Prof. Dr. med. Volker Faust Psychosoziale Gesundheit von Angst bis Zwang Seelische Störungen erkennen, verstehen, verhindern, behandeln |
Barbara Bojack, Heike Akli (Hrsg.):
|
Menschen, die ihren Partner getötet haben, zeichnen sich nun durch einen Attributions-Stil aus, der sowohl Erfolgs-, wie auch Misserfolgsereignisse auf ihre eigene Person bezieht, d. h. vor allem die alleinige Schuld für Misserfolge bei sich selber suchen. Das hat Konsequenzen, man kann es sich denken. |
In der Szene vor der Tat berichten Tötungs-Delinquenten auch über mehr selbstwertbelastende Ereignisse. Beispiele: Beleidigungen, Demütigungen oder Beschimpfungen durch die Partnerin oder durch andere Personen, die bei der Tat anwesend waren und zur Partnerin, dem späteren Opfer, hielten. Oder der Verweis aus der gemeinsamen Wohnung oder das Vorhandensein gemeinsamer Kinder, die nach der Trennung "auf jeden Fall" bei der Partnerin verbleiben würden.
Kein Wunder, dass die Tötungs-Delinquenten alles, was sich vor der Tat (und natürlich auch zuvor) abgespielt hat, als belastender einstufen als andere Menschen, vor allem die erwähnten Beleidigungen, Beschimpfungen oder Demütigungen durch die Partnerin.
Da aber zwischenmenschliche Beziehungen überaus komplex, d. h. mehrschichtig sind, gilt es noch andere Aspekte zu berücksichtigen. So weisen beispielsweise ähnliche Tötungs-Delinquenten nicht nur das geringste Selbstwertgefühl der drei untersuchten Vergleichsgruppen auf, sondern unterscheiden sich auch bezüglich ihres Selbstwertgefühles gegenüber Frauen generell. Oder kurz: Kaum Selbstwertgefühl und gegenüber Frauen im Allgemeinen und in der Auseinandersetzung mit der Partnerin vor der Tat noch weniger.
Diese ungünstige Kombination von "Angriffen auf ein ohnehin niedriges Selbstwertgefühl" könnte zur Entstehung der Tat beitragen. Oder überspitzt ausgedrückt: "Minderwertigkeitskomplexe in der Partnerschaft sind riskant".
Diese Erkenntnis wird auch durch andere Untersuchungen gestützt. Das "typische Muster der Trennungstat ist eine deutliche Selbstwertbelastung", lauten die Untersuchungsbefunde. Und die tritt nicht erst in der Trennungssituation auf. Es ist auch nicht so sehr der wechselhafte Verlauf, da bei vielen Paaren sich ein Wechselspiel von Trennung, erneut im Zusammenzug und weitere Trennungen abspielt. Es ist vielmehr die Bewertung dieser Entwicklung im Sinne des so genannten Problemlöse-Prozesses. Oder kurz: Werde ich mit dieser Trennungssituation fertig?
Die Antwort bei den späteren Tötungs-Delinquenten lautet: eher "nein". Diesen Männern ist es offenbar nicht gegeben, ihr Leben - zumindest zunächst - allein weiter zu führen und sich um eine andere Partnerin zu bemühen.
Psychoanalytisch gesprochen handelt es sich bei Gewalttaten an Intimpartnern häufig um so genannte narzisstische Beziehungen, bei denen einer der Partner ein krankhaft übersteigertes Bedürfnis hat, vom anderen geliebt und umsorgt zu werden, ohne diese Gefühle adäquat erwidern zu können. Die Folge für den narzisstisch Gefährdeten ist natürlich eine erhebliche Selbstwert-Problematik, die sich schließlich in übersteigertem Maße zu Verlust-Ängsten verdichtet, die zuletzt auch in riskante Reaktionen münden können. Oder verkürzt ausgedrückt: narzisstische Persönlichkeit ' narzisstische Kränkung ' narzisstische Krise ' Tötungshandlung.
Dies wurde schon vor vierzig Jahren in der forensischen Literatur aufgeführt, und zwar mit den Sätzen: "Der spätere Täter findet sich in der Position des Unterlegenen und Abhängigen wieder. Oder konkret: Eine primär kontakt-enge, eher gehemmte und vital-geschwächte Person trifft auf einen vitaleren, durchsetzungsfähigeren und souveräneren Partner" (D. Rasch, 1964).
