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U. Stangier:
HAUTKRANKHEITEN UND KÖRPERDYSMORPHE STÖRUNG
Hogrefe-Verlag für Psychologie, Göttingen-Bern-Toronto-Seattle 2002, 106 S., € 19,95.
ISBN 3-8017-1343-1

„Die Haut als Spiegel der Seele“, wer kennt ihn nicht, den bekannten Lehrsatz. Er dürfte so alt sein wie die Menschheit. Doch dass seelische und psychosoziale Einflüsse bei Hautkrankheiten eine wichtige Rolle spielen, wurde erst im 19. Jahrhundert vonseiten psychologisch interessierter Ärzte diskutiert. Mitte des 20. Jahrhunderts wurden dann sehr spezifische Theorien zur Entstehung psychosomatisch interpretierbarer Hautkrankheiten entwickelt (z. B. F. Alexander, 1950). Wie so oft, wenn man plötzlich alte Erkenntnisse wissenschaftlich verifizieren will, schoss man allerdings nicht selten über das beweisbare Ziel hinaus. Dies besonders dann, wenn bestimmten Hautleiden scheinbar krankheitsspezifische Konflikte zugeordnet wurden (Beispiel: Neurodermitis sollte auf eine „komplexe Zusammenstellung von Exhibitionismus, Schuld, Masochismus und dem tief sitzenden Wunsch zurückgehen, sich den psychischen Ausdruck der Liebe anderer zu sichern“).

Heute weiß man, dass psychologische Faktoren praktisch jede körperliche Krankheit beeinflussen können, auch wenn man naturgemäß besonders auf jene Leiden aufmerksam wird, die als erste ins Auge fallen (z. B. die Haut).

Psychosoziale und seelische Belastungen können aber nicht nur die Ursache, sondern auch die Konsequenz entsprechender Hautkrankheiten sein. Denn gerade hier ist mit einer Vielzahl von Belastungen zu rechnen, gleichsam vom Juckreiz bis zur gesellschaftlichen Ausgrenzung. Im Extremfall Angststörungen, depressive Entwicklungen, Rückzugsneigung und Isolations-, wenn nicht gar Suizidgefahr.

Welches sind nun die wichtigsten dermatologischen (Haut-)Störungen, die auch zu seelischen und psychosoziale Konsequenzen führen können, heute als „psychologische Faktoren oder Verhaltenseinflüsse bei Hauterkrankungen“ bezeichnet (Internationale Klassifikation psychischer Störungen - ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation - WHO)? Nachfolgend ein etwas ausführlicher Überblick, der sich auf das eine, aber lesenswerte Buch des besonders auf seelisch bedingte Hautkrankheiten spezialisierten Psychologen Prof. Dr. Ulrich Stangier (früher Marburg, jetzt Frankfurt) stützt. Weitere deutschsprachige Fachbücher siehe der andere Kasten.

U. Stangier: Hautkrankheiten und Körperdysmorphe Störung. Hogrefe-Verlag für Psychologie, Göttingen-Bern-Toronto-Seattle 2002

Was sind dermatologische Störungen?

Dermatologische Störungen (vom griechischen: derma = Haut) umfassen im Wesentlichen Hautkrankheiten, aber auch so genannte Hautanhangsorgane wie Haare, Nägel, Schweiß- und Talgdrüsen sowie im erweiterten Sinne die Geschlechtskrankheiten (Fachbegriff: Venerologie). Zu den häufigsten, meist chronisch verlaufenden dermatologischen Erkrankungen mit nicht zuletzt seelischem und psychosozialem Hintergrund gehören beispielsweise:

