I. v. Münch:
PROMOTION
Verlag Mohr Siebeck, Tübingen 2003
212 S., € 29,00. ISBN 3-16-148096-1
Viele werden es gar nicht wissen, manchen aber wird es sogar zum Trost gereichen: Johann Wolfgang von Goethe, schon in jungen Jahren weltberühmt (Werther, Götz von Berlechingen), später der „Olympier – Deutschlands größter Dichter„, daneben aber „Super-Minister„ für durchaus unterschiedliche Aufgaben (Kultur, Bergbau u.a.), was er offenbar gut meisterte, dieser „Polyhistor„ Goethe bekam seinen Dr. jur. an der Universität Straßburg nicht durch (sehr zum Kummer seines Vaters, einem Doctor utriusque iuris). Einen zweiten Anlauf ließ er auf den Rat des Dekans lieber in ein juristisches Lizenziat münden. Laut dem „Goethe-Lexikon„ von Gero v. Wilpert ließ er sich aber nach der Rückkehr nach Frankfurt gerne mit dem vorgeblich gleichwertigen Doktortitel anreden. Es muss sich also doch um ein Trauma gehandelt haben. Wie zu erwarten erhielt er aber den Dr. h.c. der Philosophie und Medizin ein halbes Jahrhundert später von „seiner„ Landesuniversität Jena. Andere Dichter waren hier schon früher erfolgreich (z. B. Heinrich Heine, übrigens ebenfalls Jurist, ja sogar Casanova u. a.). Friedrich Schiller hatte zwar eine (ungeliebte militär-)ärztliche Ausbildung, offenbar aber ebenfalls keinen Doktortitel.
Warum beschäftigen wir uns in der Sparte „Empfohlene Fachliteratur„ mit diesem Thema? Weil es ein köstliches kleines Buch über die Promotion gibt von Ingo v. Münch, Professor für Öffentliches Recht, daneben früher Zweiter Bürgermeister, Wissenschafts- und Kultursenator in Hamburg, vielfacher Doktorvater, Gastprofessor in aller Welt – denn so einer muss es wissen. Herausgekommen (inzwischen in 2. Auflage) ist aber nicht eine trockene Promotions-Ordnung (die kann man in jedem Promotionssekretariat einer Universität anfordern), auch kein Fachbuch über den formalen Aufbau einer Dissertation, sondern eine – wie gesagt vergnüglich zu lesende – Abhandlung über einen oder wahrscheinlich den wichtigsten Bereich wissenschaftlicher Tätigkeit: die Erlangung des Doktortitels.
Dieses Büchlein sollte man sich nicht entgehen lassen. Es vereint einige wichtige Aspekte, nämlich das fundierte Wissen eines Professors und Doktorvaters, der selber alle Höhen und Tiefen einer solchen Aufgabe durchschritten hat (die nebenbei nicht nur den Doktoranden, auch dem Doktorvater treffen, und zwar nicht zu knapp, da kann der Rezensent vorbehaltlos zustimmen), nein, das Ganze zeichnet sich vor allem durch einen hintergründigen Humor aus, der aber durchgehend von dem notwendigen Respekt getragen wird.
Was bieten nun die einzelnen Kapitel-Themen? Ist der Mensch mit Doktortitel etwas Besonderes (die Antwort fällt unterschiedlich aus, man kann es sich denken, wobei Titel-Träger vielleicht großmütig abwinken, im Stillen aber doch eine feste Überzeugung haben)? Denn im nächsten Kapitel: „Warum promovieren? Gründe dafür und dagegen„ wird vor allem eines deutlich: Man muss einen langen Atem haben, Frustrationen wegstecken können und nie den Glauben an die Wissenschaft verlieren. Dann das spannende Kapitel über Doktorväter und Doktormütter (letztere sind noch immer extrem selten und werden auch nicht grundsätzlich von Doktorandinnen bevorzugt, darüber im Übrigen ein eigenes Kapitel). Schließlich die Abhandlungen über das Dissertationsthema, die Doktoranden-Betreuung (da gibt es wie zu erwarten „extreme Extreme„), die Finanzierung (mit nützlichen Hinweisen), die Promotionsdauer, das administrative Promotionsverfahren bis zur mündlichen Prüfung, die Benotung u.a.
