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P. Wolf, Th. Mayer, U. Specht, R. Thorbecke, H.-E. Boenik, Margarete Pfäffelin (Hrsg.):
PRAXISBUCH EPILEPSIEN
Kohlhammer-Verlag, Stuttgart 2003, 394 S., 48 Abb., 78  Tab., € 69,50.
ISBN 3-17-015699-3

W. Fröscher, F. Vassella, A. Hufnagel (Hrsg.):
DIE EPILEPSIEN
Schatthauer-Verlag, Stuttgart-New York 2004, 2. A., 910 S., 238 Abb., 153 Tab., € 109,00. I
SBN 3-7945-2131-5

„Die Begeisterung hält sich in Grenzen, wenn man zwar mit Julius Caesar verglichen wird, aber nur aufgrund der gleichen Krankheit, der Fallsucht...“, klagte einmal ein gebildeter Patient mit Epilepsie. Oder noch deutlicher der Seufzer eines Fachmanns: „Man kann die Geschichte der Epilepsie zusammenfassen als 4.000 Jahre Unwissen, Aberglaube und Stigma, gefolgt von 100 Jahren Wissen, Aberglaube und Stigma… (R. Kale, 1997).

Und in der Tat: Der Referent dieser Zeilen, seit bald vier Jahrzehnten nervenärztlich tätig und damit naturgemäß mit einer Fülle klinischer Erfahrungen „versorgt“, muss – nolens volens – beim Stichwort Epilepsie vor allem an ein erstes Erlebnis denken, fast zwanghaft: der Anfall eines Mitschülers in der Schule. Dabei fügt sich aber auch ein zweites Erinnerungsbild gleich an, genau so prägend: Die routinierten (weil wahrscheinlich von Arzt und Angehörigen antrainierten) Handgriffe seines Freundes, die die gröbsten Verletzungsgefahren erfolgreich mildern konnten. Zwei unlöschbare, ja abrufbare Bilder also: 1. der schockierende Anfall, 2. die selbstverständliche und ent-dramatisierende Hilfestellung.

Dies ist bei der Epilepsie auch nötig, zumindest bei einem Teil der möglichen Anfallstypen. Und hier tut sich tatsächlich etwas, sei es in den Printmedien, im Hörfunk oder im Fernsehen, seien es populär-medizinische Vorträge der Experten, sei es die immer wichtigere Arbeit der Betroffenen-/Angehörigen-Gruppen, und nicht zuletzt die Ausbildung der Studenten, die Fortbildung anderer medizinischer Disziplinen auf diesem Gebiet und die Weiterbildung zum Facharzt für Neurologie (wenn nicht gar mit Zusatztitel Epileptologie).

Und hier sind es dann auch die Fachbücher, die zur Grundlage des notwendigen Wissens werden. Davon gibt es inzwischen nicht wenige. Zwei sollen hier besprochen werden.

Zuvor aber einige kurz gefasste Hinweise zur Epilepsie:

Historischer Überblick

Dass etwas so alt ist wie die Menschheit ist immer ein guter Einstieg. Bei der Epilepsie kann man davon ausgehen. Und zwar nicht nur für Menschen, auch für (viele?) Tierarten. Dies geht schon auf prähistorische Funde von Schädeln zurück: Trepanationen, also Eröffnungen des knöchernen Schädels, wahrscheinlich um „bösen Geistern“ die Flucht zu ermöglichen und damit die Patienten von ihrer „Fallsucht“ zu befreien. Die Babylonier unterschieden schon im 8. Jahrhundert v. Chr. verschiedene Anfalls-Symptome (ja sogar tageszeitliche Anfalls-Schwerpunkte). Die alten Griechen nannten es die „Heilige Krankheit“ (und unterschieden heilbare von unheilbaren Epilepsien). Sogar der gnadenlose Sklaven-Markt im Mittelmeerraum sah ein Rückgaberecht vor, wenn der gekaufte Sklave sich als Epileptiker erwies. Das Mittelalter war düster, wie zumeist in medizinischer Hinsicht. Sogar der ansonsten in vielem als „modern“ herausragende Paracelsus war in diesem Fall überwiegend mystisch geprägt. Im 18. Jahrhundert entwickelte sich eine Art Grundlage der modernen Epileptologie (also der Wissenschaft von der Erforschung und Behandlung der Epilepsie). Damals wurden nahezu sämtliche Formen epileptischer Anfälle fachlich einwandfrei beschrieben. Dies geht vor allem auf französische Autoren zurück, die damit den Fortschritt des 19. Jahrhunderts entscheidend prägten. Wichtig war auch die Verbreitung epileptologischer Kenntnisse unter der Ärzteschaft generell (also nicht nur auf nervenärztlich Tätige beschränkt). Auch weitete sich die Forschung auf das nach und nach wissenschaftlich führende England, auf Deutschland, die USA, Russland und Polen aus.

