Prof. Dr. med. Volker Faust Psychosoziale Gesundheit von Angst bis Zwang Seelische Störungen erkennen, verstehen, verhindern, behandeln |
ELTERN TRAUMATISIERTER KINDER – WAS TUN?Wie lassen sich traumatische Erlebnisse im Kindes- und Jugendalter wie sexueller Missbrauch, körperliche Misshandlung oder schwere Unfall-Folgen mildern?
Es ist richtig: Jahrtausende(!) hinweg wurde daraus kein Drama gemacht, obgleich es millionenfach ein Drama war. Gemeint ist die Traumatisierung (wörtlich: Verwundung, meist als seelische oder psychosoziale Verwundung gemeint) im Allgemeinen und – was noch viel folgenschwerer ausgehen kann – bei Kindern und Jugendlichen im Speziellen. Dass man sich erst jetzt, eigentlich erst in den letzten Jahrzehnten intensiver mit diesem Thema wissenschaftlich, diagnostisch und therapeutisch, ja sogar präventiv (vorbeugend) beschäftigt, ist natürlich kein Ruhmesblatt für die Menschheit. Es ist aber wenigstens ein Trost für diejenigen, die es erst jetzt betrifft (und zwar in der westlichen Welt, der größere Teil wird auch heute noch nicht erfasst, geschweige denn betreut). Und es ist eine alte Erkenntnis, dass vieles seine Zeit braucht, bis es greift, ja überhaupt erkannt wird. Das ist jedoch nicht nur Gleichgültigkeit, fehlender Wille oder gezielte Nachlässigkeit, es ist auch eine Frage der Voraussetzung. In technischer Hinsicht leuchtet das jedem ein, in seelischer ist es aber nicht viel anders. Wissen will erarbeitet werden, hart erarbeitet, sorgfältig geplant, lange vorbereitet, genau durchgeführt, immer wieder kontrolliert, d. h. in Frage gestellt, bestätigt oder verworfen. Und es ist natürlich auch eine Frage der Mittel, die dafür zur Verfügung gestellt werden (können). Im südamerikanischen Hochland, in Zentralafrika, in Hinterindien hat man sicher das gleiche Interesse, aber eben auch andere Sorgen. Was bleibt, ist der Respekt, ja die Hochachtung vor dem Leiden früherer Generationen, tausender von Generationen, Millionen von Betroffenen – wie erwähnt. Was sich zwingend aufdrängt, ist aber auch der Wille zur Mitarbeit, zur Hilfe, zur Unterstützung, jeder auf seine Weise, mit seinen Möglichkeiten. Und die sind nicht gering, und betreffen nicht nur Kinder- und Jugendpsychiater, Nervenärzte, Psychologen, Allgemeinmediziner, Ärzte für Kinder- und Jugendmedizin (früher Kinderärzte genannt), sondern natürlich auch Eltern, Verwandte, Bekannte, Nachbarn, Lehrer, Vorgesetzte, Mitarbeiter, Freunde, Kameraden, ja Fremde u.a.m. Je früher erkannt, je gezielter und vor allem konsequenter behandelt, desto geringer die seelischen, psychosozialen und mitunter sogar körperlichen Folgen, der Schaden bleibt halbwegs begrenzt. Doch das setzt Wissen voraus, Wissen und die Fähigkeit und den Willen, dieses Wissen auch segensreich einzusetzen. Und als erstes sich dieses Wissen auch anzueignen. Ist das ein Thema in unserer Zeit und Gesellschaft, die ihre eigenen Sorgen hat von der Arbeitslosigkeit bis zur Terrorgefahr? Ja, es ist ein Thema, selbst wenn man nur die nackten Zahlen heranzieht. Denn die dafür zuständigen Wissenschaftler, die Kinder- und Jugendpsychiater geben zu bedenken: Jeder fünfte Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren ist in seinem Leben einer bedeutsamen Traumatisierung ausgesetzt, und das in unserer vergleichsweise behüteten Gesellschaft. Wenn sich das zu einer so genannten posttraumatischen Belastungsstörung auswächst, dann haben wir ein möglicherweise sogar lebenslanges Problem. Und das soll ein bis zwei Prozent aller unter 18-Jährigen betreffen: Angstzustände, depressive Verstimmungen, Verhaltensauffälligkeiten usw. Neuerdings werden sogar entsprechende Zusammenhänge mit körperlichen Erkrankungen im Erwachsenenalter diskutiert bis hin zu neurobiologischen Veränderungen im Zentralen Nervensystem (beginnend mit einer gestörten Gehirn-Entwicklung in jungen Jahren). Sogar das Immunsystem, also das entscheidende Abwehrsystem des Organismus kann beeinträchtigt sein – mit allen Konsequenzen. Einzelheiten, vor allem was das oft langfristige und schwer durchschaubare Leidensbild anbelangt, siehe die Fachliteratur; allgemein verständlich zu dem die entsprechenden Beiträge über posttraumatische Belastungsstörungen nach Extrem-Belastung in dieser Internet-Serie. In den vorliegenden Ausführungen soll es deshalb vor allem um die Frage gehen: Was kann man tun? Dabei wird die fachliche Behandlung der posttraumatischen Belastungsstörung bei Kindern und Jugendlichen nur gestreift. Denn letztlich kommt nur ein Bruchteil der Betroffenen im Kindes- und Jugendalter überhaupt in psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung. Deshalb fordern die Experten nicht nur Früh-Erkennungsprogramme, sondern auch den Ausbau von spezifischen Behandlungsangeboten für diese Zielgruppe, z. B. in Form von Trauma-Ambulanzen. Dabei empfehlen sie vor allem die so genannte kognitiv-behaviorale, familien-orientierte Therapie als Intervention der ersten Wahl, wie das in der Fachsprache heißt. Andere psychotherapeutische Methoden wie beispielsweise die multisystemische Familientherapie oder das bekannte EMDR (Eye Movement Desinsitization and Reprocessing) werden ebenfalls diskutiert, allerdings auch kontrovers, d. h. mit unterschiedlicher Meinung, was ihre Wirksamkeit anbelangt. Über Medikamente, hier vor allem Psychopharmaka wie Antidepressiva, Tranquilizer (Beruhigungsmittel) und ggf. Schlafmittel oder so genannte Beta-Blocker gibt es überhaupt keine umfassenden Informationen. Das heißt allerdings nicht, dass sie keine Wirkung hätten, besonders in schweren Fällen und in Kombination mit psychotherapeutischer Betreuung Kurz: Die Forschung hat erst begonnen, fundierte Erkenntnisse dürften in absehbarer Zeit verfügbar sein. Die zuständigen Fachleute warten aber natürlich nicht ab, bis man es besser weiß. Sie arbeiten mit ihrem eigenen System, und das ist dann in der Regel auch in jenem Maße erfolgreich, wie es der Therapeut engagiert, gewissenhaft, vom Erfolg überzeugt (nicht unerheblich!) und mit entsprechender zwischenmenschlichter Zuwendung auch „rüber bringt“. Fast noch wichtiger aber ist die Frage: Was sollen die Eltern traumatisierter Kinder tun? An ihnen bleiben in der Regel die größte Mühsal, die meisten Aufgaben und damit die härteste Arbeit, die längste Betreuungszeit, vor allem aber die nachhaltigsten Folgen hängen. Sie sind die ersten, die eine Chronifizierung, also langfristige, im Einzelfall das halbe Leben belastende Beeinträchtigungen verhindern sollen, vor allem die bereits erwähnte posttraumatische Belastungsstörung. Wie so oft sind in diesem Fall wieder einmal die US-Amerikaner die ersten, die hier pragmatische Empfehlungen für den Alltag wirkungsvoll und damit hilfreich publizieren. Es ist die American Academy for Child and Adolescent Psychiatry (AACAP), die konkrete Tipps ins Internet stellte, und zwar schon im Jahr 2001: www.aacap.org: Talking to children about disaster). Diese Tipps waren ursprünglich für entsprechende Reaktionen auf Massen-Unglücke, Unfälle oder Schul-Schießereien konzipiert worden. Nach dem 11. September (zwei von Terroristen entführte Passagiermaschinen zerstörten die Zwillingstürme des World Trade Center in New York) wurden sie noch durch den Begriff „Terrorism“ ergänzt. Diese Tipps für Eltern traumatisierter Kinder und ihre empirischen Grundlagen fasst Frau Prof. Dr. R. Schepker, Chefärztin der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Zentrum für Psychiatrie Weissenau in Ravensburg noch einmal zusammen, nachzulesen in der Fachzeitschrift Nervenheilkunde 9 (2006) 731. Nachfolgend eine gekürzte und leicht modifizierte Übersicht dieser wichtigen Betreuungs-Hilfen:
Das traumatische Ereignis, die seelische Verwundung also, führt zu einer Erschütterung des ursprünglichen Sicherheitsgefühls, der Zuversicht mit Angst- und Verunsicherung. Das ist nicht nur belastend für den Betroffenen, es kann auch das Umfeld zermürben. Trotzdem gilt es auszuhalten, durchzustehen, Sicherheit zu vermitteln. Außerdem sollte man das zu sichern versuchen, was die Experten eine Reizschutz-Schranke nennen. Was heißt das? Jeder Mensch hat ein individuelles Filter-System eingebaut. Es schirmt ihn von der Flut der Reize ab, die täglich, stündlich, ja alle Minuten auf ihn eindringen. Einige (wenige) sind wichtig und müssen erkannt, verstanden, respektiert und beantwortet werden, und zwar seelisch, geistig, körperlich und sogar psychosozial, also zwischenmenschlich, gesellschaftlich usw. Andere wird man lediglich registrieren und speichern. Die meisten aber kann man aussortieren, sie sind nicht abzuhalten, dafür aber zu „entsorgen“, und zwar möglichst rasch und gründlich. Nun gibt es Menschen, denen diese Filter-Möglichkeit nicht oder nur unzureichend gegeben ist. Dazu gehören beispielsweise schizophren Erkrankte im Speziellen und ältere Menschen generell. Und auch Überforderung, Erschöpfung, Stress können gleichsam Lücken in dieses Filter-Netz reißen. Wenn aber diese Filterfunktion gestört ist, dann wird der Betreffende gleichsam von Reizen überschwemmt, ja fast ertränkt. Das müssen nicht einmal bedeutsame, das können auch banale, eben alltägliche sein, die aber dann eine Krankheit und damit eine existenz-gefährdende Bedrohung darstellen. Denn diese Überflutung greift das Nervensystem an; die Fachleute sprechen von einer zentralen Übererregung auf der Neurotransmitter-Ebene. Oder auf Deutsch: Die Schädigung dringt bis zur Ebene der Nervenzellen durch und beeinträchtigt unter anderem die Funktion der Botenstoffe, die aus einzelnen Nervenzellen ein ganzes Funktionssystem, einen Spezialisten-Verband im Gehirn machen. Zurück zum Alltag: Wenn ein Kind traumatisiert und auf dieser gleichsam höheren Nerven-Ebene beeinträchtigt, vielleicht schon geschädigt ist, und wenn es damit seine früheren Fähigkeiten zu verlieren droht, aus der Fülle der Umgebungs-Reize das Wichtige vom Unwesentlichen zu trennen und damit das gesamte Nervensystem durch Überlastung gleichsam zusammen zu brechen droht, dann muss diese Filterfunktion eine Bezugsperson übernehmen, gleichsam Hilfe von außen. Was heißt das konkret? Diese Person oder auch deren mehrere, wenn sie konstruktiv zusammen arbeiten können, erklären dem Kind neu(!), was gefährlich, was ungefährlich, was wichtig und was unwichtig ist. Sie schützen das kindliche Gehirn vor Überreizung und damit vor überlastenden, ggf. zerstörenden Gefühlen, vor unbeantworteten und damit ängstigenden Fragen, kurz: einem Kollaps der Lebensfähigkeit. Das ist schon deshalb wichtig und tragisch bei drohendem Verlust, weil diese Lebensfähigkeit schon einmal auf der entsprechenden Alters-Ebene errungen, stabilisiert und im Alltag bewährt war – bis zu dem alles vernichtenden Trauma.
