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U. H. Peters:
LEXIKON
Psychiatrie, Psychotherapie, Medizinische Psychologie
Verlag Urban & Fischer, München-Jena 2007. 679 S., € 39,95.
ISBN-10: 3-437-15061-8

Die 6. Auflage des Wörterbuchs Psychiatrie, Psychotherapie, medizinische Psychologie, jetzt Lexikon Psychiatrie, Psychotherapie, Medizinische Psychologie aus dem Verlag Urban & Fischer von Elsevier, München, gibt Gelegenheit zu einigen unerheblichen Überlegungen, die sich bei genauem Nachdenken doch als bedeutsam, ja ggf. folgenschwer für die Zukunft herausstellen könnten. Im Einzelnen:

Zum einem fällt auch dem unbefangenen Beobachter auf, dass Denkmäler in der Regel nur einzelnen Personen gewidmet sind. Zwei Ausnahmen fallen zwar sofort ins Auge, haben aber ihre eigene Bewandtnis. Das eine sind die Gebrüder J. und W. Grimm (bekannt geworden durch die Grimm'schen Märchen, darüber hinaus aber ein gigantisches Sprach- und literaturwissenschaftliches Gesamtwerk vorlegend, u. a. das Deutsche Wörterbuch, womit wir wieder beim Thema wären) und Goethe und Schiller, die aber in literarischer Hinsicht sehr vorsichtig miteinander umgingen und mit deren gemeinsamen Denkmal sich vor allem die Stadt Weimar selber ehrt. Ansonsten bleiben ganz offensichtlich geisteswissenschaftliche Leistungen das Ergebnis eines einzelnen Gehirns. Das dürfte in dieser Sparte auch so bleiben, während sich in technischer Hinsicht wohl eher das Team bewährt (wofür es dann aber keine Team-Denkmäler gibt, jedenfalls nicht bis jetzt).

Bei den Wörterbüchern fällt auf, dass an ihrem Ursprung meist ein einzelner, rastlos tätiger und bienen-fleißiger Geist stand, vielleicht noch ein oder zwei Nachfolger als weitere "Einzelkämpfer", dann aber in der Regel Herausgeber, ein wachsendes Experten-Team und eine redaktionelle Bearbeitung. Anders ist dies wohl auch nicht möglich, aber es soll immerhin auf diese Pioniere hingewiesen werden.

In medizinischer Hinsicht war der bekannteste wohl Otto Dornblüth, den heute niemand mehr kennt. Er ist aber der Vater des Pschyrembel, des Klinischen Wörterbuchs, das er immerhin ab 1894 bis zur 18. Auflage 1930 herausgab (die älteren Mediziner haben möglicherweise noch einen "Dornblüth" in ihrer verstaubten Handbibliothek). Danach übernahm es der Frauenarzt Willibald Pschyrembel bis zur - sage und schreibe - 254. Auflage 1982. Natürlich hatte auch er inzwischen Helfer, wer kann die Fülle, ja Masse medizinischer Erkenntnisse noch überblicken. Aber er war und blieb die inhaltlich wie gestalterisch führende Persönlichkeit. Ab der 255. Auflage übernahm dies die Wörterbuch-Redaktion des Walter de Gruyter-Verlags. Die ernsthafte Konkurrenz durch das Roche Lexikon Medizin im Verlag Urban & Fischer ab 1984 führte gleich eine Lexikon-Redaktion. Bei den jüngeren Wörterbüchern des Springer-Verlags, also Springer Lexikon Medizin, Springer Wörterbuch Medizin sowie Springer Taschenwörterbuch Medizin u. a. ist es ebenfalls ein federführender Autor, der mit redaktioneller Unterstützung das gigantische medizinische Wissen so sinnvoll wie möglich zu bündeln vermochte, nämlich Dr. med. Peter Reuter.

In der Psychiatrie der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es ebenfalls eine Reihe von Lexika bzw. Wörterbüchern, die allerdings unter der Federführung eines Herausgebers von einer Reihe ausgewiesener Experten verfasst wurden. Beispiele: C. Müller: Lexikon der Psychiatrie im Springer-Verlag sowie R. Battegay et. al.: Handwörterbuch der Psychiatrie im Enke-Verlag.

