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FRAU UND SEELISCHE STÖRUNG (2)

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Bei welchen psychischen Krankheiten sind Frauen besonders betroffen, warum, und was kann man dagegen tun?

· Kapitel 2: Geschlechtsunterschiede bei seelischen Erkrankungen

Demoskopische und psychiatrisch-epidemiologische Untersuchungen bescheinigen dem weiblichen Geschlecht mehr Rücksicht und Vorsicht, geringere Aggressivität und Neigung zu Alkohol- und Rauschgiftabhängigkeit (leider nicht gegenüber der Nikotinsucht, besonders bei den jüngeren Jahrgängen) und die größere Fähigkeit, in Schwierigkeiten und Krisen Hilfe zu suchen. Allerdings scheint im Durchschnitt das Selbstbewusstsein der Frau geringer ausgeprägt. Auch besteht eine größere körperliche und seelische Stör-Anfälligkeit und damit häufigere Belastung durch Angstzustände, Depressionen, durch Ess- und funktionelle oder Befindlichkeitsstörungen.

Die meisten Geschlechtsunterschiede zeigen sich bereits im Vorschulalter und dann überaus deutlich in der Pubertät. Sie sind keine Fehlschlüsse oder Kunstprodukte dieser Untersuchungen, sondern lassen sich schon seit längerem registrieren, werden immer wieder bestätigt und nehmen sogar zu. Und sie zeigen natürlich entsprechende Konsequenzen im Alltag.

Wie äußern sich nun diese Differenzen im Detail und vor allem: Wie erklärt man sich diese Geschlechtsunterschiede?


Erwähnte Fachbegriffe:

Epidemiologie - Syndrom - Symptom - psychiatrische Klassifikationen - Lebenszeitprävalenz - Geschlechtswendigkeit - Phobien - körperbezogene Störungen - funktionelle Störungen - Befindlichkeitsstörungen - vegetative Labilität - vegetative Dystonie - Dysthymia - Zwangsstörungen - Schizophrenien - manische Psychose - Angststörungen - Depressionen - Alkoholkrankheit - Rauschdrogenabhängigkeit - Somatisierungsstörungen - Ess-Störungen - Gewalttätigkeit - Nikotinmissbrauch - Rauschdrogenkonsum - psychosomatische Störungen - Vorposten-Symptome - Hypothesen bezüglich Geschlechtsunterschieden: Artefakt-, Stress-, Bewältigungs-, Expressivitäts-, biologische und soziale Hypothesen u. a.

Die Geschlechter unterscheiden sich. Das ist keine neue Erkenntnis, das ist allseits bekannt und akzeptiert. Aber wie konkret? Wo und wie empfinden, denken, reden, planen, handeln, ja leiden Frauen anders als Männer? Das ist eine wichtige Frage, nicht nur psychosozial, gesellschaftspolitisch, wirtschaftlich-finanziell (Einkaufsverhalten!), sondern auch gesundheitlich, ja gesundheitspolitisch.

Deshalb beschäftigt man sich schon seit Jahrzehnten mit Geschlechtsunterschieden, früher mehr gesellschaftlich, heute mehr gesundheitlich orientiert.

Wie und wo unterscheiden sich Frauen und Männer?

Die meisten Unterschieden entnehmen wir den Medien: Presse, Radio, Fernsehen.

Da heißt es beispielsweise: Frauen stellen bei allen christlichen Konfessionen den größeren Anteil der Kirchgänger und aktiven Kirchenmitglieder. Frauen sind mehr sozial- und umweltverträglich orientiert, weniger an Profit-Maximierung interessiert. Ob Vorträge, Pressemitteilungen, Radio- oder Fernsehsendungen, zwei Drittel und mehr der Interessenten von populärmedizinischen Gesundheitsangeboten sind weiblichen Geschlechts, leisten also deutlich mehr in präventiver (vorsorgender) Hinsicht.

Frauen sind auch stärker vom eigenen Körper fasziniert, tun entsprechend mehr dafür, sind aber auch selbstkritischer bis unzufriedener (schon jede zweite junge Frau will abnehmen, im Gegensatz zu jedem fünften jungen Mann). Bei Befragungen: Wie finden sie ihre äußere Erscheinung? sind 70 % jener, die ihr Aussehen unbefriedigend finden, weiblichen Geschlechts.

Frauen ernähren sich aber auch gesundheitsbewusster, konsumieren deutlich weniger Alkohol (und natürlich harte Drogen), rauchen im Schnitt auch weniger (was sich allerdings ändern wird, denn im Jugendalter sind beide Geschlechter inzwischen gleich häufig Nikotin-Konsumenten - das Verhältnis droht zu kippen).

