DER GERUCHSSINN
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Der Einfluss der Düfte aus historischer, philosophischer, psychophysiologischer und literarischer Sicht
Was rankt sich nicht alles an Lobeshymnen um das Sinnesorgan Nummer 1: das Auge und damit das Sehen. Auch das Ohr bzw. das Gehör kommen noch gut weg, die Musik macht’s möglich. Und in einer Zeit, in der die kulinarische Kunst wieder vermehrt zu Ehren kommt, kann sich auch der Geschmackssinn einer durchaus respektablen Position erfreuen. Wie aber steht es mit dem Geruchssinn, dem Riechorgan, der Nase?
Um es kurz zu machen: nicht sehr beeindruckend. Und das seit Jahrtausenden. Der Geruchssinn war, ist und bleibt wohl auch das „Stiefkind der Sinnesorgane“. Und dies, obgleich die Welt der Düfte seit jeher zum Faszinierendsten zählt, was die Natur zu bieten hat, von dem explosionsartig wachsenden Angebot künstlicher Düfte ganz zu schweigen.
Nachfolgend deshalb eine kurz gefasste Übersicht zum Thema Geruchssinn, psychophysiologische und anatomische Grundlagen des Riechens, über den Versuch, Gerüche zu klassifizieren (was seit jeher zum Scheitern verurteilt war), über wohlriechende und insbesondere künstliche Duft-Angebote auf der einen sowie Riechverlust, wenn nicht gar krankhaft veränderte Geruchs-Fähigkeiten auf der anderen Seite, über Geruchssinn und Sexualverhalten (bis hin zu geruchs-geleiteten Spermien) und damit Körpergeruch und Partnersuche und endend mit Geruchs-Imitationen vom Alltag bis in Showbusiness und Film. Und dann ein kleiner Abstecher von der Philosophie bis zur modernen Literatur, d. h. von der Geringschätzung bis zu spektakulären Geruchs-Visionen. |
Erwähnte Fachbegriffe
Geruch – Geruchssinn – Düfte – Sinnesorgane – „höhere Sinnesorgane“ – „niedere Sinnesorgane“ – Riechen – Schmecken – Hören – Sehen – Fühlen – „praktische Sinnesorgane“ – „theoretische Sinnesorgane“ – Geruchswahrnehmung – Duft-Rezeptoren – Riech-Sinneszellen – Nasenschleimhaut – Duft-Rezeptoren – Duft-Empfängnis – Duft-Moleküle – Riechen und Gehirnregionen – olfaktorisches System – „Gehirn-Riechzentrale“ – Bulbus olfactorius – Riech-Kolben – limbisches System – Stereo-Riechen – künstliches Aroma – Aroma-Industrie – Geruchs-Klassifikationen – „Grund-Gerüche“ – Geruchs-geleitete Spermien – Geruchssinn-Verlust – olfaktorsiche Störungen – gustatorische Störungen – Olfaktologie – Gustologie – quantitative Riech-Störungen - qualitative Riech-Störungen – Anosmie – Hyposmie – Hyperosmie – spezifische Anosmie – funktionelle Anosmie – olfaktorische Intoleranz – Parosmie – Phantosmie – phantasierte Geruchswahrnehmung – Ageusie – Dysgeusie – Riech-Störungen-Ursachen – Schmeck-Störungen-Ursachen – Geruchssinn und Alzheimer-Demenz – Geruchssinn und Parkinson – Geruchs-Halluzinationen und Epilepsie – Geruchs-Halluzinationen und Schizophrenie – Kakosmie – Mikrosmatiker – Makrosmatiker – Geruchsvermögen bei Tieren (Hunde, Fische, Schweine, Bienen u. a.) – Geruchssinn als Warnsystem – Geruchssinn und Partnersuche – Geruchssinn und Sexualverhalten – Pheromone – Alarm-Pheromone – Markierungs-Pheromone – Schweißgeruch und Sexualität – Geruchssinn, Pille und Partnersuche – Körpergeruch – Olf – apokrine Drüsen – Geruch in der Literatur – Geruch in der Philosophie – Geruch im Showbusiness – Geruchs-Imitationen im Film – „Super-Stereo-Ton-Farben-und-Fühl-Film“ u. a. m. |
Ranking ist Mode. Die Rangfolge und damit die Rangordnung entscheiden über die Gunst des Publikums in Sport, Kunst und Showbusiness, über Erfolg und Misserfolg in der Wirtschaft und durch Forschungsgelder sogar in der Wissenschaft.
Doch das ist nichts Neues; was gibt es schon Neues „unter der Sonne“, lautet die alte Frage. Und in der Tat, je mehr man sich mit der Geschichte beschäftigt und sieht, wie sich alles wiederholt, desto eher zieht man sich amüsiert zurück und lässt das nutzlose Klagen über „unsere Zeit und Gesellschaft“. Denn ein solches Ranking gab es schon früher, ja bis zurück in die Antike und erfasste sogar die normalen Funktionen des menschlichen Körpers, beispielsweise die Sinnesorgane.
Und hier kommen wir zum eigentlichen Thema, nämlich zum „Stiefkind“ der Sinnesorgane: dem Geruchssinn. Ihm wird in dem wissenschaftlich lesenswerten und dabei doch kurzweilig geschriebenen Sammelband Braintertainment – Expeditionen in die Welt von Geist und Gehirn ein originelles Kapitel gewidmet, das sich vor allem mit philosophischen, literarischen und psychophysiologischen Aspekten des Geruchssinns beschäftigt.
Er stammt aus der Abteilung Klinische Neurobiologie der Neurologischen Universitätsklinik Heidelberg unter Leitung von Frau Prof. Dr. Hannah Monyer und ihren Mitarbeitern Dr. Jakob von Engelhardt und Dragos Joan Inta und trägt den Titel Im Dschungel der Düfte.
Jakob von Engelhardt, Dragos Joan Inta, Hannah Monyer:
Im Dschungel der Düfte
Geruchssinn und Gehirn
Aus: M. Spitzer, W. Bertram (Hrsg.): Braintertainment – Expeditionen in die Welt von Geist und Gehirn. Schattauer-Verlag, Stuttgart-New York 2007 |
In naturwissenschaftlicher Hinsicht ist der Geruchssinn aber erst in den letzten Jahrzehnten in das Blickfeld der Forschung geraten. Immerhin gab es dafür schon einen Medizin-Nobelpreis im Jahre 2004, der an zwei US-amerikanische Geruchsforscher vergeben wurde, deren Erkenntnisse uns die anatomischen und physiologischen Grundlagen des Geruchssinns näher bringen. Deshalb erst einmal ein kurzer anatomisch-physiologischer Überblick.