Auch der viel zitierte Begriff der "erlernten Hilflosigkeit" wird bei Partner-Tötungsdelikten diskutiert: "Der Beziehungstäter sucht Fehler und Schwächen bei sich und fühlt sich verantwortlich für das Scheitern der Beziehung. Er ist um eigene Verhaltensänderungen bemüht, es kommt zur Aussprache zwischen dem Paar und beim Mann zu neuer Hoffnung auf eine Versöhnung mit der Partnerin. Wenn sich diese Hoffnung zerschlägt, kommt es (...) zur Situation der Hilflosigkeit, in der der Mann nicht mehr weiß, wie er sich verhalten soll und davon überzeugt ist, dass er durch sein Verhalten keinerlei Einfluss auf die folgenden Ereignisse mehr nehmen kann. Alles, was er tun kann, bleibt ohne Wirkung auf das Geschehen. Er fühlt sich den Situationen ausgeliefert, ohne sinnvoll handeln zu können. (...). Eine solche kritische Situation kann schließlich dazu führen, dass der Partner mit Handlungsunfähigkeit reagiert oder aber nur noch über ein sehr eingeschränktes Verhaltens-Repertoire verfügt, so dass die Situation schließlich in einem Tötungsdelikt ihren Abschluss finden kann (nach B. Matthes und C. Wenger de Chávez, 1996).
Tatsächlich finden viele Autoren bei solchen Beziehungstätern eine ungewöhnlich hohe Abhängigkeit von der Lebenspartnerin. Die Psychiater sprechen sogar von einer "dependenten (krankhaft abhängigen) Persönlichkeitsstörung" solcher Beziehungstäter. Entsprechende Untersuchungen kommen auf mehr als 70%.
Abhängige Menschen aber unterwerfen sich anderen Menschen unter Verzicht auf ihre Eigenbestimmung. Sie entledigen sich des "Eigenrechts und des Eigenwerts ihrer Person" (A. R. Lückert, 1972), wie es die Psychologen nennen. Auch dies ist ein Zeichen für ihr negatives Selbstkonzept, da es die Hoffnung nährt, wenigstens durch andere, d. h. durch eine oder mehrere enge Bezugspersonen zu einem positiven Selbstbild zu kommen. Kein Wunder: An solche Menschen klammern sich diese Personen oft so stark, dass sie sogar bereit sind auf ein Eigenleben nahezu zu verzichten. Will sich nun die Bezugsperson, häufig also die Lebenspartnerin, von ihm lösen, stellt dies eine kaum erträgliche Situation dar, der nur noch wenige Handlungs-Alternativen zur Verfügung stehen. Und die folgenschwerste ist die von starken Affekten (Gemütsregungen) begleitete Tötungstat.
Die Art der Abhängigkeit ist in der Regel rein psychischer Natur, zumindest in nahezu zwei Dritteln aller Fälle. Eher selten sind materielle Aspekte. Auch die Dauer der mit der Partnerin verbrachten Zeit ist bei Beziehungstätern ungewöhnlich hoch: Jeder fünfte Partner-Tötungs-Delinquent verbrachte nach den entsprechenden Untersuchungen mehr als zwanzig (!) Stunden täglich mit seiner Partnerin. Auch das beweist eindrücklich die "Anklammerung" der Beziehungstäter an ihre Partnerin und zeigt, dass von einem positiven, eigenständigen Selbstbild des Beziehungstäters nicht die Rede sein kann.
Das belastet aber auch die Partnerin, die auf diese Weise nicht mehr die Möglichkeit zu einem selbst bestimmten Leben hat, das auch von eigenen, von Außenkontakten geprägt ist, die dann nicht mehr ohne den "klammernden Lebenspartner" möglich sind.