Frauen erleiden nicht nur viel weniger Berufsunfälle (was angesichts der Berufsverteilung selbstverständlich erscheint), sondern auch wesentlich weniger Nicht-Berufsunfälle. Auch sind Frauen sozial viel seltener auffällig, ganz zu schweigen von den enormen statistischen Unterschieden bezüglich Kriminalität, insbesondere Gewalttätigkeit.

Obgleich das weibliche Geschlecht also gesundheitsbewusster ist, wird es doch häufiger von Kopfschmerzen, Schlafproblemen, allgemeiner Schwäche und Energielosigkeit heimgesucht. Und damit werden auch mehr Schlaf-, Schmerz- und Beruhigungsmittel verbraucht.

In psychosozialer Hinsicht erscheinen Frauen wertkonservativer, rücksichtsvoller, seltener - wie erwähnt - gewalttätig u. a., aber auch offensichtlich störungsanfälliger, was nicht nur ihr körperliches, sondern auch psychisches Befinden anbelangt. Frauen werden häufiger als Männer wegen seelischer Probleme behandelt, zeigen aber auch eine größere Bereitschaft, Hilfe zu suchen. Überhaupt sind sie stärker an Sprache und Beziehungen orientiert, versuchen mehr als Männer - entsprechende Kontakt- und Sprachfähigkeit vorausgesetzt - ihre täglichen Krisen im zwischenmenschlichen Bereich aktiv zu bewältigen. Und sich auch offensichtlich gezielter untereinander zu helfen.

Geschlecht und seelische Störungen

Und damit wäre man beim eigentlichen Thema: Geschlecht und seelischen Störungen. In den Medien sind es vor allem entsprechende demoskopische Befragungen (telefonisch, brieflich, Interviews), in der Wissenschaft ist es die sogenannte Epidemiologie, eine medizinische Disziplin, die das Vorkommen von Krankheiten und Störungen in der Gesamtbevölkerung untersucht. Dabei rückt man im seelischen Bereich inzwischen von konkreten Krankheiten ab, weil die Grenzen zwischen beispielsweise Neurosen und Psychosen in manchen Krankheitsverläufen durchaus unscharf sein können und andere Leiden noch nicht einmal richtig definiert und klassifiziert sind.

Deshalb benützt man in der modernen Psychiatrie heute eher den neutralen Begriff des "Syndroms", also einer mehr oder weniger charakteristischen Kombination aus bestimmten Symptomen (Krankheitszeichen).

Und hier gibt es seit einigen Jahrzehnten entsprechende Untersuchungen, die hochstandardisierte Fragebogen und geschulte Interviewer einsetzen und sich nach allseits anerkannten Klassifikationen richten, z. B. den Handbüchern der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung (APA), dem Diagnostischen und Statistischen Manual Seelischer Störungen (DSM-IV) bzw. der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10) der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Dadurch lassen sich die Untersuchungsergebnisse aus unterschiedlichen Kulturen, Nationen und Sprachbereichen auch besser vergleichen.

Welche Krankheiten lassen sich nun - zumindest für die westliche Welt - in welcher Häufigkeit und vor allem "Geschlechtswendigkeit" dokumentieren?

Meist geht es um die sogenannte Lebenszeitprävalenz: Wie hoch ist die Rate der Männer und Frauen, die mindestens einmal im Leben bestimmte Krankheitszeichen erlitten haben, die nach den obigen diagnostischen Kriterien für bestimmte Syndrome typisch sind?

Die Ergebnisse der letzten Jahrzehnte zeigen: Die Rate ist erstaunlich hoch - und wächst offenbar kontinuierlich. Vor ein bis zwei Jahrzehnten zeigte noch etwa jeder Dritte Krankheitszeichen, die für bestimmte seelische Syndrome charakteristisch sind. Neuere Studien kommen bereits auf 40 bis 60 %. Und es gibt - ebenfalls recht konstant - Geschlechtsschwerpunkte, je nach psychischer Störung.

· In einer älteren Untersuchung aus den USA fanden sich am meisten und in abnehmender Häufigkeitsverteilung

- Phobien, also zwanghafte Befürchtungen (z. B. Agoraphobie = damals reine Platzangst),
- gefolgt von sogenannten körperbezogenen Störungen (früher funktionelle und Befindlichkeitsstörungen genannt), auch als vegetative Labilität oder Dystonie bekannt,
- danach Depressionen sowie gemütsmäßige Dauerverstimmungen (Fachbegriff: Dysthymia),
- schließlich die Alkoholkrankheit
- und die Zwangsstörungen
- sowie - an letzter Stelle - schizophrene und manische Psychosen.