  • Neurodermitis („endogenes Ekzem“): Entzündung mit intensivem Juckreiz an den Beugeseiten von Armen, Beinen, Hals, Händen; Verdickung der Haut durch chronische Entzündung und starkes Kratzen. Betroffen sind etwa 5 bis 10% (Schulkinder rund 15%). Ursachen: Vielfältig, wahrscheinlich eine Regulationsstörung von Vegetativum und Immunsystem. Be­ginn schon im 1. Lebensjahr, dann Gefahr von immer wiederkehrenden Krankheitsschüben bis zum chronischen Verlauf. Mehrschichtige dermatologische Behandlung, ggf. Psychotherapie (Psychologen, Psychiater).
  • Psoriasis vulgaris („Schuppenflechte“): scharf umschriebene Entzündungsherde, bedeckt von silbrig-weißen Schuppen an Streckseiten von Armen und Beinen, von Rumpf und Kopf. Häufigkeit: etwa 1 bis 3%. Vielfältige Ursachen führen zu einer Überproduktion von Hornzellen. Beginn im mittleren Erwachsenenalter, Gefahr von immer wieder auftretenden Krankheitsschüben, u. U. chronischer Verlauf. Mehrschichtige dermatologische Behandlung, ggf. Psychotherapie (Psychologen, Psychiater).
  • Akne vulgaris: „Mitesser“, eitrig-entzündliche Knötchen, ausgedehnte Abszesse, narbig verheilend, besonders unangenehm im Gesicht und auf dem Rücken. Häufigkeit schwer erfassbar, trifft in leichterer Form fast Jeden. Vielfältige Ursachen, die zu einer Talg- und Hornzell-Überproduktion führen können. Ferner Behinderung von Talgabfluss und bakterielle Infektionen. Beginn in der Pubertät, danach Rückgang. Dauerbehandlung im Sinne von Hautpflege durch verschiedene Maßnahmen.
  • Kontaktekzem: nässende Bläschen, Entzündung und Juckreiz an Kontaktstellen wie Hände und Gesicht u. a. Verdickung der Haut bei chronischem Verlauf. Häufigkeit: etwa 1 bis 2%. Mögliche Ursachen: allergische Überempfindlichkeit auf Metalle, Kosmetika, Arzneimittel, Chemikalien, Berufsstoffe u. a. Beruflich bedingt Chronifizierungs-Gefahr, sonst Rückgang möglich. Mehrschichtige dermatologische Behandlung.
  • Urtikaria („Quaddelsucht“): flüchtige Quaddeln mit starkem Juckreiz, vor allem am Rumpf. Häufigkeit: etwa 1 bis 4% u. m. Allergische, physikalische und psychologische Faktoren als Auslöser. Je nach Ursache chronischer Verlauf möglich. Mehrschichtige dermatologische Behandlung, ggf. Psychotherapie (Psychologen, Psychiater).
  • Malignes Melanom: schwärzlicher, geschwulstartiger Fleck auf normaler Haut oder veränderter Leberfleck mit unscharfer Begrenzung, nässend, Juckreiz, Blutung. Häufigkeit: etwa 1%. Entartung von Pigmentzellen mit bestimmten Auslöse-Verstärkern (Rassenzugehörigkeit, Sonnenlicht usw.). Riskanter Verlauf mit u. U. hoher Metastasierungsgefahr (Tochtergeschwülste). Operative Therapie, bei Metastasen ggf. Chemotherapie.
  • Alopecia areata: kreisrunder Ausfall der Kopfhaare, z. T. auch der Körperbehaarung (dann Alopecia universalis genannt). Häufigkeit: etwa 0,3%. Mehrschichtiges Leiden durch Immunstörung und psychologische Zusatzfaktoren. Teils sich spontan zurückbildend, teils immer wieder auftretend oder gar chronisch. Behandlung schwierig, psychologische Aspekte nicht vernachlässigen (Psychologen, Psychiater).

Nachfolgend nun

Die wichtigsten psychischen Störungen in der Dermatologie

Folgende seelische und psychosoziale Symptome sowie Faktoren werden bei Entstehung, Ausbruch und Aufrechterhaltung der Hautkrankheiten diskutiert:

- Psychische Störungen oder Krankheitszeichen: Dazu gehören vor allem Angst und Depression im erweiterten Sinne. Gerade bei Patienten mit den unterschiedlichsten Haut­erkrankungen finden sich immer wieder Hinweise auf erhöhte Ängstlichkeit oder Depressivität (Deprimiertheit). Nicht immer aber dürfte es klar werden, was Ursache oder Folge ist, wobei jedoch grundsätzlich ein Teufelskreis übrig bleibt, der das Leiden verstärkt oder gar chronisch werden lässt.

