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O. F. Kernberg, B. Dulz, J. Eckert:
WIR: Psychotherapeuten über sich und ihren „unmöglichen„ Beruf.
Schattauer-Verlag, Stuttgart 2005, 609 S., € 59,00. ISBN: 3-7945-2293-1

A. Kämmerer, J. Funke:
SEELENLANDSCHAFTEN.
Streifzüge durch die Psychologie. 98 persönliche Positionen.
Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2004. 201 S., € 19,90. ISBN: 3-525-46206-9

Selbstkritische Äußerungen eines Psychotherapeuten in Wort oder gar Schrift galten früher als Nestbeschmutzung. Wer sich das erlaubte, musste – natürlich nicht offiziell, sondern heimlich, still und leise – mit missbilligenden Kommentaren aus den eigenen Reihen rechnen, wenn nicht gar mit einer „Psychopathologisierung„ („der ist halt selber gestört...„) bzw. mit persönlicher oder beruflicher Ausgrenzung und damit ggf. auch wirtschaftlichen Einbußen. Dafür gibt es Beispiele, über die aber niemand spricht.

Das ist – so erstaunlich sich das erst einmal anhört – zum einen verständlich, denn die Position eines psychotherapeutisch tätigen Arztes oder Psychologen ist schon anders strukturiert als beispielsweise eines nicht-therapeutisch tätigen Berufes und sogar eines „organisch„ tätigen Arztes. Einzelheiten dazu siehe die jetzt immer häufiger aufkommende Spezial-Literatur, ausgehend von US-amerikanischen Autoren und ganzen Studien-Teams, die sich solchen Fragestellungen detailliert annehmen und inzwischen auch nachlesbar in deutscher Sprache. Zwei jüngere Werke dazu siehe Kasten.

Zusammenfassende Darstellungen über psychosoziale Ausgangssituation, Berufswahl, Ausbildung, wissenschaftliche Laufbahn, Berufs-Schwerpunkt in Klinik und Praxis, Forschung und Lehre, aber auch über persönliche Probleme, über Lebensqualität, Widerstände im Arbeitsalltag, Liebesbeziehungen, Partnerschaft, Ehe, Sexualität, Familie, Kinder, eigene grenzwertige bis krankhafte Persönlichkeitsstrukturen, Suizidalität, Probleme im Kollegenkreis, über Macht, Humor, Hoffnungen, Ehrlichkeit, die Einstellung zu Geld und den Medien, den gesamten Lebensweg angesichts einer vorgegebenen Therapieschule und vor allem das Verhältnis zu den Patienten. Dies und weit mehr findet man in den beiden neuen Sammelbänden:

Otto F. Kernberg, Birger Dulz, Jochen Eckert (Hrsg.):WIR: Psychotherapeuten über sich und ihren „unmöglichen„ Beruf. Das wohl in deutscher Sprache erste und vor allem überaus detaillierte Buch mit dutzenden von psychotherapeutisch tätigen Autoren zu einer Vielzahl entsprechender Fragestellungen, die die Allgemeinheit schon lange interessieren – bisher allerdings ohne entsprechenden Zugang vonseiten der Experten selber.

Anette Kämmerer, Joachim Funke (Hrsg.):Seelenlandschaften. Streifzüge durch die Psychologie. 98 persönliche Positionen. Interessante Darstellung und „buntgemischte Auswahl von 98 Professorinnen und Professoren für Psychologie aus den deutschsprachigen Ländern, die angeschrieben (das waren dann allerdings rund 350) und darum gebeten wurden, auf maximal zwei Seiten etwas Persönliches darzustellen – etwas, das im Alltagsgeschäft der Psychologie keinen Platz findet, ... mit dem aber etwas anklingt, was den speziellen Reiz der Psychologie oder des Psychologischen deutlich werden lässt„ (aus dem Vorwort der Herausgeber).