Dieser hilfreiche Einsatz der Erwachsenen schafft die Basis für die zukünftige Vertrauensfähigkeit des Kindes. Je nach Art des traumatischen Erlebnisses, vor allem aber bei Gewalt, sexuellem Missbrauch u. a. ist ja dieser Glaube an die Erwachsenen-Welt schwer erschüttert worden. Jetzt muss er neu erarbeitet werden, und zwar von eben dieser hilfreich einspringenden Erwachsenen-Warte aus. Gefordert ist also das mutige, offene, gerade und ehrliche Eingehen und Umgehen des Erwachsenen/der Erwachsenen mit der kindlichen Überforderungs-Situation nach dem Trauma. Oder kurz: Es gilt das (alte) Vertrauen wieder herzustellen. Das Kind muss den Glauben an die Halte- und Schutzfunktion der Erwachsenen zurück gewinnen können. Dabei soll man sich ruhig realen Geschehnissen, Anforderungen, Diskussionen, der Skepsis oder gar der Verteidigungs-Strategie der anderen Seite (man denke nur an den erwähnten sexuellen Missbrauch) stellen. Realität hat schon aus sich heraus eine so genannte Re-Orientierungsfunktion, ein sich erneut Einbringen, Einordnen und eigenständig Positionieren in der Welt zur Folge. Deshalb soll sich das Kind – sofern es dem geistig, alters- und bildungsmäßig gewachsen ist -, ruhig mit den realen Konsequenzen aus dem Trauma auseinandersetzen dürfen. Beispiele: Was passiert an Strafverfolgung, was an Versicherungsleistung, wann ist mit Wiedergutmachung zu rechnen, welche Schäden werden bleiben usw.
Der antike Arzt Hippokrates, bekannt durch den Hippokratischen Eid der Ärzte, sagte schon vor rund 2.500 Jahren: „Für was man Worte hat, darüber ist man schon hinweg“. Das setzt aber voraus, dass man diese Worte an jemand richten kann, seine Gefühle, Gedanken, seine Vorwürfe und Unsicherheit mit anderen schultern darf, ja muss. Dieses Mitteilen-Dürfen heißt ja auch, dass man die Last mit anderen teilen kann. Das macht sie erträglicher, jeder weiß es. Normalerweise lassen sich alle bedeutsamen Informationen als Erinnerung speichern, in einem inneren, geistigen Prozess verarbeiten und bewältigen und später dann auch in die entsprechenden Worte fassen. So läuft es üblicherweise, beim Erwachsenen wie beim Kind, wenngleich bei letzterem auch mit seinen alterstypischen Worten. Die Erinnerungen nach einem Trauma sind dagegen ganz anders gelagert: Sie bestehen aus unzusammenhängenden Bildern, zu denen mitunter sogar überhaupt keine Begrifflichkeit gebildet werden kann. Oder kurz: man ist sprachlos. Hier wird es besonders schwierig, das Geschehene in Worte zu fassen, ganz abgesehen von der kindlichen Sprache bzw. ihrer Ausdrucks-Begrenztheit. Das muss der erwachsene Helfer in Rechnung stellen, also sowohl das Sprach-Niveau (jedem einsichtig) als auch die einer konkreten Schilderung oft nicht zugängliche traumatische Belastung. Will man also mit dem Opfer in einen Dialog eintreten, muss man sich selber um kind-gerechte Worte bemühen, vor allem was das verwirrende Trauma-Geschehen anbelangt.
Wir haben gehört: Traumatische Erlebnisse, und dies noch in der Kindheit und Jugend, werden vor allem als unzusammenhängende „Katastrophen-Bilder“ gespeichert, für die man nicht einmal Worte finden kann – eine besonders belastende Situation. Und wir haben gehört, dass die betreuenden Erwachsenen sich um so genannte Verbalisations-Hilfen bemühen müssen, d. h. dem Kind zu helfen, etwas in seinen Worten auszudrücken – und damit konkrete Erinnerungsstrukturen zu bilden. Das ist ein wesentlicher Schritt zur Vermeidung der gefürchteten posttraumatischen Belastungsstörung. Es ist übrigens interessant und therapeutisch wegweisend, dass vor allem Kinder zwischen 19 und 48 Monaten (umgerechnet also zwischen eineinhalb und vier Jahren) im Rahmen einer solchen Extrem-Belastung besonders viele Wieder-Erlebens-Symptome zeigen, mehr als bei Jüngeren und auch älteren Kindern. Hier fällt also die wesentliche Zeit des Sprach-Erwerbs und der sprachlichen Differenzierung mit dem belastenden Ereignis zusammen – eine besonders heikle Kombination. Für den Erwachsenen gilt es deshalb die Fragen, die in der Regel immer wieder kommen, auch wiederholt geduldig zu beantworten. Dies dient nicht nur der Psychohygiene, wie das die Experten nennen, es unterstützt auch die Verbalisations-Bemühungen des Opfers, also den Versuch, das unfassbare in fassbare Worte zu kleiden. Eine doppelte Aufgabe für die Betreuer.