Die Analyse von Fall-Berichten zeigt, dass Partner-Tötungs-Delinquenten häufig schon Probleme in der eigenen Herkunfts-Familie haben, vor allem schwierige Beziehung zu zumindest einem Elternteil. Solche Menschen schließen dann auch in ihrem späteren Leben kaum Freundschaften und sie tun sich vor allem schwer, Liebesbeziehungen einzugehen. Wenn sie es dann doch endlich wagen, verlangen sie, dass diese Beziehung auf ewig hält. Das ist dann nicht nur Liebe, sondern sie wollen sich auf diese Art "absichern und versuchen jede schmerzliche Trennung zu vermeiden." (nach A. W. Reinfried, 1999). |
So vielfältig, interessant und wegweisend die Untersuchungs-Befunde für männliche Tötungs-Delinquenten sind, so wenig weiß man bisher über Frauen in gleicher Situation. Das liegt zum einen daran, dass die Zahl der weiblichen Beziehungstäter nur etwa ein Zehntel der Gesamtzahl von Partner-Tötungs-Delikten ausmacht. Außerdem hat man sich auch erst in den letzten Jahren um entsprechende Untersuchungen bemüht. Und die gestalten sich in der Regel ähnlich wie beim Mann.
Frauen, die ihren Lebenspartner töten, befinden sich fast immer in einer krisenhaften Beziehung. Diese ist durch körperliche und/oder seelische Misshandlung geprägt. Die Vorhersage-Kriterien (Fachbegriff: Prädiktoren) für die Wahrscheinlichkeit eines Tötungsdeliktes sind deshalb auch die Schwere der Misshandlung, der Alkohol- und Drogenkonsum des misshandelnden Partners, die Häufigkeit des Missbrauchs, die Drohungen des Partners, seine Frau zu töten und die Drohung der Frau, Selbstmord zu begehen.
Man geht davon aus, dass zumindest einige dieser Delikte vermeidbar gewesen wären, hätten Instanzen wie z. B. die Polizei oder Frauenhäuser, die im Vorfeld oft um Rat gefragt werden, entsprechend reagiert.
Kommt es zum Tötungsdelikt, so geschieht dies in etwa der Hälfte der Fälle geplant, oft aber auch nicht durch die Frau allein. Häufig ist die Frau bei der Tat gar nicht anwesend, da sie jemand anderen bittet, die Tat für sie auszuführen.
Anders als bei den von Männern begangenen Tötungsdelikten ist das Motiv für die Tat nicht der Wunsch des Partners, die spätere Täterin oder die Veranlasserin der Tat verlassen zu wollen. Es sind vielmehr die Frauen, die aus dieser Beziehung entkommen wollen.
Nach den bisherigen Untersuchungserkenntnissen lassen sich deshalb auch keine "kognitiven Einengungen" feststellen, wie dies bei der Mehrzahl der männlichen Täter fast ausschließlich zu erkennen ist. Lediglich die Zahl der Suizid-Gedanken oder gar tatsächlichen Selbstmordversuche ist bei den weiblichen Tötungs-Delinquenten höher, ja sogar bemerkenswert hoch (rund drei Viertel und mehr).
Auch ist bei den Täterinnen nicht Rückzug und Isolationsneigung zu erkennen, im Gegenteil. Teilweise bestehen schon neue Partnerschaften, bei denen der neue Partner auch Helfer oder Ausführender der Tat ist. Allerdings fehlen zumeist Personen, mit denen sich die Frauen hätten aussprechen können oder sie vermieden ganz bewusst Gespräche über ihre schwierige Partnerschaft. Offizielle Institutionen erzielten - wenn sie denn auch aufgesucht wurden - häufig nicht das gewünschte Ergebnis, nämlich die unerträgliche Situation zu entschärfen. So fehlt dann auch oft die alternative Lösungsmöglichkeit, die die Tat hätten u. U. verhindern können.
Da die Mehrzahl der Täterinnen oft jahrelange andauernde körperlich und/oder seelische Belastungen bis hin zu Missbrauch und Gewalt erlebt hatten, ehe sie ihren Partner töteten, stellt sich natürlich die Frage, ob das niedrige Selbstbewusstsein die Folge oder die Ursache des ganzen Elends war. Im Allgemeinen aber wird das Selbstgefühl von weiblichen Partner-Tötungs-Delinquenten also nicht besonders belastend bis negativ angesehen.
Ein Vergleich zwischen den beiden Geschlechtern ist schwierig, und zwar nicht nur wegen der unterschiedlichen Fallzahl von männlichen und weiblichen Beziehungstätern. Auch darf man ja nicht vergessen, dass Männer ihre Tat meist alleine begehen, während Frauen oft von anderen Personen (Verwandter, neuer Lebenspartner, sogar bezahlter "Killer") begleitet werden bzw. bei der eigentlichen Tat gar nicht anwesend ist.