Nur die schizophrenen und manischen Psychosen (krankhafte Hochstimmungen) waren geschlechtsspezifisch ausgeglichen. Ansonsten überwogen Frauen doppelt bis mehrfach so häufig wie Männer (mit Ausnahme der vom männlichen Geschlecht dominierten Alkoholkrankheit).

· In einer deutschen Untersuchung vor etwa 10 Jahren fand sich im Wesentlichen das gleiche Häufigkeits- und geschlechtsspezifische Verteilungsmuster: Frauen dominieren vor allem bei Angststörungen, Depressionen und körperbezogenen Leiden (also den erwähnten funktionellen oder Befindlichkeits- bzw. heute Somatisierungsstörungen), Männer bei der Alkoholkrankheit.

· Zwei Untersuchungen in den 90er Jahren, wiederum aus den USA sowie aus den Niederlanden, bestätigten das Verteilungsmuster, wobei die Gesamtrate allerdings jeweils zugenommen hatte. Wieder überwogen beim weiblichen Geschlecht depressive, angst- und körperbezogenen Störungen. Dazu auch die inzwischen in die Untersuchungen aufgenommenen Ess-Störungen (so gut wie ausschließlich Frauen). Bei Männern hingegen dominierten - wie bekannt - Alkoholismus und asoziales Verhalten bis hin zur Gewalttätigkeit (was schon in früheren Untersuchungen eine männliche Domäne war). Bei den Psychosen (vor allem Schizophrenien) ergaben sich nach wie vor keine Geschlechtsunterschiede von Belang.

· Die jüngsten Untersuchungen, diesmal ausschließlich aus dem deutschsprachigen Bereich, bestätigten die bekannten Ergebnisse, wobei die Gesamtzahl der Betroffenen erneut anstieg: Weibliches Überwiegen hinsichtlich depressiver und Angstsyndrome, körperbezogener und Ess-Störungen, männliche Dominanz im Bereich von Alkoholismus und Drogenkonsum. Die Nikotinabhängigkeit tritt bei den älteren Frauen zwar noch seltener auf als bei Männern, doch hat sich das in jüngeren Jahrgängen inzwischen ausgeglichen.

Damit zeigen alle Untersuchungen über einen Zeitraum von zwei Jahrzehnten hinweg eine beständige Zunahme seelischer Störungen und eine konstante Häufigkeitsverteilung bezüglich des Geschlechts. Frauen überwiegen bei der Mehrzahl seelischer Störungen mit Ausnahme von Alkoholismus und Rauschdrogenabhängigkeit sowie der geschlechtsspezifisch ausgeglichenen Schizophrenie. Das lässt sich offenbar auf alle westlichen Nationen übertragen.

Gibt es altersbedingte Unterschiede?

Wie fast zu erwarten gibt es nicht nur bei Heranwachsenden, sondern schon bei Jugendlichen zwischen 13 und 16 Jahren gewisse Unterschiede in jenen Beschwerden, die man in der Regel als funktionelle oder Befindlichkeitsstörungen, also nicht organisch, sondern psychosomatisch interpretierbar bezeichnen kann (psychosomatisch: seelische Beeinträchtigungen äußern sich in körperlichen Symptomen).

Das sind vor allem beim weiblichen Geschlecht deutlich häufiger Kopf- und Rückenschmerzen sowie Niedergeschlagenheit und Lustlosigkeit. Oder kurz: Mädchen pflegen sich bereits in diesem Alter körperlich und seelisch weniger wohl zu fühlen als Jungen. Diese Untersuchungsbefunde - seit vielen Jahren immer wieder nachgeprüft - scheinen im Wesentlichen gleich zu bleiben.

Dabei gibt es interessante Schwerpunkte:

- Depressive Verstimmungen, und zwar vor allem ernstere Beeinträchtigungen, die man bereits als Depressionen bezeichnen kann: Vor der Pubertät scheint es keine wesentlichen Unterschieden zu geben (in einigen Untersuchungen sind die Jungen hier sogar stärker betroffen). Doch zwischen 15 und 18 Jahren steigt die Häufigkeit der Depressionen, und zwar beim männlichen Geschlecht von 1 auf 4 %, beim weiblichen von 4 auf 23 %.

