, Transport, Hoch-, Tief- und Bergbau. Das Risiko chronischer Gehörschädigung nimmt mit der Lautstärke und der Einwirkungsdauer der Geräusche sowie mit dem Lebensalter des Betroffenen zu. Am problematischsten ist offenbar die Abstrahlung hochfrequenten Lärms. Besonders gefährlich sind aber auch plötzliche und sehr laute Geräusche (Impulsschall). Die jeweiligen Folgen sind allerdings schwer abschätzbar, gehen in diese Überlegung doch mehrere subjektive Komponenten mit ein (nicht zuletzt die jeweilige Konstitution, also seelisch-geistig-körperliche Veranlagung). Deshalb sind die Grenzwerte auch mit Vorsicht zu interpretieren. Sie sind wissenschaftlich nur sehr bedingt und subjektiv überhaupt nicht begründbar, sondern notgedrungen gesundheitspolitische Entscheidungen. Bei einer berufsbedingten „Belärmung„ über längere Zeit und ab einer gewissen Belastung wird gerne unterstellt, dass sich das Ohr in der Freizeit erholt. Das ist allerdings eine meist „blauäugige„ Annahme, denn danach greift ja der Verkehrs- und Nachbarschaftslärm und auch die oft lärmige Freizeit-Gestaltung (selber oder durch das Umfeld). Kommt das Ohr aber zwischendurch und letztlich überhaupt nicht mehr zur Ruhe, steigt das Risiko (s. o.).
Ein besonderes Problem ist kurzfristiger Lärm, wie er beim Schießen, Heimwerken, beim Motorsport, in Discos, Rockkonzerten oder bei Flugzeugen vorkommt. So etwas ist meist weniger kalkulierbar, hat aber die gleichen Folgen, mitunter umgehend und unkorrigierbar, bis hin zum Zerreißen des Trommelfells. Aber auch die Zerstörung der erwähnten Hörzellen oder gar die Beeinträchtigung der Organe des Innenohrs (Hammer, Ambos und Steigbügel – siehe die entsprechende Fachliteratur) führen zu ähnlichen „Katastrophen„, denn der Verlust des Gehörs ist eine solche.
Gesellschaftlich und damit juristisch oder umgekehrt: juristisch und damit auch nicht unerheblich gesellschaftlich prägend geht man bei der Lärmeinwirkung von zwei Aspekten aus: 1. „Gefahren„ oder Verletzungen der körperlichen Unversehrtheit in biologisch-psychologischer Hinsicht und 2. psychische und soziale Lärmeinwirkungen. Gegen solche Unterscheidungen wäre an sich nichts einzuwenden, wenn sie nicht in der Fachliteratur und damit in der Lärmschutzpolitik und schließlich in der Lärmschutzgesetzgebung in der Regel getrennt und leider auch oftmals zweitrangig be- bzw. abgehandelt würden – und zwar unter der entlarvenden Überschrift „Belästigungen„. Dass diese Einstellung inzwischen wissenschaftlich überholt und damit eigentlich gesellschaftlich, politisch und gesetzgeberisch/juristisch nicht mehr haltbar ist, wird zwar von gut informierten Fachleuten der einzelnen Disziplinen nicht mehr angezweifelt, braucht aber – wie so üblich – unendlich lang, bis es auch Konsequenzen nach sich zieht. Und auch das wäre vielleicht noch hinzunehmen, aber nicht, wenn es nicht nur wenige Opfer, sondern inzwischen weite Bevölkerungskreise gesundheitlich und damit letztendlich wiederum wirtschaftlich zu schädigen droht (z. B. Behandlungskosten und Arbeitsausfall, die ja durch die Solidargemeinschaft getragen werden müssen). Letzteres dürfte eigentlich keine Rolle spielen, tut es aber inzwischen mehr und mehr und kann deshalb auch als Druckmittel verwendet werden, nämlich dort, wo man früher sonst keine Chance einer raschen Einflussnahme hätte. Und so gewinnt auch die in der Medizinischen Psychologie, Psychiatrie, Psychosomatik usw. immer mehr dominierende „bio-psycho-soziale„ Betrachtungsweise in der Lärmbeurteilung an Bedeutung, auch wenn es sich „nur„ um seelische und psychosoziale Folgen handelt. Wie erwähnt kann man die Ohren nicht wie die Augen schließen, wenn man ungestört sein will. Unsere Ohren sind sogar schon geöffnet, bevor wir geboren werden. Und unsere akustischen Sinnesmöglichkeiten haben schon im Mutterleib einen weit größeren Einfluss als man früher annahm. Und auch später hat das Gehör eine viel wichtigere zwischenmenschliche Dimension, als die meisten vermuten (siehe auch das entsprechende Kapitel über Hörbehinderung und seelische Störungen). Dem Blinden gilt zwar unser Mitleid und damit unsere Hilfestellung, und das ist gut so. Über das Leid der Hörbehinderten aber machen wir uns nur wenig Gedanken, und das ist folgenschwer. Denn zum einen wird diese Art an Sinnes-Einschränkungen oder gar -Verlust zahlenmäßig die Erblindung bei weitem überflügeln, zum anderen ist sie auf ihrer Ebene ungleich folgenschwerer, als man sich das in der Allgemeinheit vorzustellen