A. Hoffmann:
Das Lexikon der Tabubrüche
Schwarzkopf & Schwarzkopf-Verlag, Berlin 2003. 634 S., € 14,90. ISBN 3-89602-517-1
Was ist ein Tabu? „Etwas, worüber man nicht spricht“, so die Volksmeinung (und nebenbei auch Lexikon-Definition aus allgemeinverständlicher Sicht). Das Phänomen gab es schon immer (siehe Altes Testament), der Begriff stammt aus Tahiti (wie James Cook auf seiner Entdeckungsfahrt im 18. Jahrhundert erfuhr - und danach die weltweite Verbreitung einleitete).
Das vorliegende Lexikon der Tabubrüche ist u. W. das erste umfassende Werk, das sich mit 452 Stichworten aus neuerer Sicht mit diesem Begriff befasst, dessen Bedeutung sich vom Schmähwort bis zum Religiös-Mystischen erstreckt. Aber brauchen wir in einer (scheinbar) tabu-losen Welt noch derlei? Mehr denn je. Schon allein die Definitionen sind eine Welt für sich, zumal die Grenzen unverändert fließend bleiben. Und dann der Zeitgeist, die gesellschaftlichen, kulturellen, politischen, ja wirtschaftlichen, medizinischen, psychologischen Veränderungen in unserer Zeit. Oder kurz: heute tabuisiert, morgen „in“ (oder demnächst auch einmal umgekehrt?).
Muss ein solches Buch unter psychologischen oder gar psychiatrischen Aspekten besprochen werden? Nun, es war Professor Dr. Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, der in seiner berühmten Aufsatzsammlung („Totem und Tabu“, 1912/13) die Doppelnatur des Tabus aufzeigte: Einerseits zur Sphäre des Heiligen gehörend, andererseits unheimlich, verboten, gefährlich oder gar unrein. Denn das Objekt des Begehrens ist häufig gleichzeitig das Objekt, mit dem man nicht in Kontakt treten darf, nicht einmal in theoretisch-geistiger Hinsicht. Deshalb entwickeln sich ganz unterschiedliche Formen von Tabus, z. B. Handlungs-, Sprech- und Darstellungsverbote. Und die sind gerade im Bereich von Sexualität (z. B. Zoophilie, Sadomasochismus, Pädophilie u. a.), Seele (d. h. Gefühl, aber auch Körper, Tod, Religion, Geld, Gesellschaft (tun, was man tut) und nicht zuletzt in Politik, Sport, ja Mode, Marketing und Freizeit anzutreffen. D. h. heute so, morgen schon ganz anders - und übermorgen? Daraus speist sich dann ein mehr als 600 Seiten starkes Lexikon-Taschenbuch, das sich nicht nur informations-dicht nutzen lässt, sondern stellenweise wie ein spannender Report liest.
|