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Barbara Bojack, Heike Akli (Hrsg.):
DIE TÖTUNG EINES MENSCHEN
Perspektiven, Erkenntnisse, Hintergründe
Verlag für Polizeiwissenschaft Dr. Clemens Lorei, Frankfurt 2005, 342 S., € 24,90.
ISBN 3-935979-34-7

Für die Bundesrepublik Deutschland wurden im Jahr 2004 insgesamt 2480 Mord- und Totschlagsdelikte in der Polizeilichen Kriminalstatistik (Bundeskriminalamt, Wiesbaden) erfasst. Gemessen an den insgesamt für das Bundesgebiet registrierten 6.633.156 Straftaten erscheint die Zahl 2480 niedrig. Doch jeder einzelne Fall steht für ein ausgelöschtes Menschenleben.

Wenn man dies mit Entsetzen registriert und dabei die letzten Medien-Meldungen rekapituliert, schiebt sich in der Regel ein falsches Bild in den Vordergrund: der "fremde Killer". Das ist ein Trugschluss. Denn zwei von drei der erfassten Tötungsdelikte finden zwischen Verwandten oder (nahen) Bekannten statt. Das stellt vor Entscheidungs-Probleme, was gut oder schlecht sein soll. Denn hier dämmert es auch dem oberflächlichsten Medienkonsumenten, dass in solchen Fällen mehr als nur "Raubgier und Blutrausch" (Boulevard-Presse) eine Rolle gespielt haben dürften.

Selbst die "reinliche Scheidung in gut und böse lässt sich also nicht in allen Fällen durchhalten", wie im Vorwort des interessanten Sammelbandes über "die Tötung eines Menschen" ausgeführt wird. Zwar ist der Mensch, der einen anderen tötet, kein Mensch "wie du und ich". Doch die Unbegreiflichkeit wird besonders dann deutlich, wenn Menschen Hand aneinander legen, die sich jahrelang in den intimen Beziehungen ihres sozialen Nahraumes verbunden (und verstrickt?) hatten. Hier ist Gewaltanwendung häufig eine Verzweiflungstat, bei der sich Täter und Opfer nicht mehr ausreichend exakt auseinander halten lassen. Das gilt besonders für Tötungsdelikte unter Erwachsenen zwischen Männern und Frauen.

Unser Be-Schuldungs-Bedürfnis...

Dabei haben sich im medien-gelenkten Bewusstsein zwei Täter-Typen in unser Generations-Gedächtnis eingegraben, wie der Erziehungswissenschaftler, Jugendpfleger und Journalist Prof. Dr. C. W. Müller ausführt: Zum einen der "geschuhriegelte Mann, der zum Messer greift, zum anderen die unverstandene Frau, die den Giftschrank öffnet". Doch in Wirklichkeit lässt sich nur selten eine eindeutige Zuweisung von Ursache und Schuld erkennen, meistens sind die Tat-Motive so vielfältig, wie das Leben selber. Und weiter:

Auch wenn es unbequem, ja herzlos klingen mag: Auch für Tötungsdelikte von Intimpartnern im sozialen Nahraum gilt die Maxime der Kommunikationsforschung, dass Beziehungen das gemeinsame Werk der Kommunikationspartner sind - gemeinsam, wohl gemerkt. Einseitige Ursachen-Wirkungs-Zusammenhänge und Schuldzuweisungen befriedigen zwar häufig unser Be-Schuldigungs-Bedürfnis, aber sie gehen meist an der komplexen Realität vorbei, mahnt der Experte. Denn auch Starke sind schwach. Und selbst Schwache wissen sich zu wehren. So drohen nach permanenten Kränkungen durch den Partner - und Missachtung oder Verachtung ist eine besonders harsche Form der Kränkung -, auf einmal scheinbar hilflose Reaktionen, die dann doch tödlich enden. Und "von Sinnen" sind nicht nur Menschen unter Alkohol.

Dieses Buch, so das Vorwort, versucht aus einer Reihe von wissenschaftlich fundierten und vielfältig differenzierenden Beiträgen eine um Objektivität bemühte Erklärung für solche Unbegreiflichkeiten zu schaffen. Es geht darum zu verstehen, was uns allen unverständlich erscheint, so C. W. Müller.