Erwachsenen ist oft nicht bekannt, dass Kinder anders trauern, mahnen die Experten. Sie haben einen anderen Bezug zu ihrer Umwelt und entwickeln dann auch eine andere Betroffenheit. Der Bezug beispielsweise zu Naturgewalten und entsprechenden zerstörerischen Ereignissen ist noch eher kindlich personen-zentriert, gleichsam personifiziert. Man schaue nur einmal Kinderbücher, vor allem Märchen an und weiß dann, wie Feuer, Sturmflut, Orkane u. a. dargestellt werden (müssen), um dem kindlichen Geist das Geschehene erst einmal auf dieser Ebene nahe zu bringen. Das wird ja dann auch in ihren (Schreckens-)Träumen deutlich. Das alles führt dazu, dass Kinder Wut, Rache-Gedanken und Aggressionen ganz anders äußern wie Erwachsene. Auch Schuldgefühle können aus der Erwachsenen-Sicht völlig unangemessen sein, aus der kindlichen nicht, was zum Verstehen auffordert. Eine zentrale Frage in dieser kindlichen Personifizierung des Täters schlechthin, wozu also auch Naturgewalten gehören, ist die, ob die Ursache (also Mensch, Technik oder Natur) so etwas „extra“, also absichtlich, mit vollem Willen gemacht habe. Hier – so die Experten – könnten Wut, Ärger, Trauer oder Schuldgefühle auf die „böse Absicht“ abgeleitet und dadurch das Gute oder Schlechte in dieser Welt verständlicher eingeordnet werden. Wir wissen, dass Kinder nach Traumatisierungen sehr oft ein ausgeprägtes oppositionelles und aggressives Verhalten zeigen können und dies in der Regel umso intensiver, je mehr das Geschehen mit absichtlicher Gewalt verknüpft zu sein scheint. Zufall und unglückliche Zusammenhänge sind das eine, böse Absichten das andere. Und um hier das Letztere zu neutralisieren, ist obige Strategie mitunter recht erfolgreich.
Wer sich in unrealistische Vertröstungs-Versuche flüchtet, bezahlt mit einem Vertrauensverlust des betroffenen Kindes. Was nicht mit der Realität in Einklang zu bringen ist, muss auch als solches benannt und akzeptiert werden. Traumen sind in ihrem Realitätsgehalt für das Kind unabweisbar und können durch „Weg-Trösten“ nicht überspielt werden. Nur die realistische Betrachtung, die ja ganz wesentlich über die Wahrnehmung der aktuellen Realität befindet, hat auf Dauer den ersehnten Erfolg. Oder kurz: Keine unrealistischen Versprechungen oder Versicherungen abgeben, die mit der Wahrheit dann nicht deckungsgleich gemacht werden können.
Non-verbal heißt ohne Worte, also über andere, nicht-sprachliche zwischenmenschliche Kanäle – und in diesem Fall also kindliche Ausdrucksformen. Sie haben in diesem Alter die gleiche Funktion wie die Verbalisation, das In-Worte-Fassen. Diese non-verbalen Wege drücken die inneren Welten des Kindes genauso gut aus und vergegenständlichen sie, machen sie handhabbar, wie die Experten es nennen. Oder auf Deutsch: Man kann auch ohne Worte Verbindung aufnehmen, Ideen und Gefühle austauschen, Ängste abbauen, Trauer mildern. Die Fachleute für Gehirn-Physiologie, also die Neurophysiologen, Neuroanatomen u. a. unterstützen diese Erkenntnis aus ihrer Sicht: Bilder, Gesang und Gegenständliches werden im Gehirn anders repräsentiert als Worte. Wenn man also ohne Worte vorgeht, aktiviert man andere Tätigkeitsfelder in der Gehirnrinde und schafft damit neue geistige und gefühls-bedingte Verarbeitungs-Prozesse. Und ein neues Gleichgewicht gegen die traumatischen Bilder, gleichsam Abwehr auf mehrere Ebenen von Gehirn und damit menschlichem Empfinden. Konkret bieten sich dabei vor allem gruppen-therapeutische Interventionen mit Gestaltungs-Elementen an, wie die Experten es nennen, d. h. Malen und Spielen als wesentliche Unterstützungsfunktionen im Rahmen traumatischer Erlebnisse. Das ist vor allem für jene Helfer wichtig, die Opfer aus anderer kultureller Herkunft und damit Muttersprache zu betreuen haben.
Oft stellt sich für die Helfer auch die Frage, wie sie mit ihren eigenen Gefühlen umgehen sollen, also kontrolliert oder mitteilend. Als erstes gilt es positiv getönte Halte-Funktionen in die Erwachsenen-Kinder-Beziehung einzubringen. Das ist eine gute Basis.
