C. Rätsch:
Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen
Botanik, Ethnopharmakologie und Anwendungen
AT-Verlag, Aarau 1999. 4. Aufl., 944 S., € 99,00. ISBN: 3-85502-570-3
C. Rätsch, Claudia Müller-Ebeling:
Lexikon der Liebesmittel
Pflanzliche, mineralische, tierische und synthetische Aphrodisiaka
AT-Verlag, Aarau 2003. 784 S., € 39,90. ISBN: 3-85502-772-2
Wenn man diese Bücher von Christian Rätsch und MitarbeiterInnen aus dem AT-Verlag Aarau/Schweiz vor sich liegen sieht, lacht einem das Herz, sofern man sich noch einen Rest bibliophiber Genussfähigkeit bewahrt hat. Und wenn man sie aufschlägt, lässt sich dieser Genuss noch steigern: Hunderte von meist mehrfarbigen Abbildungen in hervorragender Bildqualität. Und Themen und Inhalt? Das Gleiche, eine schier unüberblickbare Fülle von Informationen: wissenschaftlich fundiert (was gerade auf diesem Gebiet nicht einfach sein dürfte), knapp und doch interessant dargeboten (wobei auch humoristische, ja ironische Zwischentöne nicht fehlen, gleichsam das „Salz in der Suppe“). Und vor allem zwei Fachgebiete, die zwar viele brennend interessieren - aber kaum offiziell zur Sprache kommen (nicht einmal in den Medien, insbesondere im Fernsehen, wo man zwar ständig Talk-Vorreiter sein will, dann aber als ModeratorIn doch noch Angst vor den „alten Herren in den Chef-Etagen“ bekommt - und das Endergebnis bleibt dürftig).
Um was handelt es sich? Geboten werden die ältesten Erkenntnisse unserer Erde. Die Buchtitel des Altamerikanisten, Ethnopharmakologen und Ethnobotanikers Dr. phil. Christian Rätsch und der Kunsthistorikerin und Ethnologin Dr. phil. Claudia Müller-Ebeling und ihrer MitarbeiterInnen mögen es illustrieren: Coca und Kokain, Pilze der Götter, Räucherstoffe (der Atem des Drachen), Pflanzen der Götter, Pflanzen der Liebe, Hexenmedizin, Schamanismus und Tantra in Nepal sowie die hier zu besprechenden Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen und das Lexikon der Liebesmittel.
- „Der Zeitpunkt, in dem etwas geschieht auf dieser Welt, wird bestimmt durch die Zustände, die nach diesem Geschehen rufen“, schreibt im Geleitwort Dr. phil. Dr. h.c. mult. A. Hofmann, viel-geehrter Biochemiker und Entdecker des LSD („mein Sorgenkind“). Und in der Tat: Viele beginnen sich „zurückzubesinnen“, fragen nach den Wurzeln, möchten etwas wissen über die Natur, bevor sie völlig vernichtet ist. Und da die Seele immer mehr ins Blickfeld des Geschehens rückt (nicht zuletzt durch die wachsende Zahl von psychischen Störungen: „Die Seele hat Konjunktur“), will man auch etwas über psychotrope Substanzen wissen. Und hier nicht nur über chemische Produkte (denen die meisten eher Misstrauen entgegenbringen), sondern insbesondere über Pflanzen, die eine psychoaktive Wirkung entfalten und seit Jahrtausenden für Heil- und ggf. Unheil sorgen.
An Literatur mangelt es nicht, im Gegenteil. Zwei Aspekte aber bremsen jedes Interesse aus: Zum einen die fragliche Seriosität vieler Publikationen und zum anderen die erwähnte Unübersichtlichkeit, die inzwischen jede konkrete Fragestellung zur Mühsal und jeden Durchblick unmöglich macht. Hier hilft eine Enzyklopädie, also die umfassende Darstellung, alphabetisch geordnet und für jedes Stichwort gegliedert in Familie, Formen und Unterarten, Synonyme, volkstümliche Namen (eine Fleißarbeit für sich!), Geschichtliches, Verbreitung, Anbau, Aussehen, Zubereitung und Dosierung, rituelle Verwendung, Artefakte, medizinische Applikation, Inhaltsstoffe, Wirkung, Marktformen und Vorschriften sowie die wichtigsten Literaturstellen für jede Pflanze. Und das Ganze ergänzt durch eine umfassende botanische Systematik, eine allgemeine Bibliographie (wiederum wunderschön mit den Titelblättern bedeutender Werke „garniert“) und ein detailliertes Sachwortverzeichnis.