Aus den stellenweise schwer zu lesenden (keine Kritik, es handelt sich ja um ein Fachbuch für Experten) Beiträgen sei einer heraus genommen, da es sich mit dem so genannten "Selbstkonzept (auch Identität genannt) von Menschen beschäftigt, die ihren Intimpartner getötet haben". Bis dass der Tod Euch scheidet", lautet der berühmte Satz vor dem Traualtar, mit dem die Dipl.-Psychologin Barbara Matthes ihr Kapitel einleitet. Das sind dann aber auch oft die gleichen in einer solchen Tragödie, die später ihrem Partner den Todesstoß versetzen. Wie kommt es dazu?

Merkmale von Täter und Tat-Situation

Bei den Partner-Tötungsdelikten geht es im Wesentlichen um Merkmale des Täters sowie der Situation, die miteinander in das schließlich grauenvolle Ende münden.

- Auf der Seite des Täters ist häufig eine belastende familiäre Situation bedeutsam: niedriger sozialer Status, psychosoziale Auffälligkeiten, Gewalt in der Primärfamilie u. a. Ferner eine geringe soziale Integration, mangelnde Problemlösefähigkeiten und spezifische Persönlichkeitseigenschaften, bei denen vor allem das Selbstwertgefühl des Täters eine bedeutsame Rolle spielt.

- In situativer Hinsicht spielen dann neben der "kognitiven Einengung des Täters" (siehe später) noch Einflüsse wie Alkoholkonsum, die Abwesenheit von Dritten, spezifische tageszeitliche Stimmung, das Vorhandensein von Waffen u. a. eine wichtige Rolle, die letztendlich die Tötungshandlung begünstigen.

Das Selbstkonzept eines Menschen

Der Beitrag von Frau B. Matthes beschäftigt sich nun mit dem erwähnten Selbstkonzept des Täters. Was versteht man darunter? Das Selbstkonzept entwickelt sich im Jugendalter. In dieser Lebensphase beginnt der junge Mensch einen Identitäts-Begriff zu entwickeln. Identität beinhaltet zwei Aspekte: Zum einen die persönliche Identität, die die Person umfasst, für die sich ein Mensch selber hält. Zum anderen die soziale Identität, d. h. die Vermutung der Person darüber, wie sie von ihren Mitmenschen wahrgenommen wird.

Beide Identitäts-Aspekte können voneinander abweichen, was die Regel ist, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. So wird die Identitätsfindung, also die Verknüpfung zwischen persönlicher und sozialer Identität, nicht selten zu einem Kernproblem des Jugendalters. Im positiven Falle aber ist das zu regeln, der Jugendliche wird nach und nach in der Lage sein, sich selbst einzuordnen bzw. zu bestimmen. Er ist sich also nicht nur seiner Identität bewusst und muss diese für sich definieren, er muss auch die damit übernommene Verantwortung zu tragen lernen, oder kurz: sein Leben sozial verträglich selber in die Hand zu nehmen.

Nun sind im Rahmen dieses Selbstkonzeptes zwei Komponenten von Bedeutung, zum einen eine kognitive, zum anderen eine affektive. Die kognitive (vom lateinischen: cognoscere = erkennen) umfasst die Fähigkeiten der Selbstwahrnehmung. Die affektive (vom lateinischen: afficio = Zustand, Verfassung, aber auch Gefühl, Leidenschaft u. a.) umfasst das Selbstwertgefühl und Selbstwertvertrauen.

Die Wissenschaftler differenzieren in folgende fünf Merkmale eines jugendlichen Selbstkonzeptes: Selbstwertgefühl, Autonomie (äußere gegen innere Kontrolle), kognitiver Stil, Intimität und soziale Interaktion. Ein Jugendlicher hat also dann ein positives, reifes Selbstkonzept erworben, wenn er mit sich selber und seiner Umwelt (das sind in der Regel die "moralischen Instanzen" wie Eltern, Lehrer u. a.), also im zwischenmenschlichen Bereich in der Lage ist, eine so genannte nicht-defensive Stärke zu zeigen und sich für andere ohne Eigennutz einzusetzen. Bezüglich der Intimität verfügt er über eine tiefe emotionale (gemütsmäßige) Bindungsfähigkeit. Und sein kognitiver Stil lässt u. a. die Fähigkeit zur Reflexion (nachdenken) über sich und andere erkennen. Außerdem kann er seine Handlungen selber kontrollieren (Autonomie).