Im 20. Jahrhundert kam dann der Durchbruch, nämlich die Entdeckung der Elektroenzephalographie, der Möglichkeit, Hirnströme abzuleiten und damit eine krankhafte Hirnfunktion ohne großen Eingriff zu diagnostizieren (und sogar zu lokalisieren, also: in welchem Teil des Gehirns „läuft etwas falsch“). Jetzt konnten auch bisher kaum fassbare (unterschwellig ablaufende) Epilepsie-Formen erkannt werden, z. B. bei Früh- und Neugeborenen, bei Säuglingen, oder die so genannten epileptischen Dämmerzustände, das Petit-mal, der Status psychomotoricus u. a. (s. später).

Heute können die Epileptologen auf modernste Technik zurückgreifen: videographische Doppelbildaufzeichnungen mittel Telemetrie oder tragbarer Magnetband-Kassette, frequenzanalytische Messungen, evozierte Potentiale, das Mapping, die stereo-elektroenzephalo­graphische Tiefenableitung, die Magnet-Enzephalographie, die computerisierte Hirntomographie (CT), die Kernspintomographie (MRI) u. a. Und parallel zur Technik große Fortschritte in der Gen-Forschung (Erblichkeit).

Doch dies alles bringt den Betroffenen nicht viel, wenn nicht auch eine erfolgreiche Behandlung angeschlossen werden kann. Und das ist in der Tat der Fall. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts hat man an nicht nur wirksamen, sondern immer verträglicheren Antiepileptika gearbeitet und vor allem zwei Probleme immer besser in den Griff bekommen: Zum einen die unzureichende Konzentration dieser anfalls-verhütenden Arzneimittel im Blutplasma (beispielsweise weil es viel zu schnell „verstoffwechselt“ und damit kein ausreichender Blutplasmaspiegel erreicht wird) und zum anderen die Nebenwirkungen, bis hin zur Intoxikations-(Vergiftungs-)Gefahr, was sich besonders durch individuelle Dosisanpassung erreichen lässt. Und wenn die Pharmakotherapie nicht greift, aus welchem Grund auch immer, stehen heute auch neurochirurgische Möglichkeiten zur Verfügung. Kurz, es gilt auch hier: erkennen, verstehen, akzeptieren, konsequent behandeln (lassen). Die Epilepsie bräuchte eigentlich nicht mehr „ent-stigmatisiert“ werden, dürfte niemand mehr in Verlegenheit bringen, wenn sie nur rechtzeitig diagnostiziert und erfolgreich therapiert würde. Beides ist möglich, 4.000 Jahre haben es gebracht.

Epilepsie in Zahlen

Epilepsie – so die Neurologen – ist in der ganzen Welt verbreitet, betrifft alle Rassen und soziale Schichten und jede Altersstufe (besonders in Kindheit und höherem Lebensalter). Man schätzt, dass 1,5 bis 5% der Bevölkerung im Laufe ihres Lebens einen epileptischen Anfall bekommen (Fachbegriff: Lebenszeitprävalenz). Viele davon entwickeln aber keine chronische Epilepsie oder werden wieder anfallsfrei. Die Wahrscheinlichkeit, nach einem ersten Anfall einen zweiten zu bekommen, liegt aber bei etwa 50%, abhängig von Ursache, Art des Anfalls und natürlich Behandlung. Hoch ist auf jeden Fall die so genannte Dunkelziffer jener Betroffenen, die nicht erfasst, nicht korrekt diagnostiziert und damit auch nicht erfolgreich behandelt werden. Man spricht von 8 bis 25%. Weltweit leiden mindestens 40 Millionen Menschen an einer ausgeprägteren Epilepsie. 100 Millionen erkranken irgendwann im Laufe ihres Lebens an kurzfristigen Beeinträchtigungen.

Psychosozial belastend sind dabei weniger die Anfälle selber, mehr die damit verbundenen zwischenmenschlichen und beruflichen Folgen. Beispiele: keine zureichende Schulbildung, höhere Beschäftigenlosen-Quote (zwei- bis dreimal mehr als bei anderen Behinderungen), Neigung zur sozialen Isolation, verringertes Selbstwertgefühl mit Hilflosigkeit und Depressionen, auf jeden Fall beeinträchtigte Lebensqualität (man denke nur an die begrenzte Bewegungsfreiheit aus Angst vor „Anfällen“).