Die Geruchswahrnehmung aus anatomisch-physiologischer Sicht
Die Geruchswahrnehmung beginnt in der so genannten Riech-Schleimhaut im Dach der Nasenhöhle. Hier binden sich die Moleküle der Duftstoffe an die Duft-Rezeptoren, erklären die Autoren in ihrem Beitrag. Diese sitzen an der Oberfläche der Riech-Sinneszellen in der Nasenschleimhaut. Davon gibt es je nach Spezies (Mensch oder Tier und hier je nach Gattung) mehrere hundert bis tausend unterschiedliche (!) Duft-Rezeptoren (also die entsprechenden reiz-empfindlichen Enden jener Nervenfasern, die auf Duft-Empfängnis spezialisiert sind). Davon wieder mehrere hundert, die nur von einem oder wenigen bestimmten Düften aktiviert werden können. Also richtige Spezialisten.
Sobald nun die Geruchs-Moleküle an den Rezeptoren der Riech-Sinneszellen „andocken“, wird eine ganze Kaskade von Molekülen aktiv, was die Zelle dann über ein kompliziertes System (Depolarisation der Zelle ? Ausbildung eines Aktionspotenzials ? Erregungsübertragung bis zu den Spezialzellen des Riechens) schließlich zum Endergebnis, zur Geruchsempfindung führt. Dabei – so die Wissenschaftler – ist es offenbar genetisch determiniert, also erblich bestimmt, welche nachgeschalteten Nervenzellen bei der Präsentation eines Duftes angeregt werden. Auf jeden Fall wird diese Geruchsinformation nun in verschiedene Gehirnregionen weitergeleitet. Das gilt auch für alle anderen Sinnesempfindungen. Nur im olfaktorischen System, also dem Geruchssinn, gibt es neben den üblichen Verschaltungen einen interessanten direkten Informationsfluss, und der führt direkt von der „Gehirn-Riechzentrale“, dem so genannten Bulbus olfactorius zum limbischen System. Und das – jetzt wird es noch spannender – sind diejenigen Hirnstrukturen, die für Emotionen (Gefühle), Motivation und bestimmte Formen des Gedächtnisses zuständig sind.
Das konnten nun die alten Griechen nicht wissen, nämlich dass die Anatomie und Physiologie des Geruchssinns viel höher angesiedelt ist, als ihre damalige Einstufung glauben machen will. Mehr als 2.000 Jahre Forschung bringen nun doch einen gewissen Fortschritt.
Und ein weiterer Aspekt ist auch für den Laien interessant: Es hat sich nämlich herausgestellt, dass beim Riechen sogar der Weg von Bedeutung ist, den die Geruchs-Moleküle nehmen. Zum einen ermöglicht die Trennung von rechtem und linkem Nasenloch das so genannte Stereo-Riechen (vom Stereo-Hören wussten wir ja schon und dass zwei Augen ein anderes Sehen ermöglichen als nur eines, ist keine Diskussion wert). Noch aufregender aber ist die Erkenntnis, dass unterschiedliche Hirn-Regionen aktiviert werden, je nach dem, ob der Geruch über die Nasenöffnung oder über den Mundraum die Riech-Schleimhaut erreicht. So spielt der über die Nase wahrgenommene Essens-Geruch eine Rolle für die Entscheidung, ob überhaupt gegessen werden soll, während der Geruch der Nahrung im Mund die Gehirnregionen der Belohnungsverarbeitung aktiviert.
Der Geruchssinn aus philosophischer Sicht
Der Geruchssinn läuft im Ranking der Sinnesorgane unter „ferner liefen“ – und dies schon seit dem Altertum, wo er zusammen mit dem Geschmackssinn zu den „niederen“ Sinnen deklassiert wurde.
Die damals führenden Philosophen Platon (427-347 v. C.) und Aristoteles (384-322 v. C.) stellten den nach ihrer Meinung „höheren Sinnen“ Sehen und Hören die niederen Riechen und Schmecken gegenüber.
Früher, als die Philosophen zumeist noch naturwissenschaftlich interessiert waren und uns dabei die ersten Erkenntnisse lieferten, die bisweilen heute noch Erstaunen erregen, früher beschäftigte man sich auch ausgiebig mit den fünf Sinnen als Wahrnehmungs-Prozesse und der Frage: Welche Rolle haben sie für die so genannten kognitiven Prozesse, vor allem für das „Erkennen der Wahrheit“.
Und hier kam es dann auch gleich zur eindeutigen Parteinahme: Während Sehen und Hören eine wichtige Funktion zugesprochen wurde, galten der Geruchs- und Geschmackssinn nicht nur als unwichtig, sondern geradezu als hinderlich, da sie einer körperlichen Transzendenz entgegenwirken sollten, d. h. weil sie dem Menschen das Überschreiten der fassbaren Erfahrungsgrenzen und damit das jenseits der Erfahrung Liegende nicht ermöglichen sollten.
Die „niederen Sinne“ sind nach Platon und Aristoteles also nicht dazu geeignet, Erkenntnis zu erlangen, da sie im Unterschied zu Sehen und Hören nicht auf Distanz funktionieren, sondern den direkten Kontakt zwischen Objekt und Körper erfordern (nebenbei eine interessante Erkenntnis für den Alltag). Auf jeden Fall sahen sie nur Sehen und Hören als dem Intellekt als förderlich an, was auch ihrem „philosophischen Konzept“ entsprach, das in Gegensatz-Paaren formuliert wurde (z. B. Geist-Körper, Verstand-Gefühl, Kultur-Natur u. a.), wobei jeweils Ersteren der höhere Stellenwert zugeschrieben wurde.
Der Einfluss des antiken Denkens blieb auch in den kommenden Jahrhunderten unangetastet, und deshalb auch diese „Hierarchisierung der Sinne“. Das geht bis in das 18. Jahrhundert und schließt sogar bedeutsame Denker dieser Zeit ein, die uns ansonsten bis heute mit Recht beschäftigen, weil sie uns nicht nur philosophisch, sondern auch in der Ästhetik und in vielem anderen weiter gebracht haben.