Was heißt das nun im Falle der Tötung des Intimpartners, und zwar sowohl durch Männer als auch Frauen?

  • DAS SELBSTKONZEPT MÄNNLICHER TÖTUNGS-DELINQUENTEN

Die Wissenschaftler versuchen diese Frage beispielsweise mit der vergleichenden Untersuchung von Männern anzugehen, die 1. von ihrer Partnerin verlassen wurden und diese deshalb anschließend getötet haben mit 2. Männern, die verlassen wurden, aber "lediglich" andere Straftaten begangen haben (z. B. Einbrüche ins Haus der Partnerin) und schließlich mit 3. Männern, die trotz der unfreiwilligen Trennung von der Partnerin strafunauffällig geblieben sind.

Bei den straffälligen Männern nach Trennung zeigen sich vor allem in den psychologischen Untersuchungen höhere Werte im Bereich der "erlebten kognitiven Einengung im Vorfeld der Tat". Oder konkret: Die Straftäter waren weniger erfolgreich, ein realistisches Bild von ihrer eigenen Person zu entwerfen.

Im Alltag erbrachten sie oft außergewöhnliche Opfer für ihre Beziehung, z. B. verließen das Haus nicht mehr, um sich mit Freunden zu treffen oder tätigten große finanzielle Aufwendungen für ihre Partnerin. Auch vernachlässigten sie Kontakte und eigene Interessen und berichteten in der Mehrzahl der Fälle von eigenen psychosomatisch interpretierbaren Beschwerden (körperliche Beeinträchtigungen auf seelischer Grundlage).

Vor allem die Tötungs-Delinquenten waren vor der Tat häufiger schlechter in ein soziales Netz integriert als die beiden anderen Vergleichsgruppen, d. h. wiesen auch mehr Zeichen sozialer Desintegration auf. Nun ist es aber besonders wichtig, den Kontakt zu den Mitmenschen zu suchen, zu fördern und zu festigen, wenn man ein realistisches Selbstbild aufbauen will. Schließlich kann man sich in der Regel nur dadurch einschätzen, indem man seine Selbst-Bewertung mit der Fremd-Bewertung der anderen abgleicht. Wer aber wenig Kontakt mit anderen hat, ist dazu kaum in der Lage, ganz abgesehen davon, dass er es vielleicht auch nicht ertragen und nützlich umsetzen könnte.

Ein interessanter Aspekt ist auch das, was die Psychologen eine Attribution nennen. Darunter versteht man die Art und Weise, wie die Verantwortung für bestimmte Ereignisse entweder der eigenen Person oder äußeren Umständen zugeschrieben wird (internal versus external, wie die Experten es nennen). Außerdem spielt es eine Rolle, ob man diese Ereignisse als andauernd oder vorübergehend einstuft (stabil versus instabil). Und ob diese Ereignisse als für viele oder nur für eine Situation zutreffend eingeschätzt werden (global versus spezifisch). Das alles beeinflusst nämlich maßgeblich sowohl das Handeln als auch das Selbstkonzept. Denn je nach Ausprägung wird dadurch das Selbstbild eher gestützt oder labilisiert bzw. angegriffen.

Günstig für ein positives Selbstkonzept ist eine "internale Attribution bei Erfolg", oder auf Deutsch: den Erfolg schreibe ich mir selber zu. Und umgekehrt eine externale Attribution bei Misserfolg: Für den Misserfolg sind andere Menschen oder äußere Einflüsse verantwortlich. Dabei sollte man es sich aber nicht so leicht machen. Denn wenn die externale Attribution überwiegt, dann sind auch keine eigenen Anstrengungen zur Änderung von Ereignissen nötig, scheint es. Wenn also der Misserfolg dauernd durch andere oder "schicksalhaft" ausgelöst wird, dann wird man ggf. schließlich handlungsunfähig und das Selbstkonzept leidet.

Menschen, die ihren Partner getötet haben, zeichnen sich nun durch einen Attributions-Stil aus, der sowohl Erfolgs-, wie auch Misserfolgsereignisse auf ihre eigene Person bezieht, d. h. vor allem die alleinige Schuld für Misserfolge bei sich selber suchen. Das hat Konsequenzen, man kann es sich denken.