Besonders benachteiligt sind, wie erwähnt, Kinder und Jugendliche sowie ältere Menschen. Bei ihnen werden gezielte Diagnose und Therapie am ehesten versäumt. Dabei könnten dreiviertel aller Erkrankten ein normales Leben führen (von den Kosten ganz zu schweigen, die sich allein in Europa auf zweistellige Milliarden-Beträge summieren).

Was gibt es für Anfallsformen?

Unabhängig von noch offenen Fragen (z. B. Internationale Anfallsklassifikation, Entwurf eines Klassifizierungsmanuals u. a.) unterteilt man im praktischen Alltag in folgende Anfälle:

Absence: Verlust oder deutliche Einschränkung des Bewusstseins von kurzer Dauer mit plötzlichem Beginn und Ende (z. B. starrer Blick, Bewegungsstopp).

Grand mal-Anfall (generalisierter tonisch-klonischer Anfall): schwerste Form epileptischer Anfälle mit Bewusstseinsverlust, gelegentlich gepresstem Schrei, oft Sturz mit zum Teil unangenehmen Verletzungen. Im tonischen Stadium Versteifung sämtlicher Gliedmaßen sowie der Gesichts-, Hals- und Rumpfmuskulatur. Im klonischen Stadium allgemeine Zuckungen, anfangs sehr fein und rasch, später in langsamem Ablauf, dafür an Heftigkeit und Bewegungsausschlag zunehmend. Das Bewusstsein ist erloschen, die Gesichtsfarbe anfangs blass, später bläulich gefärbt. Urinabgang, Speichelaustritt und Bissverletzungen (Zunge, Wange) sind häufig. Am Schluss allgemeine Muskelerschlaffung und prustende Atmung. Die Bewusstlosigkeit geht in einen tiefen Nachschlaf von kurzer bis ggf. stundenlanger Dauer über. Bei kurzem Nachschlaf oft Dämmer- und Verwirrtheitszustand mit Bewegungsunruhe und Verkennung von Ort und Personen. – Manchmal geht einem solchen „Großen Anfall“ ein „Vorgefühl“ (Fachbegriff: Aura) voraus. Dann kann sich der Betreffende eher darauf einrichten und die Sturz-Folgen sind nicht so heftig.

Psychomotorischer Anfall, auch komplex-fokaler Anfall genannt: automatische, d. h. koordinierte, unwillkürliche, aber meist sinnlose Bewegungsabläufe, die sich oft gleichmäßig wiederholen. Beispiele: Schmatz-, Leck- oder Kau- sowie Nestel-, Zupf- oder Wisch-Bewegungen mit den Händen. Manchmal auch Umhergehen oder Auskleiden. Möglich, wenn auch selten, sind sogar kritische Situationen, z. B. im Verkehr (Unfallverursachung ohne es zu registrieren). Für den Anfallsablauf besteht meist Erinnerungslosigkeit (Fachbegriff: Amnesie). Oft Beginn mit einem „Vorgefühl“ (Aura).

Hypermotorischer Anfall: Wie beim psychomotorischen Anfall (s. o.), jedoch heftiger: Hin- und Herwerfen von Kopf und Körper, ausfahrende Arm- und Bein- sowie heftige Beckenbewegungen. Dabei Stöhnen, Schimpfen oder Jammern. Das Bewusstsein kann erhalten bleiben.

Tonischer Anfall: längere Anspannung der Muskulatur. Beispiele: Beuge- oder Streckbewegung eines Armes, entsprechende Bewegungen in alle Richtungen des Kopfes oder des Schultergürtels. Danach ggf. kurze Muskelzuckungen oder Nestelbewegungen. Das Bewusstsein kann erhalten oder gestört sein.

Klonischer Anfall: Zuckungen einer oder mehrerer Muskelgruppen (meist einseitig), rhythmisch und anhaltend mit deutlich sichtbarem Bewegungseffekt von Arm, Gesichtshälfte usw. Bewusstsein ungestört. Wenn sich die Zuckungen von einer umschriebenen Region (z. B. Hand oder Fuß schrittweise auf andere Körperteile ausbreiten, nennt man dies „motorische Jackson-Anfälle“).