pflegt. Lärm schmälert die geistige Leistungsfähigkeit Doch schon zuvor, bei gut funktionierendem Gehör, sollte man sich eines stets vor Augen halten: Das Ohr leitet alle akustischen Informationen automatisch zur Verarbeitung an das Gehirn weiter, und zwar unabhängig davon, ob der Lärm bewusst wahrgenommen wird oder nicht. Das heißt, das Gehirn registriert alle akustischen Einflüsse, auch wenn sein „Besitzer„ gar nichts zu merken glaubt bzw. der Meinung ist, diese Schall-Belästigung sei noch tragbar. Damit kann man – schlicht gesprochen – durch Lärm-Belästigung oder gar -Überflutung sein Gehirn überfordern, gleichsam durch Verarbeitung von unnützer Lärmeinwirkung blockieren – und wundert sich nach und nach, dass es für die eigentlichen Aufgaben weniger effektiv zur Verfügung steht. Wie äußert sich dies? Vor allem in der Leistung, denn die ist allseits gefordert und in der Regel am besten kontrollierbar, vom Umfeld und schließlich auch vom Betroffenen selber (und zwar meist in dieser Reihenfolge, umgekehrt wäre es günstiger). Tatsächlich werden unter Lärm häufiger Fehler begangen und auch die Qualität der Arbeit nimmt ab. Lärm am Arbeitsplatz heißt so viel wie „verringerte Leistungsfähigkeit durch erhöhte Übermüdung, herabgesetzte Konzentrationsfähigkeit und Belastbarkeit sowie Verschlechterung der Umgebungsbedingungen (und zwar auch in den Phasen ohne direkte Lärmbelästigung; Lärm wirkt also auch noch danach „auslaugend„). Außerdem setzen lärmbedingte Leistungsminderungen oder gar Fehlleistungen das subjektive Wohlbefinden während und nach der Arbeit herab, denn dies hängt auch weitgehend davon ab, „wie gut wir drauf sind„ bzw. wie viel Leistung wir erbringen. Erfolg macht Freude – Misserfolg das Gegenteil. Schließlich beeinträchtigt Lärm – und das leuchtet jedem ein – nicht nur die Leistungsfähigkeit, sondern mindert auch die Erholungsfähigkeit in der arbeitsfreien Zeit. Wir bringen also nicht nur weniger zustande, wir kommen auch noch langsamer als sonst wieder auf die Füße. Und da die Leistung und ihre Folgen auch Auswirkungen auf das weitere Umfeld haben, beispielsweise das Betriebsklima, so leidet irgendwann auch dies, was zuletzt zu einem Teufelskreis führt. Dabei nimmt die Leistungsfähigkeit unter Lärm nicht sofort ab, jedenfalls nicht in der Regel. Das Gehirn hat eine sehr „plastische Arbeitsaufteilung„, d. h. die einzelnen Gehirnregionen unterstützen sich wechselseitig, soweit dies ihre jeweilige Spezialisierung zulässt. So scheint es lärm-anfälligere Hirnbereiche und solche mit etwas mehr Widerstandsfähigkeit zu geben, erklären die Experten bildhaft. Was der Betroffene selber empfindet oder versucht, ist sich „zusammenzureißen„, d. h. er holt mehr aus sich heraus, als die Leistung an sich fordert. Dass er damit auch schneller seine Reserven aufbraucht, versteht sich von selber. Daher auch der mitunter paradoxe Effekt, dass unter verstärkter Lärmeinwirkung kurzfristig sogar erhöhte Leistungsfähigkeit registriert werden kann – aber eben nur kurzfristig und auf Kosten der Reserven. Mittel- und vor allem langfristig kommt man um den zusätzlichen Preis letztlich unnötiger Kompensationsversuche nicht herum (oft in Form von Merk- und Konzentrationsstörungen, chronischer Müdigkeit oder gar Mattigkeit, psychosomatisch interpretierbarer Beschwerden von Herz-Kreislauf, Magen-Darm u. a.). Lärm beeinträchtigt die Kreativität Und damit wäre man im Rahmen der kognitiven Einbußen, wie das die Wissenschaftler nennen (vom lat.: cognoscere = erkennen), auch bei der „höheren geistigen Leistungsfähigkeit„: der Kreativität. Von den Merk- und Konzentrationsstörungen, der verminderten Aufmerksamkeit oder gar Vergesslichkeit war bereits die Rede, gefolgt von erschwerten Schlussfolgerungen, dem beeinträchtigten Erschließen von Zusammenhängen, vor allem unter Berücksichtigung mehrerer Informationen gleichzeitig (alles geistige Prozesse, die gerade das menschliche Gehirn auszeichnen). Ganz besonders zu leiden aber hat die erwähnte Kreativität, die geistige Schöpferkraft oder auf deutsch: der Ideenreichtum, der von den festgetretenen Pfaden des Denkens wegführt und damit neue Bereiche erschließt – sofern es der Lärm zulässt. Doch genau das tut er nicht, im Gegenteil: „Er schmilzt vor allem die Kreativität weg wie Butter auf einer heißen Kartoffel„. Lärm verringert nicht nur Schaffensdrang und Gestaltungsfreude, sondern auch Erfindungsgabe, Darstellungskraft, kurz: schöpferische Phantasie und Originalität. Auf die aber sind