In der Szene vor der Tat berichten Tötungs-Delinquenten auch über mehr selbstwertbelastende Ereignisse. Beispiele: Beleidigungen, Demütigungen oder Beschimpfungen durch die Partnerin oder durch andere Personen, die bei der Tat anwesend waren und zur Partnerin, dem späteren Opfer, hielten. Oder der Verweis aus der gemeinsamen Wohnung oder das Vorhandensein gemeinsamer Kinder, die nach der Trennung "auf jeden Fall" bei der Partnerin verbleiben würden.

Kein Wunder, dass die Tötungs-Delinquenten alles, was sich vor der Tat (und natürlich auch zuvor) abgespielt hat, als belastender einstufen als andere Menschen, vor allem die erwähnten Beleidigungen, Beschimpfungen oder Demütigungen durch die Partnerin.

Da aber zwischenmenschliche Beziehungen überaus komplex, d. h. mehrschichtig sind, gilt es noch andere Aspekte zu berücksichtigen. So weisen beispielsweise ähnliche Tötungs-Delinquenten nicht nur das geringste Selbstwertgefühl der drei untersuchten Vergleichsgruppen auf, sondern unterscheiden sich auch bezüglich ihres Selbstwertgefühles gegenüber Frauen generell. Oder kurz: Kaum Selbstwertgefühl und gegenüber Frauen im Allgemeinen und in der Auseinandersetzung mit der Partnerin vor der Tat noch weniger.

Diese ungünstige Kombination von "Angriffen auf ein ohnehin niedriges Selbstwertgefühl" könnte zur Entstehung der Tat beitragen. Oder überspitzt ausgedrückt: "Minderwertigkeitskomplexe in der Partnerschaft sind riskant".

Diese Erkenntnis wird auch durch andere Untersuchungen gestützt. Das "typische Muster der Trennungstat ist eine deutliche Selbstwertbelastung", lauten die Untersuchungsbefunde. Und die tritt nicht erst in der Trennungssituation auf. Es ist auch nicht so sehr der wechselhafte Verlauf, da bei vielen Paaren sich ein Wechselspiel von Trennung, erneut im Zusammenzug und weitere Trennungen abspielt. Es ist vielmehr die Bewertung dieser Entwicklung im Sinne des so genannten Problemlöse-Prozesses. Oder kurz: Werde ich mit dieser Trennungssituation fertig?

Die Antwort bei den späteren Tötungs-Delinquenten lautet: eher "nein". Diesen Männern ist es offenbar nicht gegeben, ihr Leben - zumindest zunächst - allein weiter zu führen und sich um eine andere Partnerin zu bemühen.

Psychoanalytisch gesprochen handelt es sich bei Gewalttaten an Intimpartnern häufig um so genannte narzisstische Beziehungen, bei denen einer der Partner ein krankhaft übersteigertes Bedürfnis hat, vom anderen geliebt und umsorgt zu werden, ohne diese Gefühle adäquat erwidern zu können. Die Folge für den narzisstisch Gefährdeten ist natürlich eine erhebliche Selbstwert-Problematik, die sich schließlich in übersteigertem Maße zu Verlust-Ängsten verdichtet, die zuletzt auch in riskante Reaktionen münden können. Oder verkürzt ausgedrückt: narzisstische Persönlichkeit ' narzisstische Kränkung ' narzisstische Krise ' Tötungshandlung.

Dies wurde schon vor vierzig Jahren in der forensischen Literatur aufgeführt, und zwar mit den Sätzen: "Der spätere Täter findet sich in der Position des Unterlegenen und Abhängigen wieder. Oder konkret: Eine primär kontakt-enge, eher gehemmte und vital-geschwächte Person trifft auf einen vitaleren, durchsetzungsfähigeren und souveräneren Partner" (D. Rasch, 1964).