Dann dürften die Erwachsenen aber auch eigene Gefühlsäußerungen zeigen, wenngleich wiederum kontrolliert und damit dosiert. Beispiele: Trauer um einen Verstorbenen oder Wut auf einen Vergewaltiger. Dies vermittelt dem Kind einerseits ein Vorbild an kontrollierter Affektivität (Gemütslage) und andererseits die Erlaubnis, eigene Gefühle nicht zu vertuschen oder gar abzuspalten (und damit der Gefahr psychosomatischer Äußerung auszusetzen, d. h. seelisch Unverarbeitetes quält dann körperlich, ohne organischen Grund). Jetzt kann nämlich das Kind auch seine eigenen Gefühle zeigen, ohne Angst zu haben, den Erwachsenen zuviel zuzumuten oder sich selber bloß zu stellen. Der Fachbegriff für diese konstruktive Gemeinsamkeit gezeigter Emotionen heißt „antwortende Gefühle“ oder auf Deutsch: „Wenn das Trauma eine zentrale Stellung im Leben einnimmt, hat es auch Vorrang“.
So genannte Vermeidungs-Haltungen, also letztlich Belastendem ausweichen, sich nicht stellen, gehören zu den neurotischen Entwicklungen, wie man dies früher nannte – und das mit bisweilen schwerwiegenden Langzeit-Folgen. Kinder zwischen zwei und sechs Jahren zeigen noch wenig Vermeidungs-Verhalten. Das darf man in seine Betreuungs-Strategie einkalkulieren. Konkret heißt dies beispielsweise, dass sie durchaus an Krankenhaus-Besuchen, ja Beerdigungen teilnehmen dürfen, ja sollen. Dies allerdings grundsätzlich mit einer individuell unterstützenden Begleitung. Allein lassen mit dem Ereignis darf man sie nicht. Auch sollte man die Bilder von Verstorbenen nicht weglegen oder gar verstecken, sondern durchaus für das Kind zugänglich halten. Es empfiehlt sich aber Bilder von Verstorbenen aus der Zeit guter und gesunder Erinnerungen zu bevorzugen. Bilder im Rahmen einer schweren Erkrankung des Verstorbenen oder gar kurz vor dem Tode entwickeln eine eigene Belastung, die man vermeiden sollte. Man darf, man muss sich also auf Bilder aus schönen Tagen beschränken. Wie steht es aber mit so genannten trauma-assoziierten Bildern, also die unmittelbar mit der seelischen Verwundung, dem Schock, der Trauer verbunden sind? Auch sie sollten nicht vernichtet werden, aber nur gemeinsam und am besten auf Verlangen des Kindes zur Betrachtung mit begleitenden erläuternden und stützenden Gesprächen freigegeben werden.
Veränderungen im Alltag, was heißt das? Man stelle sich einfach einmal die Ursachen einer Traumatisierung vor, zum Beispiel Naturgewalten, technische Bedrohung, aber auch menschliche Gewalt. Man weiß, dass Natur und Technik im negativen Sinne weniger belasten als wenn es sich um einen bedrohlichen Mit-Menschen handelt oder gar deren mehrere, vielleicht sogar noch aus dem engeren Bekannten- oder Verwandten-Kreis. So etwas führt nach der Tat oder zur vorbeugenden Abwehr zu entsprechenden Konsequenzen, vor allem im Alltag. Das zieht Veränderungen nach sich, die dem Kind nicht unbedingt und vor allem auch nicht unmittelbar nachvollziehbar sind. So muss nach Zerstörung der Wohnungseinrichtung an eine Neuanschaffung gedacht werden. Das muss man erklären, das erklärt sich nicht zwingend von selbst. Oder Einkommensverluste nach Unfalltod oder Suizid eines Elternteils mit unmittelbarer Auswirkung auf die materielle Lage einer Familie. Auch das wird nicht in allen Bereichen von selber verständlich, detaillierte Erklärung tut Not. Oder Behinderungen infolge von Gewalteinwirkung, die die für andere selbstverständlichen Möglichkeiten im eigenen Fall beschränken, vielleicht sogar völlig zunichte machen. Beispiele: Die einen Kinder gehen lustig lachend in Kindergarten oder Schule, die anderen müssen bewacht werden, immer neue Routen nutzen, sind ständig einem nervösen Umfeld ausgesetzt. Das muss man erklären. Oder zusätzliche Sicherungsmaßnahmen, z. B. neue Wohnungsschlösser, neue Telefonnummern, das Vermeiden von belastenden oder bedrohlichen Begegnungen, alles einengende Auswirkungen, die andere nicht haben. Also erklären.
„Routine“, besser als immer wiederkehrende Tagesabläufe und Rituale bezeichnet, sind vor allem für kleine Kinder verlässliche Rahmenbedingungen des Lebens. Sie erhöhen das Sicherheitsgefühl und wirken – wie die Experten es ausdrücken – pädagogisch protektiv, also letzten Endes nicht mehr erziehend, sondern beschützend. (Das Gleiche finden wir dann wieder beim anderen Alters-Pol, beim älteren Menschen.) Einer der wichtigsten Tages- bzw. Nacht-Strukturen ist der Schlaf, der vor allem für das kindliche Gehirn von größter nicht nur aufbauender, sondern regenerativer Bedeutung ist. Gerade bei traumatisierten im Allgemeinen und „verwundeten Kindern“ im speziellen ist der gestörte Schlaf fast die Regel. Also muss man nicht nur die äußeren Bedingungen sichern, sondern auch die alten Ritualisierungen (Schlaf-Zeremoniell u. a.) garantieren und fördern. Aber auch sonst sind die großen drei R’s: Rollen-Regeln-Routine von entscheidender Bedeutung (und zwar nicht nur für autistisch völlig in sich selbst versunkene kleine Patienten mit ihrer ausgeprägten Veränderungs-Angst). Sie sind ein wichtiges Korsett zur inneren und äußeren Stabilisierung. Das was die Fachleute eine Rollen-Klarheit nennen, das dient der Verlässlichkeits-Erfahrung, oder auf Deutsch: Was da kommt oder auch nicht ist bekannt, passt ins vertraute Bild, irritiert nicht, ängstigt nicht, zehrt nicht an den Reserven. Und dasselbe für Regeln, die die kindliche Orientierung sichern und die Gewähr, dass „richtig und falsch“ weiterhin gelten. Über die Routine siehe oben. Dies alles festigt die Struktur-Hilfen im Alltag und vermittelt damit beruhigende Sicherheit. Die drei RRRs sind eine alte pädagogische Erkenntnis und vor allem wesentliche Säulen der kinderpsychiatrischen Milieutherapie.
