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R. du Bois, F. Resch:
KLINISCHE PSYCHOTHERAPIE DES JUGENDALTERS
Ein integratives Praxisbuch
Kohlhammer-Verlag, Stuttgart 2005. 591 S., € 45,00.
ISBN 3-17-015988-7

Es ist nicht zu übersehen: In dieser Serie werden in den Buchbesprechungen vor allem drei Schwerpunkte deutlich: Seelische Störungen im Kindes- und Jugendalter sowie im höheren Lebensalter und Grenzgebiete der Psychiatrie. Letzteres, weil sie im Alltag (auch von Klinik, Praxis und sogar Forschung) gerne untergehen, bestenfalls als Kuriosa registriert werden. Die Älteren und ihre Probleme, weil sie plötzlich zu einem dominanten gesellschafts-psychologischen Faktor zu werden scheinen, ob wir das gut finden oder nicht. Und die ersten beiden Jahrzehnte des Lebens, weil ihnen die Zukunft gehört (oder gehören sollte) und damit unser alle Wohl und Weh.

Ein Buch, das den Fachleuten in klinischen Einrichtungen und Praxen und deren Umfeld empfohlen sei, die mit jungen Patienten arbeiten, ist die Klinische Psychotherapie des Jugendalters, treffend als integratives Praxisbuch beschrieben.

Die zwei Autoren sind anerkannte Experten ihres Faches, nämlich Prof. Dr. Reinmar du Bois von der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Tübingen sowie Prof. Dr. Franz Resch, Lehrstuhlinhaber der gleichen Disziplin an der Universität Heidelberg, beide Klinikleiter und seit vielen Jahren in Forschung, Lehre und Alltagspraxis tätig. Ihre Leser sind die Fachleute mit medizinischer, psychologischer und pädagogischer Ausbildung und - wie die Autoren es nennen - "einem Strauß von Weiterbildungen mit psychiatrischen, analytischen, verhaltenstherapeutischen, systemischen, humanistischen, körperorientierten und künstlerischen Weiterbildungen". Was haben die Autor/Innen zu bieten?

In aller Regel herrsche in den heutigen multi-professionellen Teams (siehe oben) Methodenvielfalt vor, oder ein wenig skeptischer umschrieben: Eklektizismus. Negativ definiert ist das ein unschöpferisches Denken, das sich lediglich vorhandener Systeme, Schulen oder Stile bedient. Konstruktiv eingesetzt ist es allerdings das "Optimum", das sich jeder - zumindest ältere - Fachmann selber erarbeitet hat. Und das dürften die Autoren auch so meinen, auch wenn sich die eklektische Vielfalt konvergieren lassen sollte, um nicht zu beliebiger Routine zu erstarren. Es wird eine psychodynamische Grundhaltung empfohlen und durch dieses Buch auch angeregt.

Begonnen wird jedes Kapitel mit der Klassifikation der ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation (WHO), um dann aber entwicklungs-psychopathologische Entwürfe zu bieten: Grundeigenschaften, darunter vor allem die Phänomene der Vulnerabilität (Verwundbarkeit) und Ressourcen (Reserven) auf seelisch-psychosozialem Gebiet, die die jungen Patienten mitbringen, teils als Problem bzw. Störung, teils als Therapie-Ansatz. Deshalb beginnt das Buch mit Entwürfen über die Disposition (anlagebedingte Krankheitsneigung), das Temperament und die frühen Persönlichkeitszüge, Grundlage späterer Störungen. Es folgen die "inneren Spuren der äußeren Belastungen", heute als psychische Traumen bezeichnet und die daraus folgenden Weichenstellungen zur späteren psychischen Auffälligkeit. Gefragt wird auch nach den sozialen Verhältnissen, in die die jungen Menschen hineingestellt wurden: Familie, Schule, Freundeskreis, was auch ihre Lebensentwürfe und -formen und ihre Beziehungen prägt. Wichtig sind dabei Selbst-Erleben und Konflikt-Verarbeitung, insbesondere bei der narzisstischen Selbstregulation, die im Jugendalter so essentiell und im Erwachsenenalter ggf. so störend ist.

Unvermeidbar sind die derzeit kontrovers diskutierten Themen wie beispielsweise Früherkennung und Behandlung schizophrener Psychosen und das ADHS-Konzept ("Zappelphilipp"), Letzteres unter Einschluss der Psychostimulantien-Therapie-Alternative. Interessant hier - nebenbei bemerkt - das gesellschaftspolitische Pro und Kontra zu Diagnose, Differentialdiagnose, Psycho-, Sozio- und Pharmakotherapie. Oder auf Deutsch: Ist Methylphenidat das lange erwartete Geheimrezept gegen Aggressivität und antisoziales Verhalten schlechthin?

Ein weiterer Brennpunkt, vor allem, was die Medien und die Allgemeinheit anbelangt, sind die Problemkreise Täter und Opfer sexuellen Missbrauchs und anderer Misshandlungen. Hier geht es vor allem um angemessene Hilfen und rechtzeitige Interventionen in der Familie.

Weitere Schwerpunkte des Fachbuches sind Tageskliniken, die Zusammenarbeit von Psychiatrie und Jugendhilfe einschließend kontroverser Fragen bezüglich Zusammenspiel von klinischer Versorgung und Jugendhilfe am Beispiel "schwieriger" Patienten.

Das Literaturverzeichnis ist - wie nicht anders zu erwarten - umfassend (und überwiegend englischsprachig). Das Sachwortverzeichnis hilfreich und vor allem ergänzt durch so genannte "Fundstellen für die psychotherapeutische Praxis", d. h. Problemkreise in Form von längeren stichwortartigen Fragestellungen von ADHS bis Zwangsstörungen. Eine gute Idee, man merkt: Von Autoren aus dem Praxisalltag für Kolleg/Innen im Praxisalltag.

So ist auch das ganze Buch gehalten, seinem Untertitel "Integratives Praxisbuch" voll gerecht werdend und bei vernünftigem Preis sicher eine bald führende Informationsquelle für Fachleute (VF).

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.
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