Die Übergangsperiode, in der "die Depression weiblich wird", wie man das sehr lebensnah auszudrücken pflegt, liegt offenbar zwischen 11 und 15 Jahren. Hier beginnt sich das entsprechende Geschlechtsverhältnis zu Lasten der Frau entscheidend auszuprägen.

- Ess-Störungen: In diesem Alter wächst die Unzufriedenheit der Mädchen mit dem eigenen Aussehen - und damit treten die Ess-Störungen verstärkt in den Vordergrund.

- Angststörungen und nicht nur die nachvollziehbaren Befürchtungen im Alltag, auch die Angsterkrankungen werden generell und im Bezug auf das weibliche Geschlecht zum Problem. Inzwischen weiß man, dass krankhafte Angstzustände noch früher als Depressionen auftreten (und häufig sogar eine Art Warn- oder Vorposten-Symptom für spätere Depressionen sein können). Deshalb ist man heute der Meinung, dass die stärkere Depressions-Anfälligkeit der Frau durch die zuvor schon erhöhte Neigung zu Angststörungen in bereits jungen Jahren geradezu programmiert sei.

Für diese Hypothese spricht auch die kinderpsychiatrische Erfahrung, dass ängstliche Kinder ein erhöhtes Risiko für Depressionen im Jugendalter aufweisen. Und die Erfahrung im Erwachsenenalter, dass beim gleichzeitigen Auftreten von Angstzuständen und Depressionen (Fachausdruck: Angst und depressive Störung gemischt oder Angst-Depression) die Angststörungen zeitlich vorauszugehen pflegen.

Wie erklärt man sich die Geschlechtsunterschiede?

Die Frage, warum Frauen bei einer Reihe von seelischen Störungen überwiegen, die zudem noch am häufigsten belasten (Depressionen, Angstzustände und sogenannte körperbedingte Störungen), hat zu einer Reihe von Hypothesen geführt, die diesen Geschlechtsunterschied erklären sollen. Nachfolgend eine kurze Übersicht (nach C. Ernst):

- Die Artefakt-Hypothese macht es sich am leichtesten. Sie erklärt die Unterschiede durch das Vorurteil männlicher Wissenschaftler, die das "schwache Geschlecht" pathologisieren (für krank erklären) wollen und die Klagen der Frauen über reale Benachteiligungen im Alltag in seelische Symptome oder gar Krankheiten umdeuten.

Doch die Wirklichkeiten sieht anders aus. Frauen sind in der Tat nicht nur häufiger betroffen, sie suchen auch eher Hilfe und zeigen vor allem ein stärkeres Interesse an der Gesundheit und entsprechenden vorbeugenden und therapeutischen Maßnahmen. Und wer tut das schon ohne Grund.

- Die Stress-Hypothese führt den Geschlechtsunterschied auf die schlechtere soziale Situation der Frauen zurück: geringere Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten, geringerer Berufs-Status, geringeres Einkommen.

Diese Hypothese wird dadurch widerlegt, dass sich die Geschlechtsunterschiede auch in jenen sozialen Schichten finden, in denen die Frauen nicht stärker benachteiligt sind.

- Die Hypothese der mangelnden sozialen Unterstützung hebt vor allem auf die Isolierung der Hausfrau ab. Und die - in der Tat reale - geringere Einbettung in die kollegialen Netzwerke der berufstätigen Frauen. Oder kurz: Männer helfen sich gegenseitig vorwärts zu kommen, Frauen verfügen nicht einmal über die notwendigen Kontakte, von konkreter Hilfe ganz zu schweigen.

Ob sich das allerdings in mehr Angstzuständen und Depressionen niederschlägt, ist fraglich. Denn Frauen haben weitaus größere Fähigkeiten als Männer, nicht nur die "Familie zusammenzuhalten", sondern Freundschaften und engere Beziehungen zu bilden. Und ihre Bereitschaft, Hilfe zu leisten und zu empfangen ist ebenfalls ausgeprägter. Das berufliche Defizit (siehe oben) ist zwar nicht zu leugnen (und wird derzeit auch mehr und mehr realisiert und durch entsprechende Maßnahmen ausgeglichen), aber dass dadurch verstärkt Depressionen und Angstzuständen ausgelöst werden sollen, scheint dann doch nicht überzeugend beweisbar zu sein.

- Die Bewältigungs-Hypothese behauptet, dass Frauen nach belastenden Ereignissen eher in Resignation, ja lähmender Miss-Stimmung verharren, dadurch den Nachteil gleichsam zementieren und die negativen Konsequenzen verlängern. Männer könnten solche Belastungen eher durch Alkohol oder Sport neutralisieren.