Auch der viel zitierte Begriff der "erlernten Hilflosigkeit" wird bei Partner-Tötungsdelikten diskutiert: "Der Beziehungstäter sucht Fehler und Schwächen bei sich und fühlt sich verantwortlich für das Scheitern der Beziehung. Er ist um eigene Verhaltensänderungen bemüht, es kommt zur Aussprache zwischen dem Paar und beim Mann zu neuer Hoffnung auf eine Versöhnung mit der Partnerin. Wenn sich diese Hoffnung zerschlägt, kommt es (...) zur Situation der Hilflosigkeit, in der der Mann nicht mehr weiß, wie er sich verhalten soll und davon überzeugt ist, dass er durch sein Verhalten keinerlei Einfluss auf die folgenden Ereignisse mehr nehmen kann. Alles, was er tun kann, bleibt ohne Wirkung auf das Geschehen. Er fühlt sich den Situationen ausgeliefert, ohne sinnvoll handeln zu können. (...). Eine solche kritische Situation kann schließlich dazu führen, dass der Partner mit Handlungsunfähigkeit reagiert oder aber nur noch über ein sehr eingeschränktes Verhaltens-Repertoire verfügt, so dass die Situation schließlich in einem Tötungsdelikt ihren Abschluss finden kann (nach B. Matthes und C. Wenger de Chávez, 1996).

Tatsächlich finden viele Autoren bei solchen Beziehungstätern eine ungewöhnlich hohe Abhängigkeit von der Lebenspartnerin. Die Psychiater sprechen sogar von einer "dependenten (krankhaft abhängigen) Persönlichkeitsstörung" solcher Beziehungstäter. Entsprechende Untersuchungen kommen auf mehr als 70%.

Abhängige Menschen aber unterwerfen sich anderen Menschen unter Verzicht auf ihre Eigenbestimmung. Sie entledigen sich des "Eigenrechts und des Eigenwerts ihrer Person" (A. R. Lückert, 1972), wie es die Psychologen nennen. Auch dies ist ein Zeichen für ihr negatives Selbstkonzept, da es die Hoffnung nährt, wenigstens durch andere, d. h. durch eine oder mehrere enge Bezugspersonen zu einem positiven Selbstbild zu kommen. Kein Wunder: An solche Menschen klammern sich diese Personen oft so stark, dass sie sogar bereit sind auf ein Eigenleben nahezu zu verzichten. Will sich nun die Bezugsperson, häufig also die Lebenspartnerin, von ihm lösen, stellt dies eine kaum erträgliche Situation dar, der nur noch wenige Handlungs-Alternativen zur Verfügung stehen. Und die folgenschwerste ist die von starken Affekten (Gemütsregungen) begleitete Tötungstat.

Die Art der Abhängigkeit ist in der Regel rein psychischer Natur, zumindest in nahezu zwei Dritteln aller Fälle. Eher selten sind materielle Aspekte. Auch die Dauer der mit der Partnerin verbrachten Zeit ist bei Beziehungstätern ungewöhnlich hoch: Jeder fünfte Partner-Tötungs-Delinquent verbrachte nach den entsprechenden Untersuchungen mehr als zwanzig (!) Stunden täglich mit seiner Partnerin. Auch das beweist eindrücklich die "Anklammerung" der Beziehungstäter an ihre Partnerin und zeigt, dass von einem positiven, eigenständigen Selbstbild des Beziehungstäters nicht die Rede sein kann.

Das belastet aber auch die Partnerin, die auf diese Weise nicht mehr die Möglichkeit zu einem selbst bestimmten Leben hat, das auch von eigenen, von Außenkontakten geprägt ist, die dann nicht mehr ohne den "klammernden Lebenspartner" möglich sind.

Die Analyse von Fall-Berichten zeigt, dass Partner-Tötungs-Delinquenten häufig schon Probleme in der eigenen Herkunfts-Familie haben, vor allem schwierige Beziehung zu zumindest einem Elternteil. Solche Menschen schließen dann auch in ihrem späteren Leben kaum Freundschaften und sie tun sich vor allem schwer, Liebesbeziehungen einzugehen. Wenn sie es dann doch endlich wagen, verlangen sie, dass diese Beziehung auf ewig hält. Das ist dann nicht nur Liebe, sondern sie wollen sich auf diese Art "absichern und versuchen jede schmerzliche Trennung zu vermeiden." (nach A. W. Reinfried, 1999).