Myoklonischer Anfall oder Impulsiv-Petit-Mal: typische, meist beidseitige und symmetrisch auftretende Muskelzuckungen, an den Armen vor allem Richtung Unterarm/Hand. Bei Kleinkindern so genannter „Blitzanfall“ mit einer einzelnen heftigen Zuckung.

Nickanfall: kurze ruckartige Vorwärtsbewegung des Kopfes, oft in Serie. Meist bei jüngeren Kindern.

Woher kommen epileptische Anfälle?

Die so genannte Inzidenz (Anteil der Neuerkrankten pro Jahr) ist altersabhängig. In den ersten Lebensjahren ist sie hoch, fällt bei Jugendlichen und Erwachsenen im mittleren Lebensalter und nimmt dann im höheren Alter wieder zu. In letzter Zeit geht sie bei Kindern zurück und steigt bei Älteren an. Vermutete Ursachen: verbesserte Versorgung während Schwangerschaft, Geburt und erster Lebensjahre sowie höhere Lebenserwartung mit entsprechendem Anstieg von Gefäßerkrankungen, insbesondere des Gehirns im Alter.

Die „häufigste Ursache ist die unklare Ursache“: 60 bis 70% aller Epilepsien werden als idiopathisch (auf deutsch: Ursache unbekannt) oder kryptogen (das Gleiche) bezeichnet. Nur in 30 bis 40% kennt man Ursachen und Risikofaktoren und nennt sie deshalb symptomatisch (für eine bestimmte Krankheit kennzeichnend). Die Ursachen und Risikofaktoren sind vielfältig: Gehirnschädigung vor, während oder unmittelbar nach der Geburt, angeborene Stoffwechseldefekte, Gehirnentzündung, Tumoren, Schädel-Hirn-Traumata, zerebrovaskuläre (Gehirngefäß-)Erkrankungen u. a. Im Kindesalter dominieren Schädigungen um die Geburt. Nach dem 25. Lebensjahr sind es insbesondere Hirntumore, Kopfunfälle und bei älteren Menschen Gehirngefäß-Erkrankungen (z. B. Hirnschlag).

Einzelne epileptische Anfälle (siehe später) können durch Fieber, Entzug von Schlaf, Alkohol oder bestimmten Beruhigungsmitteln, durch Flackerlicht, Hyperventilation (Hecheln), gewisse Medikamente oder vergiftungs-gefährliches Substanzen provoziert werden.

Die Prognose (Heilungsaussichten) ist günstig: 60 bis 80% werden – eine entsprechende Therapie und vor allem Einnahme-Zuverlässigkeit vorausgesetzt – anfallsfrei.

Das ist die Frucht intensiver Forschungsarbeit der letzten Jahrzehnte: anfallsfrei, so wie andere sein dürfen. Denn wenn das nicht gelingt, dann drohen vielfältige Einschränkungen, die sich diejenigen, die gesund bleiben durften, gar nicht so recht vorstellen können. Das beginnt mit der Anfälligkeit gegenüber anderen organischen und seelischen Erkrankungen, geht über Reise-Erlaubnisse (z. B. Flugreisen, bestimmte Impfungen), Aus- und Weiterbildung (Kindergarten, Schule, Lehre, Studium) sowie die Krankheitsverarbeitung bzw. -bewältigung in Partnerschaft, Familie, Freundeskreis, Nachbarschaft bis zu sportlichen Aktivitäten und schließlich Arbeitsplatz. Ganz zu schweigen von so „heiklen“ Fragen wie Fahrtauglichkeit und damit Führerschein, Haftungsprobleme usw. Und dies alles abhängig von der erwähnten Einnahme-Zuverlässigkeit. Denn das derzeitige pharmakotherapeutische Angebot an Antiepileptika (auch als Antikonvulsiva bezeichnet) hat einen solch hohen Stand erreicht, dass man sich jetzt wissenschaftlich vor allem an die Linderung möglicher Nebenwirkungen macht, weil der erwünschte Therapieerfolg zu den eindrucksvollsten Meilensteinen wissenschaftlicher Forschung zählt.