Praktisch von Anfang an, nämlich seit 1971 gab es aber auch das wohl wichtigste und verbreitetste psychiatrische Lexikon Deutscher Sprache, nämlich das frühere Wörterbuch Psychiatrie, Psychotherapie, Medizinischer Psychologie des Direktors der Klinik für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Köln, Prof. Dr. Uwe Henrik Peters.

Die Psychiatrie ist bekanntermaßen keine einfache Materie. Sie beschäftigt sich mit der Seele und ihren Störungen, und das ist schon eine publizistische Bürde für sich. Und da sich - so sonderbar sich derlei anhören mag -, Seele und seelische Störungen auch im Laufe der Zeiten verändern können, zumindest in Maßen, wird das Thema noch komplexer (s. u.). Für einen einzelnen Autor ist es jedenfalls eine überaus anspruchsvolle Aufgabe und bei ihrer Meisterung auch einzigartige Leistung. Das wurde U. H. Peters seit der 1. Auflage zugestanden und hat sich mit der 6. völlig neu bearbeiteten und erweiterten Auflage 2007 nicht geändert, im Gegenteil. Das Werk ist unverzichtbar. Darüber später noch einige Zeilen. Wie das einmal nach ihm weitergehen soll, das werden sich Autor und Verlag sicher schon überlegt haben. Eines ist gewiss: Ein Einzelner wird es nicht mehr "schultern" können. Das bleibt ein einmaliger Verdienst, der mit dem Namen des Autors verknüpft ist.

Die Frage, was zu einer solchen "Herkules-Arbeit" animieren könnte, haben auch schon andere Allein-Autoren beantwortet (so W. Pschyrembel). Man könnte sie mit einem kurzen Begriff beantworten: "konstruktive Neugier". Das pflegt schon den Studenten zu beschäftigen, wie bei U. H. Peters auch, der da unverblümt zugibt (und natürlich auch zugeben kann): "Dieses Buch geht auf die Schwierigkeiten zurück, welcher der Verfasser einst selbst hatte, als er damit begann, sich in die Psychiatrie und Psychotherapie einzuarbeiten". Und das ist nicht nur die Gesamtheit des Wissens-Angebots, es ist auch noch der "Lauf der Zeit", der ja auch, in diesem Zusammenhang vielleicht sogar gerade, die Psychiatrie trifft, prägt, verändert, in Widersprüche verwickelt, vor allem - keiner weiß das besser als ein Lexikon-Autor - in widersprüchliche Wortbestände.

Und das macht nicht nur dem Anfänger Mühe, das erschwert auch allen, die als Helfer, Therapeuten, Richter, Anwälte usw. etwas mit psychischen Störungen zu tun haben, so Peters. Also begann er als junger Mediziner seine Arbeit und entwickelte aus 7.000 Stichwortzetteln die 1. Auflage 1971. Und weiter: "Da die Sprache der Psychiatrie sich seit dem ersten Erscheinen dieses Buches … stärker gewandelt hat als je zuvor, ist es mit seiner nunmehr 6. Auflage ungewollt zu einem Zeitzeugen des Sprachwandels geworden. Manche Sprachentwicklungen lassen sich darin von Auflage zu Auflage verfolgen". Wie wahr.

U. H. Peters gibt dazu verschiedene Beispiele, die sich ja noch halbwegs aus einem Fach und seiner Terminologie erklären lassen, das der menschlichen, gesellschaftlichen, ja kulturellen Entwicklung näher steht als jede andere medizinische Disziplin. Es gibt aber auch ein schwer lösbares Problem, das inzwischen von vielen Seiten beklagt, wenn auch resigniert hingenommen wird. Gemeint ist die zunehmende Anglisierung der Sprache generell ("Anglomanie") und der Psychiatrie im Speziellen. Selbst wenn man dabei gewillt ist, sich in Gottes Namen damit abzufinden, dann wird man aber durch eine Reihe von Ärgerlichkeiten wieder unruhig. Und das sind die teils durchaus guten, teils aber auch miserablen Übersetzungen und dann auch noch Rück-Übersetzungen. Letzteres kann zu geradezu grotesken "Monströsitäten" auswachsen. Aber der jüngeren Generation sind die Wurzeln ohnehin nicht bekannt, die Anglizismen geläufig und die nomenklatorischen Absurditäten offenbar weitgehend gleichgültig. Im Übrigen kann man ja auch nichts dagegen tun, wenden alle Verantwortlichen ungerührt bis resigniert ein.