So bleibt selbst für den berühmten Philosophen Immanuel Kant (1724-1804) der Geruch allen anderen Sinnen unterlegen. Das Gleiche gilt für den nicht minder berühmten Philosophen Friedrich Hegel (1770-1831): Für den einen macht die Abhängigkeit des körperlichen Wohlbefindens von den „niederen“ Sinnen diesen untauglich für kognitive Erkenntnisse und ästhetische Urteile. Und der andere versteigt sich zu der Behauptung, dass nur die „theoretischen“ Sinne Sehen und Hören geeignet seien, ein Kunstobjekt zu beurteilen. Der direkte körperliche Bezug der „praktischen“ Sinne Riechen und Schmecken hingegen mache ein objektives Urteil über ein Kunstwerk unmöglich.
Heute, wo es eher eine durchaus sinnvolle und ergiebige Verschmelzung von philosophischem Gedankengut und literarischem Ausdruck gibt, auch in der „schönen Literatur“, haben die „niederen Sinne“ erstmals wieder eine Chance, objektiv gesehen zu werden. Jedenfalls wird ihnen kein niederer Rang mehr zugeschrieben, denn die Schriftsteller interessierten sich schon immer für das Sinnliche, Irrationale und Emotionale. Und hier sind gerade Geruch und Geschmack ausgezeichnete Auslöser von Zuständen, die in die subjektive Befindlichkeit und in das Seelenleben der Romanhelden blicken lassen (s. später).
Aus J. v. Engelhardt, D.J. Inta und H. Monyer, 2007 |
Die Komplexität des Duftes
Düfte spielen in unserem Leben eine große Rolle. Das war schon immer so, früher eher aus der Natur, heute wohl mehr aus der Chemie, durchaus auch wohlriechend. Wie viele Sinneszellen angeregt werden, hängt aber von der Komplexität, der Vielfältigkeit des Duftes ab. Nur die einfachsten Düfte aktivieren lediglich Riech-Sinneszellen einer Art. Die meisten Düfte sind vielschichtig und verlocken deshalb verschiedene Riech-Rezeptoren zur Aktivität.
Dabei hat das menschliche Gehirn noch die Möglichkeit, einiges dazu zu kombinieren, d. h. die Riech-Variationen um ein Vielfaches zu steigern, gleichsam unvollständige Gerüche zusammen zu denken, selbst wenn nur einzelne Schlüssel-Moleküle vorhanden sind. Ist das von praktischer Bedeutung?
Oh ja, denn das bietet der Aroma-Industrie ein weites Feld der Einflussnahme. Zwar sollte man sich nicht seine freudvollen Illusionen zunichte machen lassen, aber es kann auch ganz sinnvoll sein zu wissen, dass man beispielsweise den Geruch von Bananen (mit Amylacetat), von Ananas (mit Methylbutyrat) oder von Grapefruit (hier sparen wir uns die komplizierte Formel) vorgaukeln kann. Ja, selbst der künstliche(!) Duft von frischen Backwaren lässt uns in Bäckerei-Filialen glauben, hier würde noch selber gebacken. Und der Duft von Neuwagen täuscht uns über das wahre Alter des Gebrauchtwagens hinweg. Da sage einer, der Geruchssinn habe keine praktische Bedeutung; das Leben in der Antike war eben auch einfacher.
Die Klassifizierung von Gerüchen
Anders als beim Sehen (rot-grün), Schmecken (süß-salzig), Hören (tief-hoch) und Fühlen (weich-rau) wird es bei Gerüchen angesichts dieser Fülle von Möglichkeit besonders schwer, verkürzte und damit konkrete Vergleiche zu finden. Deshalb umschreibt man die Geruchs-Erfahrung auch meist im Sinne von „Geruch wie…“. Das heißt einerseits vage; in Wirklichkeit überfordert aber der einst so geschmähte Geruchssinn sogar unsere doch sonst um treffende Charakterisierungen bemühten Unterscheidungs-Fähigkeiten.
Nun hat aber die Wissenschaft schon seit jeher versucht, auch die Gerüche zu klassifizieren. Doch ohne befriedigendes Ergebnis. Daran scheiterte schon der berühmte Gartenbau-Architekt Karl von Linné (1707-1778), der es mit sieben „Grund-Gerüchen“ versuchte: aromatisch, blumig, ambrosig, lauch-artig, bocks-artig(!), widerwärtig, ekel-erregend. Zwei Jahrhunderte später versuchte es ein anderer Wissenschaftler mit sechs Unterscheidungen: ätherisch, kampferartig, minzig, blumig, moschus-artig, faulig. So oder so, es befriedigt nicht, der Geruchssinn überfordert unsere gezielten Klassifikations-Bemühungen.
Ständige Neubildung von Nervenzellen
Dass eine solche Viel-, ja Unzahl von Eindrücken nicht ohne Verschleiß für die Empfangsorgane bleiben kann, leuchtet ein. Deshalb werden die Riech-Sinneszellen auch ständig erneuert, etwa alle 60 Tage. Auch im Riech-Kolben werden permanent neue Zellen nachgebildet. Diese Erkenntnis sorgte für positive Aufregung in den entsprechenden Wissenschaftskreisen. Denn lange Zeit nahm man an, dass im erwachsenen Gehirn keine so genannte Neurogenese mehr möglich ist, d. h. neue Nervenzellen nachgebildet werden können. Und noch eine Besonderheit kam ans Tageslicht: Die Neubildung erfolgt in spezifischen Hirnregionen (z. B. dem so genannten Hippocampus), d. h. in diesem Fall recht weit weg vom Riech-Kolben. Die neu gebildeten Zellen müssen deshalb in ihre vorgesehene Ziel-Region wandern, wo sie sich dann in das vorhandene Nerven-Netzwerk integrieren.
Und schließlich noch eine weitere Sonderlichkeit, die eventuell nicht jedem geläufig ist: Gerochen wird nicht nur mit der Nase. Riech-Rezeptoren konnten auch in anderen Geweben wie der Haut oder gar der Lunge nachgewiesen werden. Wofür man diese Rezeptoren braucht, ist allerdings noch unbekannt, räumen die Wissenschaftler ein. Dagegen kann man sich die Bedeutung von Riech-Rezeptoren auf Spermien (also männliche Samenzellen) durchaus sinnvoll erklären. Spermien werden nämlich durch einen maiglöckchen-ähnlichen Geruch aktiviert und ihre darauf folgende Bewegung geht in Richtung der Duft-Molekül-Erzeuger. Damit haben sie die Möglichkeit, sich den Weg zur Eizelle regelrecht zu erriechen. Das könnte übrigens für die Empfängnisverhütung interessant sein, indem man diese „Geruchs-Wegleitung“ für Spermien blockiert und damit ihren Weg zur Eizelle verhindert. Wenn das die antiken Philosophen gewusst hätten, ihr Urteil wäre differenzierter ausgefallen...