- Persönlichkeitsmerkmale oder ungünstige Bewältigungsmuster sind nicht selten. Dass die Persönlichkeitsstruktur eine Rolle spielt, ist nachvollziehbar (siehe die zahlreichen Beispiele in dieser Loseblatt-Sammlung). Als ungünstiger Bewältigungsstil gilt beispielsweise ein unreflektiertes Vermeidungsverhalten, z. B. Ausblendung belastender Aspekte, was natürlich eine aktive Problemlösung behindert bzw. ausschließt.

- Gesundheitsgefährdendes Verhalten sind vor allem schädliche Ernährungsgewohnheiten, z. B. Unfähigkeit, Unwissen oder Ablehnung, was die Abstinenz von Allergien-auslösenden Nahrungsmitteln anbelangt, von exzessivem Alkohol-, Nikotin und Rauschdrogenkonsum u. a. (die sich alle ungünstig auf den Hautzustand auswirken können).

- Körperliche Stressreaktionen sind nicht nur nach extrem belastenden oder gar lebensverändernden Ereignissen zu erwarten, sondern werden durchaus auch durch alltägliche, dafür aber ggf. chronische Stressfaktoren unterhalten, die irgendwann einmal an ihre Belastbarkeitsgrenze stoßen. Und dann reicht der berühmte „Tropfen, der das Fass zum überlaufen bringt“ (wobei alle ungläubig auf den Tropfen starren und – naturgemäß – nicht das volle Fass sehen, das schon längst vom Überlaufen bedroht war). Besonders bekannt sind bei bestimmten Hautkrankheiten die Auslösung von Juckreiz oder Entzündungsreaktionen nach entsprechenden seelischen oder psychosozialen Überforderungssituationen.

- Weitere Faktoren sind entsprechende Schäden aufgrund beruflicher Exposition oder gar durch direkte Manipulation (z. B. Kratzen bei Neurodermitis, was den Krankheitsverlauf wesentlich mitbestimmt).

Konkrete psychische Krankheitsbilder

Zu den konkreten psychischen Krankheitsbildern, die mit Hautveränderungen einhergehen können, gehören beispielsweise:

- Anpassungsstörungen (früher auch als depressive Reaktion, reaktive Depression, psychoreaktive Depression, ggf. Trauerreaktion u. a. bezeichnet). Anpassung wird als ausgleichende Reaktion auf belastende Umweltanforderungen verstanden. Wenn das nicht gelingt, kommt es zu einer (Anpassungs-)Störung. Unterschieden werden kurze oder längere depressive Symptome, Angstreaktionen, Störungen des Sozialverhaltens oder Mischformen. Es muss also auf jeden Fall ein nachvollziehbares, wenngleich vielleicht objektiv nicht gar so dramatisches, für den Betroffenen aber durchaus unerträgliches Ereignis vorliegen.

Nun sind zwar nur wenige Hautkrankheiten mit lebensbedrohlichen Komplikationen verbunden (z. B. das Maligne Melanom) oder zermürben durch ihre langwierigen körperlichen Beeinträchtigungen wie Sklerodermie oder Epidermolysis bullosa (siehe Fachliteratur). Umgekehrt werden aber chronische Hautkrankheiten wie Neurodermitis oder Psoriasis (s. o.) eher unterschätzt. Kurz: Anpassungsstörungen sind bei Hautleiden nicht selten. Wichtigste Belastungsfaktoren sind die sichtbaren Hauterscheinungen, die sich daraus ergebenden psychosoziale Ängste vor stigmatisierenden Reaktionen der Umwelt, aber auch Einschränkungen des Wohlbefindens durch (chronischen) Juckreiz u. a.

- Körperdysmorphe Störungen scheinen an Bedeutung zuzunehmen. Was versteht man darunter?