Kann hier wirklich niemand korrigierend eingreifen? Theoretisch schon, beispielsweise die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit ihrer Internationalen Klassifikation psychischer Störungen - ICD-10. Ihr Gebrauch ist immerhin seit dem Jahr 2000 in Deutschland für bestimmte ärztliche Zwecke gesetzlich vorgeschrieben. Das ist übrigens ein "starkes Stück", denn nie zuvor hatte ein "Gesetzgeber" in Theorie, Sprachbildung und Sprachschatz der Psychiatrie so eingreifen dürfen. Aber auch darum regt sich heute niemand mehr auf, ist es doch eine Zeiterscheinung, die inzwischen sogar die allgemeine Rechtschreibung betrifft, die Experten entzweit und die Allgemeinheit kräftig verwirrt.

Im psychiatrischen Sprachgebrauch aber kam es darüber hinaus zu einem Umbruch nie gekannten Ausmaßes, mahnt Professor Peters. Denn plötzlich trat eine Institution, konkret ein privater Verein auf, der die "psychiatrische Welt" zu dominieren drohte und inzwischen auf fest im Griff hat. Gemeint ist die American Psychiatric Association (APA) mit ihrem Diagnostischen und Statistischen Manual Psychischer Störungen in mehrfacher Überarbeitung, derzeit DSM-IV-TR genannt.

Wer die Geschichte der APA kennt (in Deutschland weitgehend unbekannt, dafür treffend geschildert in E. Shorter: Geschichte der Psychiatrie, rowohlts enzyklopädie, Reinbek bei Hamburg, 2003), insbesondere was einige geradezu einschneidende Entscheidungen anbelangt (z. B. die offizielle Eliminierung des Begriffs "Neurose" nach fast 100 Jahren), der kommt aus der Verwunderung nicht mehr heraus. U. H. Peters meint zwar, dass man bei Kenntnis der Fachsprachen-Entwicklungen in "interessierter Gelassenheit" verharren sollte, doch sind die Umbrüche derzeit so einschneidend, dass hier dem deutschsprachigen Interessenten einiges an Nachsicht zugemutet wird. Auf jeden Fall blieb die von den Initiatoren erhoffte Vereinheitlichung und Internationalisierung der psychiatrischen Fachsprache bis heute weitgehend aus, beklagt U. H. Peters. Das hätte man allerdings schon vorher wissen müssen, denn das war auch in früheren Zeiten nicht anders, wenn eine historisch gewachsene Nomenklatur durch eine neue, weitgehend künstlich projektierte ersetzt werden sollte.

DSM und ICD geben sich jedenfalls "ahistorisch" und lassen damit auch den Leser bzw. Nutzer weitgehend allein. Wer hier mehr wissen und damit verstehen will, der muss sich durch die traditionelle Literatur hindurcharbeiten. Da kann er allerdings sowohl in deutscher als auch in US-amerikanischer Sprache auflaufen, es gibt dazu wenig Fundiertes. Das kann man jetzt zwar resigniert hinnehmen, muss aber auch erkennen, dass man seinen eigenen Wurzeln nicht entkommen kann, auch den psychiatrie-sprachlichen und damit Konzeptionen.

Hier liegt nun ein weiterer Vorteil dieses einmaligen Lexikons, das - wo immer sich die Gelegenheit dazu ergibt - kurze, aber ergiebige Hinweise auf die Begriffsgeschichte und deren neuzeitliche Vermischungen ermöglicht.