Dazu noch die erwähnten herrlichen Aufnahmen und alles auf der Basis jenes Satzes, den man dem Autor C. Rätsch auch abnimmt: „Hier fließen Forschungsergebnisse und Erfahrungen von mehr als 20 Jahren zusammen; ich habe Informationen in aller Welt gesammelt, eine große Spezialbibliothek aufgebaut, unzählige Kongresse und Symposien besucht, mich durch die Pflanzenwelt fotografiert und mit möglichst vielen psychoaktiven Pflanzen experimentiert. Diese Sammlung an Wissen hat sich in dieser Enzyklopädie geordnet und verdichtet“.
Unser Kommentar: Dieses Buch, außerdem noch zu einem ungewöhnlich günstigen Preis, kann nur jedem empfohlen werden, der ein Standardwerk psychoaktiver Pflanzen in seiner Bibliothek wissen will.
- Sexualität bestimmt unser Leben, könnte man meinen, wenn man die Medien als Zeitzeugen heranzieht. Im persönlichen Gespräch dominiert aber eher Zurückhaltung. Allerdings bewegt sich hier etwas in Richtung eines klassischen Zitats: „Die Gedanken sind frei“. Wo man sich aber einerseits von einer zwiespältigen Informations-Flut überrollt, andererseits unzureichend fundiert versorgt sieht, das sind die wissenschaftlich objektivierbaren Fakten. Nirgends klafft eine solch eklatante Lücke wie zwischen realem Wissensstand und „veröffentlichter“ Meinung. Dies betrifft leider auch viele allgemeine verständliche Sachbücher (die sich im Vergleich zur Fachliteratur meist zu weit aus dem Fenster lehnen), von Print-Medien in jeder Form und Fernsehen ganz zu schweigen (der Funk hält sich hier noch am ehesten zurück). Woher also solides Wissen nehmen? Vielleicht sogar bildhaft untermalt und zwar seriös, aber auch lesbar dargeboten (ein vergessener Lehrsatz: Studieren darf Freude machen)?
Eine solche Hilfestellung für ein Gebiet, dass zwar lebhaftes Interesse weckt, wissenschaftlich aber nicht gerade konstruktiv verpackt dargeboten wird, sind die gerade in letzter Zeit vermehrt ins Gespräch gekommenen Aphrodisiaka (geschickte Werbung der modernen Potenzmittel in praktisch allen Medien-Sparten).
Da darf an das Lexikon der Liebesmittel (pflanzliche, mineralische, tierische und synthetische Aphrodisiaka) erinnert werden. Es ist schon vom international zusammengetragenen Bildmaterial her ein Genuss (nebenbei nicht nur unverfängliche Pflanzen-Fotos), aber auf jeden Fall ästhetisch geglückt (siehe der obige Lehrsatz). Offeriert wird wiederum eine schier unfassbare Fülle von Angeboten mit einer historischen Einleitung (da kann man dann erfahren, wie weit sich unsere „moderne“ Informations-Gesellschaft in ihrem Wissensstand zurückentwickelt hat), vor allem ein umfassendes Lexikon von A bis Z in ähnlicher Gliederung wie bei obigem Werk und mit einem jeweiligen Literaturverzeichnis abgeschossen. Den Schluss bilden erneut eine auch bildnerisch angereicherte Bibliographie (einschließlich einer kurzen Buchgeschichte zum Thema Aphrodisiaka) und ein hilfreiches Sachwortverzeichnis.
Man sollte sich den Verlag (der sich durch eine gediegene und doch anregende Produktion in Schrift und Bild auszeichnet), die Autoren (wenn man ihre Vorworte liest und ihre Fotos sieht muss man - Verzeihung! - schmunzeln, aber in positivem Sinne) und die erwähnten prachtvollen Bände merken - und sich beide gönnen. Es ist eine lohnende Mischung aus Wissenserwerb und Unterhaltung.
V. Faust, Weissenau
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