Das sind Menschen, die sich durch einen äußerlichen Makel entstellt fühlen, der jedoch nicht objektivierbar ist (wie schon der griechische Ausdruck bezeichnet: dysmorphia = die Hässlichkeit, insbesondere des Gesichts, nach einem griechischen Mythos um das hässlichste Mädchen von Sparta). Zwar ist dieses Phänomen schon sehr früh beschrieben worden und hat im Übrigen auch schon den Vater der Psychoanalyse, Prof. Dr. Sigmund Freud zu einem berühmten Fallbeispiel veranlasst („der Wolfsmann“), doch in die Wissenschaft eingegangen ist dieses durchaus ernste Phänomen erst 1987 durch das Diagnostische und Statistische Manual Psychischer Störungen (DSM-III-R) der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung (APA). Inzwischen akzeptiert man diese Krankheit auch im ICD-10 der WHO als Variante der hypochondrischen Störung unter den somatoformen Störungen (anhaltende Beschäftigung mit der eigenen körperlichen Erscheinung, wobei normale oder allgemeine (Empfindungen und) Erscheinungen … als abnorm und belastend interpretiert und die Aufmerksamkeit meist auf nur ein oder zwei Organe oder Organsysteme fokussiert werden).

Im Gegensatz zu den meisten anderen dermatologischen Leiden (mit ihren seelischen und psychosozialen Konsequenzen) finden sich bei der körperdysmorphen Störung keine (ernsteren) Beeinträchtigungen des Aussehens. Im Vordergrund stehen zumeist das Gesicht, aber auch Größe oder Symmetrie bestimmter Körperteile und vor allem die Haare und die Haut: Falten, Flecken, Gefäßzeichnungen, Narben, Gesichtsfarbe, übermäßige Behaarung oder Haarausfall u. a. Einzelheiten siehe das entsprechende Kapitel.

Unabhängig von den vielleicht lächerlichen Reaktionen der Betroffenen sind die Folgen im beruflichen und sozialen Leben aber meist katastrophal, bis hin zur akuten Suizidalität (mehr als jeder Dritte?). Es sind deshalb vor allem der Psychiater oder Psychologe gefragt, die aber nur selten konsultiert werden – im Gegensatz zu den jeweils „verantwortlichen“ medizinischen Disziplinen, beispielsweise den (in dieser Hinsicht hilflosen) Dermatologen.

Weitere somatoforme Störungen mit dermatologischen Symptomen

Unter somatoformen Störungen (vom griech.: soma = Körper) versteht man nach neuer Klassifikation die „wiederholte Darbietung körperliche Symptome in Verbindung mit hartnäckigen Forderungen nach medizinischen Untersuchungen trotz wiederholter negativer Ereignisse und Versicherung der Ärzte, dass die Symptome nicht körperlich begründbar sind“ (ICD-10). Dazu gehören beispielsweise in Bezug auf die Haut:

- Hypochondrische Störungen, also die übermäßige Beschäftigung mit der Angst oder der furchtsamen Überzeugung, eine ernsthafte Krankheit zu haben. Beispiele: Parasiten (Parasitophobie) und Hautkrebs (Melanophobie) sowie – in den letzten Jahren deutlich verstärkt – die AIDS-Phobie. Ähnliches gilt auch für die ängstliche Überzeugung, unter einer Allergie gegenüber Nahrungsmitteln oder chemischen Substanzen zu leiden (Fachbegriff: Multiples chemisches Sensitivitäts-Syndrom).

- Noch konkreter werden die somatoformen Fälle von Juckreiz bzw. chronischer kutaner Dysästhesie ohne organischen Befund. Beispiele: Andauernde Haut-Missempfindungen wie Juckreiz, Brennen (einschließlich brennender Mundschleimhaut oder der Scheide), wenn nicht gar Schmerz, die durch eine körperliche Störung verursacht sein sollen. Der Leidensdruck kann erheblich sein, die sozialen und vor allem beruflichen Beeinträchtigungen folgenschwer. Psychosoziale Faktoren spielen eine wichtige Rolle, insbesondere bei Beginn, als Auslöser, bei der Aufrechterhaltung und Intensität des Beschwerdebildes. Der Teufelskreis wird angeheizt durch die übermäßige Beschäftigung mit Juckreiz oder Hautzustand und die ständige Suche nach ärztlicher Rückversicherung (z. B. Allergie-Testung).