Wissen ist Macht, Macht zu helfen…

Wissen ist Macht, heißt der Erfahrungssatz, der leider auch negative Interpretationen zulässt. Konstruktiver lautet es deshalb: Wissen ist Macht, Macht zu helfen. Mit anderen Worten: Nur wer informiert ist, d. h. sich laufend weiterbildet und den neuesten Kenntnisstand nutzt, kann auch anderen eine Hilfe sein. Dies betrifft nebenbei nicht nur die helfenden Berufe wie Ärzte, Psychologen, Schwestern, Pfleger, Sozialarbeiter, Ergotherapeuten u. a., sondern auch interessierte und hilfswillige Laien, man denke nur an Schule, Lehre, Studium, Nachbarschaft, Freundeskreis, Sportverein und vor allem Arbeitsplatz. Dafür sind praktisch alle verfügbaren Medien nützlich. Selbst ein kurzer Fernseh-Spot kann ungeahnte Wirkungen erzielen, mehr als ein ungelesenes Lehrbuch.

Darüber sind sich auch die Experten im Klaren. Sie allerdings müssen sich – unverändert, trotz zusätzlicher und durchaus zweckmäßiger Internet-Angebote – bei Letzterem bedienen, dem erwähnten Lehrbuch. Davon gibt es gerade in der Neurologie, also jenem medizinischem Fachgebiet, das sich mit der Erforschung, Diagnose und Behandlung der Erkrankungen des Nervenssystems und der Muskulatur befasst und damit auch der Epilepsien, seit Mitte des 20. Jahrhunderts zunehmend hervorragende Beispiele, ständig überarbeitet und erweitert. Für die Epilepsien als konkretes Krankheitsbild und damit Lehrbuch-Thema sollen zwei neue bzw. auf den letzten Wissensstand gebrachte Fachbücher kurz erwähnt werden.

Dabei fällt etwas auf, dass praktisch die gesamte Medizin durchzieht: Niemand ist mehr in der Lage, sein eigenes Fachgebiet auch nur annähernd zu überblicken. Ohne Spezialisten für eine konkrete Fragestellung geht gar nichts mehr. Dies gilt für beide Fachbücher mit dutzenden(!) von Autoren für die jeweiligen Kapitel. Dass durch die Vielzahl der Autoren und damit möglicherweise Konzepte, Stile und den Grad der jeweiligen Verständlichkeit erhebliche Brüche im Lesefluss zu erwarten sind, das zu verhindern ist Aufgabe der Herausgeber (und am Schluss der zuständigen Lektoren des Verlags). Da aber diese Gefahr bekannt ist und sehr schnell über Erfolg oder Misserfolg eines ansonsten fachlich guten Lehrbuchs entscheidet, sind alle Verantwortlichen bestrebt, diese Fußangel so früh wie möglich auszumerzen, ja gar nicht aufkommen zu lassen. So auch hier. Der Erfolg wird ihnen Recht geben.

In dem Praxisbuch Epilepsien (Diagnostik, Behandlung, Rehabilitation), 2003 in 1. Auflage im Kohlhammer-Verlag Stuttgart erschienen, wurde etwas Besonderes überlegt und erfolgreich umgesetzt: Die Experten eines großen Epilepsie-Zentrums verfassen gemeinsam ein Fachbuch. Basis-Aufgabe: Der Patient braucht ein Angebot, das sich an seiner individuellen und aktuellen Problematik orientiert. Dies sollte an sich selbstverständlich sein, ist es aber nicht immer (je nach Autoren bzw. Herausgeber, die ihre eigenen (Spezial-)Schwer­punkte in Diagnose und Therapie durchzusetzen pflegen und oft auch noch den Eindruck zu erwecken versuchen, anderen müsse es ähnlich gehen). Tatsächlich hat es hier ein multidisziplinäres Team aus verschiedenen Experten (Neurologen, Neuropädiatern, Psychiatern, Psychotherapeuten, Psychologen, Sozialwissenschaftlern, Neurochirurgen, Neuroradiologen, Neuropharmakologen, Sozialarbeitern, Ergotherapeuten, Schwestern, Pflegern u. a.) verstanden, ein Buch aus einem Guss zu schaffen. Interessant dabei, dass den einzelnen Kapiteln keine spezialisierten Autoren oder Autoren-Teams zugeordnet wurden, der Beweis dafür, dass man sich tatsächlich auf eine übergeordnete Aufgabe, gleichsam eine Gemeinschaftsarbeit einigen konnte.