Kinder trauern anders als Erwachsene. Das weiß zwar jeder, hat aber nicht immer Eingang in Verständnis und Ablauf des Alltags gefunden. Zu diesem anders gelagerten Trauer-Verhalten gehören auch „unrealistische reparative Phantasien“, wie es die Experten nennen. Ja, sie entsprechen nicht der Wirklichkeit, sind aber trotzdem der inneren Stabilisierung und damit Genesung förderlich, also reparativ. Deshalb sollten Sie von den Erwachsenen auch nicht „zerredet“ werden. Nun wurde aber auch schon auf die Bedeutung der Realität, auch der ggf. belastende Wirklichkeit hingewiesen, die es zu erkennen, zu verstehen, zu bewältigen gilt, wenn auch gemeinsam, unter Anleitung und Stützung der Erwachsenen. Schließt sich das aus mit den unrealistischen Kinder-Phantasien? Nur scheinbar. Denn das Erklären und Beantworten von Fragen auf der Basis dieser kindlichen Bewältigungsformen kann problemlos parallel zur Realität ablaufen. Die daraus erwachsenden Widersprüchlichkeiten werden gerade von Kindern gut verkraftet, da man in diesem Alter problemlos zwischen Haupt- und Neben-Realitäten unterscheiden kann. Das setzt allerdings eine gesunde Basis voraus. Seelisch Kranke oder durch die posttraumatische Belastungsstörung schwer beeinträchtigte Kinder haben hier nachvollziehbar mehr Probleme. Ansonsten ist den Erwachsenen empfohlen, sich durchaus mit diesen parallel laufenden Haupt- und Neben-Realitäten abzufinden, ja, sie in ihre eigene Stütz-Funktion einzubeziehen. Das Kind aus dieser, seiner ihm zustehenden kindlichen Denkweise herauszureißen (und damit förmlich zu kompromittieren, also bloß zu stellen) ist ein Fehler. Man weiß, dass auch die „normale“ Trauer von Kindern eher der krankhaften Trauer der Erwachsenen ähnelt. Beispiele: schnelle affektiv (gemütsmäßig) wechselnde Zustände, unrealistische Phantasien, inadäquate affektive Äußerungen u. a. Hier gehören auch so genannte Omen dazu, also magische Vorzeichen oder Vorboten als durchaus kind-gerechte, ja kinder-typische Bewältigungsformen nach Traumatisierung. So ist es nicht ungewöhnlich, dass sich traumatisierte Kinder ein solches Omen oder gar mehrere Omina in ihrer Phantasie ausbilden, was dann von weiteren Traumata in der Zukunft warnen soll. Natürlich ist das eine magische, für Erwachsene unrealistische Denkweise und Abwehr-Funktion, es kann aber dem Kind durchaus ein wünschenswertes Sicherheitsgefühl im Alltag vermitteln. Man darf es also erst einmal – ruhig beobachtend – so belassen. Sollte diese magische Denkweise „ausufern“, kann man immer noch behutsam steuernd eingreifen. Auf jeden Fall gilt die alte kinderpsychiatrische Erkenntnis: dem Kind die eigenen Abwehr-Funktionen und Bewältigungs-Strategien belassen.
Die Schule nimmt nicht nur zeitlich einen breiten Raum im Alltag des Kindes ein, auch inhaltlich, formal, prägend, und zwar sowohl durch Mitschüler als auch Lehrkräfte. Wenn man letztere in die Betreuung einbezieht, was überaus wünschenswert sein kann (wenn auch im Einzelfall nicht sein muss), dann müssen die Lehrer in das Betreuungs-System eingebunden werden. Dazu gehört auch, sie über mögliche dissoziative Phänomene aufzuklären, die den Unterricht oder zumindest die Aufmerksamkeit stören können. Beispiele: Traumatisierte Kinder träumen offensichtlich „dauernd“ im Unterricht und sind nicht selten „in einer anderen Welt“ zu Hause. Für einen unaufgeklärten Lehrer passt das Kind also ständig nicht auf. Das ist ärgerlich und führt normalerweise zu entsprechenden Konsequenzen. Ein traumatisiertes Kind hat hier aber einen gewissen Freibrief. Auch muss der Lehrer wissen, dass auf bestimmte Themen aversive Reaktionen folgen können, wie die Fachleute es ausdrücken. Unbelastete Kinder können damit problemlos umgehen. Wer aber dabei schon einmal Schaden genommen hat und gerade damit kämpft, trotz dieser Traumatisierung wieder seine seelische Stabilität zu erlangen, kann aversiv reagieren, also mit Abneigung, Widerwillen, in diesem Fall vertrotzt erscheinenden Reaktionen, am harmlosesten durch Vermeidung von Thema oder (geforderter) Handlung. Dabei ist die so genannte assoziative Verknüpfung nicht immer so offensichtlich, wie man sich das „gerne“ vorstellt. Ein Beispiel: Die Panikreaktion auf rote Farbe nach Erleben eines Verletzungs-Traumas mit viel Blut ist nachvollziehbar. Es kann aber alle möglichen Szenen und Gegebenheiten geben, die zum Auslöser werden, ohne dass dem Außenstehenden hier eine inhaltliche Verbindung deutlich wird, ja zumeist dem Betroffenen selber nicht einmal. Schließlich kann auch schulischer Leistungsabfall zum Problem werden. Denn das Opfer ist absorbiert mit einer Vielzahl von Beeinträchtigungen, wie der Leser dieser Zeilen inzwischen weiß. Es ist überschüttet, überflutet, es ertrinkt in Gefühlen, die die anderen als unnötig, nicht belastend, harmlos oder einfach nicht vorhanden einstufen dürfen. Wer aber so erdrückt wird, hat kaum mehr Reserven für andere Aufgaben verfügbar. Außerdem haben sich Kinder mit einer posttraumatischen Belastungsstörung einen „kognitiven Stil des Vergessens“ angeeignet, wie das in der Fachsprache heißt. Oder auf Deutsch: Das willentlich zwar unabsichtigte (weil natürlich im Alltag störende, siehe Schule), unbewusst aber zur psychischen Stabilisierung herangezogene innerseelische Vergessen mag zwar zur Bewältigung des Traumas sinnvoll sein, ist aber im Bedarfsfalle nicht problemlos umzuschalten und stört deshalb die geistige Aufnahmefähigkeit, Konzentration, kognitive Aktivität (vom lateinischen: cognoscere = erkennen). Das trifft übrigens nicht nur Kinder, die schon vorher Probleme in der Schule hatten, das trifft auch begabte, gute Schüler und ist unabhängig vom Niveau der (früheren) Schulleistungen.