Artifizielle Hautsymptome

- Von diesen somatoformen Störungen abzugrenzen sind offene oder verdeckte Manipulationen an der Haut, auch als artifizielle Hautsymptome aufgrund von Impulskontrollstörungen bezeichnet. Beispiele: Kratzen oder Aufscheuern der Haut (unter Fachleuten als „neurotische Exkoriationen“ oder „Para-Artifakte“ bekannt), das Ausreißen der Haare (Trichotillomanie) u. a. Wichtiges Merkmal ist ein spannungsreicher Impuls zur selbstschädigenden Handlung, dem nicht widerstanden werden kann und der nach seiner Ausführung mit Entspannung „belohnt“. Außer der innerseelischen Spannungen können aber auch bestimmte Missempfindungen eine auslösende Rolle spiele, z. B. Juckreiz, Brennen oder Schmerzen – alles Beeinträchtigungen, die in den Augen der Betroffenen nach entsprechender Manipulation verlangen. Für den Arzt wird die Diagnose dann schwer, wenn die eigentlichen Ursachen aus Scham oder Verlegenheit verschwiegen werden, was sich bei einem zunehmenden Vertrauensverhältnis aber von selber löst.

- Anders hingegen das Problem der Dermatitis facticia (artefacta), die Vorgetäuschten Störungen oder allgemein als Münchhausen-Syndrom bekannt (was aber eine besondere Untergruppe ist). Einzelheiten siehe das entsprechende Kapitel. Hier nur soviel: Diese Vorgetäuschten Störungen mit körperlichen Symptomen, insbesondere was die Hautschädigung anbelangt, können beispielsweise durch Reiben, Chemikalien, Hitze u. a. willkürlich ausgelöst werden. Der bewusste Wunsch auf unbewusster Selbstschädigungsbasis ist die Krankenrolle, und zwar möglichst in einem Krankenhaus. Im Gegensatz zur Simulation (bewusste Vortäuschung, um bestimmte Vorteile zu erlangen) fehlen äußere Anreize. Vermutlich spielt in vielen dieser Fälle ein so genannter dissoziierter Zustand eine Rolle – auch als Depersonalisation (= bin ich noch ich selber?) bezeichnet.

Die Folge dieses an sich seltenen (oder selten diagnostizierten) Phänomens ist eine Mehrfach- oder gar Endlos-Diagnostik und entsprechende Behandlungsmaßnahmen mit hohen Kosten in verschiedenen Kliniken („Krankenhauswandern“, wenn die ersten Verdachtsmomente aufkommen).

Gerade bei den Vorgetäuschten Störungen muss aber auch an andere seelische Erkrankungen gedacht werden, bei denen ebenfalls Selbstverstümmelungen möglich sind (z. B. die Borderline-Persönlichkeitsstörung). Auch werden solche Haut-Artefakte häufig bei geistiger Behinderung, bei (schizophrenen) Psychosen sowie Depersonalisations-Störungen gesehen.

Wie häufig sind seelisch bedingte Hautkrankheiten?

Hautkrankheiten an sich sind vergleichsweise häufig. Etwa 20% aller Patienten generell leiden an einer Hautkrankheit. Chronische Hautkrankheiten machen mehr als die Hälfte aller Berufskrankheiten aus. Die Kosten durch Arztbesuche, Krankhausaufenthalte und Arbeitsausfall sind erheblich (Beispiel: Neurodermitis = über 2 Milliarden DM).

Zur Häufigkeit seelisch bedingter Hautkrankheiten gibt es keine exakten Daten. Bei chroni­schen Verläufen ist es jeder Fünfte bis zwei Drittel aller Betroffenen, der auch von psychi­schen Belastungen spricht. Das kann allerdings viel bedeuten. Wissenschaftlich geschätzt glaubt man, dass etwa 15 bis 30% aller Hautkrankheiten einen ernsteren psychosozialen Hintergrund haben.

Anders sieht es in Dermatologischen Kliniken bzw. Ambulanzen aus, also dort, wo sich Hautkrankheiten zentrieren. Dann muss man allerdings gezielt zwischen Ursache und Folgen unterscheiden. Und wenn man vor allem die seelischen Konsequenzen eines Hautleidens im Auge hat, dann scheint jeder Dritte bei den ambulant behandlungsbedürftigen Patienten und fast zwei Drittel aller stationären Kranken über depressive oder Angst-Symptome zu klagen (insbesondere was die Krankheits-Bewältigung anbelangt).