Nun ist es zu keiner Zeit jedermann gegeben (und wird auch nie zu erreichen sein), aufrichtig und ohne Scheu über sein Innerstes zu berichten, über alle Hoffnungen, Sehnsüchte, Erwartungen auf der einen und alle Enttäuschungen, Frustrationen und „seelischen Verwundungen„ auf der anderen Seite – denn genau das wird ja erwartet, zumindest im psychotherapeutischen Bereich. Eigentlich auch von den Psychotherapeuten selber. Aber da hat man sich bisher wohl keine Hoffnungen gemacht. Und wenn etwas Selbstkritisches kam, dann – so die Meinung nicht nur in Laienkreisen –, dann eher von älteren, abgeklärten, aus der „Karriere-Mühle„ herausgetretenen Ärzten und Psychologen mit psychotherapeutischem Schwerpunkt, „die sich das eben auch leisten konnten...„. Das war immerhin ein Fortschritt und könnte auch in Zukunft Schule machen, selbst in Richtung jüngere und noch im beruflichen Alltag stehende Therapeuten (wobei es durchaus schon früher entsprechende selbstkritische Überlegungen gab, die allerdings die Allgemeinheit nur selten erreichten, falls überhaupt).

Einer von ihnen, der sich dieses „heißen„ Themas „Der Psychotherapeut und sein Narzissmus„ angenommen hat, ist der emeritierte Professor für Medizinische Psychologie und Psychotherapie und bis 1983 Direktor der Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik der Universität Kiel, Prof. Dr. med. Henner Völkel (Jahrgang 1916). Er schreibt in dem im Kasten zitierten Buch der Psychotherapeuten über sich selber:

Wählt der Psychotherapeut seinen Beruf „in eigener Sache„?

Lange war der Begriff „Narzissmus„ im allgemeinen Sprachgebrauch mit negativen Vorurteilen gepflastert, und das bis heute. Auch in der psychoanalytischen Theorie überwiegen die negativen Werturteile. Dabei gilt der Narzissmus als normale Entwicklungsstufe (Sigmund Freud: Auf dem Wege vom Autoerotismus zur Objektliebe). Doch geblieben ist vor allem das Belastende, was in der Tat in negativer Ausprägung auch dominiert, nämlich ein egozentrischer, in sich selbst verliebter und kontaktgestörter Mensch, unfähig zu einer reifen „Objektliebe„ (d. h. zu anderen).

Die Motivation zur Berufswahl des Psychotherapeuten ist – wie bei allen anderen Berufen auch – durch eine Vielzahl von Aspekten geprägt (Fachbegriff: „Motiv-Profil„), die zumindest teilweise unbewusst bleiben. Nun zählt zu den gängigen Vorurteilen der oft zu hörende Satz: Der Psychotherapeut wählt seinen Beruf vor allem in eigener Sache, d. h. letztlich aus einer eigenen seelischen und psychosozialen Ausgangslage heraus, die ggf. psychotherapeutische Hilfe beanspruchen könnte. Dazu Professor Völkel: „In dieser Verallgemeinerung ist das gewiss übertrieben, aber dennoch nicht grundsätzlich falsch, ebenso wenig wie der Satz, dass man nicht „zu gesund„ sein dürfe, um ein sensibler Therapeut zu werden.„

Tatsächlich gerät der Psychotherapeut aufgrund seiner spezifischen Arzt-/Psychologen-Patient-Situation in eine besonders privilegierte, aber ggf. auch heikle Lage. Natürlich muss er schon aufgrund weniger Andeutungen auf wesentliche Charakterzüge, ja Konflikte seines Klienten zu schließen lernen. Damit droht rasch der Nimbus eines „Hellsehers„ („ich brauche ja wohl gar nichts mehr zu sagen, für Sie bin ich ja doch wie ein aufgeschlagenes Buch„). Das tut gut – und hält reichlich Fußangeln bereit. Denn damit gerät er in Gefahr, anstelle der geforderten fachlichen Intuition (unmittelbare, nicht durch den Verstand vermittelte Erkenntnis bzw. gar Eingebung) in kühne Phantasien abzugleiten, die aber nichts mit der Realität des Patienten zu tun haben müssen. „Somit bietet ihm sein Beruf reichlich Gelegenheit, den Schein der Überlegenheit zu kultivieren„ (H. Völkel).

Den Narzissmus des Psychotherapeuten aufarbeiten

Lange Zeit war deshalb der Narzissmus psychotherapeutisch tätiger Ärzte und Psychologen ein Tabu, über das man nicht sprach und das schon gar nicht hinterfragt wurde. Inzwischen beginnt man es jedoch zunehmend zu diskutieren. Kein Thema ist dabei die „simple Eitelkeit, die sich mit der Miene des großen Magiers und einer zum sonoren Bariton modulierten Stimme einer geheimnisvollen raunenden Wissenschaftssprache bedient„. Das Gleiche gilt auch für ein mitunter abenteuerliches Outfit, das so manchen irritierenden Therapeuten-Auftritt charakterisiert und wohl den erwünschten Status des Gurus dokumentieren soll – auch wenn derlei natürlich vehement abgestritten wird.