Flash backs sind jederzeit möglich. Dieser Fachbegriff (wörtlich übersetzt: „Rück-Blitz“) wird sowohl in der Rauschdrogen-Szene und auch von den dortigen Therapeuten benützt als auch neurosen-psychologisch im Rahmen der Traumatisierung. Gemeint ist eine Rückkehr früherer traumatischer Erinnerungen. So kann es bei einer aktuellen Belastung nicht nur zu neuen Reaktionen kommen, es ist auch die Wiederbelebung alter seelischer Verwundungen möglich, also gleichsam eine Verdoppelung oder noch schlimmer, eine vielfache Potenzierung. Das ist auch dann gegeben, wenn die voran gegangene Belastung scheinbar verarbeitet war, auf jeden Fall aber wenn sie nur verdrängt worden ist. Dieses Phänomen hat auch eine biologische Grundlage im Gehirn, die Experten sprechen von einer „veränderten Neurotransmitter-Balance“; Neurotransmitter sind die Botenstoffe im Gehirn, die dieses entscheidende Zentral-Organ überhaupt erst funktionstüchtig machen, grob gesprochen: der Energieträger. Die biologischen, konkret psycho- und neuro-physiologischen Ursachen sind noch nicht völlig geklärt, eines aber lässt sich schon heute erkennen: Durch die Veränderung oder Schwächung dieses zentralnervösen Gleichgewichts sinkt die innere Trauma-Schwelle“ und alte Erinnerungen können plötzlich wieder weitgehend ungehindert durchbrechen. Kurz: Mit früheren traumatischen Erinnerungen ist jederzeit zu rechnen, auch wenn die Auslöser dem Umfeld (oft auch den Betroffenen selber) nicht nachvollziehbar sein sollten.
Biologisch leichter nachvollziehbar, d. h. psycho- und neurophysiologisch gut erklärbar sind die verstärkten, vielleicht sogar überschießenden körperlichen Reaktionen. Das betrifft Schlaf und Appetit, Herz-Kreislauf u. a. auf der einen sowie seelische bzw. geistige Aspekte auf der anderen, z. B. Aufmerksamkeit, Konzentration, Stimmung. Gerade das vegetative Nervensystem, also die nicht willentlich steuerbaren Organ-Funktionen, sprechen ganz besonders auf seelische Beeinträchtigungen an, und zwar in einer Form, die den Betroffenen völlig neu und verwirrend ist. Im Kindesalter äußert sich das vor allem in Bauchschmerzen, Appetitmangel, Ein- und Durchschlafstörungen, Kopfschmerzen u. a. Häufig findet sich die posttraumatische Belastungsstörung auch mit Ess-Störungen verbunden. Und einer Vielzahl von so genannten Somatisierungsstörungen, früher psychosomatische Beschwerden genannt, also seelische Beeinträchtigungen, die nicht verarbeitet werden konnten und sich deshalb körperlich äußern, ohne dass der Facharzt eine Organ-Schädigung feststellen kann. Glücklicherweise sind es vor allem die körperlichen Krankheitszeichen, die einen guten Einstieg für die korrigierende und stützende Hilfe durch Erwachsene vermitteln. Denn die Kinder sind ratlos, was ihre Beschwerden anbelangt und dankbar für entsprechende Betreuung, wobei man dann auch behutsam auf die seelische Ursache zu sprechen kommen kann.