Körperdysmorphe Störungen sollen selten sein (1 bis 2% der Bevölkerung?), doch das wird angezweifelt. Zu geschickt sind diese Patienten und weichen auch zu schnell und clever aus, wenn man sie konkret erfassen will. Man spricht sogar davon, dass eine Zunahme in unserer Zeit und Gesellschaft (soziokulturelle Ursachen?) wahrscheinlich ist. Aber wie erwähnt: Diese Patienten häufen sich eher bei Hautärzten, (plastischen) Chirurgen, Internisten u. a., die auf derlei in der Regel nicht vorbereitet sind. Psychiater haben damit (fast) nichts zu tun, aus nachvollziehbaren Gründen.

Geschlechtsspezifisch finden sich bei Hautkrankheiten mit seelischen Problemen offenbar keine Unterschiede, wobei Frauen allerdings eher einen Arzt aufzusuchen pflegen als Männer (was die Statistik verzerrt).

Über Verlauf und Prognose seelisch bedingter Hautkrankheiten gibt es wenige Erkenntnisse. Doch dürfte auch hier gelten: Je früher erkannt, je aufrichtiger akzeptiert und je eher und vor allem konsequent behandelt, desto günstiger die Heilungsaussichten.

Bei körperdysmorphen Störungen sind allerdings auch diese eher schlecht, es droht eine Chronifizierung über viele Jahre hinweg – und am Schluss gehäufte Suizidversuche.

Auf was ist zu achten?

Bei den seelisch (mit-)bedingten Hautkrankheiten gilt wie bei den meisten anderen Leiden ein Satz, der erst in den letzten Jahren so richtig realisiert wird: „Die häufigste Krankheit ist die Co-Morbidität, also mehrere Leiden auf einmal“. Auch wenn keine größeren Untersuchungen dazu existieren, muss man neben den Hauterkrankungen vor allem auf Angststörungen, affektive Leiden (Depression und Manie) und Persönlichkeitsstörungen achten, aber auch auf Suchtkrankheiten (insbesondere Alkoholabhängigkeit), Zwangsstörungen, Phobien und sogar wahnhafte Störungen.

Und hier stellt sich dann die Frage: Was war zuerst oder was ist folgenschwerer als das andere? Das kann schon für erfahrene Psychiater und Psychologen ein differentialdiagnostisches Problem werden, noch mehr natürlich für alle anderen medizinischen Disziplinen, die sich damit nicht hinreichend beschäftigen können. Deshalb der dringliche Vorschlag der Experten:

Psychiater und Psychologen fragen

Konkrete Zusammenhänge zwischen seelischen und psychosozialen Faktoren sowie Krankheitsbeginn, -verlauf und Heilungsaussichten lassen sich eigentlich nur im Einzelfall und durch konkrete Beobachtung, zumindest mittelfristig aufdecken. Das setzt allerdings ein spezielles Wissen voraus – und viel Erfahrung, auch wenn inzwischen immer bessere Erfassungsinstrumente entwickelt werden (z. B. strukturierte klinische Interviews, spezifische Fragebögen, z. B. Marburger Hautfragebogen) usw. Am besten sind natürlich entsprechend spezialisierte Ambulanzen oder Polikliniken, meist an Dermatologische Universitätskliniken angeschlossen. Erfolgreich arbeiten aber auch entsprechende interdisziplinäre Teams aus psychiatrischen, dermatologischen und sonstigen Kliniken zusammen, gleichsam bedarfsweise.

