ZUM THEMA: Gewalt gegen Ältere
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Th. Görgen (Hrsg.):
SICHERER HAFEN ODER GEFAHRVOLLE ZONE?
Kriminalitäts- und Gewalterfahrungen im Leben alter Menschen
Verlag für Polizeiwissenschaft – Prof. Dr. Clemens Lorei, Frankfurt 2010. 649 S., € 69,00.
ISBN 978-3-86676-114-8
Landespräventionsrat Nordrhein-Westfalen (Hrsg.):
GEWALT UND VERNACHLÄSSIGUNG GEGENÜBER ALTEN MENSCHEN
Entstehungsbedingungen und Wege wirksamer Prävention
Verlag für Polizeiwissenschaft – Prof. Dr. Clemens Lorei, Frankfurt 2010. 438 S., € 32,90.
ISBN 978-3-86676-124-7
Wir werden immer älter. Das ist eine Gnade, an die wir uns öfter dankbar erinnern sollten. Wenigen Generationen vor uns war derlei nicht vergönnt, von früheren Jahrhunderten ganz zu schweigen. Uns geht es auch im höheren Alter besser, d. h. wir leiden keine Not und leben in gesicherten Verhältnissen. Manche Wünsche mögen noch offen sein, aber jeder guten Willens wird dies bestätigen müssen.
Natürlich nehmen mit steigendem Alter auch die Beschwerden, Funktionsstörungen und Krankheiten zu. Das ist naturgegeben, wenngleich im Einzelfall durchaus leidvoll. Aber auch hier wieder: siehe oben. Und was reale Sicherheits-Aspekte im Alltag anbelangt, so schauert es uns nur vor früheren Zeiten und ernüchternden Bedingungen in anderen Regionen dieser Erde, wie sie uns die Medien jeden Tag vermitteln. Darauf basieren natürlich so manche Ängste, die wir uns im 3. oder 4. Lebensalter eigentlich schenken könnten – eine selektive Wahrnehmungs- bzw. Medien- oder Informations-Auswahl vorausgesetzt. Und wenn es möglich wäre, die altersbedingte erhöhte Furchtsamkeits-Disposition etwas erfolgreicher in den Griff zu bekommen. Aber beides ist nur begrenzt realisierbar.
Darüber hinaus gibt es aber auch eine Entwicklung, die zu mehrschichtigen und vor allem interdisziplinären Untersuchungen zur Frage „Kriminalität und Gewalt im Leben alter Menschen“ anregt. Oder konkret: Viktimisierungs-Erfahrungen älterer Menschen im alltäglichen Wohn- und Lebensumfeld - eine Opfer-Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen mit Förderung durch das Bundesfamilien-Ministerium in vergleichendem zeitlichen Abstand von 10 Jahren. Der Schwerpunkt liegt auf zwei Bereichen: 1. Sicherheitsgefühl und Kriminalitätsfurcht im öffentlichen und privaten Raum in unterschiedlichen Lebensphasen und 2. Im Kontext häuslicher Pflege.
- Diese interessante und in ihren Ergebnissen dann doch nachdenklich stimmende Studie liegt jetzt in einem ausführlichen Band zur Einsicht und Schlussfolgerung vor (sicherer Hafen oder gefahrvolle Zone?). Diese Erkenntnisse betrafen vor zehn Jahren ein Fünftel und inzwischen ein Viertel der bundesdeutschen Bevölkerung, nämlich ab dem 60. Lebensjahr. Das wird kontinuierlich zunehmen, vor allem im Bereich der Hochaltrigen (also ab 80). Das sind vermutlich auch die Verwundbarsten, und zwar nicht nur seelisch, sondern auch körperlich, psychosozial und ggf. sogar wirtschaftlich.
Zwar gibt es dazu einen allgemeinen Trend, der von einem Rückgang der Gefährdung mit wachsendem Alter spricht. Umgekehrt werden im Bereich der Eigentums- und Vermögens-Kriminalität zunehmend und gezielt ältere Menschen zum Oper: z. B. der so genannte „Enkel-Trick“, bei dem eine Verwandtschaftsbeziehung und eine finanzielle Notlage vorgetäuscht und vielfach beträchtliche Summen betrügerisch erbeutet werden. Oder der „Stadtwerke-Trick“, bei denen unter dem Deckmantel einer professionellen Identität Zutritt zur Wohnung des Opfers erlangt, diese abgelenkt und um Bargeld und Wertgegenstände beraubt werden.
Trick-Diebstähle nehmen vor allem jenseits des 80. Lebensjahres zu, insbesondere bei alleinlebenden hochaltrigen Frauen. Dazu gehört beispielsweise auch das Simulieren von Hilfe-Bedarf (Zettel-, Wasserglas- oder Nachbarschafts-Tricks), das Vortäuschen einer Verwandtschafts- oder Bekanntschafts-Beziehung zum Opfer (wie beim so genannten Enkel-Trick) oder einer bestimmten beruflichen Funktion (wie beim erwähnten Stadtwerke-Trick). Täter (und Täterinnen!) konzentrieren sich auf Privatwohnungen, möglichst in Ein-Personen-Haushalten lebende Hochaltrige.
Dies als Warnung beispielsweise in ausführlichen Darstellungen im vorliegenden Sammelband.
Ein eher verschämt „unter der Decke“ gehaltenes Problem sind die z. T. gravierenden, vor allem in hohem Maße verfestigten Formen von Gewalt in Partnerschaften älterer Menschen untereinander. Und die Viktimisierung älterer Pflegebedürftiger in häuslichen Pflege-Konstellationen. Auch hier umfangreiche Informationen in diesem empfehlenswerten Band, der für eine offenbar immer breiter werdende Interessen-Gruppe von Bedeutung sein dürfte.
- Eher für einen spezialisierten Bereich der zweite Tagungsband über Gewalt und Vernachlässigung gegenüber alten Menschen – Entstehungsbedingungen und Wege wirksamer Prävention, herausgegeben vom Landespräventionsrat Nordrhein-Westfalen. Bei diesem internationalen Symposium, unterstützt von der Europäischen Kommission, ging es ebenfalls um Vernachlässigung, Gewalt, Misshandlung u. a. von älteren Menschen vom Privatbereich bis zum Heim. Hier vor allem – deshalb international und damit von besonderem Interesse – die Beiträge aus verschiedenen Nationen, also nicht nur Deutschland, sondern auch Frankreich, Norwegen, Spanien, Polen, Tschechische Republik, Rumänien, Israel u. a. Ein Sammelband für Experten, gewiss, aber von hoher wissenschaftlicher Effektivität – und alltags-relevanter Brisanz, die man zur Kenntnis nehmen muss.
Und ein Aufgaben- bzw. Arbeits-Gebiet von wachsender Bedeutung, das nur durch die Kooperation von Kriminologen, Viktimologen, Gerontologen, Gerontopsychiatern, Pflege- und Gesundheitswissenschaftlern, Rechtsmedizinern, Soziologen, Psychologen, Juristen u. a. konstruktiv weitergebracht werden kann. Und dies im Interesse von jedem von uns, der gerne und vor allem möglichst problemfrei alt werden möchte (VF).
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