Wer noch eine Nase hat, der lese...
Schon Shakespeare sagte: „...to hear by the nose“. Und in der Tat: Selbst die Sprichwörter, die “in Tinte gegossenen Weisheiten des Volkes” bringen wenig, sind geradezu unergiebig bei den Stichworten Nase, Geruchssinn, Geruch, Düfte, Gestank u.a. Und ähnliches gilt für die Fach(!)-Literatur. In der Belletristik sieht es zwar etwas günstiger aus (siehe später), aber überwältigend ist das Angebot auch nicht. Dieses Thema weckt offenkundig kein Interesse. Da darf man froh sein, dass sich dann doch wenigstens einige Historiker damit beschäftigen. So Professor Dr. Alain Corbin, Historiker an der Universität von Tours, in seinem köstlichen Buch Pesthauch und Blütenduft – eine Geschichte des Geruchs (Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt 1988, französische Originalausgabe 1982).
Corbins Kulturgeschichte ist ein ernsthaftes wissenschaftliches Werk, aber mit bisweilen fast satirischer Genüsslichkeit anekdotisch aufgelockert. Das ist aber auch nötig, wenn man liest, wie es früher zugegangen ist. Dabei beschränkt sich der Autor auf die Schwelle zur (hygienischen) Neuzeit, nämlich von der Mitte des 18. bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts. Denn in diesem Zeitraum fand in Europa eine Art Geruchs-Revolution statt, das Verhältnis des Menschen zu den Gerüchen wandelte sich. Oder auf den Punkt gebracht: Man versuchte nicht mehr die üblen Gerüche nur zu überdecken, man begann auch, ihnen gezielt zu Leibe zu rücken. Das Zeitalter der „Desodorierung“ begann. Für manche Kritiker aber auch reine Augenwischerei, denn die Reinlichkeit der Luft als Ordnungsfaktor war und blieb im Grunde gesellschaftlichen Zwängen unterworfen. Oder konkret: Achselschweiß nein, Chemiegestank und Tabaksqualm ja. Mit anderen Worten: Auch eine desodorierte Welt stank weiter.
Wer sich also für die offizielle Wende in puncto Geruch(sbelästigung) interessiert, dem sei diese originelle Mischung aus wissenschaftlicher Information und heiterer Interpretation empfohlen (inzwischen wohl nur noch über das Antiquariat beziehbar). Einige Kapitelüberschriften mögen die Neugier verstärken:
Die Desodorierung und die Geschichte der Wahrnehmung. Die Luft und die faulige Gefahr (eine beängstigende Brühe, Gerüche des Zerfalls, ein Sumpf aus Abwässern und Jauche). Die sozialen Ausdünstungen (der Körpergeruch, Maßregeln für Lust und Ekel, der moderne Schiffsbauch und die Gerüche der kranken Stadt). Eine Neudefinition des Unerträglichen (die Senkung der Toleranzschwellen, das alte therapeutische Alibi, die Denunzierung des Moschus-Geruchs, die Disqualifizierung aromatischer Stoffe). Strategien der Desodorierung (pflastern, entwässern, belüften, auseinanderrücken, Luft schaffen, desinfizieren). Der Gestank der Armen (Sekretion des Elends, der Käfig und die Höhle, die Elenden vom Kot befreien). Der Atem des Hauses (Erstickungsphobien und erbliche Gerüche, die Ansprüche der Hygieniker und die neue Sensibilität). Parfums der Intimität (die beständige Sauberkeit, der Geruchssinn und die neuen Vorstellungen von Eleganz, das gelehrte Kalkül der Körperbotschaften, die Geschichte der Parfümerie).
Corbins Buch macht nebenbei auch deutlich, warum der Geruchssinn seit der Antike so stiefmütterlich eingeschätzt, ja gezielt abgewertet wird. Der Gestank, die „nicht vermeidbare Beleidigung der Nase und damit des ganzen Menschen“, vor allem in den Ballungsgebieten, ließ es offensichtlich ratsam erscheinen, den Geruchssinn seine essentielle Bedeutung zu nehmen. Denn dass die Natur eine andere Position vorgesehen hat, wird u. a. in der Schilderung des berühmten Arztes Prof. Dr. Albrecht von Haller (1777) deutlich, der da schreibt: „daß ein in der Wildnis großgewordenes Kind an den Kräutern schnüffelte wie ein Schaf, daß es mit der Nase auswählte, von welchen es sich ernähren wollte: nachdem es der Gesellschaft zurückgegeben und an mancherlei Speisen gewöhnt war, hat es diese Fähigkeit verloren“.
Das sagt doch alles. |
Der Verlust des Geruchssinns
Inzwischen ist dem Leser auch klar geworden: Der Geruchssinn ist nun doch etwas Besonderes – und sein Verlust folgenreich. Tatsächlich wird die Anosmie, wie der Fachausdruck lautet, im Vergleich zum Hörverlust oder gar zur Erblindung als leichter verschmerzbar angesehen, ist aber für den Leidtragenden trotzdem unangenehm. Denn während dem Gesunden häufig nur die unangenehmen Gerüche bewusst werden, bemerkt der Anosmotiker vor allem das Fehlen der schönen Düfte.
Außerdem ist der Geruchssinn wichtig, ja entscheidend für die komplexe Geschmacks-Wahrnehmung. Leidet man an Anosmie, ist das Essen furchtbar fad, denn über die Zunge kann lediglich salzig, süß, bitter und sauer geschmeckt werden. Noch unangenehmer ist es, wenn der Geruchssinn nur teilweise ausfällt oder nur wenige und dann auch unangenehme Gerüche wahrgenommen werden.
Die häufigsten Ursachen für eine Anosmie, die etwa bei 3% der Bevölkerung vorkommt, sind chronische Entzündungen der Riechschleimhaut, Virus-Infekte, anatomische Veränderungen im Nasenraum wie Polypen (gutartige Wucherungen auf den Schleimhäuten) und Kopfverletzungen mit Durchtrennung der Riech-Sinneszellen, recht dünnen und damit verletzlichen „Nerven-Fäden“ an der vorderen Schädelbasis.
Das Gleiche gilt übrigens auch für Erkrankungen des Gehirns wie die Alzheimer-Demenz und den Parkinson, die häufig mit einem Nachlassen des Geruchssinns einhergehen (siehe die speziellen Kapitel über Alzheimer und Parkinson). Da dies schon vor anderen auffälligen Symptomen auftreten kann, wird beispielsweise eine Geruchs-Prüfung zur rechtzeitigen Diagnose empfohlen. Aber – leider – wer macht das schon, bevor man nicht durch besorgniserregende Warn-Symptome beunruhigt wird.