Interessante Einblicke vermitteln die Kapitel über das Alter der Promovierten (früher in besonders begabten Fällen möglich in einem Alter, wo man sich heute an die mittlere Reife herantastet, dafür aber auch das Gegenteil, nämlich die bewundernswerten Dissertationen von Senioren nach der Pensionierung bis hin zu geistig noch frischen Hochbetagten). Interessant auch die unvollendeten Dissertationen (siehe Einleitung), die Nöte der Veröffentlichung und die Möglichkeiten und Grenzen der Titelführung, was zu dem spannenden Kapitel überleitet, dem Doctor honoris causa, dem Ehrendoktor.
Hier hat gewiss jeder seine eigene Meinung, die auch in vielen Fällen (kultur-)politischer oder wirtschaftlicher Sonder-Interessen nicht ganz unbegründet ist. Das hat mitunter auch ablehnende Reaktionen zur Folge. Dies betrifft im Übrigen nicht nur Politiker (z. B. einen deutschen Außenminister und einen amerikanischen Präsidenten – s. u.), sondern auch Wissenschaftler, die zwar zu den Bedeutendsten gehörten, trotzdem (oder deshalb?) auf die Ehrendoktorwürde verzichteten. Natürlich gibt es auch groteske Fehl-Ehrungen, die man aber gleich vergessen sollte. Sie sind – wie erwähnt – mal politischer, mal wirtschaftlicher Natur (teils örtlich begrenzt, teils international) und hinterlassen wohl bei beiden Seiten eine gewisse Betretenheit. Es gibt aber auch Wissenschaftler (z. B. den Neurologen und Psychiater Viktor B. Frankl), die eine staatliche Zahl von Doktor-Ehrungen auf sich vereinen konnten, und dabei noch von den bedeutendsten Universitäten dieser Erde (Abkürzung: Dr. h.c. mult.). Große Geister bringen es dabei auch auf Ehrungen außerhalb ihrer eigenen Wissenschaftsdisziplin.
Zweckgeleitete Verleihungen sind aber nicht nur ein Produkt unserer Zeit. Das gab es schon früher und in allen Nationen und betraf bzw. betrifft vor allem Politiker, darunter mehrere Bundeskanzler, die es jeweils auf über zwei Dutzend Doktorhüte schafften, gefolgt von Außen- und anderen Ministern (wobei John F. Kennedy einen Ehrendoktor mit der Bemerkung ablehnte, er verdiene diese Ehrung nicht). Ein wenig diskussionsträchtig scheint auch die Entwicklung der letzten Jahre zu sein, die Verlegern, Lektoren oder Schriftleitern einen offenbar vermehrten Zugang zum Dr. h.c. ermöglicht.
Um aber mit den Skurrilitäten der Doktorwürde abzuschließen: Ein Ehrendoktor der Columbia University New York wurde dem einstigen Box-Weltmeister im Schwergewicht Muhammed Ali (Cassius Clay) verliehen (wobei es auch einen tatsächlich erarbeiteten Doktortitel durch eine Box-Weltmeister im Schwergewicht gibt, nämlich einen der Brüder Klitschko). Und der amerikanische Komiker Bob Hope gilt mit mehr als 2.000 Medaillen und gut 50(!) Ehrendoktorwürden als der meistgeschmückte Entertainer der Welt...
Kurz: Dieses Büchlein hält so manche Überraschung bereit. Man kann es übrigens auch sehr gut als kleines Präsent einsetzen, z. B. bei bestandenem Doktor-Examen (VF).
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