wir überaus angewiesen, mehr denn je. Dies betrifft nicht nur die „Berufs-Denker„ in Wissenschaft, Forschung und Lehre, das betrifft letztlich jedermann, denn jeder hat seine kleine „kreative Ecke„. Und noch viel schlimmer: Es betrifft schon unsere Kinder – also unsere Zukunft. Lärm und seine Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche Tatsächlich sind die Hauptleidtragenden des Lärms nicht zuletzt Kinder und Jugendliche. Bereits dort werden Gedächtnis- und Lärmdefizite festgestellt, vor allem unter Fluglärm. Chronischer Lärm, der nicht abzustellen ist und deshalb auch keine Regenerationsphasen zulässt, scheint besonders die komplexeren kognitiven Fähigkeiten bei Kindern zu beeinträchtigen. Das hört sich hochgestochen an, ist aber eigentlich die Grundlage des menschlichen Denkens, nämlich Lesen, ein Problem lösen oder sich mit einer schwierigeren Materie zu beschäftigen. Kinder sind außerdem nicht in der Lage einen Lärm-Überfall subjektiv einzustufen und damit ggf. ein wenig abzuschwächen. Oder auf den Alltag übertragen: Für sie ist ein rücksichtslos gefahrenes Motorrad genauso störend wie die Sirene eines Sanitätsautos, bei dem die Erwachsenen wenigstens gelernt haben, etwas milder zu urteilen und dadurch auch etwas mehr innere Distanz zu schaffen. Und da bei Kindern durch Lärm auch das Erlernen der Sprache behindert wird, verzögert sich nicht selten die geistige Entwicklung schon in den Anfängen. Deshalb auch die vielleicht provokative, aber nicht ganz unbegründete Frage: „macht Lärm dumm?„ Schlafstörungen – Problem der Zukunft? Der Mensch verschläft ein Drittel seines Lebens, nahezu 3.000 von den 8.760 Stunden eines Jahres, rund 24 Jahre im Durchschnitt eines menschlichen Daseins. Doch Schlafstörungen nehmen zu. Man spricht inzwischen von 15 bis 25 % in der westlichen Welt. Davon mehr als die Hälfte so schwerwiegend, dass eine Behandlung unabdingbar sein sollte, denn die Konsequenzen für den nächsten Tag werden immer folgenschwerer (Einzelheiten siehe das entsprechende Kapitel: Schlafstörungen sind nicht gleich Schlafstörungen). Für die sogenannten Insomnien gibt es viele Ursachen, seelische wie körperliche, vor allem aber psychosoziale. Und hier steht der Lärm an vorderster Stelle. Die Stresswirkung von Lärm ist nachts um ein Vielfaches stärker als am Tage. Deshalb werden bei vielen Anwohnern lauter Straßen nachts erhöhte Werte des Stresshormons Cortisol im Blut gemessen. Auf welche Art der Schlaf gestört wird, hängt zum einen ab vom Alter und vom körperlichen und seelischen Zustand, einschließlich der Einstellung gegenüber der Lärmquelle, zum anderen von der Art des Lärms: Lautstärke, Dauer, Häufigkeit, Tonhöhe und auch der Information, die der Lärm übermittelt. Ein entscheidender Aspekt ist auch der Zeitpunkt oder genauer die Schlaf-Phase, in der das Lärmereignis belastet. Dazu einige Erkenntnisse aus der Forschung: - Lärm bringt den natürlichen Ablauf des Schlafes und seiner verschiedenen Phasen durcheinander (Einzelheiten siehe obiges Kapitel über den Schlaf). - Lärm hindert vor allem am Einschlafen (während Durchschlafen und Früherwachen weniger betroffen sind). - Lärm weckt auf, besonders bei geringer Schlaftiefe, und die nimmt in der zweiten Nachthälfte im Rahmen der einzelnen Schlafzyklen ohnehin ab. - Lärm verhindert das Wiedereinschlafen. Denn wir wachen mehrfach pro Nacht auf, können uns aber in der Regel nicht daran erinnern – es sei denn, das Wiedereinschlafen verzögert sich. - Nicht nur Geräusche mit hoher subjektiver Bedeutung (wenn der eigene Name gerufen wird oder wenn das Kind unruhig schläft), sondern auch ungewohnte Geräusche können schon bei geringer Lautstärke aufwecken. - Auf plötzliche Geräusche reagiert der Schläfer stärker als auf kontinuierliche. - Müde Menschen reagieren zwar schwächer auf Lärm, Kranke dafür um so stärker. - Lärm verringert die Dauer von Tief- und Traumschlaf, die für die Erholung besonders bedeutsam sind (siehe oben). Aus allen diesen Erkenntnissen resultieren dann wissenschaftliche Schlussfolgerungen wie: - Lärm während des Schlafes führt zu seelischer Unausgeglichenheit, zu einer Zunahme von Reizbarkeit und Aggressivität und der Abnahme jener Fähigkeiten, mit denen wir ansonsten seelisch belastende Situationen besser zu bewältigen pflegen. - Menschen, die unter lautem Verkehrslärm schlafen müssen, arbeiten vielleicht genauso schnell, machen aber morgens mehr Fehler. Möglicherweise schlägt sich das sogar auf das direkte Verkehrsgeschehen