Solche Therapeuten – so Völkel – haben Probleme mit dem „exhibitionistischen Anteil ihres Narzissmus„. Das läuft diametral den Forderungen der Distanz, der Abstinenz und des analytischen Inkognitos zuwider. Leider wurde dieses ungünstige und wohl für die meisten nicht zutreffende Bild durch amerikanische Gepflogenheiten untermauert, die die Wände ihrer Behandlungsräume mit Zertifikaten und Auszeichnungs-Dokumenten schmücken lassen (was in entsprechenden Filmen dann auch deutlich zum Ausdruck kommt und kräftig ironisiert wird – zu Recht).

Der „Anerkennungs-Nachholbedarf„ und seine späte Erfüllung

Jeder weiß: In der tiefenpsychologisch orientierten Psychotherapie gehört eine enge Gefühlsbeziehung des Patienten zum Therapeuten zum Behandlungsprozess. Diese so genannte „Übertragung„ (siehe Kasten) kann jedoch für den Therapeuten auch zur narzisstischen Versuchung werden. Oder schlicht gesprochen: Wenn man mit eigenen früheren narzisstischen Frustrationen (vom lateinischen: frustra = vergeblich) oder gar früheren Traumatisierungen (seelischen Verwundungen) noch nicht so recht fertiggeworden ist, gleichsam einen „Nachholbedarf an liebevoller Anerkennung„ hat, dann kann so eine positive Übertragungsbeziehung durchaus auch einmal als „späte Wiedergutmachung des Schicksals„ fehl-interpretiert werden. Das lernt man zwar in der Aus- und Weiterbildung zu durchschauen und möglichst zu vermeiden – aber eben nur möglichst...

  • Übertragung:Einer der wichtigsten Begriffe in der Neurosenlehre und Psychotherapie. Dabei gibt es aber unterschiedliche Sichtweisen: Psychoanalyse, Individualpsychologie, Analytische Psychologie, Hypno(se)therapie, Katatym-imaginative Psychotherapie, Gestalttherapie u. a. Der Kern des Phänomens ist die Projektion. Darunter versteht man die Verlagerung eines gefürchteten, peinlichen oder unangenehmen Impulses in die Außenwelt, in eine Person oder einen Gegenstand. Projektionen beziehen sich meistens auf frühkindliche Einstellungen, Wünsche und Gefühle zu Vater, Mutter oder anderen Personen und richten sich in der Psychotherapie auf den Psychotherapeuten. Ihm gegenüber verhält sich dann der Patient wie er es in früher Kindheit getan hat, nur mit dem Unterschied: Jetzt kann dies belastende Phänomen identifiziert, an- und vor allem ausgesprochen, erläutert und damit neutralisiert werden.
  • Gegenübertragung:Unterschiedliche fachliche Sichtweisen (s. o.), aber im Kern der Einfluss unbewusster Konflikte und Bedürfnisse des Psychotherapeuten selber auf die Psychoanalyse bzw. seinen Patienten. Positive Gegenübertragung ist Teil jeder Psychotherapie, wobei jedoch die objektive Position nicht verlassen werden darf. Negative Übertragung (Wut, Hass, Aggressivität) kann den Therapieerfolg blockieren. Die Eigenanalyse des Analytikers soll ihn deshalb befähigen, seine Übertragungsgefühle zu erkennen, zu verstehen und rechtzeitig aufzulösen, um nicht den Therapieerfolg zu gefährden.

Professor Völkel formuliert dies so: „Hier lauern aber Gefahren, die besonders groß sind, wenn der Therapeut – aus welchen Gründen auch immer – in so hohem Maße „narzissmusbedürftig„ ist, dass er die Berufsfreude nahezu ausschließlich aus der Möglichkeit schöpft, eigene narzisstische Defizite über liebevolle Identifizierung mit dem Patienten positiv zu verarbeiten„. Und etwas später noch plastischer: „Sich nicht von der „narzisstischen Fütterung„ durch den Patienten verführen zu lassen.„

Die Zuwendung des Patienten ist also nur im Rahmen der „Übertragung„ zu sehen, darf keine legitime narzisstische Befriedigung werden und sollte – so der erfahrende Psychotherapeut – mit „reifer Resignation„ und einem Anflug von Wehmut verbunden sein. Das ist sehr wohlwollend und auch treffend formuliert, denn es tut schon auch irgendwie weh, wenn man gar nicht selber gemeint ist, gleichsam nur eine Stellvertreter-Funktion einnimmt. Ist der Therapeut sich aber über seine eigenen narzisstischen Bedürfnisse und seine narzisstische Kränkbarkeit nicht im Klaren, dann kann er den Behandlungsprozess durch inadäquate „Gegenübertrags-Reaktionen„ gefährden. (siehe Kasten).