Aber nicht nur die Anosmie, auch die Hyperosmie, also der gesteigerte Geruchssinn, kann Krankheitswert erlangen. Das ist beispielsweise möglich durch die unerwünschten Begleiterscheinungen bestimmter Medikamente. Natürlich werden dabei wieder insbesondere negative Gerüche verstärkt wahrgenommen. Und schließlich gibt es sogar die Kakosmie, eine Krankheit, bei der sogar eigentlich schöne Düfte als „ekel-erregend“ miss-empfunden werden.
Zuletzt kann das Gehirn sogar Gerüche vorgaukeln, z. B. bei Epileptikern und Schizophrenen. Auch hier Einzelheiten siehe die speziellen Kapitel über Epilepsie und Schizophrenie.
Der Mensch und sein Geruchsvermögen
Wenn man den menschlichen Geruchssinn mit dem bestimmter Tiere vergleicht (s. u.), dann ist sein Stellenwert in der Tat gering. Er gilt deshalb als so genannter Mikrosmatiker, wie der Fachausdruck heißt. Frauen können übrigens besser riechen als Männer, was so manches erklärt.
Das Gegenstück zum Mikrosmatiker sind die Makrosmatiker, und hier vor allem des Menschen „bester Freund“: der Hund. Er kann mit einer etwa 20-mal so großen Riech-Schleimhaut (Mensch: nur 5 cm²) und etwa 40-mal so vielen Riech-Sinneszellen (Mensch 5 Millionen) etwa 1.000.000-mal besser riechen als sein Herrchen oder Frauchen. Mit seinem guten Riechvermögen kann der Hund selbst auf einen Geruch trainiert werden, der in geringsten Konzentrationen in der Luft liegt. Das macht ihn dann auch zum Geruchs-Experten bei der Suche nach verschütteten Menschen (Erdbeben, Lawinen), bei der Entdeckung von Rauschdrogen oder Sprengstoff wie TNT u. a. Ja, das Geruchsvermögen von Hunden ist so gut, dass sie sogar Krebs bei Menschen erriechen können, schreiben die Autoren. Nach einer amerikanischen Studie sei es entsprechend trainierten Hunden möglich mit 90%iger Wahrscheinlichkeit zu erkennen, ob ein Mensch an bestimmten Krebsarten erkrankt sei. Allerdings weiß man bisher noch nicht, welche Geruch-Moleküle produziert werden, wenn sich Krebszellen im Körper ausbreiten. Es wird aber an dieser interessanten Erkenntnis gearbeitet und könnte natürlich auch zur Entwicklung technischer Diagnose-Apparate beitragen.
Der Hund ist aber nicht das einzige Tier mit optimalem Riech-Vermögen. Selbst Fische und hier vor allem Aale gehören zu den so genannten Hochleistungs-Riechern und schaffen es bis zu einer Milliarde an Riech-Sinneszellen. Sogar das sonst gerne unterschätzte Schwein hat ein hervorragendes Riechorgan, auf jeden Fall zum Erschnüffeln von Trüffeln (hier wird aber zunehmend wieder der Hund bevorzugt, da er die ausgegrabenen Trüffel seltener selber frisst…). Und bei der Sprengstoff-Suche mit entsprechender Verletzungsgefahr hat man auch schon versucht, Bienen darauf abzurichten.
Der Geruchssinn als Warnsystem
Die ursprüngliche Funktion des Geruchssinns ist die eines Warnsystems. Das beginnt mit verdorbenen Speisen und geht bis zum Waldbrand, was schon unsere Vorfahren vor Tausenden von Jahren genutzt haben. Und um beim Positiven zu bleiben: Der Geruch des Essens klärt natürlich nicht nur über die Qualität auf, sondern bereitet den Körper auf die Nahrungs-Aufnahme vor, indem er beispielsweise die Speichel- und Magen-Sekretion in Gang setzt.
Doch die Aufgabe der Düfte beschränkt sich nicht nur auf das Essen. Wenn man einmal an die Tierwelt und hier wieder an unseren Hund denkt, dann wird gleich ein weiterer Aspekt deutlich: der Partner. Ja, Menschen riechen Menschen – gern oder nicht. Man denke nur an den bekannten Satz: „Denn kann ich nicht riechen“. Und wieder denken wir erst einmal an Negatives („Schweiß“). Doch die Lebewesen riechen auch „unsichtbar“ oder konkreter „unschmeckbar“ bzw. „unriechbar“ – und zwar spezifisch partnerschaftlich ausgerichtet. Auslöser sind die so genannten Pheromone, vor allem als Sexual-Lockstoffe bekannt. Es gibt auch Alarm-Pheromone und Markierungs-Pheromone. Dafür steht auch ein besonderes Unterscheidungs-Organ zur Verfügung. Bei den Tieren hat man es schon identifiziert, beim Menschen ist es noch umstritten.
Doch unbestritten bleibt, dass Düfte das Sexualverhalten beeinflussen können. Da kennen die Wissenschaftler keine Hemmungen, um hier zu den notwendigen Erkenntnissen zu kommen. So setzen sich Frauen beispielsweise bevorzugt auf Stühle, die vorher mit Androstenon besprüht wurden, eine Substanz, die beispielsweise im männlichen Schweiß vorhanden ist. Männer hingegen vermeiden solche Stühle. Die Wahl der Stühle erscheint dabei völlig unbewusst, in Wirklichkeit wird sie natürlich über das Geruchs-System gelenkt, wobei der ohnehin bessere Geruchssinn der Frau dabei also noch „raffinierter“ ist als zunächst angenommen.
Besonders aufregend und anziehend empfinden Frauen den Geruch von verschwitzten T-Shirts, wenn diese vorher von Männern getragen wurden, die – jetzt kommt der Clou – nach genetischen Gesichtspunkten gut zu ihnen passen könnten. Schlussfolgerung: Die Fähigkeit, den „richtigen“ Partner herauszuriechen, ist offenbar hormonell reguliert. Dabei ist die Frau während ihrer fruchtbaren Tage am empfindlichsten für den Geruch von Männer-Schweiß, während der Schwangerschaft aber am unempfindlichsten (wo sie dagegen eine besonders gute Nase für Umgebungs-Gerüche entwickelt, beispielsweise für das Essen mit sehr spezifischen Gelüsten).