nieder, denn der „erste Arbeitsplatz am Morgen„ ist für viele die Fahrt ins Geschäft, und zwar am eigenen Lenkrad. - Schlafstörungen können – wie mehrfach erwähnt - Nervosität, Reizbarkeit, verminderte Leistungsfähigkeit, Kopfschmerzen und nervöse Magenleiden auslösen, wie beispielsweise in Wohngebieten mit nächtlichem Schwerlastverkehr vermehrt festgestellt wurde. - Nächtlicher Lärm bedroht insbesondere Menschen mit Herzinfarkt-Gefährdung, mit höherem Blutdruck, mit Stoffwechselstörungen und Magengeschwüren. Vor allem die durch Lärm verursachten oder verstärkten Stoffwechselstörungen können auch das menschliche Immunsystem und damit die Abwehrkräfte des Körpers untergraben. Die Folge ist eine verstärkte Infektanfälligkeit und Erkrankungshäufigkeit. Dabei ging man bei den meisten Untersuchungen offenbar von einem gesunden, seelisch, geistig und körperlich aktiven Durchschnittsbürger mittleren Alters aus. Was aber geschieht mit den Menschen, die bereits geschwächt oder gar krank sind? Oder vor allem „nur„ Säuglinge, Kleinkinder, Ältere, Kranke in der Genesungsphase und Schichtarbeiter? Allein diese Gruppierungen zusammen machen Millionen Betroffene aus. Oder kurz: „Der Schlaf ist für den Menschen wie das Aufziehen für die Uhr„ (Schopenhauer). Zieht man eine Uhr nicht mehr auf, bleibt sie stehen. Lässt man den Menschen nicht mehr (ruhig) schlafen, wird er krank. Sind es Schlafstörungen, die sich schicksalhaft nur schwer in den Griff bekommen lassen, ist es folgenschwer genug. Sind es Schlafstörungen, die durch Lärm verursacht und damit korrigierbar sind, soll man etwas tun. Welcher normal denkende Mensch untergräbt seine wichtigste Grundlage von Gesundheit und Leistungsfähigkeit? Der durch Lärm gestörte Schlaf mit seinen Konsequenzen gehört zu einer solch unsinnigen Umwelt-Belastungsstrategie. Lärm und Seelenleben? Lärm lässt uns nicht kalt. Denn akustische Signale laufen auch durch jene Teile des Gehirns, die für die Gefühlswelt zuständig sind. Und verändern damit Antrieb, Motivation, vor allem aber die Gefühlslage des Menschen. Der Schall ist Träger von Gefühlen, heißt es. Oder noch einprägsamer: Die Seele hängt am Ohr. Tatsächlich ist der Klang jenes psychologische Mittel, das die Gefühlswelt am besten zum Ausdruck bringt. Deshalb auch der Satz: Musik spiegelt die Seele. In der Tat ist die Musik – Gott sei Dank und unverändert – eine der „mächtigsten Institutionen dieser Welt„. Die Art der Musik, die die Menschen bewegt, mag sich ändern, gleich bleibt aber nach wie vor ihr Einfluss, und der ist gewaltig. Natürlich gibt es Unterschiede, auch auf der emotionalen Seite. Ein Liebeslied beglückt den einen, ein Militärmarsch den anderen, eine Oper die einen, ein Rock-Konzert die anderen. Und es liegen Welten zwischen flotten Weisen und Trauermusik. Zwar vermag Musik keine Gefühle zu erzwingen, nur zu bahnen, kann also Gefühle nicht „machen„, sondern nur fördern, bestärken, erwecken oder bestimmte Emotionen hervorlocken, andere dafür in den Hintergrund drängen. Doch Musik ist in der Tat eine Macht, die schon seit Jahrtausenden nicht nur gesellschaftlich und religiös, sondern auch medizinisch eingesetzt und genutzt wird. Die moderne Musiktherapie beschränkt sich nicht nur auf seelisch Erkrankte, sondern nutzt auch die Hörerfahrung des ungeborenen Kindes im Mutterleib, die entspannende und damit die Heilungskräfte verbessernde Wirkung unter Operationen und – über den therapeutischen Aspekt hinaus – die Leistungsverbesserung in der Produktion, die Kauf-Freude in Supermärkten, die Entspannung in Hotels und Arztpraxen und – wie kann es anders sein – sogar strategische negative Beeinträchtigungen bis hin zur Folter. Dabei geht es nicht nur darum, die jeweiligen Musikarrangements genau auf den Anwendungszweck abzustimmen, sondern auch den tageszeitlich gebundenen Biorhythmus des Organismus zu berücksichtigen, der morgens, mittags, abends oder in den Nachtstunden ganz unterschiedlich reagiert. Und natürlich lässt sich auch die negative Gefühlsseite durch Musik stimulieren, teils durch die Musikart, vor allem aber durch die Lautstärke („Lärm und Wut„, ein bezeichnender Filmtitel über die Gewalt und Selbstdestruktion von Jugendlichen in einem tristen Pariser Vorort). Lautstärke und Aggressivität hängen eng zusammen: Überlaute Musikdarbietungen provozieren eine verstärkte Ausschüttung von Stresshormonen, wobei Lautstärke, Hormonausschüttung und damit Erregungszustand des Hörers in einem engen Verhältnis stehen. Kein