  • DAS SELBSTKONZEPT WEIBLICHER TÖTUNGS-DELINQUENTEN

So vielfältig, interessant und wegweisend die Untersuchungs-Befunde für männliche Tötungs-Delinquenten sind, so wenig weiß man bisher über Frauen in gleicher Situation. Das liegt zum einen daran, dass die Zahl der weiblichen Beziehungstäter nur etwa ein Zehntel der Gesamtzahl von Partner-Tötungs-Delikten ausmacht. Außerdem hat man sich auch erst in den letzten Jahren um entsprechende Untersuchungen bemüht. Und die gestalten sich in der Regel ähnlich wie beim Mann.

Frauen, die ihren Lebenspartner töten, befinden sich fast immer in einer krisenhaften Beziehung. Diese ist durch körperliche und/oder seelische Misshandlung geprägt. Die Vorhersage-Kriterien (Fachbegriff: Prädiktoren) für die Wahrscheinlichkeit eines Tötungsdeliktes sind deshalb auch die Schwere der Misshandlung, der Alkohol- und Drogenkonsum des misshandelnden Partners, die Häufigkeit des Missbrauchs, die Drohungen des Partners, seine Frau zu töten und die Drohung der Frau, Selbstmord zu begehen.

Man geht davon aus, dass zumindest einige dieser Delikte vermeidbar gewesen wären, hätten Instanzen wie z. B. die Polizei oder Frauenhäuser, die im Vorfeld oft um Rat gefragt werden, entsprechend reagiert.

Kommt es zum Tötungsdelikt, so geschieht dies in etwa der Hälfte der Fälle geplant, oft aber auch nicht durch die Frau allein. Häufig ist die Frau bei der Tat gar nicht anwesend, da sie jemand anderen bittet, die Tat für sie auszuführen.

Anders als bei den von Männern begangenen Tötungsdelikten ist das Motiv für die Tat nicht der Wunsch des Partners, die spätere Täterin oder die Veranlasserin der Tat verlassen zu wollen. Es sind vielmehr die Frauen, die aus dieser Beziehung entkommen wollen.

Nach den bisherigen Untersuchungserkenntnissen lassen sich deshalb auch keine "kognitiven Einengungen" feststellen, wie dies bei der Mehrzahl der männlichen Täter fast ausschließlich zu erkennen ist. Lediglich die Zahl der Suizid-Gedanken oder gar tatsächlichen Selbstmordversuche ist bei den weiblichen Tötungs-Delinquenten höher, ja sogar bemerkenswert hoch (rund drei Viertel und mehr).

Auch ist bei den Täterinnen nicht Rückzug und Isolationsneigung zu erkennen, im Gegenteil. Teilweise bestehen schon neue Partnerschaften, bei denen der neue Partner auch Helfer oder Ausführender der Tat ist. Allerdings fehlen zumeist Personen, mit denen sich die Frauen hätten aussprechen können oder sie vermieden ganz bewusst Gespräche über ihre schwierige Partnerschaft. Offizielle Institutionen erzielten - wenn sie denn auch aufgesucht wurden - häufig nicht das gewünschte Ergebnis, nämlich die unerträgliche Situation zu entschärfen. So fehlt dann auch oft die alternative Lösungsmöglichkeit, die die Tat hätten u. U. verhindern können.

Da die Mehrzahl der Täterinnen oft jahrelange andauernde körperlich und/oder seelische Belastungen bis hin zu Missbrauch und Gewalt erlebt hatten, ehe sie ihren Partner töteten, stellt sich natürlich die Frage, ob das niedrige Selbstbewusstsein die Folge oder die Ursache des ganzen Elends war. Im Allgemeinen aber wird das Selbstgefühl von weiblichen Partner-Tötungs-Delinquenten also nicht besonders belastend bis negativ angesehen.

  • Unterschiede im Selbstkonzept von männlichen und weiblichen Partner-Tötungs-Delinquenten

Ein Vergleich zwischen den beiden Geschlechtern ist schwierig, und zwar nicht nur wegen der unterschiedlichen Fallzahl von männlichen und weiblichen Beziehungstätern. Auch darf man ja nicht vergessen, dass Männer ihre Tat meist alleine begehen, während Frauen oft von anderen Personen (Verwandter, neuer Lebenspartner, sogar bezahlter "Killer") begleitet werden bzw. bei der eigentlichen Tat gar nicht anwesend ist.