Nun gibt es Krankheitsbilder, in denen die narzisstische Befriedigung recht kümmerlich ausfällt. Ein klassisches Beispiel dafür ist die Therapie von Suchtkranken (Alkoholismus, Rauschdrogen, Medikamentenabhängigkeit, Mehrfachabhängigkeit, auch nicht-stoffgebundene Suchterkrankungen). Da tritt dann eine andere Versuchung bzw. Gefährdung an den Therapeuten heran, nämlich ein missionarisches Sendungsbewusstsein (was schon das bereits erwähnte Motiv-Profil prägen kann). Hier wird die berufliche Motivation nicht so sehr durch die erwähnte „narzisstische Fütterung„ durch dankbare Patienten getragen, sondern durch die (moralische) Überlegenheit des Therapeuten („der hilfesuchende Patient als charakterlich defekter, moralisch gestrauchelter Mensch„).

Übertragungsliebe versus Übertragungsaggression

Wenn nun ein unbefangener Leser meint, ein Psychotherapeut könnte sich ständig in positiver Zuwendung baden, so irrt er natürlich. Das Gegenstück zur Übertragungsliebe ist die „Übertragungsaggression„. Auch sie wurzelt in der lebensgeschichtlichen Vergangenheit mit früheren Bezugspersonen – und ist deshalb nicht gerade selten. Oder schlicht gesprochen: Der Therapeut muss nicht nur Bewunderung oder gar liebevolle Zuwendung, sondern auch Aggressionen (bis hin zu zornigen Kommentaren oder gar Wutausbrüchen) aushalten. Doch auch das hat er gelernt und sollte es sich als psychodynamisches Phänomen im Rahmen der Wiederbelebung belastender, wenn auch bisher verdrängter Erfahrungen in Erinnerung rufen.

Wenn ihm das nicht gelingt, dann kann er diese so genannte negative Übertragung als Attacke auf sein narzisstisches Selbstbewusstsein fehl-interpretieren. Nun, wie erwähnt: das hat er gelernt. Aber gelingt es ihm im therapeutischen Alltag auch idealerweise? Nicht immer, denn auch der Therapeut ist nur ein Mensch und damit auf ein so genanntes „Ideal-Selbst„ angewiesen, selbstironisch auch als „kleinen Privatwahn„ bezeichnet (H. Henseler). Dieses mutige Bekenntnis zum Narzissmus des Therapeuten wäre früher als Tabu-Bruch nicht nur heller Empörung, sondern auch Spott und Hohn der Kollegenschaft ausgeliefert gewesen. Inzwischen denkt man aber darüber selbstkritischer nach, denn:

Ist der Therapeut nicht in der Lage, die negativen Übertrags-Aktivitäten seines Patienten richtig zu bewerten, d. h. reagiert er darauf gleichsam „normal-psychologisch„ wie jeder Mitbürger beiderlei Geschlechts im Alltag, also konkret mit Erstaunen, Irritation, Ablehnung oder gar (Gegen-)Aggression, dann ruiniert er das Psychotherapeut-Patient-Verhältnis und die Behandlung scheitert („mit dem so nicht...„, denken und handeln dann zumindest eine, meist aber beide Seiten).

Umgekehrt aber kann sich der Therapeut natürlich auch in die tröstliche Entlastung flüchten: „Das ist doch alles nur Übertragung des Patienten„, also krankheits- und behandlungs-typisch. In Wirklichkeit wären aber durchaus reale kritische Anteile zu erkennen und zu berücksichtigen. Dazu kommt es aber nicht, weil die falsche Reaktion (einschließlich Trost) die schmerzliche, aber eben auch konstruktive Einsicht in eigene Defizite, Kompetenz-Mängel oder Verständnis-Schwachpunkte verhindert.