Erfolgreich ist jedoch vor allem das Studium entsprechender Lehrbücher, wie beispielsweise das Vorliegende von U. Stangier über Hautkrankheiten und Körperdysmorphe Störungen im Hogrefe-Verlag. Denn es vermittelt nicht nur diagnostische, epidemiologische und differentialdiagnostische Aspekte, sondern auch Störungstheorien und -modelle, konkrete Anweisungen (Überweisung zur Psychotherapie, Indikationen, Exploration und Eingangsdiagnostik, Vorgehen bei Hautkrankheiten und körperdysmorphen Störungen, Verhaltens- und Bedingungsanalyse). Und – trotz des begrenzten Umfangs – ein reichhaltiges Behandlungs-Angebot: Darstellung der Therapiemethoden und Wirkungsweisen, psychologische Faktoren und Verhaltenseinflüsse auf Hautkrankheiten u. a. Und am Schluss einen interessanten Anhang über standardisierte Selbstbeoachtungs-Protokolle (Juckreiz/Kratzen bei Neurodermitis), strukturierte Interview-Module, Fremdbeurteilungsskalen für körperdysmorphe Störungen u. a.

Wer es also des Öfteren mit Patienten zu tun, deren Hautprobleme offensichtlich nicht nur dermatologischer Natur sind, dem sei dieses schmale, aber inhaltsreiche Fachbuch empfohlen (VF).

Deutschsprachige Literatur zum Thema Haut und seelische Störung

APA: Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen – DSM-IV-TR. Hogrefe-Verlag für Psychologie, Göttingen-Bern-Toronto-Seattle 2003

Broda, M., F.A. Muthny: Umgang mit chronisch Kranken. Thieme-Verlag, Stuttgart 1990

Braun-Falco, O. u. Mitarb.: Dermatologie und Venerologie. Springer-Verlag, Berlin 1996

Deter, H.C. (Hrsg.): Angewandte Psychosomatik. Thieme-Verlag, Stuttgart-New York 1997

Eckhardt, A.: Das Münchhausen-Syndrom – Formen der selbstmanipulierten Krankheit. Verlag Urban & Schwarzenberg, München 1989

Fritsch, P.: Dermatologie und Venerologie. Springer-Verlag, Berlin 1998

Gieler, U. u. Mitarb. (Hrsg.): Hauterkrankungen in psychologischer Sicht. Jahrbuch der Medizinischen Psychologie. Band 9. Hogrefe-Verlag, Göttingen 1993

Klußmann, R.: Psychosomatische Medizin. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 2002

Köhler, T.: Psychosomatische Krankheiten. Kohlhammer-Verlag, Stuttgart 1995

MSD-Manual Diagnostik und Therapie. Verlag Urban & Schwarzenberg, München-Wien-Baltimore 1988

MSD-Manual: Handbuch Gesundheit. Mosaik-Verlag, München 2002

Musalek. M., H. Walter: Psychische Störungen in der dermatologischen Praxis. In: V. Faust (Hrsg.): Psychiatrie. Gustav Fischer-Verlag, Stuttgart-New York 1996

Niebel, G.: Verhaltensmedizin der chronischen Hautkrankheit. Huber-Verlag, Bern 1995

Petermann, F., P. Warschburger (Hrsg.): Neurodermitis. Hogrefe-Verlag, Göttingen 1999

Rief, W., W. Hiller: Somatisierungsstörung und Hypochondrie. Hogrefe-Verlag, Göttingen 1998

Scheewe, S. u. Mitarb.: Neurodermitis – Verhaltenstraining für Kinder, Jugendliche und Eltern. MMV-Quintessenz-Verlag, München 1997

Schmid-Ott, G.: Dermatologie. In: Th. v. Uexküll (Hrsg.): Psychosomatische Medizin. Verlag & Schwarzenberg, München-Wien-Baltimore 2003

Stangier, U. u. Mitarb.: Neurodermitis bewältigen. Springer-Verlag, Berlin 1996

Stangier, U. u. Mitarb.: FBH - Fragebogen zur Bewältigung von Hautkrankheiten. Hogrefe-Verlag, Göttingen 1996

Strauss B., H. Richter-Appelt: FBeK: Fragebogen zur Beurteilung des eigenen Körpers. Hogrefe-Verlag, Göttingen 1996

Warschburger, P.: Psychologie der atopischen Dermatitis im Kindes- und Jugendalter. MMV-Verlag, München 1996

Wilz, G., E. Brähler (Hrsg.): Tagebücher in der Psychotherapie. Hogrefe-Verlag, Göttingen 1996

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