Spannend – so die Autoren – ist es jedenfalls darüber zu spekulieren, ob die Erfindung der Pille zu vermehrten Missgriffen bei der Partnerwahl geführt hat. Es konnte nämlich gezeigt werden, dass Frauen, die mit der Pille verhüten, die Fähigkeit verlieren, das „richtige“ T-Shirt herauszuriechen.
Im gleichen Zusammenhang kann man über den exzessiven Gebrauch von Parfüms und Deodorants nachdenken. Sie werden ja verwendet, um den eigenen Körpergeruch zu übertünchen. Doch auch hier wieder: Der moderne Mensch riecht dann zwar „gut“, „angenehm“, „modisch“, aber eben auch künstlich und damit geruchs-irreleitend ggf. zu seinem Nachteil.
Körpergeruch
Für den Körpergeruch ist neben der Ernährung vor allem die Sekret-Produktion der apokrinen Drüsen verantwortlich (apokrin heißt so viel wie exokrin oder exkretorisch und das sind die Sekrete absondernden Drüsen von der Haut bis zum Verdauungstrakt, in diesem Fall vor allem die Schweißdrüsen). Asiaten haben nur wenige dieser Drüsen, deshalb einen eher schwach ausgebildeten Körpergeruch. Dafür empfinden sie den Körpergeruch der Europäer als „streng“.
Es ist aber genau dieser Körpergeruch, der zur Normierung der Geruchs-Intensitäten verwendet wird. Als Maßeinheit für die Geruchsstärke gilt das „Olf“. Es ist definiert als der Geruch, den eine Person mit 1,8 m² Körperoberfläche in sitzender Tätigkeit mit einem Hygiene-Zustand von 0,7 Bädern (alle 36 Stunden eine Dusche/Bad) pro Tag erzeugt. Der Körpergeruch von Kindern, die sich meist mehr bewegen, hat eine Stärke von 2 Olf; Raucher riechen nach 25 und Sportler sogar nach 30 Olf.
Nach J. v. Engelhardt, D.J. Inta und H. Monyer 2007 |
Der Geruch in der Literatur
Es kam ja schon zur Sprache: Die Philosophen von der Antike bis zum 18. Jahrhundert konnten mit dem Geruchs-Sinn wenig anfangen. Aber die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse machten dieses Thema auch für die Literaten, die Dichter und Schriftsteller interessant. Beispiele dafür sind Rainer Maria Rilke (in dem Gedicht: Der Duft), Thomas Mann (Der Tod in Venedig), Marcel Proust (Auf der Suche nach der verlorenen Zeit), R. Dahl (Kuschelmuschel), T. de Lampedusa (Der Leopard), J.-K. Huysman (Gegen den Strich) und vor allem natürlich Patrick Süskind (Das Parfüm). Die genaue Beobachtungsgabe der Schriftsteller – so die Autoren – verleiht ihren Werken über das literarische Vergnügen hinaus auch einen wissenschaftlichen Wert, denn damit konnten schon früher Zusammenhänge erkannt werden, deren anatomische und physiologische Grundlagen erst nach der Entwicklung moderner Technik nachweisbar wurden. Tatsächlich ist so manche Erkenntnis, zumindest aber wissenschaftliche Anregung aus diesen Kreisen gekommen, und nicht aus der eher nüchternen Welt der Wissenschaftler (z. B. die in dem Roman von Marcel Proust beschriebene enge Verbindung von Geruch und Erinnerung, also die Fähigkeit der Gerüche, Erinnerungen hervorzurufen, was von den Psychologen später dann wenigstens als „Proust-Phänomen“ – wissenschaftlich fundiert – anerkannt wurde).
Rehabilitiert die Zukunft den Geruchssinn?
Düfte waren also von jeher von Bedeutung, auch wenn sie erst jetzt so exakt analysiert werden, dass man sie auch gezielt einsetzen kann (s. o.). Heute jedenfalls lebt mit der Aroma-Therapie ein ganzer Industrie-Zweig davon, und zwar nicht schlecht. Dabei soll es für jede erwünschte Stimmungslage den entsprechenden Duft geben. Beruhigung – und das ist nichts Neues – verspricht man sich vom Lavendel-Duft in Beruhigungsbädern. Und die anregende Wirkung des Thymians sollte schon im Mittelalter den Rittern vor ihren Kämpfen Mut verleihen.
Aber entscheidend in unserer Spaß-Gesellschaft ist natürlich etwas anderes, nämlich der Unterhaltungswert. Tatsächlich hat man schon früher in Kinos Wohlgerüche mit Eau de Cologne oder Orangen-Blüten angeboten (heute leider nur der Gestank von Popcorn, so die Autoren – mit Recht). Es gibt aber jetzt Versuche, die Düfte in das Geschehen eines Films konkret einzubeziehen. Damit könnte die Sinnes-Aufnahme über das Hören und Sehen hinaus erweitert werden. Entsprechend ausgerüstete „Film-Paläste“ arbeiten schon mit szenen-parallelen Bewegungen der Sitze, mit Vibrationen in der Rückenlehne, mit Wind und Sprüh-Nebel. Und mit Duftstoffen, die passend zum filmischen Geschehen eingesetzt werden. Schlagwort: „Super-Stereo-Ton-Farben-und-Fühl-Film“ – also alles im Dienste von „Spaß pur und sofort“.
Natürlich ist auch das nichts Neues. Das haben schon geniale Köpfe lange vor uns ausgeheckt, beispielsweise unnachahmbar formuliert in dem Roman „Schöne neue Welt“ von Aldous Huxley (1932):
„Die Duftorgel spielte ein köstliches erfrischendes Kräuter-Capriccio – kleine Arpeggio-Wellen von Thymian und Lavendel, Rosmarin, Basilikum, Myrthe und Schlangenkraut, eine Folge kühner Modulationen durch die Aromen der Gewürze bis zu Ambra, dann langsam über Sandelholz, Kampfer, Zedernholz und frisch gemähtes Heu, mit gelegentlichen, angedeuteten Dissonanzen – einer Nasevoll Sauerkraut und einem leisen diskreten Geruch nach Rossäpfeln zu den schlichten Duftweisen, mit denen das Stück begonnen hatte“.
Riech- und Schmeck-Störungen
aus der Sicht von Olfaktologie und Gustologie
Riech- und Schmeck-Störungen beeinträchtigen nicht nur das Leben durch Ernährungsdefizite und Gewichtsverlust, sondern auch die gesamte Lebensqualität – und dies oft erheblich. Denn Riechen und Schmecken sind entscheidend für die Wahrnehmung unserer Umgebung, die Identifikation von Gefahren (und zwar bevor andere Sinnessysteme sie wahrnehmen!) und nicht zuletzt für den alltäglichen Genussbereich. Auch sollte man die zwischenmenschliche Komponente nicht unterschätzen: Was droht beispielsweise, wenn man den eigenen Körpergeruch nicht mehr selbstkritisch wahrnehmen kann?