Doch die Beziehungssituation, in der sich der jeweilige Täter befindet, unterscheidet sich sehr ausgeprägt: Männliche Täter stehen oftmals in einem ausgesprochenen Abhängigkeits-Verhältnis zu ihrer Partnerin und wollen um jeden Preis an dieser Beziehung festhalten. Weibliche Tötungs-Delinquenten wollen die belastende Beziehung zumeist beenden.

Trotz aller Einschränkungen, was die Interpretation der gefunden Untersuchungsbefunde anbelangt, kann man aber von folgendem Ergebnis ausgehen:

- Männliche Partner-Tötungs-Delinquenten berichten zumeist über selbstwert-belastende Ereignisse in der Vorszene der Tat, wo sie doch ohnehin schon durch eine besondere Empfindlichkeit bezüglich selbstwert-belastender Ereignisse beeinträchtigt sind, insbesondere wenn sie von Frauen ausgelöst wurden. Das daraus folgende bzw. verstärkte negative Selbstwertgefühl und die wenigen Handlungs-Alternativen in solchen Situationen tragen dann zur Zuspitzung der Lage im Vorfeld der Tat bei.

- Frauen weisen vor allem deutlich weniger oder kaum psychosoziale Auffälligkeiten auf, auch keine konflikt-verschärfenden und selbstwert-belastenden Ereignisse in der Tat-Vorszene. Allerdings fällt eine hohe Zahl von Suizidgedanken und Selbstmordversuchen auf. Und natürlich der Umstand, dass in ihrem Fall bereits jahrelange Misshandlungs-Situationen voraus gegangen sind, was sich allerdings vor allem aus entsprechenden Fallstudien ergibt.

- Gemeinsam ist den Delikten von Männern und Frauen die Abhängigkeit des späteren Täters vom Opfer. Beim Mann eher in einer seelischen Abhängigkeit und bei der Täterin oftmals in einer körperlichen (Angst vor Misshandlung) bzw. finanziellen Abhängigkeit.

- Ein vor allem soziologisch wichtiger Aspekt ist das kulturelle Rollen-Denken. Das verlangt vom Mann weitgehende Autonomie. Scheitert er, muss er diese Niederlage in der Öffentlichkeit durch Dominanz in der Familie und/oder in puncto Sexualität zu kompensieren versuchen. Wird ihm auch dieser Bereich entzogen, seine Dominanz auszuleben, kann dies als Angriff auf seine männliche Identität verstanden werden. Das angeschlagene Selbstwertgefühl versucht sich im überzogenen Anspruch männlicher Überlegenheit aufzurichten. Es droht das Tötungsdelikt.

Betrachtet man das oft bereits von Jugend an negative Selbstbild vieler späterer Täter, ist dieser Faktor besonders brisant (H. Tausendteufel, 1997; H. Möller, 1996).

Schlussfolgerung

Die Tötung eines Menschen ist zwar so alt wie die Menschheit selber, aber nach wie vor ein unfassbares Ereignis. In der Mehrzahl der Fälle ist sie ein psychologisches Problem im weitesten Sinne. Besonders schwer zu verstehen ist die Tötung des Partners. Doch wer die Hintergründe kennt, ist nicht mehr so hilflos-entsetzt, eher nachdenklich. Das wäre ein großer Schritt in unserer Zeit und Gesellschaft, denn das meiste Leid wird nicht kommuniziert, wie die Experten sagen. Oder mit einem kurzen Satz: "Gedränge, aber kein Kontakt".

So geht es auch mit vielen Tötungsdelikten, vor allem im zwischenmenschlichen Nah-Bereich. Deshalb ist es auch so wichtig, dass man vor allem in der Allgemeinheit nicht nur nach entsprechenden Medien-Berichten "erschauert, sondern versteht". Nur so lässt sich nämlich die nächste Tat ggf. verhindern. Hier praktische Hilfestellung zu leisten ist die Aufgabe der Wissenschaft, in diesem Falle der Psychologen und Psychiater, der Psychotherapeuten, Kriminologen, Kriminalisten, Sozialpädagogen, Bewährungshelfer u. a., die sich mit einem Thema beschäftigen, das zwar wenig Freude verheißt, aber leider auch zum Alltag menschlichen (Fehl-)Verhaltens gehört, das es nicht nur zu erkennen, sondern auch zu verstehen und damit zu verhüten gilt (VF).

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
Beachten Sie deshalb bitte auch unseren Haftungsausschluss (s. Impressum).