Wunder, denn Lautstärke signalisiert vor allem Gefahr und löst eine entsprechende Alarmsituation aus: Flucht oder Angriff – auf jeden Fall aber Stress. Solch ein Stress kann sich nicht nur in zerstörerischer Gewalt gegen Inventar oder gar Menschen äußern, sondern sogar im Gegenteil: Bewusstseinsverlust und damit Ohnmachtsanfälle (z. B. bei Rock-Konzerten). Lärm verändert also die Gefühlswelt und ist daher nicht nur eine Umwelt-Verschmutzung, sondern auch eine „Innenwelt„-Verschmutzung. Ob Lärm auch seelische Erkrankungen auslösen oder zumindest dazu beitragen kann, ist noch umstritten. Letzteres ist nicht auszuschließen. Wer „auf dünnem Eis steht„, kann durch zusätzliche Belastung schließlich einbrechen. Wie man sich das im einzelnen vorzustellen hat, bedarf aber noch gezielter Nachprüfungen (experimentelle Untersuchungen dafür sind ethisch bedenklich und deshalb kaum verfügbar). Lärm vermindert Kontakt- und Hilfsbereitschaft Es braucht aber nicht nur solche Extrembeispiele. Es reicht der Alltag, um Lärm als belastend und gesundheits-gefährlich zu entlarven. Beispiel: die Kommunikation, der zwischenmenschliche Kontakt. Im harmlosesten Falle schrumpft der Kontakt auf wenige Wörter. Unter Lärmbelastung können sich Sprechende und Hörende nur mühsam verständlich machen bzw. verstehen. Sie müssen näher zusammenrücken (was nicht jedermanns Sache ist, denn es gibt unterschiedliche „Distanz-Kreise„, die man gerne respektiert hätte). Also spricht man selber lauter, und da auch dies kaum verstanden wird, immer kürzer und abgehackter. Und das sind kurzfristige Einzelfälle, solchen Situationen pflegt man rasch zu entfliehen. Etwas anderes ist die Kommunikationsfähigkeit von Arbeitnehmern im Laufe jahrelanger Tätigkeit an Lärm-Arbeitsplätzen. Hier verkümmert eine der menschlichsten und wichtigsten Fähigkeiten: der Kontakt. So etwas ist häufiger als man denkt und geht vom Motoren-Raum (z. B. eines Schiffes) bis zum Straßenbau, macht aber auch von Innenräumen (Maschinenhallen) nicht halt. Wie wichtig das Hören für das Miteinander ist, belegen schon entsprechende Wortbeispiele: dazu-ge-hören und zusammen-ge-hören. Und die Klage von Schwerhörigen oder tauben Menschen, vor allem später Erkrankten, die von früher her wissen, wie wichtig und hilfreich gutes Hören und damit Kommunizieren sind. Einzelheiten dazu siehe das spezielle Kapitel über Hörstörungen und seelische Folgen (und die anrührende Klage des berühmtesten Musikers mit einer Hörstörung, nämlich Ludwig van Beethoven). Auf jeden Fall werden derart Betroffene immer misstrauischer, ziehen sich schließlich zurück und vereinsamen; manche erleichtern sich ihre Not durch Genussgifte (Alkohol, Nikotin, Kaffee und Rauschdrogen). Die verbreitete Vorstellung, Hörgeschädigte würden wenigstens von Lärm verschont, ist nebenbei falsch: Zum einen bleibt oftmals der Lärm übrig, obgleich der Sprachkontakt fast nicht mehr möglich ist. Zum anderen verstärken Hörgeräte auch oder vor allem noch immer störende Geräusche und erschweren dadurch das Verstehen und damit Verständnis. Und schließlich lässt der Lärm offensichtlich auch die Hilfsbereitschaft der Menschen schwinden. Das kann man sogar durch Experimente bestätigen (zwischenmenschliche Situationen, die die Hilfsbereitschaft testen wie Päckchen verloren, Wechselgeld tauschen u. a., und zwar mit und ohne Lärmbelastung). Fazit: Der hilfesuchende Mitbürger muss unter Lärmbedingungen mit deutlich mehr Nicht-Beachtung oder gar bewusster Distanzierung bis Ablehnung rechnen. Lärm verwirrt Laute Geräusche verunsichern oder verwirren sogar („dieser Lärm macht mich noch völlig verrückt„). Denn man überblickt und durchschaut eine Situation oder Gegend nicht nur optisch, sondern auch akustisch. Man kann hören, was vor sich geht, der akustische Horizont ist weit und damit die Sicherheit größer. Rückt jedoch der akustische Horizont durch Lärm sehr nahe, dann kann nur noch ein enger Bereich durch das Gehör überwacht werden. Warnende Geräusche gehen unter, nicht zuletzt ein Zuruf („Vorsicht!