Der Inhalt erstreckt sich von historischen, neurophysiologisch-epidemiologischen und genetischen Aspekten über das Beschwerdebild einzelner epileptischer Syndrome bis zu apparativen Diagnose- und Therapiehilfen. Ein erfreulich großer Bereich gilt neuropsychologischen Aspekten, insbesondere seelischen Störungen und spezifischen Problemen, z. B. geistige Behinderung, Schwangerschaft und Kinderwunsch, höheres Lebensalter, Zusatz-Erkrankun­gen u. a. Wichtig natürlich die Pharmakotherapie, also Antiepileptika von A bis Z und genauso wichtig die psychosozialen Aspekte wie oben erwähnt: Partnerschaft, Familie, Nachbarschaft, Beruf, Führerschein u. a. Ein hervorragender Adressen-Anhang (Informationen, Behandlungseinrichtungen, berufliche Rehabilitation, weitere Beratungsmöglichkeiten, soziale Unterstützung, Selbsthilfeorganisationen, Schulung und Fortbildung usw.), eine auf das Wesentlichste beschränkte zusammenfassende Literatur und ein ausreichendes Sachregister runden dieses nebenbei preiswerte Fachbuch positiv ab. Es wird seinen Weg machen, das Praxisbuch Epilepsien des Epilepsiezentrums Bethel in Bielefeld.

Die Epilepsien (Grundlagen – Klinik – Behandlung): Mehr als doppelt so umfangreich und deshalb von einer noch größeren Zahl von Experten getragen bietet sich das wohl wichtigste deutschsprachige Fachbuch dieses Themas an. Die 1. Auflage kam vor etwas mehr als 10 Jahren heraus und löste damit das zu seiner Zeit einzige und später nicht mehr weitergeführte deutschsprachige epileptologische Nachschlagewerk der Nachkriegszeit ab (D. Janz: Die Epilepsien, 1969). Bereits damals wurde versucht, einen möglichst vollständigen Überblick über alle Aspekte der Epilepsien zu vermitteln. Das ist gelungen, der „Fröscher-Vassella“ gehörte seit dieser Zeit in die Handbibliothek jedes Neurologen, Nervenarztes, Psychiaters und interessierten Mediziners jeglicher Fachrichtung. Jetzt ist ein dritter Herausgeber hinzugekommen und die Zahl der Experten hat sich ebenfalls verdreifacht, zum Vorteil des Inhalts und seiner Nutzer.

Die einzelnen Kapitel sind mit den jeweiligen Autoren gekennzeichnet und deshalb in sich einheitlich. Da ein solches Nachschlagewerk ohnehin meist nur wegen spezifischer Fragestellungen konsultiert wird, ist eine stilistische Einheit wie in obigem Werk zwar erfreulich, aber nicht zwingend. Die Kapitel enthalten im Wesentlichen die gleichen inhaltlichen Angebote, wobei der doppelte Umfang natürlich auch detaillierter (und damit fach-spezifischer) in die Materie einführt.

Auch hier werden neben den Standard-Themen (siehe der Untertitel: Grundlagen – Klinik – Behandlung) sehr spezifische und immer wichtiger werdende Aspekte fundiert beschrieben. Beispiele: seelische und psychosoziale Folgen vom Kindergarten bis zur Heimunterbringung, Wehrdienst, Versicherung, straf- und zivilrechtliche Probleme u. a. Dazu Hilfen des Gesetzgebers und Selbsthilfegruppen, aufgelistet nach Deutschland, Österreich und der Schweiz, die immer bedeutsamer werdende computergestützte Dokumentation und ein ausführliches Kapitel über alle verfügbaren Antiepileptika aus dem deutschsprachigen Bereich (Stand 2003/04). Am Schluss 90 Seiten Literaturangaben in Kleindruck. Und – Fleißarbeit, aber Schaufenster eines jeden Fachbuches – 50 Seiten Sachverzeichnis mit halbfetten Seitenzahlen, die auf Haupttextstellen verweisen. Wer schon ein fast 1.000 Seiten starkes und drei Pfund schweres und damit entsprechend inhalts-gewichtiges Fachbuch anbietet, muss auch den raschen Informations-Zugriff gewährleisten. Das ist gelungen.

Schlussfolgerung: So haben wir hier für eines der bedeutsamsten (und am längsten bekannten) Leiden im wahrsten Sinne des Wortes, nämlich wenn unbehandelt und damit ungeheuer belastend bis tragisch, zwei hervorragende Lehr-Beispiele zur Verfügung. Sie werden dazu beitragen, dass der eingangs zitierte Seufzer über Julius Caesar nicht nur eine historische Vergleichs-Persönlichkeit betrifft, sondern selber langsam zur Historie verblasst (VF).

Bei allen Ausführungen handelt es sich um allgemeine Hinweise.
Bei persönlichen Anliegen fragen Sie bitte Ihren Arzt.