Diese Hypothese mag zwar manches für sich haben, doch kann man dies nicht generell auf das weibliche oder männliche Geschlecht übertragen. Hier sind die individuellen Unterschiede bei Männern und Frauen sicher größer als das gesamthaft unterstellte Reaktionsmuster (Frauen länger missgestimmt, Männer schneller wiederhergestellt).

- Die Expressivitäts-Hypothese besagt, dass Frauen sowohl negative wie positive Gefühle offener, lebhafter und unter stärkerer innerer Beteiligung schildern als Männer, ja sogar für diese Themen einen größeren Wortschatz zur Verfügung haben. Das ist tatsächlich nachweisbar. Oder auf eine Kurzformel gebracht: Frauen fühlen sich nicht schlechter als Männer, aber sie reden oder klagen mehr darüber.

Nun zeigt sich aber, dass Frauen ihren Seelenzustand nicht nur wortreicher schildern können, sondern tatsächlich stärker betroffen sind, und zwar schon ab Jugendzeit, in Einzelfällen sogar Kindheit. Dass sich Frauen im gemütsmäßigen Bereich freier und öfter auszudrücken pflegen, ist nur von Vorteil, wenn man schon häufiger betroffen ist.

- Biologische Hypothesen geben zu bedenken, dass sich beim weiblichen Geschlecht neurophysiologisch rascher Stress-Reaktionen auslösen lassen als bei Männern, dass das weibliche Geschlecht auf viele Aufgaben mit einer diffuseren, weniger umschriebenen Aktivierung des Gehirns reagiert und dass die rechte Hälfte des Gehirns, die die Gefahren wahrnimmt und Angst und Miss-Stimmung vermittelt, bei vielen Aktivitäten bei der Frau stärker angeregt wird als bei Männern.

Diese sogenannten Lateralisations-Unterschiede (rechts/links) im Gehirn sind auch entscheidend für die jeweilige Spezialisierung der Hirnhälften und damit die Eignung und Neigung, die Fähigkeiten oder Schwächen, die sich an die Hirnfunktionen knüpfen.

Einzelheiten würden hier zu weit führen, aber eines scheint festzustehen: Psychosoziale Aspekte spielen sicher eine große Rolle. Doch der biologische Hintergrund wird in dem Maße an Bedeutung gewinnen, wie wir das Gehirn und seine Funktionen immer besser verstehen lernen.

Die biologische Ausgangslage, also gleichsam das angeborene Verhaltensmuster ist ja auch eine lebenserhaltende Basis. Besonders die Angst- oder konkreter Furcht-Bereitschaft (vor etwas Bestimmten) ist ganz entscheidend, ob wir überleben oder nicht, vor allem in der Natur. Als Warn- und Alarmsignal hilft die Angst - ähnlich wie der Schmerz - auf Bedrohungen von außen und Störungen von innen aufmerksam zu machen. Nur wenn man die Gefahr kennt, kann man sie auch bewältigen. Damit ist die Angst ein lebensnotwendiger Anpassungs- und Lernvorgang. Im Grunde ist das erste, was die Natur zum Überleben verlangt, sich fürchten zu lernen. Das ist die Grundlage des Selbsterhaltungstriebes. So ist die Angst erst einmal etwas Positives. Sie ist das erste, was sich schon beim kleinen Kind registrieren und bereits nach wenigen Jahren als krankhaft veränderte Angst diagnostizieren lässt.

Und danach kommt der Vorteil, nämlich eigene und fremde körperliche und seelische Befindlichkeiten wahrzunehmen und darauf rechtzeitig zu reagieren. Sie zeigt sich besonders darin, das Problem auch sprachlich auszudrücken und damit Hilfe zu mobilisieren - eigene und fremde.

Kurz: Die biologische Hypothese ist sicher nicht der einzige Schlüssel und wahrscheinlich auch nicht das allein Entscheidende. Aber eine gute Diskussionsbasis für das Verständnis psychosozialer und biologischer Zusammenhänge im Leben - sowohl für Männer und Frauen im Allgemeinen, als auch für das weibliche Geschlecht im Speziellen.

LITERATUR

Grundlage vorliegender Ausführungen:

Cécile Ernst: Geschlechtsunterschiede bei psychischen Erkrankungen. In: A. Riecher-Rössler, A. Rohde (Hrsg.): Psychische Erkrankungen bei Frauen. Karger-Verlag, Basel-Freiburg 2001

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
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