„), d. h. der Gefahrenpegel wächst, die Unsicherheit auch. Lärm verunsichert, allein schon durch die geringeren akustischen Absicherungsmöglichkeiten. Dies betrifft vor allem Kinder. Denn das kindliche Gehirn entfaltet seine Leistungsfähigkeit nur langsam. Insbesondere im Vorschulalter ist die Verarbeitungs-Kapazität des optischen und akustischen Systems noch unzureichend entwickelt. Bei einer größeren Zahl gleichzeitig aktiver Schallquellen verliert das Kind schnell die Übersicht. Als Reaktion ist es dann entweder verwirrt oder ignoriert einige der Schallquellen. Beides macht es hilflos bzw. besonders gefährdet. Deshalb das Kopfschütteln der Verkehrsteilnehmer, wenn ein Kind wieder einmal falsch reagiert hat. Deshalb sollte man sich aber einprägen, was schon der gesunde Menschenverstand nahe legt und die Wissenschaft inzwischen bestätigt: Die rasche und präzise Analyse vielfältiger Signale, insbesondere Schallzeichen, die es braucht, um im Verkehr die Gefahren zu identifizieren und zu lokalisieren, ist dem kleineren Kind lange nicht möglich – insbesondere in „verlärmter„ Umgebung. Dabei brauchen sich die Erwachsenen gar nicht so viel routinierter vorkommen. In entsprechenden Untersuchungen wird immer wieder deutlich, dass Fußgänger jeden Alters in lärmender Umgebung auf entsprechende Zeichen ebenfalls weniger achten als in ruhiger. Das heißt, sie versuchen schneller der Lärmquelle zu entkommen und das mit starrem Blick nach vorne („habe nichts bemerkt„). Damit ist aber auch die Aufmerksamkeit der Erwachsenen in lauter Umgebung mehr auf eigene, subjektiv wichtige Ziele gerichtet, während man „unerhebliche„ Informationen eher ausgrenzt, um seine kognitive Kapazitäts-Fähigkeit nicht zu überfordern. Auch löst Lärm ja auch einen natürlichen Fluchtreflex aus („nur schnell weg„), d. h. man beschleunigt seine Schritte und schaut weniger auf Zeichen, die durchaus wichtig sein könnten (z. B. „Vorsicht vor ...„). Lärm vermindert die Lebensqualität Lärm vermindert auch die Lebensqualität. Das beschränkt sich nicht nur auf Balkon oder Garten bzw. auf zwangsweise geschlossene Schlafzimmer-Fenster. Man muss sich – wie erwähnt – auch mehr anstrengen, um sich unterhalten zu können oder auf eine Tätigkeit zu konzentrieren. Das kostet Kraft. Also reduziert man die Kontakte bzw. fällt mit seiner Leistung schneller ab. Schließlich weiß man aus entsprechenden Untersuchungen in Lärm belasteten Wohnvierteln, dass es in solchen Gegenden zu weniger Begegnungen, zu weniger Festen oder anderen Aktivitäten kommt. Dadurch hat man auch weniger Freunde, zumindest aber Bekannte. Um Lärmquellen wie Flughäfen, Bahnhöfe, Stadt-Autobahnen u. a. entstehen sogenannte Lärmghettos, deren Bewohner zu aller Belastung hin noch in die Gefahr gesellschaftlicher Ächtung geraten können. Oder kurz: Wer es sich leisten kann, zieht in ruhigere Gegenden. Das hat auf die Bevölkerungsstruktur erhebliche Auswirkungen: Wegzug der Besserverdienenden, Mietpreis-Verfall und damit auch Verfall der Bausubstanz, Einzug von sozial Schwächeren, vermehrte gesellschaftliche Probleme bis hin zu verstärkter Kriminalität. Ursprünglich war es nur der Lärm, am Ende greifen dann alle Negativ-Faktoren ineinander – zu Lasten der dort Zurückgebliebenen. Oder konkret: Es sind vor allem die sozial Schwächeren, die dem Lärm ausgesetzt werden und bleiben. Denn – gemäß entsprechender soziologischer Erkenntnisse – die Bewohner solcher Gebiete protestieren auch viel weniger, zum Beispiel wegen des Lärms. Zum einen haben sie aufgrund ihrer geringeren Bildung auch weniger Kompetenz, was die heutigen Protest-Möglichkeiten anbelangt, zum anderen sind sie – nicht zu Unrecht – auch viel skeptischer, was den Erfolg einer solchen Einstellung anbelangt („es tut sich ja doch nichts„, „mit uns machen sie ohnehin, was sie wollen„). Lärm und Gewalt Und schließlich ist der Lärm auch ein Gewalt-Faktor. Das kennt man schon aus dem Alten Testament, wo man die stark befestigte Stadt Jericho durch intensive Posaunen-Beschallung zum Einsturz brachte (Josua 6, 20) – sicher nicht wörtlich zu nehmen, aber als psychologische Kriegsführung erfolgreich. Oder noch einmal zur Erinnerung: Im alten China wurden die Menschen durch Lärm hingerichtet, „denn das ist der qualvollste Tod, den ein Mensch erleiden kann„. Hinrichtungsgegenstand war eine große Glocke, unter deren Anschlag die Menschen an extremen Stressreaktionen (Blutdruck, Kreislauf, Atmung) zu Grunde gingen. Und natürlich der Kriegs-Lärm, der zu jeder Zeit eine Rolle spielte, bis in unsere Tage (Absingen lauter Marschlieder, was aber vor allem dem eigenen Mut zu Gute kommen soll), Einsatz von überdimensionierten Lautsprechern an der Front (teils zu Propaganda-Zwecken, aber auch einfach zur Irritation des Feindes). Im übrigen ist der Lärm auch heute noch ein „Kriegsmittel„, z. B. tieffliegende Hubschrauber gegen Demonstranten, Tiefflüge von Düsenjägern über feindliches Gebiet, erst einmal ohne Bombenabwurf u. a.