Dabei könnte ein neues Phänomen für Verwirrung sorgen, wenn nicht die "Gnade des Vergessens" lindernd eingreifen würde. Denn viele Konzepte und Begriffe der deutschen Psychiatrie, die mehr als ein Jahrhundert der Ideen-Geber gewesen waren, sind zwar unmittelbar in die Amerikanischen Psychiatrie eingegangen, haben aber dabei einen Bedeutungswandel erfahren, wie der Lexikon-Autor anmerkt. Das betrifft selbst so geläufige Fachwörter wie Paranoia, Schizophrenie, psychotisch, Psychotherapie oder gar Psychiatrie, um nur einige zu nennen. Durch die gesetzliche Kodifizierung sind für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung nunmehr zahllose Anglizismen, Lehn-Übersetzungen und sogar fehlerhafte Übersetzungen aus dem Amerikanischen und Englischen rechtsverbindlich gemacht worden. U. H. Peters lässt es nicht an Beispielen fehlen, schon im Vorwort und später auch bei den einzelnen Stichwörtern. Solche Übersetzungs-Fehler haben im Übrigen seine Arbeit noch mehr erschwert: Übersetzungs-Fehler per Gesetzeskraft sanktioniert…

Als Folge dieser teils vermeidbaren, teils unbeeinflussbaren Sprachveränderungen hat die Erklärungsbedürftigkeit psychiatrischer Begriffe inzwischen nicht ab-, sondern zugenommen. Und hier hat Peters Lexikon einer doppelte, eine dreifache Aufgabe. Denn der Benutzer erhält an praktisch jeder Stelle sofort eine kurze Antwort auf die von ihm gestellte Frage oder ein Verweis auf das Hauptstichwort. Auf größere Zusammenhänge wird verzichtet, der Sachverhalt dafür sofort dargelegt. Außerdem finden sich über Eigennamen und Jahreszahlen mit Hilfe der gebräuchlichen Bibliographien auch der rasche Zugang zur Primärliteratur und entsprechenden Übersichten. Schließlich helfen - auch schon in früheren Ausgaben - hinter jedem Stichwort die englischen Übersetzungen der deutschen Begriffe und in einem eigenen englisch-deutschen Wörterbuch nochmals eine Gesamt-Übersicht weiter, einschließlich möglicher Übersetzungsprobleme.

Kann ein Einzelner so etwas noch leisten? U. H. Peters beweist: Es geht. Wo findet man noch einen Satz wie vor 100 Jahren bei Emil Kraepelin, dem wahrscheinlich berühmtesten deutschen Psychiater, der damals der alleinige Autor seines bedeutenden und bis heute lesenswerten Lehrbuchs war und deshalb auch einschränkend schrieb: "Darin liegt die Eigenart dieses Buches. In ihr liegen naturgemäß auch seine Schwächen".

Auch U. H. Peters muss, ja kann (und zwar mit Stolz!) in seinem Vorwort schreiben: "Auch in der neuen Auflage gibt es keinen Satz, den ich nicht vollständig selbst zu verantworten hätte". Man sollte sich diesen Hinweis einmal in seiner ganzen Tragweite und in Ruhe durchdenken - und nach weiteren Beispielen suchen (man wird zumal in der Psychiatrie nicht sehr fündig werden…).

Autor und Verlag sei gratuliert. Auch die 6. Auflage ist ein "gelungener Wurf", wie nicht anders zu erwarten. Die meisten Psychiater, Nervenärzte und sicher viele Psychologen werden dieses Lexikon ohnehin schon besitzen. Sie sollten auch die 6. Auflage erwerben, der Preis ist nicht nur moderat, er zahlt sich in jeder Beziehung aus. Da immer mehr Menschen, vor allem bestimmte Berufe, mit seelischen Störungen zu tun haben ("die Seele, vor allem die krankhafte hat Konjunktur"), empfiehlt sich dieses Wörterbuch sogar für Interessenten nicht-psychiatrischer Fachrichtung, auch wenn man sich natürlich in dieser Terminologie irgendwie kundig machen muss (was aber - wie erwähnt - selbst für Fachärzte immer schwerer wird).

Kurz und mit einer etwas verbrauchten Formel, die aber in diesem Punkt voll und ganz zutrifft: Das Lexikon Psychiatrie, Psychotherapie, Medizinische Psychologie von U. H. Peters ist unverzichtbar und auch in 6. Auflage eine einmalige effektive Hilfe in deutscher Sprache (VF).

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
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