Doch die Beziehungssituation, in der sich der jeweilige Täter befindet, unterscheidet sich sehr ausgeprägt: Männliche Täter stehen oftmals in einem ausgesprochenen Abhängigkeits-Verhältnis zu ihrer Partnerin und wollen um jeden Preis an dieser Beziehung festhalten. Weibliche Tötungs-Delinquenten wollen die belastende Beziehung zumeist beenden.
Trotz aller Einschränkungen, was die Interpretation der gefunden Untersuchungsbefunde anbelangt, kann man aber von folgendem Ergebnis ausgehen:
- Männliche Partner-Tötungs-Delinquenten berichten zumeist über selbstwert-belastende Ereignisse in der Vorszene der Tat, wo sie doch ohnehin schon durch eine besondere Empfindlichkeit bezüglich selbstwert-belastender Ereignisse beeinträchtigt sind, insbesondere wenn sie von Frauen ausgelöst wurden. Das daraus folgende bzw. verstärkte negative Selbstwertgefühl und die wenigen Handlungs-Alternativen in solchen Situationen tragen dann zur Zuspitzung der Lage im Vorfeld der Tat bei.
- Frauen weisen vor allem deutlich weniger oder kaum psychosoziale Auffälligkeiten auf, auch keine konflikt-verschärfenden und selbstwert-belastenden Ereignisse in der Tat-Vorszene. Allerdings fällt eine hohe Zahl von Suizidgedanken und Selbstmordversuchen auf. Und natürlich der Umstand, dass in ihrem Fall bereits jahrelange Misshandlungs-Situationen voraus gegangen sind, was sich allerdings vor allem aus entsprechenden Fallstudien ergibt.
- Gemeinsam ist den Delikten von Männern und Frauen die Abhängigkeit des späteren Täters vom Opfer. Beim Mann eher in einer seelischen Abhängigkeit und bei der Täterin oftmals in einer körperlichen (Angst vor Misshandlung) bzw. finanziellen Abhängigkeit.
- Ein vor allem soziologisch wichtiger Aspekt ist das kulturelle Rollen-Denken. Das verlangt vom Mann weitgehende Autonomie. Scheitert er, muss er diese Niederlage in der Öffentlichkeit durch Dominanz in der Familie und/oder in puncto Sexualität zu kompensieren versuchen. Wird ihm auch dieser Bereich entzogen, seine Dominanz auszuleben, kann dies als Angriff auf seine männliche Identität verstanden werden. Das angeschlagene Selbstwertgefühl versucht sich im überzogenen Anspruch männlicher Überlegenheit aufzurichten. Es droht das Tötungsdelikt.
Betrachtet man das oft bereits von Jugend an negative Selbstbild vieler späterer Täter, ist dieser Faktor besonders brisant (H. Tausendteufel, 1997; H. Möller, 1996).
Schlussfolgerung
Die Tötung eines Menschen ist zwar so alt wie die Menschheit selber, aber nach wie vor ein unfassbares Ereignis. In der Mehrzahl der Fälle ist sie ein psychologisches Problem im weitesten Sinne. Besonders schwer zu verstehen ist die Tötung des Partners. Doch wer die Hintergründe kennt, ist nicht mehr so hilflos-entsetzt, eher nachdenklich. Das wäre ein großer Schritt in unserer Zeit und Gesellschaft, denn das meiste Leid wird nicht kommuniziert, wie die Experten sagen. Oder mit einem kurzen Satz: "Gedränge, aber kein Kontakt".
So geht es auch mit vielen Tötungsdelikten, vor allem im zwischenmenschlichen Nah-Bereich. Deshalb ist es auch so wichtig, dass man vor allem in der Allgemeinheit nicht nur nach entsprechenden Medien-Berichten "erschauert, sondern versteht". Nur so lässt sich nämlich die nächste Tat ggf. verhindern. Hier praktische Hilfestellung zu leisten ist die Aufgabe der Wissenschaft, in diesem Falle der Psychologen und Psychiater, der Psychotherapeuten, Kriminologen, Kriminalisten, Sozialpädagogen, Bewährungshelfer u. a., die sich mit einem Thema beschäftigen, das zwar wenig Freude verheißt, aber leider auch zum Alltag menschlichen (Fehl-)Verhaltens gehört, das es nicht nur zu erkennen, sondern auch zu verstehen und damit zu verhüten gilt (VF).
Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
Beachten Sie deshalb bitte auch unseren Haftungsausschluss (s. Impressum).