Lärm ruiniert nicht nur die Menschen, sondern auch die Tier-, ja sogar die Pflanzenwelt. Letzteres interessiert natürlich niemand. Immerhin gibt es zu denken, was Lärm, von Menschen produziert, für Folgen haben kann, und zwar für alle Lebewesen. Schließlich kennt man den Satz, der tatsächlich etwas für sich hat: Erst stirbt die Natur, dann der Mensch. Dass selbst Pflanzen auf Lärm reagieren, und zwar durchaus unterschiedlich, weiß man schon lange aus entsprechenden Experimenten mit Mimosen, Geranien, Philodendrohn, ja Radieschen und Mais, Kürbis u. a. Offenbar haben auch Pflanzen ein Gespür für „harmonisch„ und „dissonant„, d. h. klassische oder Rock-Musik bzw. einfach Lärmbeschallung. Beim einen soll sich das Wachstum verstärken lassen (die Pflanzen wachsen sogar der Musik-Quelle entgegen), bei den negativ empfundenen Geräuschen „flüchten„ sie in die entgegengesetzte Richtung oder sterben schließlich ab. Ähnliches gilt für entsprechende Tier-Experimente. Man kennt dies aus der Landwirtschaft mit Legebatterien und Kuh-Ställen u. a., wobei sich die Lege- bzw. Milchleistung entweder erhöhen lässt oder drastisch zu sinken droht. Nachvollziehbar sind natürlich die Lärm-Beeinträchtigungen über bisher verschont gebliebenes Gebiet, wobei nach Ansicht der Umweltschützer die dortige Tierwelt besonders beeinträchtigt ist, vor allem was Vögel und Säugetiere anbelangt. Immer wieder zu lesen und zu hören, kurzfristig erschütternd, mittelfristig aber gleichgültig lassend, ist das Stranden ganzer Walfamilien, die in Einzelfällen zwar wieder mühsam ins Meer freigeschleppt werden, um später aber doch wieder am Ufer hilflos zu verenden. Vermutlich verlieren viele Meerestiere (und nicht nur die Wale) durch den Lärm der Ölbohrplattformen, durch Unterwassersprengungen, Schiffsschrauben, Speedbootmotoren u. a. die Orientierung, weil sich in ihren Gehörsorganen etwas ändert, offensichtlich nicht zu ihrem Vorteil. Gerade bei Walen untersucht man gezielt das Gehör und findet immer wieder ausgeprägte Zerstörungen der Hörorgane und damit den Ausfall des Orientierungssinns. Vor allem in jüngster Zeit muss sich hier die US-Marine mit ihren neuesten Unterwasser-Schallortungen rechtfertigen (z. B. gegen weit entfernte U-Boote, der Schall unter Wasser trägt viel weiter als in der Luft). Doch man weiß, wie sich so etwas aus der Position der Mächtigen manipulieren lässt, bis die Beweislast schließlich zu erdrückend wird – zu spät für viele Lärmopfer.