Eine häufige Funktionsstörung
Zwar fallen Riech- und Schmeck-Störungen im Alltag lange nicht auf, jedenfalls nicht dem jeweiligen Umfeld des Betroffenen. Sie sind aber weitaus häufiger als vermutet. Man schätzt, dass etwa jeder Fünfte eine Funktionsstörung des Riech- und Schmeck-Sinns zu ertragen hat. Da dieses Defizit mit dem Alter zunimmt (bei den über 53-Jährigen sind es bereits mehr als 25% mit verminderter Riechleistung), droht dieses „stille Leiden“ im Rahmen der steigenden Lebenserwartung auch zu einem wachsenden Problem zu werden.
Was muss man also wissen und vor allem: wie unterscheidet man Riech- und Schmeck-Störungen, welche Ursachen sind bekannt und was kann man dagegen tun?
Zur Einteilung von Riech- und Schmeck-Störungen
Die medizinischen Disziplinen, die sich am häufigsten mit Riech- und Schmeck-Störungen beschäftigen müssen, sind die Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, die Neurologie sowie Psychiatrie und Pharmakologie (Arzneimittel – s. u.).
Die Fachbegriffe lauten:
- olfaktorische Störungen für das gestörte Riechen
sowie
- gustatorische Störungen für das gestörte Schmecken
Die Spezialisten für diese Leiden sind deshalb auch in der Arbeitsgemeinschaft „Olfaktologie und Gustologie“ der Deutschen Gesellschaft für HNO-Heilkunde vereinigt, die hier die wissenschaftliche, diagnostische und therapeutische Führung übernimmt.
Nachzulesen sind die wichtigsten Erkenntnisse in den „Leitlinien Riechstörungen“ der Deutschen HNO-Gesellschaft:
www.uni-duesseldorf.de/AWMF/11/017-050.htm
Wie unterscheidet man nun wissenschaftliche und klinisch (d. h. von Beschwerdebild, Ursachen und Verlauf her) Riech- und Schmeck-Störungen?
Beim Geruchssinn unterscheidet man quantitative und qualitative Riech-Störungen.
Zu den quantitativen Riech-Störungen gehören die Anosmie (kompletter Verlust des Geruchssinns), die Hyposmie (Verminderung des Riechvermögens) sowie ihr Gegenteil, die Hyperosmie (übernormale Funktion des Riechvermögens).
Bei der Anosmie unterscheidet man außerdem noch die spezifische Anosmie (z. B. vermag nur etwa die Hälfte der Bevölkerung bestimmte Duft-Qualitäten gut wahrzunehmen) sowie die funktionelle Anosmie. Eine übersteigerte subjektive Empfindlichkeit gegenüber Duftstoffen bei jedoch normaler Geruchs-Empfindung wird als „olfaktorische Intoleranz“ bezeichnet.
Bei den qualitativen Riech-Störungen differenziert man in Parosmie (die qualitativ „falsche“ Wahrnehmung von Duftstoffen) und Phantosmie (die Wahrnehmung von Gerüchen in Abwesenheit einer entsprechender Duftquelle, also eine „phantasierte Geruchswahrnehmung“).
In allen Fällen werden die Gerüche so gut wie von jedem Betroffenen als unangenehm empfunden.
Interessanterweise wird der einseitige Ausfall des Riechvermögens, z. B. bei einem entsprechenden Tumor, subjektiv nur in den wenigstens Fällen als einseitig bemerkt. D. h. wir riechen zwar „stereo“ mit zwei Nasenlöchern, doch beim Ausfall der einen Seite braucht es lange, bis wir dahinter kommen.
Bei den Schmeck-Störungen unterscheidet man – ähnlich wie bei den Riech-Störungen – die Ageusie (mehr oder weniger kompletter Verlust des Geschmackssinns, allerdings extrem selten, da die Nerven-Versorgung in diesem Bereich überaus reichlich und nur schwer komplett zu unterbrechen ist) sowie die Dysgeusie (häufigste Schmeck-Störung mit dauerhaften Missempfindungen wie bitter, salzig, metallisch u. a.).
Quantitative Riech- und Schmeck-Störungen sind unangenehm, doch können sich die meisten Patienten im Laufe der Zeit damit arrangieren. Qualitative Störungen des Riechens und Schmeckens werden dagegen in der Regel als belastender erlebt und gehen häufig mit Änderungen im Ernährungsverhalten und damit Gewichtsverlust einher – und oft auch mit Depressionen.
Die wichtigsten Ursachen
Als Erstes gilt es zu klären: Riech- oder Schmeck-Störungen oder gar beides? Die Antwort der Wissenschaft lautet: In etwa 90% der Fälle liegt eine isolierte Riech-Störung vor.
Das überrascht vor allem die Betroffenen, denn sie meinen in der Regel nicht mehr gut schmecken zu können. Das beweist im Übrigen auch, wie der Riech-Sinn unter- und der Geschmacks-Sinn über-bewertet werden. Zum Schmecken gehört eben auch (oder vor allem) das Riechen. Und da die Menschen immer älter und damit ihr Riechsinn immer schlechter wird, wird es auch mit dem Schmecken immer unerfreulicher, obgleich gerade der Geschmacksinn in Wirklichkeit weniger leidet.
Dass das Riechen eine so große „Geschmacks-Funktion“ aufweist, liegt an der (mit-)entscheidenden Aufgabe des so genannten retro-nasalen Riechens (als im hinteren Nasenbereich). Riechen wird eben meist mit aktivem Riechen oder gezieltem Schnüffeln als Wahrnehmung von Düften gleichgesetzt (Fachbegriff: orthonasales Riechen), hat aber ein weitaus breiteres Funktionsfeld als allgemein bekannt. Und damit auch mehr negative Konsequenzen bei entsprechenden Störungen, die dann dem Betroffenen erst in diesem Zusammenhang deutlich werden.