Am verhängnisvollsten aber wird es nach Professor Völkel, wenn der Patient zum Objekt schwer durchschaubarer Aggressions-Abfuhr wird. Diese Behandlungs-Sackgasse mit irgendwann unerfreulichem Ende kann dem Therapeuten gar nicht bewusst sein, weil er beispielsweise sein Vorgehen mit der Überlegung rationalisiert: „Ich will den Patienten doch gar nicht klein machen, sondern nur mit der Realität konfrontieren„. Heftigere Aggressions-Durchbrüche sind sicher die Ausnahme, feinstrukturierte oder schwer durchschaubare Formen solch narzisstischer Aggressionen hingegen wohl nicht.

Geschlechts-typische Probleme

Zuletzt weist Professor Völkel noch auf eine besondere, nämlich narzisstische Problematik der Geschlechts-Identität hin. So kann es für eine Therapeutin, die sich als Kind mit ihrem Geschlecht nicht positiv identifizieren konnte (vielleicht im rivalisierenden Vergleich mit bevorzugten Brüdern) und damit unbewusst unter einem Defizit-Gefühl leidet durchaus eine interessante, wenngleich riskante Gelegenheit sein, alte Rechnungen zu begleichen – vor allem gegenüber männlichen Patienten. Das gilt natürlich auch für männliche Therapeuten mit umgekehrtem Vorzeichen. Oder wörtlich: „Verhängnisvoll kann es (...) besonders dann werden, wenn die Therapeutin eine Geschlechtsgenossin, die in einem Partnerkonflikt steht, identifizierend zu Aktivitäten motiviert, die diese nun „stellvertretend„ für ihre Therapeutin realisiert. Die eigene narzisstische Problematik wird damit an die Patientin delegiert„. Und das mit ggf. verhängnisvollen Konsequenzen.

Umgekehrt ist nach Professor Völkel bei männlichen Therapeuten ein narzisstisches Moment der Berufswahl und Motivation zu diskutieren, das er auch bei bestimmten Frauenärzten findet. Auch dort könne ein Beruf gewählt werden, der so manche alte narzisstische Wunde durch spätere Berufs-Überlegenheit vernarben lasse. Und ähnliche narzisstische Strukturelemente seien bei manchen Psychotherapeuten anzutreffen, weil dort nicht nur tief verankerte Minderwertigkeitsgefühle kompensiert, sondern eben gelegentlich auch „überkompensiert„ würden.

Noch komplexer und vor allem für den Laien schwer durchschaubar, inzwischen aber „wissenschaftlich überholt und damit in der Gefahr, ein wenig ins Lächerliche abzugleiten„, seien bei männlichen Psychotherapeuten so manche „metapsychologische Klischees„ (unreflektiert übernommene Vorstellungen), wie „Penis-Neid„, „Masochismus als vorgegebene weibliche Eigenschaft„ oder gar das „schwächere Über-Ich der Frau„ (und in Auseinandersetzungen mit überlegenen Kolleginnen deren Abqualifizierung als „phallisch„, (siehe oben: „Penis-Neid„).

Schlussfolgerung

Die etwas ironische Schlussfolgerung: „der Narzissmus sei die entscheidende Berufsvoraussetzung des Psychotherapeuten„ ist in dieser Verallgemeinerung gewiss falsch. Inwieweit er aber einen realen motivations-psychologischen Einfluss hat, das ist ebenfalls bisher nicht gründlich untersucht und geklärt worden.

Der Begründer der Psychoanalyse, Sigmund Freud, hat diesen Beruf damit charakterisiert, dass er „Illusionen zerstöre„, was gar nicht so abwegig und falsch ist, wenn man die sprachliche Wurzel dieses Begriffes heranzieht (vom lateinischen: illudere = verhöhnen, verspotten, in diesem Fall sich selber).

Es müssen aber auch – so Professor Völkel – die Selbst-Illusionen mancher Psychotherapeuten hinterfragt werden, soweit sie narzisstische Anteile betreffen. Denn wie gab Sigmund Freud auch zu bedenken: „Dass jeder Psychoanalytiker nur so weit kommt, als seine eigenen Komplexe und inneren Widerstände es gestatten„.

Es gilt also den narzisstischen Anteil des beruflichen Engagements des Psychotherapeuten nicht zu verleugnen, sondern wahrzunehmen und in die therapeutische Beziehung zu integrieren. Dann kann er zu einem wertvollen Element der beruflichen Kompetenz und Befriedigung werden, schließt Professor Dr. Henner Völkel die Ergebnisse seiner jahrzehntelangen beruflichen Erfahrung in diesem interessanten Kapitel ab.

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
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