Gewiss: Der Mensch braucht den Gegensatz zwischen Schall und Stille, um seelisch gesund zu bleiben. Dies ist vergleichbar mit dem Wechsel zwischen Ein- und Ausatmung. In einem völlig schalltoten Raum drohen nach wenigen Stunden psychotische Reaktionen (wie bei einer Geisteskrankheit), Desorientierung und Verwirrtheit. Stille dagegen ist keine schalltote, sondern eine schallarme Situation, die der Erholung dient. Trotz aller belästigenden oder gar schädigenden Wirkung des Lärms gehört ein Mindestmaß davon zum Leben. Nichts, das nicht mit Geräuschen verbunden wäre: Gemütsregungen wie Erleichterung, Freude, aber auch Trauer, von Erschrecken oder Warnrufen ganz zu schweigen. Kinder machen vermutlich am meisten menschlichen Lärm: Rufen, Singen, Schreien, und wahrhaftig: vielen Erwachsenen ist bereits das zu viel und kann natürlich auch eine tolerierbare Grenze überschreiten. Wo Menschen sind, da wird es laut. Auch ist fast jegliche körperliche Arbeit irgendwie mit Lärm verbunden, seit Anbeginn der Menschheit. Der Mensch ist auf Werkzeuge angewiesen – und produziert daher Lärm. Oder das Problem Verkehr: Millionen Menschen, die über Verkehrslärm klagen und trotzdem täglich autofahren (müssen) machen es nicht anders. Es ist ähnlich wie mit der hintersinnigen Mahnung an einem Verkehrsknotenpunkt: „Klagt nicht über den Stau, Ihr seid der Stau!„. Und selbst in psychologischer Hinsicht ist Lärm ein uraltes Mittel der Angstabwehr. Nicht nur die vielfältigen Geräusche der Natur, auch eine völlige Stille kann ja – wie erwähnt – geradezu furchterregend, ja lähmend werden bis hin zu der bedrohlichen „Ruhe vor dem Sturm„. Demzufolge „pfeifen wir nicht nur im Wald„, wir vertreiben auch durch Lärm böse Geister und viele Rituale und Gebräuche sind von Lärm begleitet (Fasnachtsbräuche, Feuerwerk, Silvester-Böller, Polterabend u. a.). Und was macht der moderne Mensch, einsam und allein, der Stille völlig ausgeliefert? Er muss froh sein, Radio und Fernseher zu haben und pflegt nicht selten das eine oder andere laufen zu lassen, auch wenn er nicht hinhört oder hinschaut („psychologische Lärm-Betreuung„). Und einsam und allein sind nicht nur alte Menschen, immer mehr junge und solche in den besten Jahren. Und Singles nehmen zu. Und schließlich Lärm als zweckmäßiges Signal: Von der Schulglocke über die Autohupe oder Straßenbahnklingel bis zur Feuerwehr-Sirene, dieser Lärm ist unerlässlich, wenn auch nur kurz sinnvoll. Lärm ist also nicht völlig zu verdammen. Lärm hat auch seine sinnvollen Funktionen, aber auf solche sollte er sich dann auch beschränken dürfen. Dagegen ist von Übel,
Und doch braucht auch der moderne Mensch die Stille, wahrscheinlich mehr als seine Vorfahren, denn sein Nervenkostüm ist angespannter als das seiner weniger gestressten Ahnen. Und diese Stille steht ihm fast nirgends mehr zur Verfügung, jedenfalls nicht in seinem näheren Umfeld. Sie wird von allen Seiten zerstört, ja regelrecht zerfetzt. So werden die Gesunden labil, die „Angeschlagenen„ krank, die Kranken chronisch krank – und damit die ganze Gesellschaft gefährdet. Dabei ist noch nicht einmal die Stille als Hort der Kontemplation, der innerseelischen Betrachtung und der Kreativität, der geistigen Produktivität gemeint. Doch das wäre gerade in unserer Zeit und Gesellschaft wichtiger denn je. Denn um die Fülle an Informationen zu verarbeiten und in Wissen und sogar Weisheit zu verwandeln, braucht der Mensch die Stille. Ohne Stille kann nicht wirklich qualitativ Neues entstehen. Seelisches Wachstum und damit auch das von allen zum Zentrum unseres Lebens hochstilisierte wirtschaftliche Wachstum ist nur durch Phasen der Stille möglich: In der Selbstbesinnung, im Nachdenken in ruhiger, entspannter Atmosphäre, in der Verknüpfung von Erkenntnissen und damit geistigen Konstruktionen, die sich schließlich auch für die gesamte Gesellschaft als hilfreich und nützlich umsetzen lassen. Auch darf die Stille nicht unruhiger Selbstzweck sein, d. h. es ist jetzt lange genug ruhig gewesen, jetzt möge der große Funke überspringen. Stille braucht Zeit um zur Kraft zu werden. Und vor allem darf Stille nicht einfach Lärm sein, der vorübergehend „nicht funktioniert„, d. h. eine Verlegenheitslösung. So bringt man sich nur von einem Zwang in den nächsten. Und flüchtet vielleicht auch noch in den Lärm, um eine Ausrede, ein Alibi zu haben, warum man nicht produktiv genug ist, geschweige denn zu sich selbst zu kommen. Zum Abschluss deshalb eine Reihe von Sinnsprüchen zum Thema Lärm und Stille, die in wenigen Sätzen zum Ausdruck bringen, wie viel Bedeutung diese beiden akustischen Phänomene für unser Leben haben. Und welche Gefahr durch ihr wachsendes Ungleichgewicht droht.
Grundlage vorliegender Ausführungen ist das empfehlenswerte Buch von Stephan Marks: Es ist zu laut! Ein Sachbuch über Lärm und Stille. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt 1999 Dort finden sich vor allem auch detaillierte Hinweise über Lärm-Messung, Lärmschutz, Lärmbekämpfung, juristische Aspekte, politische Probleme und sogar einen Anhang über lärmfreien Urlaub und nützliche Adressen: Bürgerinitiativen, Ansprechpartner bei Lärmbelästigung, Richtwerte für gewerbliche Anlagen und Baustellen, weiterführende Literatur u.a.m. |
||||||||||
Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise. |