Wie teilt man nun Riech- und Schmeck-Störungen ein? Die Antwort lautet: nach ihren Ursachen. Dazu gehören (kurz gefasst, Einzelheiten siehe Fachliteratur):
Virus-Infektionen des oberen Respirations-(Atem-)Trakts (vor allem Frauen über 50); posttraumatische Belastungen (z. B. nach Kopfunfällen, insbesondere Gewalteinwirkungen auf das Hinterhaupt, was – überraschend für den Laien – sich nicht zuletzt auf den örtlichen Gegenpol negativ auswirkt, nämlich den Stirnhirn-Bereich und damit die empfindlichen Riech-Fäden, die durch so einen „Gegenschlag“ geschädigt werden können); dann die relativ häufige „isolierte Anosmie“ (vor allem bei Mädchen); ferner neurodegenerative Krankheiten (z. B. Parkinson, wobei Riech-Störungen als Frühzeichen warnen, allerdings meist vergeblich, weil nicht bekannt, registriert oder akzeptiert); und schließlich psychische Leiden, hier vor allem schizophrene Psychosen und Depressionen.
Am weitaus häufigsten sind allerdings Riech-Störungen durch Nasennebenhöhlen-Leiden, zumeist chronische Entzündungen, Polypen, Allergien, anatomische Veränderungen mit Verstopfung oder Blockierung, Tumoren u. a.
Seltener sind hingegen internistische Erkrankungen, aber man muss trotzdem an sie denken: Zuckerkrankheit, Unterfunktion der Schilddrüse, Nieren- und Leberleiden u. a. sowie neurologische Erkrankungen (Hirntumoren, gelegentlich auch Operations-Folgen). Und toxische (Vergiftungs-) bzw. medikamentöse Einflüsse (z. B. bestimmte Antibiotika, Chemotherapeutika, Antidepressiva usw.).
Schmeck-Störungen finden sich dagegen sehr viel seltener als Riech-Störungen, wie erwähnt. Man muss aber trotzdem an sie denken. Sie treten entweder spontan auf oder sind häufig durch Medikamente verursacht (Einzelheiten siehe Fachliteratur oder Beipackzettel). Es kommen aber auch hier bestimmte Auslöser infrage wie Unfallfolgen, Infektionen, Bestrahlung, Verletzungen im Mundbereich bzw. neurologische Krankheiten.
Wie diagnostiziert man Riech- und Schmeck-Störungen?
Um eine Riech- oder Schmeck-Störung exakt feststellen zu können, muss man auch hier – wie bei allen anderen körperlichen und seelischen Leiden – zuerst einmal konkrete Fragen stellen, d. h. eine Anamnese (Kranken-Vorgeschichte) erheben. So will der Arzt möglichst viel wissen über Lebens-Gewohnheiten, internistische Erkrankungen, Unfälle, Operationen sowie eingenommene Medikamente (s. o.). Auch interessieren ihn neurologische und psychiatrische Leiden in der Vorgeschichte von nahe Angehörigen (erbliche Belastung?). Das Gleiche gilt für aktuelle Beschwerden im HNO-Bereich wie Allergien, „Nasenlaufen“ oder Nasen-Atmungsbehinderungen u. a.
Danach kommt die fachärztliche Untersuchung, grundsätzlich mit HNO-Arzt beginnend, ggf. auch durch Neurologen, Internisten oder Psychiater ergänzt, einschließlich aller modernen technischen Möglichkeiten (CT, MRT u. a.).
Spezifische Untersuchungs-Verfahren zur Testung des Riech-Vermögens sind so genannte Sniffin’Sticks (mit Duftstoffen befüllte Stifte zur Bestimmung von Geruchsschwelle, Diskriminierung (Unterscheidung) und Identifikationsfähigkeit). Darüber hinaus gibt es noch eine Reihe weiterer Riech-Tests, die zu den so genannten subjektiven psychophysischen Test-Verfahren gehören. Eine objektivierende Messung ist allerdings komplizierter, z. B. die Ableitung olfaktorisch evozierter Potenziale, eine relativ aufwendige Technik (siehe Fachliteratur).
Die Testung des Schmeck-Vermögens erfolgt entweder im gesamten oder umschriebenen Mundhöhlen-Bereich. Dabei werden verschiedene Geschmacks-Qualitäten (süß, sauer, salzig und bitter) überprüft, entweder gesprüht oder mit Schmeck-Streifen und definierten Schmeckstoff-Konzentrationen. Aber auch hier wird an einer technischen Verfeinerung gearbeitet (z. B. die Elektrogustometrie).
Was kann man tun?
Die therapeutischen Möglichkeiten bei Riech-Störungen sind beschränkt. Deshalb interessiert man sich auch besonders für die Selbstheilungs-Tendenz, und die besagt: Bei etwa 10 bis 20% nach posttraumatischer Riech-Störung (Kopfunfall) kann das Riechvermögen wenigstens teilweise wiederkehren. Bei Virus-Infektionen sind es immerhin 40 bis 60%. Beeinträchtigungen durch Nasennebenhöhlen-Leiden sind zwar behandelbar, zeigen aber auf Dauer eine Neigung zur Verschlechterung, trotz chirurgischer und medikamentöser Hilfe.
Unklar sind in diesem Zusammenhang auch Überlegungen in Richtung bestimmter Vitamine und Spurenelemente. Die Möglichkeiten und Grenzen der Akupunktur werden derzeit geprüft. Ähnliches gilt für die Schmeck-Störungen (von denen sich wenigstens viele sogar spontan zurückbilden, ein Trost).
Für den Alltag bedeutsam ein Hinweis, der eigentlich alle Bereiche des Lebens durchzieht: die konsequente Eigen-Leistung. Ihr Ergebnis lässt sich mit einem einzigen Satz aus der Fachliteratur umreißen, der da lautet: Interessanterweise bessert das so genannte Riech-Training bei regelmäßiger Anwendung die Riechleistung. Das sollte man sich merken, auch in scheinbar hoffnungsloser Situation.
Schlussfolgerung
Der Mensch ist zwar kompliziert gebaut – aber auch faszinierend konstruiert. Leider merkt man das zumeist erst, wenn eine der bisher klaglos laufenden Funktionen Probleme macht, vielleicht sogar ausfällt. So geht es auch mit den Riech- und Schmeck-Störungen. Glücklicherweise wissen wir inzwischen mehr darüber und die dafür zuständigen Experten konfrontieren uns mit immer neuen Erkenntnissen und damit gezielten diagnostischen und therapeutischen Verfahren. Das sollte uns – vor allem in einer Epoche zunehmender Klagsamkeit – beruhigen, vielleicht sogar mit etwas Dank erfüllen.
Grundlage dieser Ausführungen ist der Fachartikel:
B. Schuster, Th. Hummel: „Sinnlos“ im Reich der Düfte – Riech- und Schmeckstörungen. IN|FO|NEUROLOGIE & PSYCHIATRIE 4 (2007) 41
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