Je nach Auslöser der Traumatisierung (man denke nur an Unfälle, Brände, Sturmfluten, von Amok u. a. ganz zu schweigen) sind natürlich auch lokale Rettungsdienste einbezogen worden: Polizei, Feuerwehr, Technisches Hilfswerk, Sanitäter, aber auch Stadtverwaltung, ggf. bis rauf zum Bürgermeister u. a. Nun trägt es nach Meinung der Experten sogar erfolgreich zur Bewältigung der Traumatisierungs-Folgen bei, wenn man zu diesen Institutionen aktiv Kontakt sucht und hält. Letztlich geht es um Möglichkeiten und Grenzen dieser Dienstleister, vermittelt ein realistisches Bild über deren Aufgaben, versachlicht das Problem, ja fördert regelrecht die regenerativen Kräfte, auch und vor allem in einem Kind, wenn es beispielsweise die Technik erklärt bekommt und damit gleichsam in eine Gesamt-Aufgabe integriert ist. Wie kann dies geschehen? Beispielsweise in Form von Besuchen, Diskussionen, aber auch Briefen (durchaus auch Leserbriefe an die Lokalpresse) usw. Das hat mehrere Effekte, geben die Experten zu bedenken: Zum einen entlastet diese gezielte Lokalisation der zuständigen Verantwortung zunächst einmal von anfälligen eigenen Schuldgefühlen (und die sind gar nicht selten, auch und vor allem bei Kindern). Man denke nur an das tragische Ereignis, dass der eine gerettet werden konnte, der andere zu Tode kam. Darüber hinaus ist der Kontakt zu Gleichbetroffenen und damit ggf. die Solidarisierung im Leid durch das Äußern innerer Bedrängnis, den Kontakt nach außen, zu Institutionen und deren Vertretern, ein Beitrag zum innerseelischen Schutz (wie erwähnt, als Fachbegriff „protektiv“ genannt).
Regression (vom lateinischen: regredi = zurückgehen, zurückkehren) ist ein Rückschritt in frühere Entwicklungsstufen. Konkret das Wiederauftreten von entwicklungsmäßig früheren (infantilen, kindlichen) Verhaltensweisen. In diesem Fall beispielsweise Anklammern, Schutz suchen, nicht mehr alleine schlafen können u. a. Natürlich kann man das als „kindisch“, unwürdig, schädlich usw. deklassieren, aber das wäre in diesem Falle falsch. Das gezielte pädagogische „Bekämpfen“ dieser Phänomene im Sinne einer falsch verstandenen Bewältigungsstrategie oder Förderung innerseelischer Stabilisierung kann sogar zusätzlich schaden. Bei Kindern und Jugendlichen wird nämlich die Fähigkeit zur Regression als durchaus produktives Phänomen im Dienste einer möglichen Bewältigung verstanden. Oder kurz: Es ist verständlich, sinnvoll, positiv (wohl gemerkt in diesem Alter und unter diesen Bedingungen), sofern es nach einiger Zeit wieder abklingt. Wenn es bleibt, möglicherweise bis ins Erwachsenenalter, ändert sich natürlich diese Einschätzung. Kleinere Spuren können aber sehr wohl übrig bleiben. Im Allgemeinen aber wird man dieses plötzliche Kindsein nach Traumatisierung nicht als krank einstufen und erst einmal akzeptieren.
Wenn das Beschwerdebild einer posttraumatischen Belastungsstörung sich nicht bessern will, gilt es den zuständigen Facharzt zu konsultieren, d. h. Kinder- und Jugendpsychiater sowie -Psychologen. Sonst kann tatsächlich eine „andauernde Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung“ drohen. Das ist nicht so selten und hat deshalb auch zu einer internationalen Anerkennung dieses Krankheitsbildes geführt, beispielsweise durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in ihrer Internationalen Klassifikation psychischer Störungen – ICD-10. Deshalb auch die Mahnung der Experten: Da eine Früh-Intervention, d. h. innerhalb eines Jahres nach Traumatisierung, die Behandlungsergebnisse verbessert, sollten keine Wartezeiten in Kauf genommen werden. Oder kurz: Hier sollte man das „Prinzip Hoffnung“ nicht überstrapazieren. Zu früh hat in diesem Fall noch nie geschadet; eine fachliche Betreuung oder zumindest Beratung wirkt dagegen beruhigend. Schlussfolgerung Ist die Diskussion um Traumatisierungen, also seelische Verwundungen nach schwerem Unfall, körperlicher Misshandlung, sexuellem Missbrauch u. ä. ein überstrapaziertes Thema unserer Zeit und Gesellschaft?, hieß es in der Einleitung. Die Antwort dürfte inzwischen deutlich geworden sein: Man muss dieses Phänomen individuell beurteilen. Dabei sollte man allerdings nicht die Maßstäbe eines Erwachsenen anlegen. Das ist nicht nur unkritisch, vielleicht sogar überheblich, es kann auch mittel- bis langfristig Probleme aufwerfen, d.h. das halbe Leben überschatten. Wer aber möchte diese Verantwortung auf sich nehmen. Deshalb gilt es im Bedarfsfalle die Empfehlungen der Experten zu studieren und mit der jeweiligen Situation zu vergleichen. Und nicht nur mit der Situation, auch mit der Wesensart des Betroffenen. Und da man hier in der Regel weniger Einblick hat, als man zumeist irrtümlich annimmt, kann – wie erwähnt – der Rat eines Experten nicht schaden. Ob sich daraus bestimmte Konsequenzen ergeben, zeigt der weitere Verlauf. Auf jeden Fall muss man sich dann nicht Gedanken machen, hier etwas versäumt zu haben oder gar (mit-)schuldig geworden zu sein. Literatur Früher eher vernachlässigtes, heute als bedeutsam erkanntes Kapitel wissenschaftlicher Forschung und kinder- und jugendpsychiatrischer bzw. -psychologischer Diagnose, Therapie und Prävention. Die wachsende Zahl von Publikationen und inzwischen auch Fach-Büchern wird langsam durch allgemein verständliche Sach-Bücher ergänzt. Dies aber bisher überwiegend in englischer Sprache. Weiterführende wissenschaftliche und praktische Hinweise bei den erwähnten Experten und ihrer Fach-Literatur beispielsweise in der erwähnten Publikation, die Grundlage dieses Beitrages ist. |
|||
Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise. |