A. Hamm:
SPEZIFISCHE PHOBIEN
Hogrefe-Verlag, Göttingen-Bern-Wien-Toronto-Seattle-Oxford-Prag 2006. 75 S., € 19.95.
ISBN 3-8017-1612-0
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Angststörungen nehmen zu. Im Gegensatz zu den Depressionen, die sich vor einem halben Jahrhundert nur langsam als zahlenmäßig ernstzunehmendes seelisches Leiden durchsetzen konnten (man kann sich das heute gar nicht mehr vorstellen), werden Angststörungen inzwischen schneller, konsequenter, wissenschaftlich fundierter, diagnostisch und therapeutisch effektiver und damit in ihren Auswirkungen wenigstens etwas verträglicher wahrgenommen. Einzelheiten dazu siehe die verschiedenen Beiträge in der Serie Psychosoziale-Gesundheit.net. Hier geht es um die Beschreibung des kleinen, aber sehr effektiven Büchleins über die Untergruppe der Spezifischen Phobien, insbesondere was die psychotherapeutischen Behandlungs-Möglichkeiten anbelangt.
Phobien sind äußerst intensive und persistente Furcht-Reaktionen, die durch spezifische Situationen oder Objekte ausgelöst werden und vom zwingenden Wunsch begleiten sind, diese Situation oder Objekte zu vermeiden. Die Intensität der Furcht-Reaktion erscheint einem Außenstehenden der realen Gefahr dieser Situation unangemessen, ja bizarr. Dabei zeigt der Phobiker gewöhnlich Einsicht in diese Irrationalität, vermag sie aber nicht willentlich unter Kontrolle zu halten.
Obgleich Phobien schon zu Zeiten des griechischen Arztes Hippokrates, also vor rund 2.500 Jahren bekannt waren und auch in einzelnen Kasuistiken immer wieder beschrieben wurden, fanden sie doch erst Mitte des 20. Jahrhunderts eine wissenschaftlich konkrete Erforschung und diagnostische, später auch (psycho-)therapeutische Bearbeitung. Danach wurden sie auch als eine eigenständige Diagnose-Gruppe anerkannt, anfangs jedoch in schier ausufernden Untergruppen, je nach Auslöser. Da das Ganze noch mit griechischen Namen beschrieben wurde, ergab sich eine lange Liste von mitunter unaussprechlichen Fachbegriffen, was sich gelehrt anhörte, für den Praxisalltag jedoch wenig hilfreich war.
Deshalb beschränkte man sich später auf Tierphobien, Sozialphobien, Agoraphobien sowie gemischte spezifische Phobien. Die diagnostischen Kriterien für eine spezifische Phobie lauten: deutliche Furcht vor einem bestimmten Objekt oder einer bestimmten Situation außer Agoraphobie oder Sozialer Phobie. Das Erscheinungsbild fällt zwar sehr unterschiedlich aus, kann aber sogar die Heftigkeit einer Panikattacke erreichen. Die Symptome reichen von Herzklopfen bzw. -rasen, Schweißausbrüchen, Zittern und innerem Beben, Taubheits- oder Kribbegefühlen, Hitzewallungen oder Kälteschauern über Atembeschwerden (von Beklemmungsgefühlen über Kurzatmigkeit bis zu Erstickungsangst), Übelkeit, Magen-Darm-Beschwerden, Schwindel, Unsicherheit und Benommenheit bis zur Derealisation (Gefühl der Unwirklichkeit) und Depersonalisation (ich bin nicht mehr ich). Schließlich Angst, die Kontrolle zu verlieren oder verrückt zu werden, ja zu sterben. Letzteres charakterisiert vor allem die Panikattacken, ist aber auch bei Tier- und Höhen-Phobien nicht auszuschließen. Man kann sich also gut vorstellen, was solche Phobien im Leben eines entsprechend Betroffenen anzurichten vermögen. Deshalb versuchte man in den letzten Jahrzehnten verstärkt darauf therapeutisch Einfluss zu nehmen.
Einer der Wissenschaftler, der sich theoretisch und praktisch mit diesem Phänomen beschäftigt, ist Dr. Alfons Hamm, Professor für Physiologische und Klinische Psychologie/ Psychotherapie an der Universität Greifswald. In dem schmalen, aber inhaltsreichen Bändchen über spezifische Phobien beginnt er mit Definition und diagnostischen Kriterien, mit Häufigkeit, Alters- und Geschlechtsverteilung, Verlauf, Ko-Morbidität (wenn mehrere Krankheiten belasten), Differentialdiagnose (was könnte es sonst noch sein) und den gängigen diagnostischen Verfahren. Danach geht er auf die Störungs-Theorien und Modelle ein, insbesondere den Einfluss von Lernprozessen (direkte Konditionierung, Beobachtungs-Lernen, Informations-Lernen u.a.), die fehlende Bewältigung frühkindlicher Furcht-Dispositionen und den Einfluss von genetischen sowie Temperaments-Faktoren.
Als Fachbuch von praktischer Nützlichkeit erweist es sich jedoch in den Kapiteln über die Diagnostik und Indikation (Exploration, klinische Testverfahren, Verhaltenstests, psychophysiologische Untersuchungen u. a.) und Behandlung. Bei Letzterem geht es vor allem um die systematische Desensibilisierung, um die Reiz-Konfrontation, vor allem „in vivo“, d.h. kognitive Vorbereitung, Vorstellung und schließlich Übung. Beispiele: Spinnen-Phobie, Schlange-Phobie, Hunde-Phobie, Blut-, Spritzen- und Verletzungs-Phobie, Klaustrophobie (enge Räume), Höhen-Phobie usf. Wohltuend kritisch die Kapitel über Wirkungsweise, Effektivität, Prognose und Probleme der verschiedenen Behandlungs-Verfahren. Dabei sind die Abbruch-Quoten durch den Patienten das eine, die Abrechnungs-Modalitäten in der Gebührenordnung das andere Haupt-Problem. Beiden Schwierigkeiten steht aber eine hohe Effizienz, d. h. klinisch signifikante Verbesserung bei 80% der Patienten bei einer Behandlungsdauer von nur durchschnittlich drei Stunden gegenüber. Da verwundert es den Experten (und alle anderen auch), dass diese Konfrontations-Therapie in Deutschland immer noch so selten durchgeführt wird (nur etwa jeder 100. Patient mit einer Angststörung erhält eine verhaltens-therapeutische Behandlung).
Das Buch von Professor Dr. A. Hamm dürfte dazu beitragen, dieses nicht nur psychosozial aufwendige, sondern auch leidens-intensive Phänomen langsam zurückzudämmen (VF).
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